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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.04.2006
Aktenzeichen: 10 WF 307/05
Rechtsgebiete: ZPO, Regelbetrag-VO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
Regelbetrag-VO § 1
BGB § 1612 a
BGB § 1614
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 307/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 8. Dezember 2005 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Perleberg vom 18. November 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr als Einzelrichter

am 6. April 2006

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen versagt werden. Die Sache ist zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da dort noch Feststellungen dazu zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung selbst aufzubringen, § 114 ZPO. Bislang liegt lediglich eine Erklärung der Mutter des Klägers über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 11.3.2005 vor. Das Amtsgericht wird den Kläger auffordern, eine aktuelle Erklärung über seine eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen vorzulegen, ferner eine solche aktuelle Erklärung seiner Mutter nebst Belegen. Dabei wird zu prüfen sein, ob nach dem Recht der Republik Kasachstan überhaupt ein Anspruch des Klägers auf Prozesskostenvorschuss gegenüber seiner Mutter in Betracht kommt (vgl. zu der Frage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen nicht in Deutschland lebenden Ausländer auch Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 5 m. w. N.). Denn nur dann käme es unter Umständen auch auf Einkommen und Vermögen der Mutter an. Unter Berücksichtigung der vorzulegenden aktuellen Erklärungen wird das Amtsgericht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind.

Zu Unrecht hatte das Amtsgericht dem Begehren des Klägers die hinreichende Aussicht auf Erfolg abgesprochen, § 114 ZPO. Das Amtsgericht hat sich auf die Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB gestützt, wonach das am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltende Recht anzuwenden sei, hier also das Recht der Republik Kasachstan. Der Entscheidung des Amtsgerichts ist zu entnehmen, dass es davon ausgeht, der Kläger sei in der Lage, in Kasachstan einen Unterhaltstitel zu erwirken, den er gegebenenfalls gegen den in Deutschland lebenden Beklagten vollstrecken könne. Wenn dies so zu verstehen sein sollte, dass das Amtsgericht seine internationale Zuständigkeit verneint, so hätte das Amtsgericht übersehen, dass die Beantwortung der Frage, welchem Unterhaltsstatut der Rechtsstreit unterliegt, ob also das materielle Unterhaltsrecht der Bundesrepublik Deutschland oder der Republik Kasachstan Anwendung findet, nicht notwendig durchschlägt auf die Frage, ob deutsche Gerichte international zuständig sind oder nicht.

Die Frage, welche internationale Zuständigkeit bei einem Unterhaltsrechtsstreit mit Auslandsberührung gegeben ist, bestimmt sich vorrangig nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - EuGVVO - (ABlEG Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1, abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2698 ff.). Gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO (abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2706) sind vorbehaltlich der Vorschriften der Verordnung Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaates zu verklagen, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger einem Mitgliedsstaat angehört (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2707, Rz. 13). Da andererseits Art. 5 Nr. 2 EuGVVO (abgedruckt bei Zöller/Geimer, a.a.O., S. 2711) vorsieht, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden kann, wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Ort des Gerichts, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nach beiden Vorschriften also vorrangig auf den Wohnsitz im Mitgliedsstaat abgestellt wird, ist in Unterhaltsstreitigkeiten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bereits dann gegeben, wenn entweder der Unterhaltspflichtige oder der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat (vgl. Weinreich/Klein, Kompaktkommentar Familienrecht - KK-FamR -/Rausch, 2. Aufl., Art. 18 EGBGB, Rz. 25 f., 29; siehe auch Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 6. Aufl., § 7, Rz. 229). Daher reicht es im vorliegenden Rechtsstreit aus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, um die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu begründen.

