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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.04.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 13/05
Rechtsgebiete: StGB, JGG, StPO


Vorschriften:

StGB § 2 a a. F.
StGB § 12
StGB § 21
StGB § 49
StGB § 66 a.F.
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB § 66 b
StGB § 66 b Abs. 1
StGB § 66 b Abs. 2
JGG § 106 Abs. 1
JGG § 106 Abs. 3
JGG § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
JGG § 106 Abs. 5
StPO § 275 a Abs. 4
StPO § 275 a Abs. 5 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 13/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafvollstreckungssache

wegen Mordes;

hier: Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 8. April 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Unterbringungsbefehl der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2004 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Bezirksgericht ... verurteilte den Rechtsmittelführer am 27. Juni 1991 wegen zweifachen Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren (- Az. 1 Bs 3/90 -). Der bereits vierfach vorbestrafte, unter anderem im Jahre 1985 wegen mehrfachen Diebstahls und unbefugter Benutzung von Fahrzeugen zu einer zunächst zur Bewährung ausgesetzten, später vollstreckten Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und 1986 erneut wegen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilte Rechtsmittelführer hatte zum einen am 26. August 1988 in stark alkoholisiertem Zustand (bei einer Blutalkoholkonzentration von zur Tatzeit max. 2,35 mg/g) eine knapp 50 Jahre alte Radfahrerin auf einer Landstraße vom Rad gestoßen, in einen Waldweg gezerrt, sie zu vergewaltigen versucht und, um den Geschlechtsverkehr zu erreichen, mit einem Halstuch gewürgt; der von ihm billigend in Kauf genommene Tod der Geschädigten trat kurze Zeit später durch Erdrosseln ein, und der Verurteilte warf daraufhin die Leiche ins Wasser, um sie zu verbergen. Zum anderen hatte der Angeklagte am 25. Februar 1989 ebenfalls unter Alkoholeinwirkung stehend die Mutter seines besten Freundes aufgesucht, wo er sich spontan zu deren Vergewaltigung entschloss; als die zunächst schlafende Geschädigte auf Grund der Berührungen des Verurteilten erwachte und diesen erkannte, ließ der Rechtsmittelführer von der Ausführung weiterer Vergewaltigungshandlungen ab, erstach die Geschädigte indes durch Zufügen von zwölf mit einer 10 bis 15 cm langen Schere geführten Stichen in den Rücken; der Verurteilte, der seit früher Pubertät Vergewaltigungsphantasien gehabt hatte, beseitigte die Leiche, indem er sie in einen mit Steinen beschwerten Sack steckte, diesen zuband und in ein Gewässer warf. Nach den Feststellungen des erkennenden, sachverständig beratenen Gerichts bestand bei dem Angeklagten zu den Tatzeiten eine lediglich leichte sexuelle Fehlentwicklung ohne Krankheitswert, da die von diesem geschilderten, vor allem unter Alkoholeinwirkung aufgetretenen Vergewaltigungsphantasien "farblos und diffus ohne Steigerungstendenzen" gewesen seien; wegen nicht ausschließbarer erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne von § 21 StGB milderte die Strafkammer die wegen der Tat vom 25. Februar 1989 zu verhängende Strafe nach § 49 StGB und warf auf dieser Grundlage unter weiterer Berücksichtigung der auf das Tatgeschehen vom 26. August 1988 anwendbaren Vorschrift des § 106 Abs. 1 JGG für beide Taten Einzelfreiheitsstrafen von 15 Jahren aus, aus denen das Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe in gleicher Höhe bildete.

Der nach Aufdeckung seiner Taten am 8. Mai 1989 vorläufig festgenommene Verurteilte verbüßte die mit Urteil vom 27. Juni 1991 verhängte Strafe voll. Der Strafvollzug verlief nicht beanstandungsfrei. Vor allem in den ersten Jahren nach seiner Inhaftierung kam es immer wieder zum Alkohol-, später auch Betäubungsmittelmissbrauch seinerseits, und insbesondere in den Jahren 1994 bis 2000 verstieß er mehrfach durch gegen Justizvollzugsbeamte ausgesprochene Beleidigungen, aber auch auf Grund von körperlichen Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen, gegen die Ordnung der Justizvollzugsanstalt.

Wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilte das Amtsgericht ... den Rechtsmittelführer am 25. Januar 2001 zu einer weiteren Freiheitsstrafe von drei Monaten (Az....); darüber hinaus belegte dasselbe Gericht den Verurteilten mit Urteil vom 17. Mai 2001 wegen dreifachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Cannabis) mit einer fünfmonatigen (Gesamt-) Freiheitsstrafe (Az....).

Beide Strafen verbüßte der Verurteilte ebenfalls voll; Termin zur Entlassung aus der Strafhaft war für den Verurteilten unter Berücksichtigung dieser weiteren, aus der Justizvollzugsanstalt heraus begangenen Straftaten am 5. Januar 2005.

Am 23. November 2004 beantragte die Staatsanwaltschaft bei der zuständigen 1. Strafkammer des Landgerichts..., die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen und bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung einen Unterbringungsbefehl zu erlassen. Diesem Antrag entsprach die Strafkammer mit dem verfahrensgegenständlichen Unterbringungsbefehl vom 14. Dezember 2004, gegen den sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde wendet. Nach Auffassung der Strafkammer sind dringende Gründe "für die Annahme der nachträglichen Anordnung der Unterbringung (des Verurteilten) in der Sicherungsverwahrung" auf Grund seines Vollzugsverhaltens vorhanden, zumal es insbesondere während der ersten zwei Drittel der Inhaftierungszeit "fast monatlich zu verbalen Bedrohungen von Bediensteten, Suchtmittelmissbräuchen (vor allen Dingen Cannabiskonsum), Verstößen gegen die Hausordnung und auch zu täglichen Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen" gekommen sei.

Im Beschwerdeweg macht der Verurteilte geltend, er habe sich gegen Ende des Strafvollzuges im Wesentlichen unauffällig verhalten, und die Anwendung von § 66 b StGB sei auf Fälle der vorliegenden Art, "wo auf Grund der Sperrwirkung des Einigungsvertrages die Sicherungsverwahrung selbst nach dem Willen des Gesetzgebers nicht verhängt werden durfte", verfassungsrechtlich "äußerst bedenklich".

Die Strafkammer hat zwischenzeitlich entsprechend den rechtlichen Vorgaben des § 275 a Abs. 4 StPO zwei psychiatrische Sachverständige mit der Begutachtung des von dem Verurteilten ausgehenden Gefahrenpotentials betraut; das Gutachten des Sachverständigen W... vom 20. März 2005 ist bereits eingegangen und liegt dem Senat vor.

Der Verteidiger des Beschwerdeführers hat mit Schriftsatz vom 04. April 2005 ergänzend auch zu den im Beschwerdeverfahren hinzugezogenen Unterlagen Stellung genommen und die Beschwerde bekräftigt.

II.

Das Rechtsmittel bleibt erfolglos. Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Unterbringungsbefehl des Landgerichts ... vom 14. Dezember 2004 hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Nach § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO kann das mit der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung betraute Gericht der Hauptsache einen Unterbringungsbefehl gegen einen Verurteilten erlassen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Dies ist vorliegend der Fall.

a) Die im Beschwerdewege (§§ 304, 309 StPO) vom Senat zu treffende eigene Sachentscheidung orientiert sich sowohl an § 66 b Abs. 2 StGB als auch an § 106 Abs. 5 JGG. § 106 Abs. 5 JGG regelt die durch das am 29. Juli 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BGBl. I, S. 1838 f.) geschaffene Befugnis, gegenüber zu Freiheitsstrafe verurteilten Heranwachsenden die nachträgliche Sicherungsverwahrung - unter besonderen weiteren Voraussetzungen - anzuordnen, auch wenn von der im übrigen allein zulässigen sog. vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in der Ausgangsentscheidung des erkennenden Gerichts aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen kein Gebrauch gemacht worden war. Der Verurteilte war zur Zeit des am 26. August 1988 begangenen ersten Tötungsdeliktes noch Heranwachsender. Das Bezirksgericht ... konnte seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in dem Urteil vom 27. Juni 1991 bereits aus Rechtsgründen nicht vorbehalten, weil der Gesetzgeber die rechtlichen Möglichkeiten, die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil des erkennenden Gerichts vorzubehalten, erst mit dem Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I, S. 3344) sowie mit dem Gesetz zur Veränderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3007) geschaffen hat, die am 28. August 2002 bzw. 1. April 2004 in Kraft getreten sind.

