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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 10 UF 161/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 415
ZPO § 416
ZPO § 420
ZPO § 530
ZPO § 531
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO § 610 Abs. 1
ZPO § 615
BGB § 1314 Abs. 1 Nr. 3
BGB § 1317
BGB § 1317 Abs. 1
BGB § 1317 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1317 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

10 UF 161/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 13. November 2007

verkündet am 13. November 2007

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung am 18. Oktober 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein und den Richter am Oberlandesgericht Thies

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 29. Mai 2007 abgeändert. Der Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Ehe wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 5.160 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Der Antragsteller begehrt die Aufhebung seiner Ehe. Hilfsweise stellt er Scheidungsantrag.

Der in 10/1940 geborene Antragsteller und die in 1/1945 geborene Antragsgegnerin, die bis zur "Wende" im Gebiet der ehemaligen DDR lebten, haben in 5/1990 geheiratet. Sie leben getrennt. Für beide ist es die zweite Ehe.

Mit seinem Hauptantrag hat der Antragsteller in erster Instanz die Aufhebung der Ehe beantragt, hilfsweise Scheidungsantrag gestellt. Zur Begründung hat er sich insbesondere darauf berufen, er habe von 1980 bis 1988 mit seiner früheren Lebensgefährtin, Frau E... W..., in seinem Haus in M... zusammengelebt. Dieser sei auf ihren Antrag hin in 6/1988 die Ausreise aus der DDR in die BRD genehmigt worden. Im Jahr 1988 habe er seine jetzige Ehefrau kennen gelernt. Aufgrund seiner Einsicht in die ihn betreffenden Stasi-Unterlagen habe er in 4/2006 erfahren, dass seine Ehefrau seinerzeit als Informantin für die Stasi gearbeitet habe. Sie habe insbesondere ihre von ihm bezogenen Informationen über ein illegales Treffen zwischen ihm und seiner früheren Lebensgefährtin W... am 16. und 17.10.1988 auf der Transitstrecke/Autoraststätte Michendorf an die Stasi verraten. Das habe zu seiner (und Frau W...) vorläufiger Inhaftierung geführt. Vor der Heirat habe er die Antragsgegnerin ausdrücklich gefragt, ob sie die Stasi oder die Abteilung für Inneres der DDR über das Treffen im Oktober 1988 informiert habe. Die Antragsgegnerin habe diese Frage, von der er die Eheschließung abhängig gemacht habe, wahrheitswidrig verneint.

Das Amtsgericht hat der Aufhebungsklage stattgegeben mit der Begründung, die Antragsgegnerin habe dem für die Stasi tätigen IM "L..." Informationen über den Antragsteller weitergegeben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Sie bestreitet insbesondere, dass sie als Informantin für die Stasi tätig gewesen sei. Es sei zwischen den Parteien bei der Eheschließung im Jahr 1990 auch kein Thema gewesen, ob sie für die Stasi gearbeitet habe. Im Übrigen sei die Antragsfrist nicht eingehalten worden, da der Antragsteller bereits im Jahr 1995 Einsicht in die Stasi-Akten genommen habe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil vom 29.05.2007 abzuändern und den Antrag auf Aufhebung der Ehe abzuweisen sowie im Hinblick auf den hilfsweise gestellten Scheidungsantrag des Antragstellers die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Berufung und hilfsweise Scheidung der Ehe. Er hält die Berufung für unzulässig und aus den Gründen seines erstinstanzlichen Sachvortrags i. V. m. den vorgelegten Auszügen aus der ihn betreffenden Stasi-Akte für unbegründet.

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil sowie auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Dieses hat in die sachliche Behandlung des Scheidungsbegehrens beider Parteien einzutreten.

I.

Die Ehe der Parteien ist nicht aufzuheben. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen der §§ 1314 Abs. 1 Nr. 3, 1317 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.

1.

Es bestehen bereits Bedenken, ob der Antragsteller die Antragsfrist des § 1317 BGB gewahrt hat.

Nach § 1317 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB kann der Antrag im Falle des vorliegend allein in Betracht kommenden Aufhebungstatbestandes des § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur binnen eines Jahres beginnend mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung gestellt werden. Insoweit handelt es sich um eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfrist. Auf ihre Einhaltung kann nicht verzichtet werden. Die Fristversäumung führt zum Verlust des Aufhebungsrechts und damit zur Unbegründetheit des Aufhebungsantrags.

Für den Fristbeginn des § 1317 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Kenntnis der Tatsachen erforderlich, die das Aufhebungsrecht begründen. Der Antragsteller hat im Senatstermin eingeräumt, dass ihm bereits im Jahr 1995 die volle Einsicht in die ihn betreffenden Stasi-Akten gewährt worden ist. Schon damals waren in diesen Akten sämtliche Unterlagen enthalten, aus denen der Antragsteller heute seine Täuschung durch die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Eheschließung herleitet.

