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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.12.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 273/07
Rechtsgebiete: StrEG


Vorschriften:

StrEG § 2 Abs. 1
StrEG § 6 Abs. 1 Nr. 1
StrEG § 8 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 273/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen schweren Raubes

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 5. Dezember 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die die Versagung von Strafhaftentschädigung beinhaltende Entscheidung aus dem Urteil der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. Mai 2007 aufgehoben.

Der Angeklagte ist für die in der Zeit vom 26. Mai 1997 bis zum 12. Juli 1997 und vom 1. Februar 2007 bis zum 11. Mai 2007 erlittene Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Dem Angeklagten wurde mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 30. Juni 1997 zur Last gelegt, am 28. September 1995 in Beelitz gemeinschaftlich handelnd mit Gewalt gegen eine Person fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich dieselben rechtswidrig zuzueignen, und dabei eine Waffe oder ein sonstiges Werkzeug mitgeführt zu haben, um den Widerstand eines anderen mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Ihm wurde namentlich vorgeworfen, am Tattag gegen 12.20 Uhr aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes mit zwei unbekannten Mittätern die Filiale der .....................betreten und den Verkäufer ........durch Besprühen mit Reizgas und Verabreichung von Schlägen veranlasst zu haben, das Versteck der Tageseinnahmen (von 7200,- DM) in einem Lederkoffer unter dem Verkaufstresen zu offenbaren, den Lederkoffer sowie mehrere schnurlose Telefone und Camcorder weggenommen und mit dieser Beute den Tatort verlassen zu haben. Der gegen den früheren Angeklagten gerichtete Tatverdacht stützte sich im wesentlichen auf eine daktyloskopische Spur seines rechten Mittelfingers, die entweder an einer (für Telefone schwerhöriger Personen gebräuchlichen, visuelle Signale abgebenden) Alarmglocke oder an einer Alarmeinrichtung für Camcorder (wovon zunächst ausgegangen wurde) aufgefunden worden war. Der frühere Angeklagte hatte sich hierzu nach seiner erstmaligen Inhaftierung aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Potsdam vom 22. Januar 1996 (Az. 78 Gs 42/96) am 11. Juni 1997 dahingehend eingelassen, das nämliche Ladengeschäft des öfteren aufgesucht, die Auslagen angeschaut - dabei möglicherweise die Spur verursacht - und dort auch Batterien gekauft zu haben. Von dem Tatvorwurf des gemeinschaftlichen schweren Raubes wurde der Angeklagte indes durch Urteil der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. Mai 2007 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gleichzeitig wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam aufgehoben. Den zwischenzeitlich rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten begründete die Strafkammer im einzelnen damit, diesem habe eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden können: Seine erstmals im Haftprüfungstermin vom 15. Februar 2007 getätigte (weiterführende) Einlassung, etwa Mitte September1995 im tatörtlichen Ladenlokal erfolglos versucht zu haben, einen Camcorder / eine Kamera zu entwenden, wobei er versucht habe, das Sicherungskabel aus der Steckdose zu ziehen (wodurch möglicherweise die daktyloskopische Spur entstanden sei), er seinen Tatentschluss schließlich aber aufgegeben habe, weil er sich beobachtet gefühlt habe, habe nicht widerlegt werden können; denn bereits eine genaue Spurenzuordnung sei nicht möglich gewesen und darüber hinaus habe nicht festgestellt werden können, dass die Fingerabdruckspur erst am Tag der Raubtat aufgebracht worden sei.

Der Angeklagte befand sich auf Grund des genannten Haftbefehls in der Zeit vom 26. Mai 1997 bis zum 12. Juli 1997, dem Tage seiner Flucht, und erneut vom 1. Februar 2007 bis zur Haftentlassung am 11. Mai 2007 in Untersuchungshaft.

Das Landgericht hat es in dem insofern angefochtenen freisprechenden Urteil abgelehnt, dem früheren Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft gemäß § 2 Abs. 1 StrEG eine Entschädigung zuzusprechen, weil der Versagungsgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG vorliege; der Beschwerdeführer habe sich erst in dem Haftprüfungstermin der Kammer vom 15. Februar 2007 zu dem versuchten Diebstahl eines Camcorders bekannt, damit aber zuvor ihn entlastende Umstände verschwiegen, was zur Aufrechterhaltung des dringenden Verdachts der Beteiligung an dem verfahrensgegenständlichen Raub geführt habe, und so seine Inhaftierung mitverursacht; seine (spätere) Einlassung sei zudem zunächst nicht glaubhaft gewesen, weil er sich dem Strafverfahren zeitweise durch Flucht entzogen gehabt habe.

Die Beschwerde des früheren Angeklagten macht geltend, dieser habe durch das Verschweigen der ihn entlastenden Umstände die erlittene Untersuchungshaft nicht veranlasst, da er trotz Offenbarung des Diebstahlsversuches aufgrund der Indizienlage noch über den 15. Februar 2007 hinaus inhaftiert geblieben sei.

