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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 12.10.2009
Aktenzeichen: 10 UF 118/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 621 e
BGB § 1684 Abs. 4
BGB § 1696
BGB § 1697 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Senatsbeschlüsse vom 4. Oktober 2004 (10 UF 128/04) und 27. Oktober/19. Dezember 2005 (10 UF 110/05) werden aufgehoben.

Unter Zurückweisung des Antrags des Antragstellers auf Abänderung der zuvor genannten Senatsbeschlüsse und anderweitige Regelung des Umgangs mit dem Kind T... S... findet eine Umgangsregelung nicht statt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist der Vater des am ....2.2001 geborenen T... S..., der die 2. Klasse der Grundschule besucht und im Haushalt seiner Mutter lebt. Diese ist seit Juli 2008 verheiratet. Aus der Ehe ist ein weiteres Kind hervorgegangen.

Der Antragsteller, derzeit arbeitslos, ist ebenfalls verheiratet. Seine Frau hat drei Söhne mit in die Ehe gebracht. Nachdem es noch vor der Geburt von T... zur Trennung von der Mutter gekommen war, lebte der Antragsteller zunächst in D... und ist im Jahr 2007 nach W... gezogen.

Nachdem verschiedene Verfahren zur Regelung des Umgangs stattgefunden haben, hat der Senat diesen schließlich durch die Beschlüsse vom 4.10.2004 und 27.10./19.12.2005 geregelt. Danach sollte der Vater zunächst alle zwei Wochen drei Stunden lang Umgang haben, und zwar begleitet durch einen Mitarbeiter des Jugendamts am Wohnsitz des Kindes, danach sollte der Umgang schrittweise zeitlich ausgedehnt werden und ohne Begleitung stattfinden. Diese Umgangsregelung ist nicht umgesetzt worden, ein regelmäßiger begleiteter Umgang hat nicht stattgefunden.

Im Mai 2007 hat der Antragsteller das vorliegende Verfahren eingeleitet und vorgetragen:

Das Jugendamt habe die Umgangsregelung nicht umgesetzt. Jetzt wohne er in W... und wünsche, dass T... zu ihm komme. Das Kind könne allein zu ihm reisen, die Fluggesellschaften stellten eine Flugbegleitung für Kinder ab fünf Jahren zur Verfügung.

Diesen Antrag hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 31.5.2007 zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller die dem Kind zugedachten Flugreisen selbst auf sich nehmen könne.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde und wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen. Er trägt weiter vor:

T... könne zur Wahrnehmung des Umgangs mit ihm nach W... kommen. Er, der Vater, wolle den Umgang dort haben. Mit einem Jugendamtsmitarbeiter werde er keinen Umgang durchführen. Eine Umgangsbegleitung lehne er ab. Im Übrigen begehre er die Übertragung der elterlichen Sorge für T... auf sich. T... sei in seiner Familie besser aufgehoben als bei der Mutter.

Der Antragsteller beantragt,

den angefochtenen Beschluss abzuändern und in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 4.10.2004 den Umgang mit T... so zu regeln, dass dieser unbegleitet in W... stattfindet.

Die Antragsgegnerin beantragt Zurückweisung der Beschwerde.

Sie weist darauf hin, dass der Umgang in der Vergangenheit im Wesentlichen deshalb nicht stattgefunden habe, weil der Antragsteller nicht erschienen sei. Dieser sei an einem Umgang auch nicht mehr interessiert und begehre nur noch die Übertragung der elterlichen Sorge für T....

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten zu 1. und 2. wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 27.8.2007 die Dipl.-Sozialpädagogin Sch... zur Verfahrenspflegerin ernannt und am 23.10.2007 einen Anhörungstermin durchgeführt, zu dem der Antragsteller nicht erschienen ist. Auf den Berichterstattervermerk zu diesem Termin wird Bezug genommen.