Im Hinblick auf die dem Unterbringungsverfahren zu Grunde liegende weitere Straftat vom 25. Februar 1989 findet demgegenüber § 66 b StGB Anwendung, da der Rechtsmittelführer zu dieser Zeit das 21. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Auch insofern war das erkennende Gericht aus Rechtsgründen gehindert, die Sicherungsverwahrung in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 anzuordnen, da Artikel 1 a EGStGB a. F., eingefügt durch Anlage 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990, i.V.m. Artikel 1 Einigungsvertrag vom 23. September 1990 (BGBl. II, S. 885 f., 889, 954) § 66 StGB a.F. als für das Gebiet der fünf neuen Bundesländer unanwendbar erklärt hatte; die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung gelten im sogenannten Beitrittsgebiet uneingeschränkt erst für nach dem 1. August 1995 begangene Taten (vgl. Artikel 1 a EGStGB a. F. in der Fassung des Artikel 1 SichVG vom 16. Juni 1995 - BGBl. I, S. 818).

Der Anwendung von §§ 66 b StGB, 106 Abs. 5 JGG steht nicht entgegen, dass diese Vorschriften bei Tatbegehung durch den Rechtsmittelführer noch nicht galten. Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung sieht Übergangsvorschriften insoweit nicht vor, und diese Regelung unterliegt - wie im Weiteren noch zu zeigen sein wird - keinen rechtlichen Bedenken.

Der Verurteilte könnte sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass § 106 Abs. 5 JGG auf Abs. 3 S. 2 Nr. 1 derselben Vorschrift Bezug nimmt, die ihrerseits erst 2004 in das Jugendgerichtsgesetz eingefügt worden ist. Denn die Vorschrift verwendet die Bezugnahme auf die in ihrem Absatz 3 getroffene weitere Regelung nur zur Wiederholungen vermeidenden Klassifizierung der von ihr erfassten Deliktstypen, ohne damit zugleich die weitere Voraussetzung aufzustellen, dass diese erst nach Inkrafttreten von § 106 Abs. 3 JGG begangen worden sein müssen. Die insoweit getroffene Regelung erweist sich als schon deshalb rechtlich beanstandungsfrei, weil hiermit allein keine nur unter besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben zulässige Rückwirkung verbunden ist.

b) Es sind dringende Gründe dafür vorhanden, dass gegen den Verurteilten auf der Grundlage von § 66 b Abs. 2 StGB und § 106 Abs. 5 JGG die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden wird.

aa) § 66 b Abs. 2 StGB gestattet die nachträgliche Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung, wenn nach dessen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen u.a. gegen das Leben Tatsachen erkennbar werden, die auf dessen erhebliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit hinweisen, und die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit (weitere) erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

So liegt der Fall hier.

Der Rechtsmittelführer ist wegen zweier Morde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden, wobei die zuständige Strafkammer des Bezirksgerichts ... bereits für jede einzelne der abgeurteilten Taten Einzelfreiheitsstrafen von 15 Jahren verhängte. Nach dieser Verurteilung sind auch auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Rechtsmittelführers hinweisende Tatsachen erkennbar geworden.

Dabei rechtfertigen bereits nach dem Gesetzeswortlaut nur solche Tatsachen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die erst nach der Verurteilung durch das erkennende Gericht bekannt oder erkennbar werden. Es muss sich insoweit um Tatsachen handeln, welche geeignet sind, die Persönlichkeit des Verurteilten und damit das Rückfallrisiko in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Tatsachen, die bis zum Schluss der tatrichterlichen Hauptverhandlung bekannt oder für das Gericht erkennbar waren, scheiden aus. Es genügt also nicht, das altbekannte Tatsachen - wie etwa die bereits im Urteil dokumentierte kriminelle Kariere des Verurteilten - die Annahme rechtfertigen, er werde alsbald nach der Haftentlassung wieder schwere Straftaten begehen (OLG Koblenz StV 2004, 665 f.; OLG Rostock NStZ RR 2005, 105; OLG Frankfurt am Main NStZ RR 2005, 106 f.). Wie sich aus der Begründung des schließlich weitgehend übernommenen Entwurfes der Bundesregierung für das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 10. März 2004 (Bundestagsdrucksachen 15/2887 vom 2. April 2004) im Zusammenhang ergibt, sollte durch § 66 b StGB die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht auch in den Fällen ermöglicht werden, in denen das Ausgangsgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung schlechthin "vergessen" hatte. Eine derartige - vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollte - Regelung wäre im Übrigen mutmaßlich mit dem allgemeinen Rückwirkungsverbot des Artikel 2 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 20 Abs. 3 GG nicht mehr vereinbar, auf Grund dessen Durchbrechungen der Rechtskraft von (Straf-) Urteilen nur ausnahmsweise zulässig sind (OLG Frankfurt a. M., a. a. O., S 108; in diese Richtung gehend auch Ullenbruch in Münch. Komm. zum StGB, § 66 b Rz. 39 f, 41; Minderheitsvotum der Verfassungsrichter Broß, Osterloh und Gerhardt zum Urteil des 2. Senates des BVerfG v. 10.2.2004 - 2 BvR 834, 1588/02, BVerfGE 109, 244 f., 254 f.); das Rechtsinstitut der nachträglichen Sicherungsverwahrung kann in diesem Sinne nicht als Instrument der "Super-Revision" zur Durchbrechung der Rechtskraft inhaltlich "falscher" rechtskräftiger Urteile dienen, die im dafür vorgesehenen Instanzenwege nicht erfolgreich angefochten worden sind.