Die vorstehenden Umstände sprechen gegen eine Fristwahrung. Insoweit bedarf es jedoch keiner abschließenden Beurteilung. Für die Senatsentscheidung kommt es im Ergebnis darauf nicht an.

2.

Es fehlt vorliegend jedenfalls an den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung der Ehe der Parteien. Das Vorliegen der erforderlichen Täuschungshandlung durch die Antragsgegnerin lässt sich nicht feststellen.

a)

Der vom Antragsteller allein geltend gemachte Aufhebungsgrund des § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB beruht darauf, dass gegenseitiges Vertrauen eine der wesentlichen Grundlagen für den Bestand der Ehe bildet.

b)

Nach der Vorschrift des § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB kann eine Ehe aufgehoben werden, wenn ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten.

Erforderlich ist also nach dem Gesetzeswortlaut

- in Täuschungsverhalten, das durch positives Tun oder arglistiges Unterlassen begangen werden kann,

- eine objektiv unrichtige Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen bzw. ein Verschweigen von Umständen trotz bestehender Verpflichtung zur Offenbarung.

aa)

Im Streitfall kommt allein eine Täuschungshandlung durch positives Tun in Betracht. Hierzu hat der Antragsteller in erster und zweiter Instanz Folgendes vortragen lassen:

"Da auch Frau W... nicht bereit war, ihren Wohnsitz in die DDR zurückzuverlegen, fand eine Entfremdung zwischen beiden statt. Stattdessen beschloss der Antragsteller, dem Drängen der Antragsgegnerin, mit ihm die Ehe einzugehen, nachzugeben. Bevor er sich dann entschloss, die Antragsgegnerin zu heiraten, hat er immer wieder das Gespräch auf die alten Geschichten gebracht und hat immer wieder gefragt, ob sie diejenige gewesen sei, die bei den Vorgängen vom Oktober 1988 die Stasi oder die Abteilung Inneres informiert habe. Wenn das der Fall sei, werde er sie nicht heiraten. Die Antragsgegnerin hat das verneint. Wörtlich war die Fragestellung an die Antragsgegnerin: 'Hast Du mit dieser Scheiße etwas zu tun? Dann heirate ich Dich nicht'."

Die Antragsgegnerin hat diese Behauptung in der Berufungsinstanz in Abrede gestellt. Es stimme nicht, dass der Antragsteller sie gefragt habe, ob sie für die Stasi arbeite. Dies sei auch kein Thema zwischen ihnen zur Zeit der Eheschließung gewesen.

Beweis für die danach umstrittene Täuschungshandlung hat der Antragsteller weder schriftsätzlich noch im Senatstermin angetreten. Das geht zu seinen Lasten.

bb)

Die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang im Senatstermin erhobene Verspätungsrüge führt nicht zum Erfolg.

In Ehesachen gilt die Vorschrift des § 615 ZPO. Danach können in der Berufungsinstanz neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden. Zurückgewiesen werden kann neuer Sachvortrag nur, wenn er nicht rechtzeitig vorgebracht wird, seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. Die §§ 530, 531 ZPO sind in der Berufungsinstanz nicht anzuwenden (vgl. hierzu Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 615, Rdnr. 2).

Eine Verzögerung der Erledigung der Sache hinsichtlich des Aufhebungsbegehrens des Antragstellers tritt durch das neue Bestreiten der Antragsgegnerin nicht ein. Beweisanträge, die zu einem neuen Verhandlungstermin führen könnten, hat der Antragsteller nicht gestellt. Er beruft sich nur ganz allgemein auf einen Ausschluss der neuen Verteidigungsmittel der Antragsgegnerin im Berufungsrechtszug wegen Verspätung. Durch das erstmalige Bestreiten einer Täuschungshandlung durch die Antragsgegnerin, mit dem sich der Senat nunmehr zusätzlich zu befassen hat, erfährt der Rechtsstreit aber keine Verzögerung hinsichtlich der Berufungsentscheidung.

3.

Aber auch ohne die Zulassung des neuen Verteidigungsmittels der Antragsgegnerin würde sich im Ergebnis an der Senatsentscheidung nichts ändern. Eine Vorspiegelung falscher Tatsachen durch die Antragsgegnerin zurzeit der Eheschließung lässt sich nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht feststellen.

Der Antragsteller beruft sich auf die unrichtige Behauptung von Tatsachen durch die Antragsgegnerin. Nach seiner Darstellung soll die Antragsgegnerin insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 1988 objektiv und subjektiv als Informantin für die Stasi tätig gewesen sein. Sie soll gezielt Informationen über ein Treffen des Antragstellers mit seiner früheren Lebensgefährtin Frau W... am 16. und 17.10.1988 auf der Transitstrecke zwischen der BRD und Westberlin, und zwar auf der Autoraststätte Michendorf, an die Stasi weitergegeben haben. Für diese von der Antragsgegnerin bereits erstinstanzlich bestrittenen Behauptungen ist der Antragsteller beweisfällig geblieben. Es liegt auch kein geeignetes Beweisangebot vor, das zu einer weiteren Aufklärung der Angelegenheit führen könnte.