Das gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG (in Verbindung mit §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) statthafte Rechtsmittel ist begründet. Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben. Die Erwägungen der Strafkammer sind - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - nicht geeignet, dem Beschwerdeführer eine Entschädigung nach der Ermessensvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG zu versagen.

Nach dieser Bestimmung kann die Entschädigung ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlaßt hat, dass er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat. Zur Versagung der Entschädigungspflicht genügt es allerdings nicht, dass sich der Beschuldigte - hier: der Beschwerdeführer - durch sein Aussageverhalten irgendwie verdächtig gemacht hat. Vielmehr muss er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen haben. Außerdem muss das zur vollständigen oder teilweisen Versagung der Entschädigung führende Aussage- bzw. Einlassungsverhalten dem Beschwerdeführer zuzurechnen sein; er muss den Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme - hier: der Untersuchungshaft - schuldhaft, also vorsätzlich, grob fahrlässig (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG) oder fahrlässig im Sinne des Verschuldensbegriffs des Bürgerlichen Gesetzbuches (mit-) verursacht haben (Kunz, StrEG, 3. Aufl., § 6 Rz. 5; OLG Brandenburg, Beschluss des 2. Strafsenats vom 5. August 1999 - 2 Ws 233/99 -).

Die angefochtene Entscheidung wird diesen Vorgaben nicht hinreichend gerecht. Ihren Gründen kann nicht nachvollziehbar entnommen werden, dass der Beschwerdeführer durch eigenes, zurechenbares, also vorwerfbares Verhalten einen erheblichen Ursachenbeitrag zur Begründung des dringenden Tatverdachts und der sich dann anschließenden Untersuchungshaft geleistet hat. Denn auch ohne dass er sich zu dem etwa Anfang September 1995 im Ladenlokal in der ................versuchten Diebstahl eines Camcorders bekannt hätte, hätte vor dem Hintergrund seiner ursprünglichen Einlassung (vom 11. Juni 1997) in gleicher Weise Veranlassung bestanden zu erwägen, ob die vor Ort gesicherte Fingerabdruckspur auf die darin geschilderte Art und Weise entstanden sein kann. Die Verdachtslage hat sich nicht dadurch wesentlich verändert, dass der Beschwerdeführer seine Einlassung am 15. Februar 2007 konkretisiert und dabei die Begehung einer (verjährten) Straftat eingeräumt hat. Der dringende Tatverdacht gegen den früheren Angeklagten wurde vielmehr ausweislich des Inhalts von Haftbefehl und Anklageschrift gerade auf die vorliegenden Sachbeweise (Fingerabdruck) gestützt. Die Einlassung des Angeklagten spielte insofern (ob berechtigt oder nicht, ist hier irrelevant) keine entscheidende Rolle, blieb doch der bestehende Haftbefehl auch nach Änderung dessen Aussageverhaltens und in Kenntnis der veränderten Beweislage über den 15. Februar 2007 hinaus aufrechterhalten. Der Wert des gegen den Beschwerdeführer vorliegenden Sachbeweises war demnach auch schon aufgrund seiner ursprünglichen, in der Erstvernehmung abgegebenen, Einlassung gemindert, war doch eine frühere Spurenverursachung ohne Zusammenhang mit der Raubtat vom 28. September 1995 nicht völlig undenkbar; was sich an dieser Sachlage mit der Einlassung vom 15. Februar 2007 entscheidend geändert haben soll, erschließt sich letztlich nicht. Jedenfalls kann vorliegend die für eine Versagung der Haftentschädigung erforderliche positive Feststellung nicht getroffen werden, der Freigesprochene habe seine Untersuchungshaft durch das Verschweigen entlastender Umstände selbst veranlasst.

Gründe, die nach § 5 - hier insbesondere Abs. 2, 3 - StrEG die Gewährung einer Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ausschließen, liegen ebenfalls nicht vor. Zum einen ist der frühere Angeklagte nicht aufgrund der Nichtbefolgung einer Ladung vor den Richter inhaftiert worden, hatte ihn doch eine Ladung zur Hauptverhandlung weder vor seiner Flucht noch bis zu seiner erneuten Festnahme im Jahre 2007 erreicht, zum anderen hat er seine nach dem 1. Februar 2007 erfolgte Inhaftierung nicht durch das Entweichen aus der Untersuchungshaft kausal verursacht (vgl. Kunz aaO, § 5 Rz. 43 ff m.w.N.), weil allein aus diesem Verhalten weder Rückschlüsse auf den dringenden Tatverdacht - der im übrigen stets allein auf den vorliegenden Sachbeweis gestützt wurde - noch den Haftgrund der Fluchtgefahr gezogen werden konnten und es im übrigen vor dem Hintergrund des Inhaltes von Haftbefehl und Haftfortdauerentscheidungen nach Lage des Falles ausgeschlossen ist, dass die Strafkammer den Beschwerdeführer nur angesichts seiner vorausgegangenen Flucht nicht vor Abschluss des Hauptverfahrens aus der Untersuchungshaft entlassen hat.

Die angefochtene Entscheidung war hiernach aufzuheben und dem Beschwerdeführer eine Haftentschädigung für die gesamte Haftzeit dem Grunde nach zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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