Tatsachen, die die nachträgliche Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, sind demnach in erster Linie Handlungen des Verurteilten, die Schlüsse auf eine deutlich erhöhte Gefährlichkeit zulassen. Ob der Verurteilte diese Handlungen während des Strafvollzuges oder vorher begangen hat, ist ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, dass es sich um Nova in dem Sinne handelt, dass sie erst nach der Verurteilung bekannt oder erkennbar werden. Als derartige Nova kommen etwa psychische Normabweichungen in Betracht, die erst während der Haftzeit diagnostiziert werden, möglicherweise aber bereits bei Begehung der abgeurteilten Tat(en) vorhanden waren und ein deutlich erhöhtes Rückfallrisiko begründen können (OLG Koblenz a.a.O. m.w.N.).

Hierfür liegen fallbezogen gewichtige Anhaltspunkte vor. Im Ergebnis des im Unterbringungsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Nervenheilkunde W... vom 20. März 2005 leidet der Verurteilte an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung mit der Folge einer sexuell-devianten Entwicklung i. S. e. sexuellen Sadismus, die nicht ausreichend therapiert ist; in deren Folge ist bei ihm bis heute, auch auf Grund seiner biografisch eingeschliffenen Kriminalität, keine hinreichende Normenbindung vorhanden, als dessen Ausfluss die im Strafvollzug begangenen weiteren Straftaten und Disziplinverstöße erfolgt sind sowie die zudem festgestellte Polytoxikomanie (Alkohol- und Betäubungsmittelmissbrauch) entstanden ist.

Dabei geht der Sachverständige W., für den Senat ohne Weiteres überzeugend, auf Grund der Exploration des Verurteilten und der in diesem Rahmen gewonnen weiteren Erkenntnisse davon aus, dass sich die beim Rechtsmittelführer vorliegende sexuelldeviante Entwicklung schon anhand dessen sich seit Beginn der Pubertät wiederholenden, konkretisierenden und ausformenden, deshalb sich in ihrer Intensität steigernden Vergewaltigungsphantasien nachweisen lässt. Wie bereits in dem der Verurteilung durch das erkennende Gericht zu Grunde liegenden psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 14. September 1989 belegt, ergab sich im Tatvorfeld eine Steigerung der Vergewaltigungsphantasien beim Verurteilten schon daraus, dass dieser einige Male Frauen verfolgt hatte, gegen diese aber noch nicht gewalttätig vorgegangen war.

Der Sachverständige W... hat seine Einschätzung des beim Verurteilten vorliegenden Krankheitsbildes allerdings nicht allein auf der Grundlage der bereits dem erkennenden Gericht erkennbaren Tatsachengrundlage getroffen. Denn zwar lassen sich - wie dargestellt - bereits dem vor der Verurteilung eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten bestimmte Anhaltspunkte für sich beim Rechtsmittelführer steigernde Vergewaltigungsphantasien entnehmen. Aber abgesehen davon, dass die damalige Sachverständige den hieraus nachvollziehbar folgenden Schluss auf ein Vorliegen sexuelldevianten Verhaltens des Verurteilten nicht gezogen hat, hat sich erst im Umfang der nunmehr erfolgten erneuten Exploration ein insoweit klares Bild ergeben.

