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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 22/06
Rechtsgebiete: StPO, RVG, ZPO


Vorschriften:

StPO § 142 Abs. 1
StPO § 395 Abs. 1 Nr. 2
StPO § 397 Abs. 1
StPO § 397 a
StPO § 397 a Abs. 1
StPO § 397 a Abs. 1 Satz 1
StPO § 397 a Abs. 1 Satz 4
StPO § 397 a Abs. 2
RVG § 56
RVG § 33 Abs. 6
RVG § 33 Abs. 8
RVG § 56 Abs. 2
ZPO § 121 Abs. 1
ZPO § 121 Abs. 2
ZPO § 121 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 22/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht 025

In der Strafsache

wegen versuchten Mordes;

hier: Kostenerinnerung des Nebenklägervertreters ......

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig und die Richter am Oberlandesgericht Seifert und Dr. Bachnick

am 15. März 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt .......werden der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 8. Dezember 2005 - 22 KLs 140/04 - und der Kostenfestsetzungsbeschluss desselben Gerichts vom 6. Juli 2005 insoweit aufgehoben, als die Auslagen des Beschwerdeführers (Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld) nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts als erstattungsfähig anerkannt worden sind.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird angewiesen, die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse für die I. Instanz zu zahlenden Auslagen (Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld) nach Maßgabe dieses Beschlusses neu festzusetzen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die weitere Beschwerde des Rechtsmittelführers richtet sich gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 8. Dezember 2005, mit dem diese dessen Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten des Landgerichts Potsdam als unbegründet zurückgewiesen hat.

Am 11. April 2005 beschloss die Strafkammer in der bei ihr anhängigen Strafsache wegen versuchten Mordes, dass sich der Verletzte ...... wirksam als Nebenkläger der öffentlichen Klage angeschlossen habe und ordnete diesem den in ..... kanzleiansässigen Beschwerdeführer gem. § 397 Abs. 1 StPO "zu den Bedingungen eines [gemeint: in Potsdam] ortsansässigen Rechtsanwalts" als Beistand bei. Mit Schriftsatz vom 19. April 2005 teilte der Beschwerdeführer der Strafkammer mit, dass er die hieraus resultierende Einschränkung seines Vergütungsanspruchs für unzulässig halte, einer solchen Einschränkung nicht zugestimmt habe und er die erfolgte Bestellung selbst jedoch nicht anfechten werde. Nach Abschluss der I. Instanz beantragte er mit Schriftsatz vom 19. Mai 2005 u. a. die Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von 210,00 Euro, weiterer Fahrtkosten von 789,80 Euro und Tage- und Abwesenheitsgeld in Höhe von 380,00 Euro. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Juli 2005 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (U. d. G.) die aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.754,40 Euro fest. Die vorgenannten drei Einzelbeträge für Fahrtkosten sowie Tage- und Abwesenheitsgeld setzte sie ab, weil der Beschwerdeführer zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet worden sei. Der Beschwerdeführer legte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss form- und fristgerecht Erinnerung ein und führte aus, dass die vorgenommenen Absetzungen unzulässig und damit unwirksam seien. Gem. §§ 56, 33 Abs. 8 RVG wurde die Entscheidung über die Kostenerinnerung durch den Einzelrichter der Strafkammer übertragen, die diese als unbegründet zurückwies. Die Strafkammer führt in ihrer Entscheidung aus: Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten weiteren Kosten seien diesem nicht zu vergüten, weil der Beiordnungsbeschluss eine zulässige Vergütungsbeschränkung enthalte und die U. d. G. an den Inhalt des Beiordnungsbeschlusses gebunden sei. Eigentlich habe eine Beiordnung des Beschwerdeführers als Nebenklägervertreter wegen fehlender Ortsansässigkeit abgelehnt werden müssen. Zur Gewährung eines ungestörten Verfahrensablaufs habe die Kammer jedoch als "minus" im Vergleich zu einer Ablehnung der Beiordnung den Beschwerdeführer unter Beschränkung seiner Vergütung auf diejenige eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. Die mit der Beiordnung des Beschwerdeführers angeordnete Beschränkung des Vergütungsanspruchs sei wirksam. Weil der Beschwerdeführer gegen seine Beiordnung keine Beschwerde eingelegt habe, könne er nunmehr im Kostenfestsetzungsverfahren diesen Teil der Beiordnungsentscheidung nicht mehr wirksam anfechten.

Der Beschwerdeführer hat gegen den ablehnenden Beschluss der Strafkammer form- und fristgerecht weitere Beschwerde eingelegt und verfolgt sein Anliegen, sämtliche von ihm geltend gemachten Kosten und Auslagen erstattet zu bekommen, weiter.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet; es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 6. Juli 2005, soweit diese die erstattungsfähigen Auslagen zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts zugrunde gelegt haben.

1. Die frist- und formgemäß eingelegte weitere Beschwerde des Beschwerdeführers ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG zulässig, weil das Landgericht in seinem Beschluss die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung anstehenden Frage zugelassen hat und er behauptet, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruhe, indem die Kammer die gesetzlichen Vorschriften über die Vergütung von Rechtsanwälten als Nebenklägervertreter gem. dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verkannt habe (§ 33 Abs. 6 RVG i. V. m. § 546 ZPO). Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern (§ 122 Abs. 1 GVG).

