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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.12.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 180/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 453 Abs. 1 S. 3
StPO § 467 Abs. 1
StGB § 56 g Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 180/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht 025

In der Strafvollstreckungssache

wegen Raubes u. a.

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ...

am 22. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel vom 27. August 2004 aufgehoben. Der nicht verbüßte Teil der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. August 1994 - 4 Kls 49/93 - wird erlassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Potsdam hat den Beschwerdeführer am 22. August 1994 wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines Urteils des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 10. Dezember 1992 wegen versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat mit Beschluss vom 5. Februar 1998 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus diesem Urteil zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit auf drei Jahre bestimmt und mit weiterem Beschluss vom 15. April 2000 um ein Jahr auf insgesamt vier Jahre verlängert. Am 27. Januar 2004 hat das Landgericht Gera den Beschwerdeführer wegen Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil unter Anrechnung bereits erlittener Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt.

Mit Beschluss vom 27. August 2004 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel die Strafaussetzung aus dem Beschluss vom 5. Februar 1998 in Gestalt des Verlängerungsbeschlusses vom 15. April 2000 widerrufen. Die Strafvollstreckungskammer hat ausgeführt, dass durch die Begehung von Straftaten in der Bewährungszeit (März 2001 bis Dezember 2001) die bei der Strafaussetzung in den Beschwerdeführer gesetzte Erwartung, er werde zukünftig keine Straftaten mehr begehen, sich nicht erfüllt habe.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die materiellen Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung liegen jedoch nicht vor (§ 56 f Abs. 1 Satz 1, 1 StGB). Der Verurteilte hat zwar innerhalb der Bewährungszeit eine Straftat begangen. Hierin zeigt sich fallbezogen jedoch nicht, dass der Beschwerdeführer die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 15. November 2004 hierzu aufgeführt:

"...

Der Widerruf ist kein Instrument zur Ahndung von Verfehlungen in der Bewährungszeit, sondern eine Berichtigung der ursprünglichen, sich aber als unrichtig herausgestellten Prognose. Die Formel stellt auf die Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft ab, weshalb Taten geringen Gewichts, z. B. Zufalls- oder Gelegenheitsdelikte, fahrlässige Delikte, nach vorausgegangenen Vorsatztaten auch leichte einschlägige Rücklfalltaten, einer neuerlichen günstigen Prognose bei Vorliegen neuer tatsächlicher Umstände nicht entgegenstehen müssen. Ist aber aus der Verfehlung die Schlussfolgerung zu ziehen, dass sich der Verurteilte ohne die Einwirkung des Strafvollzuges künftig voraussichtlich erneut strafbar machen wird, muss die Strafaussetzung widerrufen werden. Bei der Entscheidung über die Frage des Widerrufs sind sämtliche Umstände in Person und Tat zu berücksichtigen, die für die Prognose zukünftigen Verhaltens des Verurteilten Bedeutung erlangen können.

Dem Widerruf steht nicht entgegen, dass der Verurteilte vor Beschlussfassung nicht noch einmal von der Strafvollstreckungskammer angehört wurde. Gemäß § 453 Abs. 1 S. 3 StPO soll dem Verurteilten lediglich die Gelegenheit zu einer mündlichen Anhörung gegeben werden. Das Gericht kann jedoch auf eine Anhörung verzichten, wenn es sich davon keine weitere Aufklärung verspricht. Das ist vorliegend offensichtlich der Fall.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers leidet der Beschluss auch nicht an einer fehlenden Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat nach Kenntnisnahme von der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Gera am 11. Februar 2004 (Bl. 267 d. BewH) und am 20. April 2004 (Bl. 282 d. BewH) Anträge auf Widerruf der Strafaussetzung gestellt.

Soweit der Beschwerdeführer erneut darauf abstellt, die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam sei zu einer Widerrufsentscheidung sachlich und örtlich nicht berufen, geht dieses Vorbringen aus den nach wie vor zutreffenden Gründen des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2003 [1 Ws 150/03 - Bl. 246 ff. (253 ff.) - d. BewH] ins Leere.

Dem Widerruf der Strafaussetzung steht grundsätzlich auch nicht entgegen, dass die Bewährungszeit bereits seit dem 19. Februar 2002 und mithin mehr als zwei Jahre abgelaufen war und der Widerrufsbeschluss erst 6 Monate nach dem Urteil des Landgerichts Gera ergangen ist.

Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Verurteilte in Anbetracht aller Umstände noch mit einem Widerruf rechnen musste.

Da dem Verurteilten rechtzeitig mitgeteilt worden war, dass vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung und eines möglichen Straferlasses der Ausgang des gegen ihn gerichteten Verfahrens wegen Zuhälterei vor dem Landgericht Gera abgewartet werden soll, konnte er aus dem zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf keinen Vertrauensschutz ableiten.

Ein Vertrauensschutz kann jedoch dann gegeben sein, wenn dem Verurteilten wegen der neuen Straftat Strafaussetzung gewährt wurde. Das ist hier der Fall.

Der Beschwerdeführer ist am 27. Januar 2004 wegen Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Unter Anrechnung verbüßter Untersuchungshaft setzte das Landgericht Gera den Strafrest zur Bewährung aus. Der Verurteilte wurde noch am Tage der Urteilsverkündung aus der Justizvollzugsanstalt Tonna (Bl. 281 d. BewH.) entlassen.

Grundsätzlich ist es dem Widerrufsgericht nicht verwehrt, in Fällen wie diesem die Strafaussetzung zu widerrufen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das die neuerliche Straftat aburteilende Gericht bei seiner Prognoseentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist.

Dass das Landgericht Gera bei seiner Entscheidung unzutreffende Erwägungen angestellt hat, ist nicht erkennbar. Das Landgericht Gera hat in seinen Urteilsgründen ausgeführt, dass der Verurteile ein freimütiges Geständnis abgelegt habe und willens ist, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Er habe bereits erheblich unter der Untersuchungshaft gelitten. Die Kammer habe in der dortigen Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, der Verurteilte werde sich auch ohne Vollstreckung der Reststrafe künftig straffrei führen.

Nach dem Inhalt der von dem Beschwerdeführer gemachten Angaben gegenüber seinem Bewährungshelfer finden sich - unwiderlegt - soziale Bindungen (Bl. 289 d. BewH). So soll der Verurteilte zwischenzeitlich seinen Lebensmittelpunkt - gemeinsam mit seiner aus der Ukraine stammenden Ehefrau - in der Ukraine haben. Eine erneute Inhaftierung durch den Bewährungswiderruf nach erfolgter Entlassung aus dem Vollzug in anderer Sache könnte die begonnene Integration des Verurteiten gefährden (vgl. OLG Düsseldorf StV 91, 29; 94, 200).

Die vorgenannten Umstände lassen einen Widerruf der Strafaussetzung als unverhältnismäßig erscheinen.

..."

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei. Sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Die angefochtene Entscheidung unterlag danach der Aufhebung und die nicht verbüßte Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. August 1994 war nach § 56 g Abs. 1 Satz 1 StGB zu erlassen; eine Verlängerung der Bewährungszeit (§ 56 f. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB) kam insoweit nicht in Betracht, da die Bewährungszeit bereits am 20. Februar 2002 abgelaufen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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