So hat der Verurteilte in diesem Zusammenhang erstmals ins Einzelne gehende Angaben zu seinem Sexualverhalten gemacht; die Sexualanamnese konnte vor diesem Hintergrund auf einer tragfähigeren Tatsachengrundlage durchgeführt werden. Insbesondere gab der Verurteilte dem Sachverständigen W... gegenüber nunmehr auch an, zunächst lediglich dahingehend phantasiert zu haben, Frauen in einen Wald hineinzuziehen oder bei seinen Einbrüchen zu überraschen, zu überwältigen und zu vergewaltigen; später hätten sich die Phantasien derart ausgestaltet, dass er Frauen gefesselt habe; im Laufe der Zeit hätten die Vergewaltigungsphantasien schließlich überhand genommen und seien erst während der Haftdauer abgeklungen. Diese Angaben des Untergebrachten stützen die These des Sachverständigen W..., die den Sadismus des Rechtsmittelführers begründenden Vergewaltigungsphantasien hätten sich im Laufe der Pubertät zunehmend gesteigert. Zurecht geht der Sachverständige W... schließlich davon aus, die im Rahmen seiner Exploration erfolgten Angaben des Verurteilten zu dessen Sexualphantasien während des weiteren Verlaufes seiner Haftzeit seien unwahr: Der Verurteilte hatte insofern angegeben, heute während des Masturbierens aufgrund seines Studiums des Buddhismus "abgedriftete Phantasien" zu haben, bei denen es sich um eine Astralprojektion handele, wobei man während des Geschlechtsaktes seinen Körper verlasse und Lust sowie Sexualität auf spiritueller Ebene erlebe; Sexualität verstehe er heute als "Hundekacke", die für ihn nebensächlich sei. In diesen Angaben erblickt der Sachverständige nachvollziehbar Bagatellisierungsversuche, die sich auch anhand der unzureichenden Normenbindung des Rechtsmittelführers belegen ließen.

Die vom Sachverständigen W... erstmals diagnostizierte schwere krankheitswertige Persönlichkeitsstörung beim Verurteilten begründet die konkrete Gefahr, dass dieser im Falle der Freilassung weitere Delikte der Schwerkriminalität gegen Leib und Leben anderer (Frauen) begehen würde. Insbesondere dessen sexuelle Fehlentwicklung im Sinne einer antisozialen Persönlichkeit, "die ihre eigenen Regeln, ihre Privatmoral, aufstellte und in allen Lebensbereichen, auch in der Sexualität, das tat und sich nahm, wozu sie gerade Lust hatte" (Sachverständigengutachten, Seite 94), ist, wie das psychiatrische Gutachten W... zurecht darlegt, bislang nicht nachhaltig therapiert worden und einer Therapie auch nur eingeschränkt zugänglich; die vom Verurteilten durchgeführte Psychotherapie von 90 Stunden reicht, wovon auch der Senat überzeugt ist, zur Aufarbeitung der entwicklungsdiagnostischen Defizite des Rechtsmittelführers keinesfalls aus.

Die vom Untergebrachten ausgehende Gefahr erheblicher weiterer Straftaten würde zudem die mutmaßlichen Opfer seelisch und körperlich schwer schädigen. Es kann nach Aktenlage derzeit schlechterdings nicht verantwortet werden, den Rechtsmittelführer in Freiheit zu entlassen.

Das gilt gerade auch bei Vornahme einer Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat(en) und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges. Der Rechtsmittelführer ist hochgradig sexuell deviant und gefährlich. Diese Gefährlichkeit hat sich in seinen Straftaten manifestiert und ist auch durch fortwährende Normenverstöße während der Haftzeit, die seiner antisozialen Persönlichkeit entspringen, dokumentiert. Die von dem Verurteilten ausgehende besondere Gefährlichkeit hat sich gerade erst aufgrund nach dessen rechtskräftiger Verurteilung durch das Bezirksgericht ... geschaffener Erkenntnisgrundlagen hinreichend einschätzen lassen. Danach wird die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den Rechtsmittelführer aller Voraussicht nach anzuordnen sein.

bb) Daneben sind in der Person des Verurteilten auch die Voraussetzungen des § 106 Abs. 5 JGG erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet werden, wenn nach einer Verurteilung wegen einer Straftat der in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 (in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB) bezeichneten Art zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor Ende des Strafvollzuges Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Ver11 urteilten für die Allgemeinheit hinweisen, sofern die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird.

