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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 29.05.2007
Aktenzeichen: 11 U 158/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 254 Abs. 1
BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 141
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Grund-Urteil

11 U 158/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 29.05.2007

Verkündet am 29.05.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Hütter und den Richter am Oberlandesgericht Ebling

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. Oktober 2006 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam (3 O 156/05) aufgehoben.

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem Landgericht vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil beschwert die Beklagten mit 15.000,00 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer Sturzverletzung auf den Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

Hinsichtlich der Örtlichkeit und des Datums der streitigen Vorgänge wird zunächst auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Unstreitig waren und sind in beiden Instanzen lediglich die Witterungsverhältnisse am Tag des von der Klägerin behaupteten Sturzes. Es war trocken und herrschte Frost. An diesem Tag hat es zu keinem Zeitpunkt Niederschläge gegeben.

Den Sachverhalt im Übrigen stellen die Parteien unterschiedlich dar. Insbesondere sind der Unfall als solcher, seine Ursache, seine Folgen und das Verhalten der bei den Beklagten mit der Verkehrssicherung betrauten Personen im Streit.

Die Klägerin hat behauptet, auf dem Beton-Schachtdeckel vor dem Grundstück der Beklagten zu 1. habe sich Eis befunden, das nicht abgestumpft worden sei. Darauf sei sie ausgerutscht und zu Fall gekommen. Sie habe sich dabei die von ihr näher beschriebenen Verletzungen zugezogen, was die im Einzelnen von ihr beschriebenen Behandlungen und Kosten verursacht habe.

Der Hausmeister der Beklagten zu 1., so die Klägerin, habe an dem betreffenden Tag den Zustand des Schachtdeckels nicht kontrolliert.

Die Beklagten sind dieser Darstellung entgegengetreten. Sie haben ihrerseits behauptet, der Hausmeister habe die angegebene Unfallstelle laufend unter Kontrolle gehabt und dabei nichts Auffälliges bemerkt. Es sei ausgeschlossen, dass die Klägerin ausgerutscht sei, denn Eis sei nicht vorhanden gewesen. Es spreche vielmehr alles dafür, dass sie über den Rand des Beton-Schachtdeckels gestolpert sei.

Insbesondere die Beklagte zu 2. macht darüber hinaus rechtlich geltend, sie sei angesichts der unstreitigen Trockenheit an dem angegebenen Unfalltag weder zu Streumaßnahmen noch zur Kontrolle der Bodenverhältnisse verpflichtet gewesen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, zwar sei die Klägerin infolge Glatteises zu Fall gekommen, jedoch habe die an diesem Tag herrschende Trockenheit die grundsätzliche Streupflicht der Beklagten zu 2. ausnahmsweise entfallen lassen. Denn der Sturz der Klägerin sei nicht vorherzusehen gewesen. Vielmehr sei die Möglichkeit eines Schadenseintritts nur entfernt denkbar gewesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie verweist darauf, dass sie den von ihr behaupteten Geschehensablauf - auch nach der im Urteil erster Instanz dokumentierten Auffassung der Kammer - bewiesen habe, wogegen die Beklagten für ihr Verteidigungsvorbringen beweisfällig geblieben seien.

Sie greift die rechtlichen Ausführungen des Landgerichts an und wiederholt dabei den bereits in erster Instanz eingenommenen Rechtsstandpunkt.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 25.10.2006 (3 O 156 / 05) abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a) an sie 5.143,38 € zuzüglich Zinsen in Höhe von jeweils 5 % über dem Basiszinssatz aus 4.678,05 € seit dem 18.02.2004, aus 314,83 € seit Rechtshängigkeit der Klage vom 08.12.2005 und aus 150,50 € seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 28.12.2005 zu zahlen,

b) an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, jedoch nicht weniger als 6.500,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2004, spätestens seit Rechtshängigkeit, zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Schadensereignis vom 09.12.2002 entstanden ist und noch entsteht;

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur Aufklärung der Höhe des Anspruchs zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Im Vordergrund steht dabei ihr Bestreiten des Unfallhergangs und der Sturzursache. Der rechtlichen Würdigung des Landgerichts schließen sie sich mit eingehenden weiteren Ausführungen an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteienvorbringens in beiden Rechtszügen wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

III.

