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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 11 U 119/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 296
ZPO § 340 Abs. 3 Satz 4
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 U 119/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 29.01.2008

Verkündet am 29.01.2008

in dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2007 durch

den Richter am Oberlandesgericht Hütter, den Richter am Oberlandesgericht Ebling und den Richter am Oberlandesgericht Pliester

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. Mai 2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus (4 O 405/05) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil beschwert beide Parteien um 50.423,35 Euro. Der Streitwert des Berufungsverfahrens ist gleich hoch.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter über das Vermögen der in Insolvenz gefallenen Stadtwerke D.... Er macht gegen die Beklagte Werklohn- und Dienstleistungsvergütungsansprüche geltend.

Es handelt sich um eine Reihe von Einzelforderungen, die Gegenstand eines Konvoluts von Rechnungen geworden sind. Zum Sach- und Streitstand erster Instanz im Übrigen nimmt der Senat auf den Tatbestandsteil des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Die Kammer hat gegen den Kläger am 17.10.2006 antragsgemäß Versäumnisurteil erlassen.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 17.10.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.423,35 € nebst fünf Prozent Zinsen seit dem 01.03.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 17.10.2006 aufrechtzuerhalten.

Der Verfahrensablauf erster Instanz stellt sich - zusammengefasst - wie folgt dar.

Der von dem Kläger gegen das Versäumnisurteil vom 17.10.2006 rechtzeitig eingelegte Einspruch ist zunächst nicht begründet worden. Erst am Tag der Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache lag dem Landgericht die umfangreiche Begründung vor. Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, auf das auch insoweit Bezug genommen wird.

Die Verfügung vom 27.10.2006 nach Erlass des Versäumnisurteils sieht unter 4. vor: Vollständige Ausfertigung des Versäumnisurteils mit ZP 79 zustellen an Klägervertreter gegen Empfangsbekenntnis.

Der von der Geschäftsstelle des Landgerichts ausgefüllte Text des Empfangsbekenntnisses des Klägers enthält keinen Hinweis auf "ZP 79". Er ist identisch mit dem der Beklagten übermittelten Text.

Das Sitzungsprotokoll der Kammer vom 27.03.2007 enthält keine Äußerungen zu der Zustellung des Versäumnisurteils und deren Umständen, insbesondere nicht zu der Frage, ob der für den Kläger bestimmten Urteilsausfertigung eine Belehrung über die Frist zur Begründung des Einspruchs sowie die Folgen einer Fristversäumnis beigefügt waren.

Die Kammer hat das Versäumnisurteil mit der angefochtenen Entscheidung aufrechterhalten. Sie hat die Einspruchsbegründung als verspätet behandelt. Auf die Gründe nimmt der Senat Bezug.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Mit ihr verfolgt er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter.

Der Kläger begründet sein Rechtsmittel mit der Behauptung, die Belehrung über die Folgen einer Versäumung der Einspruchsbegründungsfrist sei ihm nicht übersandt worden. Darauf habe sein Prozessvertreter das Gericht im Einspruchstermin hingewiesen. Die Richterin habe daraufhin ihrer Aussage gemäß ebenfalls keinen entsprechenden Beleg finden können.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Cottbus (4 O 405/05) vom 08.05.2007 das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 17.10.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 50.423,35 € nebst fünf Prozent Zinsen seit dem 01.03.2003 zu zahlen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet den Vortrag des Klägers und verweist dazu auf das Sitzungsprotokoll des Landgerichts. Sie legt nunmehr das an sie gerichtete Formular mit dem Belehrungstext vor, ihr mit der Ausfertigung des Versäumnisurteils nebst Vordruck des Empfangsbekenntnisses übersandt. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteienvortrags wird auf die in beiden Instanzen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

III.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür sind gegeben.

Die Zurückweisung des Klägervorbringens in dem Schriftsatz vom 26.03.2007 zur Begründung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vom 17.10.2006 ist fehlerhaft. Sie beruht auf einem wesentlichen Verfahrensfehler der Kammer im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Der Sache nach befindet sich der Rechtsstreit noch im Stadium der Prüfung der Klageschlüssigkeit. Sie ist fortzusetzen. Eine umfangreiche Beweisaufnahme ist wahrscheinlich.

Nach der Vorschrift des § 340 Abs. 3 Satz 4 ZPO ist bei der Zustellung des Versäumnisurteils auf die Folgen einer Fristversäumung (Frist gemäß S. 1 und 2 des Absatzes 3) hinzuweisen.

Fehlt der Hinweis, dürfen Angriffsmittel der verurteilten Partei nicht gemäß § 296 ZPO ausgeschlossen werden (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 64. A, Rn. 2 § 340; Zöller/Herget, 26. A., Rn. 12 § 340; Thomas/Putzo, 28. A., Rn. 8 § 340).

Das heißt folgerichtig, dass dann, wenn eine Verspätung in Frage steht, die Einhaltung der Förmlichkeit durch das Gericht genau zu prüfen ist, was eine Befragung der Parteien und eine Erörterung mit ihnen unerlässlich macht, sofern der Akteninhalt nicht lückenlos Aufschluss gibt. So liegt der Fall hier.

Wie dargestellt, ist die richterliche Verfügung zur Zustellung des Versäumnisurteils inhaltlich zutreffend. Darin wird die Versendung der Fristfolgenbelehrung an den Klägervertreter angeordnet.

Allerdings lässt die Akte (bis zum Schluss der Vorinstanz) nicht erkennen, ob die Verfügung auch weisungsgemäß ausgeführt worden ist. Insbesondere geben der Vermerk der Geschäftsstelle und die Aufschrift des Empfangsbekenntnisses darüber keine Auskunft. Feststellen lässt sich lediglich, dass der Vermerk nicht von der Verfügung abweicht. Damit durfte sich das Landgericht indessen nicht begnügen, wenn es beabsichtigte, an die Fristversäumung eine für den Kläger gravierende Folge zu knüpfen, nämlich ihn endgültig mit seinem gesamten Einspruchsvorbringen auszuschließen.

Daher musste das Gericht den Kläger - unabdingbar - zu dem Vorgang befragen.

Der Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 27.03.2007 spricht gegen eine Erörterung der Frage und damit für die Richtigkeit des Klägervortrags. Denn es schweigt dazu. Das ist entgegen der Auffassung der Beklagten gerade ein Argument im Sinne der Berufung.

Unabhängig davon, ob die Darstellung des Klägers zutrifft, musste das Gericht von Amts wegen Nachforschungen anstellen. Dabei hätte es das herausgefunden, was jetzt - in der Berufungsinstanz - offenbar geworden ist, nämlich dass das Formular mit der Belehrung nicht dem Klägervertreter zugesendet worden ist, sondern der Beklagtenvertreterin, wie diese selbst angezeigt hat. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Formular zweimal verschickt worden ist, also an jede der Parteien. Dagegen spricht vielmehr wiederum der zitierte Inhalt der richterlichen Verfügung.

Es handelt sich also um einen Fehler im gerichtlichen Geschäftsablauf, den das Landgericht bei sorgfältiger - und gebotener - Prüfung des Sachverhaltes hätte erkennen können. Es hat gegen die Aufklärungspflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen. Auf diesem Verfahrensmangel beruht das angefochtene Urteil.

Die Sache bedarf, wie bereits ausgeführt, weiterer Verhandlung.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ist dem Landgericht vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat beachtet die höchstrichterliche Rechtsprechung und setzt sich mit ihr nicht in Widerspruch. Er weicht im Übrigen nicht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts ab.

Ende der Entscheidung

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