Soweit es um die Bestimmung des Unterhaltsstatuts geht, also darum, welches materielle Unterhaltsrecht der Entscheidung zugrunde zu legen ist, gilt vorrangig das Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HUA). Für die Anwendung kommt es nicht darauf an, ob der andere Staat, der neben der Bundesrepublik Deutschland im konkreten Fall berührt ist, ebenfalls Vertragsstaat nach dem HUA geworden ist. Die Vorschriften des HUA sind aber identisch mit Art. 18 EGBGB (KK-FamR/Rausch, Art. 18 EGBGB, Rz. 2; Palandt/Heldrich, BGB, 65. Aufl., Art. 18 EGBGB, Rz. 1 f.), sodass auch allein auf letztere Vorschrift abgestellt werden kann.

Demnach sind auf Unterhaltspflichten grundsätzlich die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts anzuwenden, Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB. Dies hat im vorliegenden Fall die Anwendung des Rechts der Republik Kasachstan zur Folge.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Vorschriften des Art. 18 Abs. 1 Satz 2 EGBGB und des Art. 18 Abs. 2 EGBGB. Im ersteren Fall sind, wenn der Berechtigte nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland vom Verpflichteten keinen Unterhalt erhalten kann, die Sachvorschriften des Rechts des Staates anzuwenden, dem sie gemeinsam angehören. Da vorliegend Kläger und Beklagter Staatsangehörige der Republik Kasachstan sind, wäre unabhängig von der Frage, ob Unterhalt erhalten werden kann, ebenso wie nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Kasachische Recht anzuwenden. Die Anwendung deutschen Rechts nach Art. 18 Abs. 2 EGBGB unter dem Gesichtspunkt, dass nach dem gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB anzuwendenden Recht vom Verpflichteten kein Unterhalt zu erhalten ist, scheidet ebenfalls aus. Denn diese Sondervorschriften sind nur dann anzuwenden, wenn das an sich berufene fremde Recht dem Anspruchsteller einen Unterhaltsanspruch überhaupt versagt. Es reicht nicht, dass wegen besonderer Umstände des konkreten Falles, z. B. eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit des Verpflichteten, kein oder nur ein geringerer Unterhalt verlangt werden kann (KK-FamR/Rausch, Art. 18 EGBGB, Rz. 11). Das Recht der Republik Kasachstan sieht aber in Art. 124 des Ehe- und Familiengesetzes vom 17.12.1998 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, "Kasachstan", S. 61 ff., 91 f.) ausdrücklich die Pflicht der Eltern zum Unterhalt ihrer minderjährigen Kinder vor.

Nach alledem ist im vorliegenden Fall das materielle Unterhaltsrecht der Republik Kasachstan anzuwenden. Gemäß Art. 125 Abs. 1 des dortigen Ehe- und Familiengesetzes wird, wenn keine Vereinbarung über die Unterhaltszahlung an minderjährige Kinder abgeschlossen wurde, die monatlich von den Eltern zu leistende Zahlung in Höhe von 1/4 des Arbeitslohnes und/oder einer anderen Einkommensart der Eltern für ein Kind, 1/3 für zwei Kinder und der Hälfte für drei und mehr Kinder festgesetzt. Die Höhe dieses Anteiles kann vom Gericht unter Berücksichtigung der materiellen oder familiären Lage der Beteiligten und anderer relevanter Faktoren verringert oder vergrößert werden, Art. 125 Abs. 2 des Ehe- und Familiengesetzes. Art. 127 Abs. 1 des Ehe- und Familiengesetzes sieht schließlich vor, dass, wenn die Eltern keine Vereinbarung über Unterhaltszahlungen abgeschlossen haben, eine anteilsmäßige Festsetzung der Alimente vom Arbeitslohn und (oder) einer anderen Einkommensart der Eltern unmöglich ist und die Interessen eines der Beteiligten schwer oder nachhaltig verletzt werden, das Gericht das Recht hat, die Höhe der monatlich zu leistenden Zahlungen in einem festen Geldbetrag oder auch gleichzeitig anteilmäßig (gemäß Art. 125 des Gesetzes) festzusetzen. Zu diesen Fällen gehört die Festsetzung des Unterhalts bei Eltern, die einen unregelmäßigen, veränderlichen Arbeitslohn und (oder) andere Einkommensarten haben, oder von einem Elternteil, der seinen Arbeitslohn und (oder) anderes Einkommen vollständig oder teilweise in Naturalien bezieht. Nach Art. 127 Abs. 2 des Ehe- und Familiengesetzes wird die Höhe des festen Geldbetrages unter Berücksichtigung der materiellen und familiären Lage der Beteiligten und anderer relevanter Faktoren vom Gericht im Interesse der maximalen möglichen Aufrechterhaltung des vorherigen Versorgungsniveaus für das Kind festgelegt.

Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 114, Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 254) kann für die Bemessung des Bedarfs des Kindes auf die vom Bundesfinanzministerium herausgegebene Länderübersicht zurückgegriffen werden (vgl. Wendl/Dose, a.a.O., § 7, Rz. 22), auf die sich der Kläger in der Klageschrift auch bezogen hat. Angesichts dessen kann zu Gunsten des Klägers angenommen werden, er könne zumindest 25 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe nach § 1 Regelbetrag-VO verlangen. Allerdings lässt sich den angeführten Vorschriften des Ehe- und Familiengesetzes der Republik Kasachstan nicht entnehmen, dass, wie der Kläger in Anlehnung an § 1612 a BGB beantragt hat, Unterhalt als Vomhundertsatz eines oder des jeweiligen Regelbetrages verlangt werden kann. Anstelle des dynamisierten Unterhalts wird der Kläger daher einen festen Zahlbetrag geltend machen müssen.

Zu Gunsten des Klägers muss auch angenommen werden, dass die von ihm selbst schon mit der Klageschrift vorgelegte Vereinbarung zwischen seiner Mutter und dem Beklagten vom 4.8.2000 der Geltendmachung von Unterhalt nicht entgegensteht. Allerdings sind Unterhaltsvereinbarungen nach dem Recht der Republik Kasachstan möglich, vgl. Art. 143 ff. des Ehe- und Familiengesetzes. Soweit der Beklagte die geschlossene Vereinbarung aber der Unterhaltsforderung des Klägers entgegenhalten will, muss er zunächst darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die gesetzliche Form für die Unterhaltsvereinbarung eingehalten ist. Nach Art. 144 Abs. 1 des Ehe- und Familiengesetzes werden Unterhaltsvereinbarungen in schriftlicher Form abgeschlossen und müssen notariell beglaubigt werden. Außerdem ist hinsichtlich der Wirksamkeit der Unterhaltsvereinbarung die Vorschrift des Art. 147 Abs. 2 des Ehe- und Familiengesetzes zu beachten. Danach darf die Höhe der in eine Unterhaltsvereinbarung für minderjährige Kinder festgesetzten Alimente nicht geringer sein als die Höhe des Unterhalts, welchen diese im Falle der Festsetzung des Unterhalts auf gerichtlichem Wege nach Art. 125 des Gesetzes hätten erhalten können. Damit sieht das Recht der Republik Kasachstan ebenso wie § 1614 BGB ein Verbot des Unterhaltsverzichts vor.

Schließlich ist im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten des Klägers auch davon auszugehen, dass er Unterhalt bereits ab Juni 2003 verlangen kann, auch wenn die Klage erst im Mai 2005 beim Amtsgericht eingereicht worden ist. Denn bei summarischer Betrachtung muss angenommen werden, dass eine Verwirkung des Anspruchs nach Treu und Glauben wegen verspäteter Geltendmachung, die nach dem Recht des BGB ohnehin nur für Zeitabschnitte eingetreten sein kann, die mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage oder einem erneuten Tätigwerden liegen (vgl. Wendl/Gerhardt, a.a.O., § 6, Rz. 136), nach dem hier maßgeblichen Recht der Republik Kasachstan nicht eingetreten ist. Im Hauptverfahren werden hierzu nähere Feststellungen zu treffen sein. Zur Ermittlung des Rechts der Republik Kasachstan insoweit sind alle zugängliche Erkenntnisquellen zu nutzen. In Betracht kommt auch die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O., § 293, Rz. 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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