Dies trifft hier zu. Der Verurteilte ist wegen des als Heranwachsender begangenen Mordes zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden, die in einer in gleicher Höhe ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe aufgegangen ist. Bei dem von ihm verwirklichten Delikt handelt es sich um ein Verbrechen im Sinne des § 12 StGB.

Wie vorstehend dargelegt, sind nach der Verurteilung des Rechtsmittelführers (neue) Tatsachen erkennbar geworden, die seine besondere Gefährlichkeit für die Allgemeinheit begründen: Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Verurteilte im Falle der Freilassung weitere Frauen zu vergewaltigen versuchen und aufgrund einer sadistischen Triebausstattung töten würde. Dies wird auch durch sein Verhalten während des Strafvollzuges gestützt.

cc) Offenbleiben kann im vorliegenden Fall, ob tragende Verfassungsgrundsätze, insbesondere das sogenannte Übermaßverbot, eine weitere dahingehende normative Einschränkung der §§ 66 b Abs. 2 StGB, 106 Abs. 5 JGG gebieten, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur bei Vorliegen eines Hanges des Verurteilten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB angeordnet werden darf (dies offensichtlich bejahend: OLG Frankfurt am Main a. a. O., Seite 108 bei allerdings andersgearteter Fallkonstellation; Ullenbruch a. a. O., Rz. 95). Dass der Verurteilte den Hang hat, erhebliche Straftaten zu begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, lässt sich auf der Grundlage der im Verfahren nach § 66 b StGB gewonnenen Erkenntnisse nämlich unschwer bejahen.

Ein Hang setzt nach ständiger Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters voraus, der ihn immer neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet; ebenso aber auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend für § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist das Bestehen eines solchen Hanges, nicht dessen Ursache (BGH NStZ RR 2004, 202 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage, § 66 Rz. 18).

Bei dem Rechtsmittelführer wurden durch den Gutachter W... eingeschliffene sexualdelinquente Verhaltensmuster festgestellt. Dieser hat in der Vergangenheit im Zuge sich steigernder Vergewaltigungsphantasien stereotyp hochkriminelle Verhaltensweisen gegen Leib und Leben Anderer an den Tag gelegt; die bei ihm vorliegenden Delinquenzmuster sind bislang therapeutisch nicht behandelt worden, und seine Triebstruktur hat sich auch während des Strafvollzuges nicht verändert. Demnach steht dringend zu befürchten, dass er sich nach seiner Freilassung bei denkbaren Gelegenheiten erneut gegen Frauen wenden und diese möglicherweise töten würde. Dies genügt für das Vorliegen eines Hanges im Rechtssinne.

Indes neigt der Senat dazu anzunehmen, dass §§ 66 b Abs. 2 StGB, 106 Abs. 5 JGG weder einer entsprechenden normativen Einschränkung zugänglich sind noch eine solche verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. Anders als § 66 b Abs. 1 StGB verweist Abs. 2 derselben Vorschrift nicht (auch) auf "die übrigen Vorschriften des § 66 StGB".

Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich somit, dass in den Fällen des § 66 b Abs. 2 StGB eine entsprechend eingeengte Normanwendung nicht vorgesehen ist; zudem sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber derartiges beabsichtigt hätte. Hieraus könnte sich zwar die Konsequenz ergeben, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch in Fällen angeordnet werden könnte, in denen sie dem erkennenden Gericht im Ausgangsverfahren per Gesetzes verwehrt worden ist (Kinzig NStZ 2004, 655 f., 658; OLG Frankfurt am Main a. a. O. m. w. N). Jedoch wird dies angesichts der in § 66 b Abs. 2 StGB enthaltenen hohen Eingriffsvoraussetzungen (Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder nach den §§ 250, 251 ..." StGB) den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit jedenfalls unter der Voraussetzung noch entsprechen, dass nach der rechtskräftigen Verurteilung im Erkenntnisverfahren neue Tatsachen bekannt oder erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen.

c)

§§ 66 b Abs. 2 StGB, 106 Abs. 5 JGG verstoßen in ihrer konkreten Ausgestaltung durch den Gesetzgeber nicht gegen Verfassungsrecht.