Durch Beweisbeschluss vom 29.1./29.4.2008 hat der Senat die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage der Erforderlichkeit einer Umgangsbegleitung angeordnet, für den Fall, dass unbegleiteter Umgang in Betracht komme, sollte der Sachverständige zur Frage des Umgangsorts und -zeitraums sowie einer Flugreise des Kindes nach W... Stellung nehmen. Zum Sachverständigen ist der Dipl.-Psych. D... bestellt worden. Der Senat hat ferner durch Beschluss vom 19.3.2009 über die Frage der Verfahrensfähigkeit des Antragstellers das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L..., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, eingeholt. Auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen D... vom 27.10.2008 und des Sachverständigen Prof. Dr. L... vom 13.6.2009 wird Bezug genommen.

Ferner wird auf die Berichte des Jugendamts des Landkreises M... vom 22.8.2007, 27.9.2007 und 20.8.2009, des Jugendamts W... vom 12.9.2007 und der Verfahrenspflegerin Sch... vom 9.10.2007, 19.7.2009 und 30.9.2009 verwiesen.

In dem weiteren Termin vom 1.10.2009 hat der Senat die beteiligten Eltern, das Kind, den Vertreter des Jugendamts M... und die Verfahrenspflegerin angehört, der Sachverständige D... hat sein Gutachten erläutert. Auf den Berichterstattervermerk zu diesem Termin wird Bezug genommen.

II.

Das Verfahren ist vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden, sodass nicht das am 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG, sondern das bisherige Verfahrensrecht anzuwenden ist, Art. 111 FGG-RG.

Danach findet die Beschwerde gemäß § 621 e ZPO statt. Sie ist zulässig. Der Antragsteller hat die Beschwerde wirksam eingelegt, er ist insbesondere verfahrensfähig. Daran bestehen aufgrund des psychiatrisch neurologischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L... keine Zweifel.

Der Sachverständige Prof. Dr. L... hat in seinem Gutachten die Verfahrensfähigkeit des Antragstellers bejaht und ausgeführt, dessen intellektuelle Funktionen seien zwar deutlich reduziert, eine psychiatrische Erkrankung könne aber nicht festgestellt werden. Deshalb liege eine Symptomatik, welche die freie Willensbestimmung des Antragstellers wesentlich beeinträchtige, nicht vor.

Die somit zulässige Beschwerde des Antragstellers führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung.

Eine bestehende Umgangsregelung, wie hier, kann nach § 1696 BGB abgeändert werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben oder wenn sich die bestehende Regelung nicht bewährt hat (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1684, Rz. 21 a.E.). Dabei ist ohne Bindung an Anträge der Beteiligten zu entscheiden und diejenige Regelung zu treffen, die dem Kindeswohl am besten entspricht, § 1697 a BGB (vgl. Johannsen/ Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1684, Rz. 22). Einer Entscheidung zum Nachteil des Beschwerdeführers steht das Verbot der reformatio in peius, das Schlechterstellungsverbot, nicht entgegen (vgl. Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, a.a.O., § 621 e, Rz. 19 f; Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 621 e, Rz. 72). Danach kommt grundsätzlich eine Abänderung der 2004/2005 getroffenen Umgangsregelung in Betracht. Denn der Vater hat seinen Wohnsitz nach W... verlegt und lebt damit so weit vom Wohnort des Kindes im Land Brandenburg entfernt, dass ein zweiwöchiger Umgangsrhythmus nicht mehr durchführbar ist. Eine Anpassung der Umgangsregelung scheidet jedoch aus, weil das Kindeswohl nach wie vor begleiteten Umgang i.S.v. § 1684 Abs. 4 BGB erfordert und der Umgang nicht in W..., sondern nur in einem dem Kind vertrauten Umfeld stattfinden darf, der Vater einen solchen Umgang aber ausdrücklich ablehnt. Da somit der Antragsteller einen dem Kindeswohl entsprechenden begleiteten Umgang in der dem Kind vertrauten Umgebung im Land Brandenburg nicht wahrnehmen will, muss die Anordnung einer Umgangsregelung unter Zurückweisung des darauf gerichteten Antrags unterbleiben.