In der Sache führt das Rechtsmittel zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Kammer dem Grunde nach einen Schadenersatzanspruch gegen beide Beklagte. Er folgt aus § 823 Abs. 1. BGB.

Der Rechtsstreit ist dem Hilfsantrag der Klägerin folgend nach § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Höhe sowohl des geschuldeten materiellen Schadenersatzes als auch des Schmerzensgeldes ist streitig und noch nicht entscheidungsreif.

1.

Der Senat sieht, wie es ausweislich seiner Rechtausführungen in dem angefochtenen Urteil auch das Landgericht tut, als erwiesen an, dass die Klägerin auf Glatteis zu Fall gekommen ist und sich dabei verletzt hat. Sie ist entgegen der Behauptung der Beklagten nicht etwa gestolpert, was deren Haftung ausschlösse, da die Gemeinde lediglich die Streu- und Räumpflicht auf die Beklagte zu 1. übertragen hat, nicht aber die allgemeine Unterhaltungspflicht für den Bürgersteig. Jedenfalls lässt der Sachvortrag der Parteien das nicht erkennen.

Zunächst steht auf der Grundlage der Zeugenaussage des Ehemannes der Klägerin fest, dass der Beton- Schachtdeckel, auf dem sie nach ihren Angaben ausgerutscht ist, an jenem Unfallabend überfrorene Nässe aufwies. Davon geht auch das Landgericht erklärtermaßen aus. Zwar hat die Kammer an einer Stelle ihrer Niederschrift als die Aussage des Zeugen protokolliert, er habe die Stelle erkannt, an der seine Ehefrau "gestolpert" sei. Der Zeuge hat darüber hinaus jedoch auch bekundet, die Unfallstelle sei ihm deshalb klar gewesen, weil es sich um die einzige "glatte" gehandelt habe. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist somit - auch - in diesem Punkt nicht zu beanstanden.

Danach oblag der Klägerin lediglich noch der Beweis, dass sie auf dieser glatten Gehfläche ausgerutscht, nicht aber aus anderem Grund, etwa infolge Stolperns, gestürzt ist. Einen unmittelbaren Unfallzeugen gibt es, wie in vielen vergleichbaren Fällen, nicht. Das erschwert der Klägerin die Beweisführung. Indessen dürfen an sie keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Klägerin muss auch ohne Zeugen ihres Sturzes die Möglichkeit haben, im Prozess ihre Schilderung des Geschehensablaufs zu belegen. Es handelt sich um eine unverzichtbare Voraussetzung ihres Klageanspruchs.

Der Senat hat angesichts dessen von der Möglichkeit des § 141 ZPO Gebrauch gemacht, die Klägerin zum Termin persönlich zu laden und sie zum Unfallhergang anzuhören. Das Gesetz verschafft bereits seinem Wortlaut nach dem Gericht so die Handhabe, den Streitstand nicht nur festzustellen, sondern auch, ihn zu klären.

Das erwiesene Vorhandensein von Eis auf dem Beton- Schachtdeckel lässt ein Ausrutschen der Klägerin als zumindest ebenso nahe liegend erscheinen wie eine andere in Betracht kommende Sturzursache. Die Klägerin hat dem Senat erläutert, wie sie gestürzt ist, dass sie auf dem Eis ausglitt und dabei auf das linke Knie aufschlug. Die Schilderung ist glaubhaft. Sie widerspricht ungeachtet der Angriffe der Beklagten nicht der Lebenserfahrung. Das Gegenteil ist der Fall.

Entgegen der Darstellung der Beklagten hat die Klägerin bereits in der ersten Instanz den Hergang ihres Sturzes geschildert, insbesondere behauptet, auf Eis ausgerutscht zu sein. Dies ist vor allem in der Klagereplik mit der erforderlichen Deutlichkeit und Ausführlichkeit geschehen. Es trifft also nicht zu, dass die Klägerin sich erstmals im Berufungsrechtszug dazu äußerte.