2. Die weitere Beschwerde ist begründet. Die Beiordnung des Beschwerdeführers als Beistand des Verletzten, der sich als Nebenkläger der öffentlichen Klage angeschlossen hat, unter Beschränkung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts war unzulässig und entfaltet im Kostenfestsetzungsverfahren keine Wirkung.

a) Eine Beiordnung des Beschwerdeführers als Beistand gem. § 397a StPO unter Beschränkung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts war unzulässig, weil sie gesetzlich nicht vorgesehen ist (so schon immer die h. Rspr. zu einer solchen einschränkenden Beiordnung eines Pflichtverteidigers; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, Rn. 6 zu § 142; OLG Frankfurt StV 89, 241; BVerfG StV 2001, 241 f. m. w. N.).

Der Mandant des Beschwerdeführers war gem. § 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO als Verletzter eines möglichen Kapitalverbrechens des versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 StGB) - eine Katalogtat gem. § 397 a Abs. 1 Satz 1 StPO - zum Anschluss an die öffentliche Klage berechtigt. Nach dieser Vorschrift hatte der Verletzte aufgrund der Schwere des Anklagevorwurfs einen originären Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand, ohne dass es auf das zusätzliche Vorliegen der weiteren Voraussetzungen von § 397 a Abs. 2 StPO ankam. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 121 ZPO) für die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren sind auf den hier vorliegenden Fall der Beiordnung eines Beistandes für den Verletzten einer Katalogtat gem. § 397 a Abs. 1 StPO mangels Verweisung im Gesetz in keinem Fall anzuwenden. Selbst für den - hier nicht vorliegenden Fall - einer Beiordnung eines Beistandes gem. § 397a Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder, weil der Verletzte seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist, ist § 121 Abs. 1 bis 3 ZPO vom Gesetz ausdrücklich nicht für anwendbar erklärt worden. Dies hat zur Folge, dass die dem Zivilrichter im Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe gegebene (theoretische; vgl. insoweit zu den neueren Entwicklungen im Zivilprozessrecht: Zöller/Philippi, ZPO, 24. Auflage, Rn. 12 zu § 121 ZPO m. w. N.) Möglichkeit, die Entstehung von Mehrkosten für den Justizfiskus durch die Beiordnung eines nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts zu vermeiden, dem Strafrichter im Rahmen der Bestellung eines Beistandes gem. § 397a Abs. 1 und 2 StPO nicht in gleicher Weise zu steht.

b) Mangels ausdrücklichen Einverständnisses des Beschwerdeführers ist die vom Landgericht vorgenommene Einschränkung des Vergütungsanspruchs unzulässig. Hierbei ist unbeachtlich, dass der Beschwerdeführer den Beiordnungsbeschluss vom 11. April 2005 nicht angefochten hat. Durch die Beiordnung selbst war der Beschwerdeführer nicht beschwert; die ohne dessen ausdrückliches Einverständnis in unzulässiger Weise vorgenommene Beschränkung seines Vergütungsanspruchs hat die Wirksamkeit der Beiordnung als solche nicht berührt (vgl. OLG Frankfurt a. a. O.). Der Beschwerdeführer hat der Einschränkung seines Vergütungsanspruchs auch ausdrücklich in seinem Schreiben vom 19. April 2005 widersprochen, so dass auch von einer konkludenten Einwilligung in die Beschränkung durch widerspruchslose Wahrnehmung des Mandats nach Zugang des einschränkenden Beiordnungsbeschlusses nicht ausgegangen werden kann.

c) Die Vorsitzende der Strafkammer hätte - worauf der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung zurecht hinweist - nur die Möglichkeit gehabt, diesen in Ausübung des durch §§ 397 a Abs. 1 Satz 4, 142 Abs. 1 StPO eingeräumten Ermessens (vgl. zum Umfang dieses eingeschränkten Ermessens grundsätzlich: Meyer-Goßner, StPO, 25. Auflage, Rn. 3 zu § 142 m. w. N.) als Beistand zurückzuweisen und statt seiner - wie für die weiteren Verletzten in diesem Strafverfahren - einen in Berlin/Brandenburg ansässigen Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen. Aufgrund des Umstandes, dass inzwischen die I. Instanz abgeschlossen ist, bedarf es keiner weiteren Erörterung mehr, unter welchen Umständen das der Strafkammervorsitzenden zustehende Ermessen dahingehend reduziert sein kann, dass dem Verletzten im Strafverfahren auch ein ortsfremder Rechtsanwalt als Beistand beizuordnen sein könnte.

d) Für die hier zu treffende Beschwerdeentscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren ist es unbeachtlich, dass der Beschwerdeführer nicht bereits den Beiordnungsbeschluss selbst angefochten hat. Auch hier wirkt sich zugunsten des Beschwerdeführers aus, dass die vorgenommene Beschränkung des Vergütungsanspruchs keinerlei Grundlage im Gesetz findet und damit keine Wirkung entfalten konnte (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken, RVG, 16. Auflage, Rn. 17 zu § 55, Rn. 52 Vorb. zu § 45 RVG; OLG Düsseldorf Jur Büro 93, 689 m. w. N.).

e) Der Senat schließt sich der h. M. an, dass die U. d. G. im Kostenfestsetzungsverfahren nicht an die rechtlich keinerlei Wirkung entfaltende Einschränkung des Vergütungsanspruchs aus dem Beiordnungsbeschluss gebunden ist (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken a. a. O., Rn. 17 zu § 55).

f) Da sich die Sachakten in der Revisionsinstanz beim Bundesgerichtshof befinden, war es dem Senat nicht möglich, die weiteren mit der Kostenerinnerung geltend gemachten Positionen auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Der Senat hat daher von einer eigenen Sachentscheidung abgesehen und den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Juli 2005 im Umfang der Anfechtung aufgehoben. Die U. d. G. des Landgerichts Potsdam wird die streitigen Auslagen unter Beachtung der in diesem Beschluss geäußerten Rechtsansicht neu festzusetzen haben.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).

Ende der Entscheidung

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