Allerdings ist regelmäßig eine sachliche Entscheidung über den Umgang in dem Sinne zu treffen, dass entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret geregelt oder diese ebenso konkret eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Nur so weiß der Umgangsberechtigte grundsätzlich, in welcher Weise er sein Recht tatsächlich wahrnehmen darf bzw., falls ein Umgang nicht stattfinden kann, in welchem zeitlichen Abstand er einen neuen Antrag auf gerichtliche Regelung zu stellen berechtigt ist (vgl. BGH, FamRZ 1994, 158; FamRZ 2005, 1471). Hier sind jedoch die Voraussetzungen, unter denen Umgang stattfinden kann, bekannt. An der Notwendigkeit eines begleiteten Umgangs hat sich nichts geändert. Hinzu getreten ist das Problem des Unvermögens von T..., zu Umgangskontakten nach W... zu fliegen. Deshalb genügt es, die bestehende Umgangsregelung der Senatsbeschlüsse vom 4.10.2004 sowie 27.10./19.12.2005 aufzuheben und die Anordnung einer - den geänderten Wohnsitz des Vaters berücksichtigenden - neuen Umgangsregelung abzulehnen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, FamRZ 2006, 1867; OLG Köln, FamRZ 2001, 1163; s.a. BGH, FamRZ 1994, 158 und FamRZ 2005, 1471).

Gemäß § 1684 Abs. 4 BGB kann der Umgang eingeschränkt und eine Umgangsbegleitung angeordnet werden, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist (vgl. zum Ganzen Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1684, Rz. 32, 34 f). Diese Frage ist in dem Umgangsbeschluss, um dessen Abänderung es geht, bereits im Hinblick darauf, dass das Kind seinen leiblichen Vater nicht kennt, für eine Anbahnungsphase bejaht worden. Eine andere Beurteilung ist auch heute nicht möglich.

Der jetzt acht Jahre alte T... kennt seinen Vater noch immer nicht. Es gibt keine Beziehung zu ihm. T... weiß zwar, was sich bei der Anhörung von Mutter und Kind durch den Senat bestätigt hat, dass er einen Vater in Österreich hat. Er kann sich an ihn aber nicht erinnern. Wie die Verfahrenspflegerin, der Mitarbeiter des Jugendamts und der Sachverständige D... aufgrund von Gesprächen mit dem Kind übereinstimmend ausgeführt haben, ist der leibliche Vater, d.i. der Antragsteller, in T...s Gedanken nicht präsent. Um die sich darin ausdrückende Fremdheit zu überwinden, ist eine Umgangsbegleitung zum Wohle des Kindes erforderlich. Es kann, wie der Sachverständige ausgeführt hat, von T... nicht erwartet werden, mit seinem Vater ohne eine ihm vertraute oder zumindest mit der Mutter in verlässlichem Kontakt stehende Person zusammen zu sein, schon gar nicht in einer ihm unbekannten Umgebung. Diese aber würde T... bei einem Umgang mit dem Vater an dessen Wohnort in W... vorfinden. T... ist, so der Sachverständige D... in seinem Gutachten und bei der Anhörung durch den Senat, ein sehr sensibles und an die Mutter gebundenes Kind, das unter zahlreichen Ängsten, u.a. auch der Angst vor dem Fliegen, leidet. Er muss behutsam an fremde Umstände herangeführt werden.

Der Senat schließt sich dem Sachverständigen an. Dieser ist mit dem Kind wiederholt und jeweils längere Zeit zusammengewesen und hat verschiedene psychologische Tests durchgeführt. Seine darauf beruhende Einschätzung ist stimmig und nachvollziehbar. Der Senat hat T... bei seiner Anhörung ebenfalls als einen zurückhaltenden und ängstlichen Jungen erlebt. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen decken sich im Übrigen mit der Beurteilung der Verfahrenspflegerin.