Aufgabe des Senats ist es in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch, die Glaubwürdigkeit der angehörten Partei zu bewerten. Sie begegnet indessen aufgrund des von der Klägerin im Termin gewonnenen persönlichen Eindrucks keinen Bedenken.

2.

Nicht zutreffend ist indessen die sich an die beanstandungsfreie Tatsachenfeststellung anschließende rechtliche Wertung des Landgerichts, die Beklagten hafteten dennoch nicht, weil angesichts der unstreitig trockenen Witterungsverhältnisse am Unfalltag von ihnen eine Beseitigung des Eises nicht habe erwartet werden dürfen, es also an einer schuldhaften und pflichtwidrigen Unterlassung fehle.

a)

Die Ausführungen der Kammer zu den höchstrichterlich entwickelten Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht im Allgemeinen und der Räum- und Streupflicht im Besonderen verdienen Zustimmung. Der Senat sieht lediglich zu einer Ergänzung Anlass. Vor allem aber führt die Bewertung der Umstände des Streitfalles bei Beachtung dieser Grundsätze zu einem abweichenden Prozessergebnis.

b)

Überträgt eine Gemeinde ihre Verkehrssicherungspflicht, wie vorliegend, auf die Anlieger, hier also die Beklagte zu 1., so haften diese für eventuelle Schäden als Folge einer Pflichtverletzung nach § 823 BGB (vgl. BGH NJW 1992, 2476).

Die Beklagte zu 2. hat die Wahrnehmung der Pflichten von der Anliegerin vertraglich als entgeltliche Dienstleistung übernommen. Das hat zu ihrer eigenen - zusätzlichen - deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit geführt (vgl. OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1999, 532). Damit hat sich zugleich der Pflichtenkreis der Beklagten zu 1. auf die Kontrolle und Überwachung der Beklagten zu 2. verengt (vgl. BGH NJW-RR 1989, 394).

c)

Entgegen der Auffassung der Kammer haben beide Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Der Winterdienst ist am Unfalltag von den Mitarbeitern der Beklagten zu 2. zumindest fahrlässig nicht hinreichend wahrgenommen worden. Das wiederum ist der Kontrolle der Beklagten zu 1. bzw. des von ihr damit betrauten Hausmeisters entgegen der von ihr selbst behaupteten Übung - ebenfalls infolge Fahrlässigkeit - entgangen.

Letzteres steht auf der Grundlage der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest.

Die Haftung der Beklagten zu 2. ergibt sich bereits aus dem Sachverhalt, soweit er in beiden Rechtszügen unstreitig geblieben ist. Danach hat eine Begehung der späteren Unfallstelle am Unfalltag überhaupt nicht stattgefunden. Infolgedessen war eine Entdeckung der Eisstelle auf dem Beton- Schachtdeckel nicht möglich. Ebenso wenig eine Entfernung des Eises. Sie aber hätte den Sturz der Klägerin verhindert, und zu ihr wäre die Beklagte verpflichtet gewesen.

Die verkehrssichernde Maßnahme war der Beklagten zu 2. zuzumuten. Sie konnte bei Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt auch erkennen, dass es sich um eine besondere Gefahrenstelle handelte und dass die Eisentfernung zwecks Vermeidung von Schadensereignissen geboten war.

Demgegenüber vertritt das Landgericht die Auffassung, die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Betondeckel vor dem Sturz der Klägerin zu kontrollieren und zu bestreuen. Die Kammer schließt sich damit dem von den Beklagten vertretenen Standpunkt an. Er war Gegenstand der ausführlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Die sich daran anschließenden rechtlichen Ausführungen der Beklagten zu 2. überzeugen nicht. Sie rechtfertigen keine abweichende Würdigung.

Die Beklagte definiert die von ihr zu erbringende und als "Winterdienst" bezeichnete Dienstleistung sowie die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu eng. Sie hatte dafür zu sorgen, dass Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer ausblieben, die Folge gerade winterlicher Witterung waren. Dazu zählen Schnee und Eis, das nur bei Frost entsteht. Solcher Frost herrschte am Unfalltag. Der örtliche wie der zeitliche Rahmen der Räum- und Streupflicht bestimmen sich sowohl nach der Verkehrsüblichkeit als auch nach der Zumutbarkeit.

Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zu berücksichtigen sind insbesondere die örtlichen Verhältnisse, zum Beispiel die Gefährlichkeit des Verkehrsweges, ferner dessen Art und Wichtigkeit, die Stärke des Verkehrs und die Zumutbarkeit der einzelnen Maßnahmen, insbesondere die Leistungsfähigkeit des Streupflichtigen (vgl. BGH NJW 2003, 3622). Gehflächen sind erfasst, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet (vgl. BGH a.a.O.). Die Streupflicht beinhaltet grundsätzlich neben der Schneeräumung bei Glätte das Streuen mit abstumpfenden Mitteln, bei besonders belebtem Verkehr unter Umständen mit auftauenden Streumitteln (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1989, 611).

Die Stelle, an der die Klägerin gestürzt ist, liegt auf dem Weg, den Fußgänger üblicherweise zum Erreichen des Einkaufszentrums "... Karree" benutzen. Sie wird daher stark frequentiert. Hinzu kommt, dass sie in unmittelbarer Nähe des Geschäftslokals "E..." liegt, in dessen Schaufenster Waren angeboten werden. Damit wird die Aufmerksamkeit von Passanten gezielt von dem Gehweg abgelenkt. Sie können sich animiert fühlen, an dem Schaufenster zu verweilen oder den Ladenraum zu betreten. Umso höhere Anforderungen sind an die Sorgfalt der Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen.

Die Leistungsfähigkeit der Beklagten zu 2. ist als hoch einzustufen. Sie ist bei der Übernahme von Winterdiensten gewerblich tätig und hat schon deshalb genügend Personal vorzuhalten, um jederzeit die ihr gestellten Aufgaben zufrieden stellend erfüllen zu können, kann sich also nicht damit entlasten, dass sie nicht ständig am Ort des Geschehens präsent sei. Der Senat vertritt die Auffassung, dass angesichts des an der Unfallstelle herrschenden besonders belebten Fußgängerverkehrs mit auftauenden Streumitteln hätte gearbeitet werden müssen.

Die Beklagten verteidigen sich damit, wegen des trockenen Wetters hätten sie nicht mit einer vereisten Stelle rechnen müssen.

Diese Argumentation vermag sie nicht zu entlasten, was indessen ihnen obläge. Denn das Ergebnis der Unterlassung als objektiver Sachverhalt, nämlich das Vorhandensein von Eis, steht fest, womit die Klägerin zunächst die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs hinreichend dargetan hat, nachdem auch die Eisglätte als Sturzursache bewiesen ist. Es spricht deshalb eine Vermutung dafür, dass diese Glätte die Folge nicht sorgfältiger Entfernung solchen Eises ist, das die Mitarbeiter der Beklagten zu 2. im Rahmen ihrer vorangegangenen Räum- und Streutätigkeiten bereits hatten wahrnehmen können. Den Beklagten hätte es oblegen, diese Vermutung auszuräumen. Sie hätten dazu Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen müssen, die ausnahmsweise ihre Pflichtverletzung ausschlössen, etwa dass das Eis erst kurz vor dem Unfall und für sie unerwartet habe entstehen können, weil Dritte Wasser ausgegossen hätten oder Ähnliches. Diesen Entlastungsbeweis haben sie nicht geführt. Allein die Überlegung, dass theoretisch mehrere solcher Ursachen denkbar sind, steht dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Damit bleibt es bei dem gegen die Beklagten sprechenden objektiven Sachverhalt.

Selbstverständlich war die Beklagte zu 2. nicht verpflichtet, den Gehweg unentwegt, also 24 Stunden am Tag, zu bewachen. Außer Frage steht, dass dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht der völlige Ausschluss eines Schadenseintritts möglich ist. Es gibt, wie bereits ausgeführt, Grenzen der Zumutbarkeit.