Der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat hierzu im Rahmen seiner zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung vom 6. Januar 2005 - 2 Ws 229/04 -, denen sich der Senat anschließt, unter anderem folgendes ausgeführt:

"Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung zunächst mit dem Einwand auseinanderzusetzen, dass die neu geschaffene Vorschrift verfassungswidrig und damit nichtig sei, weil sie gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG ("ne bis in idem") verstieße (vgl. Kinzig, NStZ 2004, 655, 660). Art. 103 Abs. 3 GG bestimmt, dass niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden darf. Würde man die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als "Bestrafung" im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG verstehen, wäre sie stets verfassungswidrig, denn es ist unmöglich, über deren Verhängung zu entscheiden, ohne an die früheren, bereits abgeurteilten Straftaten anzuknüpfen. Dieser Einwand würde nicht nur für die im Anlassverfahren abgeurteilten Straftaten gelten, sondern auch hinsichtlich aller relevanten Vorverurteilungen, denn auch diese haben bereits rechtskräftig abgeurteilte Straftaten zum Gegenstand. Der Senat folgt diesem Einwand nicht, weil es sich bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b StGB nicht um eine weitere Bestrafung des Täters, sondern ausschließlich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr handelt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 ... (BVerfGE 109, 133 ff.), mit dem über die Verfassungsmäßigkeit der Streichung der zehnjährigen Höchstgrenze bei einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 1998, Seite 160) entschieden wurde, den Unterschied zwischen Bestrafungen im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG und Maßregeln der Besserung und Sicherung grundlegend herausgearbeitet.

Verkürzt wiedergegeben argumentiert das Bundesverfassungsgericht wie folgt:

Vom Wortlaut ausgehend wird staatliches Strafen herkömmlich als ein Übel verstanden, dass als gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige, schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung auferlegt wird und die öffentliche Missbilligung der Tat zum Ausdruck bringt (BVerfGE 105, S. 135 f., 153 f.). Strafe gilt als Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit und ist damit Reaktion auf ein normwidriges Verhalten (BVerfGE 109, Seite 168).

Historisch betrachtet sollte das (absolute) Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nach dem Willen des Grundgesetzgebers denselben Bedeutungsinhalt haben wie die fast wortgleiche Vorgängervorschrift in Art. 116 der Weimarer Reichsverfassung. Zur Weimarer Zeit unterfielen die Maßregeln der Besserung und Sicherung jedoch anerkanntermaßen nicht dem absoluten Rückwirkungsverbot. Mit der Einführung der Maßregeln der Besserung und Sicherung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung (vom 24. November 1933, RGBl I Seite 995) wurde auch § 2 a StGB a. F. geschaffen, der bestimmte, dass über Maßregeln ausnahmslos nicht nach dem Recht der Tatzeit, sondern nach dem Recht des Entscheidungszeitpunktes zu urteilen sei. Bei den Beratungen über das Grundgesetz fand der Verfassungsgeber das dualistische Sanktionssystem des Strafrechts einschließlich der Vorschrift des § 2 a StGB a. F. als Teil der Rechtsordnung vor. Hinweise darauf, dass die Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel eingeschränkt oder das Rückwirkungsverbot abweichend von der damaligen Rechtsauffassung auf Maßregeln ausgedehnt werden sollte, sind nicht ersichtlich (BVerfGE 109, Seite 168 f.).

Systematisch betrachtet steht diese Auslegung nicht im Widerspruch zur kompetenzrechtlichen Bedeutung des Begriffs "Strafrecht" in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. In seinem Urteil vom 10. Februar 2004 ... (BVerfGE 109, 190 f.) hat das Bundesverfassungsgericht weiter entschieden, dass zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Regelung aller staatlichen Reaktionen auf Straftaten gehört, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen, somit auch die Regelung der Vorschriften über die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Der Bedeutungsunterschied des Begriffs "Strafrecht" aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Bestrafung im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG folgt jedoch aus den verschiedenen Zwecken beider Grundgesetzbestimmungen. Während Art. 103 Abs. 2 GG die rückwirkende Begründung und Verschärfung vergeltender strafrechtlicher Sanktion verbietet und damit freiheitsgewährleistende Funktion hat, regelt die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kein subjektives Recht des Einzelnen, sondern die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Länder (BVerfGE 109, 170).

Teleologisch betrachtet ist Normzweck des Art. 103 Abs. 2 GG ein erhöhter rechtsstaatlicher Schutz gegenüber spezifisch strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen der Staat auf schuldhaftes Unrecht antwortet.

Bestrafung im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG setzt danach voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist und seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfGE 109, Seite 172).