Ein unbegleiteter Umgang kommt auch nicht etwa dann in Betracht, wenn der Antragsteller, wie von ihm vor dem Senat vorgeschlagen, mit T... zunächst eine Woche in Deutschland in einem - betreuten - Wohnheim verbrächte. Auf der Grundlage des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen D... erscheint vielmehr eine längere, in ihrer Dauer nicht von vornherein zu begrenzende Phase der Gewöhnung zwischen Kind und Vater erforderlich. Dementsprechend hat der Sachverständige bei seiner Anhörung durch den Senat nachdrücklich darauf verwiesen, dass T... sehr an seine Mutter gebunden und hoch sensibel sei. Auch habe T... ausgeprägte Ängste, sodass man ihn weder abrupt noch nach einer Woche des Zusammenseins in eine fremde Umgebung schicken dürfe, er vielmehr behutsam an derart fremde Umstände herangeführt werden müsse.

Im Übrigen könnte T... nicht, wie vom Vater gewünscht, allein, nur in Obhut eines von der Fluggesellschaft gestellten Flugbegleiters, nach W... fliegen. Allerdings sei T..., so der Vater bei seiner Anhörung durch den Senat, mit seiner Oma schon einmal geflogen, sodass er auch zu ihm nach W... fliegen könne. Nach Angaben der Mutter ist T... bisher noch nicht geflogen. T... selbst hat jedenfalls sowohl gegenüber der Verfahrenspflegerin und dem Sachverständigen D... als auch dem Senat erklärt, nicht fliegen zu wollen, weil er Angst habe. Zu dieser Problematik führt der Sachverständige D..., belegt durch von ihm gewonnene Testergebnisse, aus, dass bei T... multiple Ängste vorhanden seien. T... müsste, so der Sachverständige weiter, gegen seine u.a. ausgeprägte Angst vor dem Fliegen in ein Flugzeug gesetzt werden. Das aber ließe erwarten, dass T... einer immensen Belastung ausgesetzt würde. Hinzu kommt, dass sich T... in W... in einer für ihn fremden Umgebung befände. Den Vater kennt er noch nicht und würde ihn auch nach einer etwa gemeinsam verbrachten Woche kaum kennen. Das darf dem ängstlichen, erst acht Jahre alten Kind, das nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen D... der Kontinuität seines sozialen Umfelds und seiner Lebensbezüge bedarf, ohne einen längerfristigen Gewöhnungsprozess nicht angesonnen werden.

Nach alledem kann ein Umgang des Antragstellers mit dem Kind nur begleitet i.S. von § 1684 Abs. 4 BGB und in einer dem Kind vertrauten Umgebung stattfinden. Umgang in Deutschland und eine Umgangsbegleitung hat der Antragsteller während des ganzen Verfahrens, zuletzt bei seiner Anhörung durch den Senat, ausdrücklich abgelehnt und ungeachtet der Äußerungen von Verfahrenspflegerin und Sachverständigem die Ansicht vertreten, die von ihm vorgeschlagene gemeinsame Woche reiche als Gewöhnungsphase aus. Er hat zudem darauf hingewiesen, andere Kinder reisten ebenfalls - auch per Flugzeug - zu ihren Eltern, weshalb dies auch T... möglich sein müsse. Angesichts dessen kann ein Umgang nicht geregelt werden (OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.). Die weitere, vom Antragsteller angesprochene Frage nach den Gründen für das jetzige Vater-Sohn-Verhältnis kann dahinstehen, wenngleich insoweit zu beachten ist, dass der Vater, wie seinen wiederholten schriftlichen Erklärungen zu entnehmen ist, in den letzten Jahren die Wahrnehmung des durch Senatsbeschluss festgelegten, vom Jugendamt begleiteten Umgangs, abgelehnt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Ende der Entscheidung

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