Insoweit gewinnt im Streitfall die Frage der Beweiskraft der vom Antragsteller in Fotokopie vorgelegten Auszüge aus der ihn betreffenden Stasi-Akte Bedeutung. Andere Beweismittel hat der Antragsteller nicht angeboten, insbesondere keinen unmittelbaren Zeugenbeweis.

Es kann offen bleiben, ob es sich bei den vom Antragsteller in Kopie vorgelegten Auszügen aus der Stasiakte um öffentliche oder private Urkunden im Sinne von §§ 415, 416 ZPO handelt. Der volle Beweis wird bei beiden nur in formeller Hinsicht - also für die Abgabe der geschriebenen Erklärung - bewirkt, nicht dagegen für ihre inhaltliche Richtigkeit. Bewiesen wird somit lediglich, dass die in der Urkunde bezeichnete Person eine Erklärung des in der Urkunde enthaltenen Inhalts abgegeben hat. Bei Privaturkunden ist zudem gemäß § 420 ZPO die Urschrift vorzulegen. Nur für sie gilt die Beweisregel des § 416 ZPO. Im Streitfall sind vom Antragsteller nur Ablichtungen aus der Stasi-Akte vorgelegt worden. Ihre Beweiskraft erstreckt sich von vornherein nicht auf die Richtigkeit des materiellen Inhalts der vorgelegten Urkunden. Ob im Falle einer Privaturkunde, noch dazu von vorgelegten Fotokopien und lediglich Aktenauszügen, die in ihr enthaltenen Angaben und ggfls. in welchem Umfang zutreffen, unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, NJW-RR 1993, 1379/1380).

Insoweit gewinnt vorliegend der Umstand im Streitfall Bedeutung, dass die Stasi-Unterlagen sowohl einzeln als auch in der Gesamtschau an vielen Stellen keinen klaren und eindeutigen Inhalt haben. Sie lassen nicht die für § 1314 Abs. 1 Nr. 3 BGB erforderliche sichere Feststellung zu, dass die Antragsgegnerin in der zweiten Jahreshälfte 1988

- überhaupt als Informantin tätig geworden ist sowie

- wissentlich und willentlich, also gezielt, Informationen über den Antragsteller an die Stasi bzw. einen Mitarbeiter der Abteilung Inneres der DDR weitergegeben hat.

Eine bloß tatsächliche Kenntnisgewinnung der Stasi aus Mitteilungen der Antragsgegnerin gegenüber Dritten ohne das Hinzutreten eines konkreten Informantenstatus reicht für den vom Antragsteller geltend gemachten Aufhebungstatbestand nicht aus. Selbst wenn im Streitfall Zweifel und Unklarheiten bestehen bleiben sollten, sind die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen allein nicht geeignet, den erforderlichen Vollbeweis über den objektiven und subjektiven Informantenstatus der Antragsgegnerin im Jahr 1988 zu erbringen. Andere geeignete Beweisantritte des Antragstellers liegen auch in diesem Zusammenhang nicht vor. Das geht zu seinen Lasten.

II.

Die Erfolglosigkeit des Aufhebungsantrags des Antragstellers führt im Hinblick auf das Scheidungsbegehren beider Parteien zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Mit dem Aufhebungsantrag kann - wie es auch vorliegend hilfsweise geschehen ist - ein Antrag auf Scheidung der Ehe verbunden werden, § 610 Abs. 1 ZPO. Ein Verhandlungs- und Entscheidungsverbund mit Folgesachen (§ 623 ZPO) findet im Aufhebungsverfahren nicht statt. Auch bei hilfsweise gestelltem Scheidungsantrag kommt ein Verfahrensverbund erst dann in Betracht, wenn nach sachlicher Behandlung des erfolglosen Aufhebungsantrags in die sachliche Behandlung des Scheidungsantrags einzutreten ist. Das bedeutet, dass nunmehr über die Scheidungs- und Folgesachen gemäß § 629 ZPO einheitlich zu entscheiden ist (vgl. hierzu OLG Stuttgart, FamRZ 1981, 579; Bergerfurth/Rogner, Der Ehescheidungsprozess, 15. Aufl., S. 237). Da die Folgesachen noch beim Amtsgericht anhängig sind, kann der Senat entgegen der Auffassung des Antragstellers im Verhandlungstermin auch nicht über das Scheidungsbegehren beider Parteien entscheiden. In entsprechender Anwendung des § 629 b ZPO ist die Sache daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. hierzu Johannsen/Henrich/ Sede-mund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 629 b ZPO, Rdnr. 1). Dieses hat auch über die Kosten des vorliegenden Berufungsverfahrens mit zu entscheiden (vgl. hierzu Zöller/Philippi, a.a.O., § 629 b, Rdnr. 7). Gemäß § 704 Abs. 2 ZPO ist das vorliegende Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Ende der Entscheidung

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