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung sollen demgegenüber nach der Konzeption des Gesetzgebers diejenigen Funktionen übernehmen, welche die Strafe wegen ihrer Bindung an die Schuld des Täters nicht ausreichend erfüllen kann (BVerfGE 91, 1, 31 f.). Maßregeln dienen insbesondere der Individualprävention, also der Verhinderung künftiger Straftaten durch Einwirkung auf den Täter. Diese Einwirkung kann in Form für sorgender oder heilender Eingriffe geschehen, aber auch - wie im Fall der Sicherungsverwahrung - durch mit Behandlungsangeboten verbundener Verwahrung des Betroffenen, von dem Gefahren ausgehen. Anknüpfend an die Gefährlichkeit des Täters ist allgemeiner Maßregelzweck die Verhütung künftiger Rechtsbrüche des Täters unabhängig davon, ob seine Schuld für sich genommen einen solchen Eingriff rechtfertigen würde.

Die Sicherungsverwahrung dient im Gegensatz zur Strafe nicht dem Zweck, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern dazu, die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen (BVerfGE 2, 118, 120). Nicht die Schuld, sondern die in der Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit ist bestimmend für die Anordnung, Ausgestaltung und zeitliche Dauer der Maßregel. Die Maßregel ist eine Maßnahme, die Gefahren vorbeugt und in die Zukunft wirken soll (BVerfGE 109, Seite 173, 174). Der Senat verkennt nicht, dass die vorstehend zitierten überzeugenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zum Verbot der Mehrfachbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG, sondern zum Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG gemacht wurden. Beide Grundgesetzvorschriften verwenden jedoch bei sprachlicher Ableitung von Verb "bestrafen" denselben Begriff der Bestrafung, von dem die Maßregeln der Besserung und Sicherung abzugrenzen sind. Beide Grundgesetzvorschriften haben freiheitsgewährende Funktionen zugunsten des Einzelnen im Strafrecht. Nicht erkennbar ist deshalb, warum sich der Begriff der Bestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG von demjenigen in Art. 103 Abs. 2 GG unterscheiden soll; er umfasst eben nicht die Maßregeln der Besserung und Sicherung."

Eine Verfassungswidrigkeit der diskutierten Vorschriften kann sich danach allenfalls aus dem allgemeinen Rückwirkungsverbot der Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG ergeben. Eine solche ist aber nach Auffassung des Senats jedenfalls dann nicht festzustellen, wenn die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung - wie vorliegend angenommen - nach dem gesetzgeberischen Willen von festgestellten Tatsachen abhängig ist, die erst nach Aburteilung durch das erkennende Gericht bekannt oder erkennbar werden. In diesem Fall wird nämlich nicht etwa eine rechtskräftige Entscheidung bei gleichartiger Tatsachen- und Rechtsgrundlage nachträglich abgeändert, sondern wird eine Maßnahme der Gefahrenabwehr getroffen, die auf weitergehenden selbständigen Erkenntnisgrundlagen beruht.

Unter Berücksichtigung von Vorstehendem erscheint zweifelhaft, ob die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung schon deshalb zulässig wäre, weil die Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren - wie in den neuen Bundesländern weitgehend vor 1995 - allein aus Gründen der Nichtanwendbarkeit des § 66 StGB oder aus sonstigen Rechtsgründen unterblieben ist. Der Gesetzgeber mag zwar unter Umständen auch diese Fallkonstellation erwogen haben, indem der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bestehenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf damit begründet, dass es "einige wenige Verurteilte" gebe, "gegen die zum Urteilszeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Sicherungsverwahrung nicht angeordnet oder ihre Anordnung nicht vorbehalten wurde." (Bundesverfassungsdrucksache 15, 2887, Seite 10).

Dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung - zudem bei Fehlen "neuer", im Erkenntnisverfahren nicht erkennbarer Tatsachen - nach dem gesetzgeberischen Willen zulässig sein sollte, ergibt sich hieraus aber noch nicht zwingend. Viel spricht demgegenüber dafür, dass der Gesetzgeber derartige Fallkonstellationen in §§ 66 b StGB, 106 JGG nicht geregelt hat, und die insoweit bestehende Regelungslücke wird deshalb allenfalls legislativ unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu schließen sein.

Da §§ 66 b StGB, 106 Abs. 5 JGG in ihrer konkreten normativen Ausgestaltung auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gerecht werden (vgl. dazu BVerfGE 109, 190 f., 238 f.) bestehen keine Bedenken gegen deren Verfassungskonformität.

2.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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