Auch insoweit gilt indessen die gegen die Beklagten sprechende Vermutung, dass das Vorhandensein des Eises - noch - zum Zeitpunkt des Sturzes der Klägerin darauf zurückgeführt werden muss, dass es während der Zeit lediglich trockenen Frostes, jedenfalls aber in allen Tagesstunden vor dem abendlichen Unfall der Klägerin - unstreitig - überhaupt keine Kontrolle seitens der Beklagten zu 2. und, wo es angezeigt gewesen wäre, Streuung abstumpfender Mittel gegeben hat. Die Rechtslage wäre möglicherweise eine andere, wenn etwa am selben Nachmittag, wenige Stunden zuvor, eine ordentliche Begehung durchgeführt und Eis (noch) nicht festgestellt worden wäre.

Auch die Beklagte zu 2. haftet der Klägerin dem Grunde nach auf Schadenersatz. Denn es wäre dem für sie tätig gewordenen Hausmeister, dem Zeugen Be..., möglich und zuzumuten gewesen, den Unfall der Klägerin zu vermeiden, etwa, indem er die Mitarbeiter der Beklagten zu 2. über die von ihnen ersichtlich unbearbeitet gebliebene Eisstelle sofort telefonisch benachrichtigt hätte. Die durch das Eis verursachte Unfallgefahr konnte er erkennen. Seiner eigenen Bekundung zufolge hat der Zeuge "den Winterdienst kontrolliert". Er habe, so hat die Beklagte zu 1. behauptet, dabei stets seine Pflichten gewissenhaft wahrgenommen. Das hat sie mit der Aussage des Zeugen indessen nicht beweisen können. Vielmehr hat er glaubhaft geschildert, dass er dem Beton- Schachtdeckel weder am Unfalltag noch an den Tagen davor überhaupt Beachtung geschenkt habe. Das machte es ihm unmöglich, die vereiste Stelle zu erkennen und sachgerecht zu reagieren.

Eine wirksame Kontrolle der Beklagten zu 2. hat somit nicht stattgefunden. Die Beklagte zu 1. hat vielmehr ihre Verkehrssicherungspflicht selbst in der Gestalt der bei ihr verbliebenen Überwachungs- und Kontrollpflicht nicht hinreichend wahrgenommen.

3.

Ein Mitverschulden der Klägerin kommt nicht in Betracht. Das wäre dann anders zu beurteilen, wenn von der Glatteisstelle auf dem Beton- Schachtdeckel eine deutliche, von der Klägerin zu erkennende Warnung ausgegangen wäre. Das aber kann nicht festgestellt werden. Die Beklagten machen geltend, der behauptete Unfallhergang lasse ohne weiteres auf eigene Unachtsamkeit der Klägerin schließen. Dabei wird die Besonderheit der Örtlichkeit übersehen, auf die der Senat bereits in anderem Zusammenhang hingewiesen hat. Gerade weil der Schachtdeckel sich in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Geschäftslokals befand und die Aufmerksamkeit der Passanten, somit auch der Klägerin, zumindest auf die Schaufensterauslagen hin gelenkt wurde, verfängt diese Argumentation nicht. Auch ist nach der Lebenserfahrung überfrorene Nässe ohne gezielte Beobachtung und von oben betrachtet nicht stets gut zu erkennen.

Andere, auf den streitigen Sachverhalt bezogene Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihre eigenen Interessen nicht beachtet habe und daher eine Minderung ihres Anspruchs nach § 254 Abs. 1 BGB hinnehmen müsse, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Ihnen obliegt allerdings, was sie offenkundig nicht verkennen, insoweit die Darlegung der tatsächlichen Umstände. Es bleibt somit bei dem vollen Schadenersatzanspruch der Klägerin dem Grunde nach.

IV.

Eine Kostenentscheidung des Senats ist nicht veranlasst. Sie wird dem Landgericht vorbehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Senat begründet seine Entscheidung mit der Würdigung der besonderen Umstände des Streitfalls und stimmt darin mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung überein, die das ausdrücklich fordert. Eine abweichende Bewertung eines vergleichbaren Sachverhaltes in einem höchstrichterlichen oder anderen obergerichtlichen Urteil ist nicht zu erkennen. Grundsätzliche Rechtsfragen wirft der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt nicht auf.

Daher hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Ende der Entscheidung

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