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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.02.2004
Aktenzeichen: 11 U 73/03
Rechtsgebiete: BPflVO


Vorschriften:

BPflVO § 7 Abs. 2 S. 1
BPflVO § 22 Abs. 2
BPflVO § 22 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 U 73/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht 012

Anlage zum Protokoll vom 10.02.2004

Verkündet am 10.02.2004

in dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgericht durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Das am 3. Juli 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam - 11 O 4/03 - wird abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um ärztliche Vergütungsansprüche des Klägers.

Der Beklagte wurde am 06.02.2002 nach einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall im B...-Krankenhaus aufgenommen und von dort am 15.02.2002 zur Durchführung einer Herzoperation in das ... Herzzentrum ... verlegt.

Im Herzzentrum wurden dann am 15.02.2002 ausweislich der vorgelegten Liquidation (Bl. 6 ff d. A.) bei dem Beklagten die operationsvorbereitenden Untersuchungen durchgeführt.

Darüber hinaus unterzeichnete der Beklagte eine Wahlleistungsvereinbarung (Bl. 4, 5 d. A.)

In dem vorgedruckten Formular kreuzte der Beklagte zunächst den Wunsch nach ärztlichen Leistungen aller beteiligten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen berechtigt sind, einschließlich der von diesen Ärzten veranlassten Leistungen und darüber hinaus den Wunsch nach der Unterbringung in einem Einbettzimmer an. Bereits die Wahlleistungsvereinbarung enthält den Hinweis, dass die Inanspruchnahme der Wahlleistungen nicht auf einzelne liquidationsberechtigte Ärzte des Krankenhauses beschränkt werden kann.

Im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung wurde dem Beklagten ein Informationsblatt über die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen ausgehändigt (Bl. 61, 62 d. A.).

Das Informationsblatt enthält den herausgehobenen Hinweis, dass dem Patienten auch ohne Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung alle medizinisch erforderlichen Leistungen zuteil werden, sich die Person des behandelnden Arztes dann indes ausschließlich nach der medizinischen Notwendigkeit richte.

Darüber hinaus ist der ebenfalls hervorgehobene Hinweis enthalten, dass die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung bedeuten kann verbunden mit der Aufforderung an den Patienten, zu prüfen, ob seine Krankenversicherung diese Kosten deckt.

Zu den Kosten, die dem Patienten durch den Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung entstehen könnten, enthält das Informationsblatt einen allgemeinen Hinweis auf die GOÄ. Es erläutert kurz das Abrechnungssystem der GOÄ. Eingefügt ist dann ein Rechnungsbeispiel:

 ZifferLeistungsbeschreibungPunktzahlPreis (Einfachsatz)
1Beratung - auch mittels Fernsprecher80€ 4,66

Am nächsten Tag, am 16.02.2002, wurde der Beklagte operiert.

Unter dem 30.08.2002 erstellte der Kläger gegen über dem Beklagten eine Liquidation über insgesamt 11.283,46 DM = 5.769,14 €.

Die Gesamtbelastung des Beklagten aus Anlass der Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung betrug nach der von ihm erstellten Übersicht (Bl. 32 d. A.) 11.905,00 €.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Erbringung ärztlicher Wahlleistungen sei wirksam vereinbart worden.

Er hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.769,00 € nebst Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Wahlleistungsvereinbarung sei nicht wirksam. Er sei im Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht in der Lage gewesen abschließend zu beurteilen, was er unterschrieben habe. Im Übrigen habe er darauf vertraut, nur solche Leistungen zu erhalten, die seine private Krankenversicherung auch übernehme.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Wahlleistungsvereinbarung sei wirksam. Sie sei insbesondere nicht nichtig wegen einer etwaigen Geschäftsunfähigkeit des Beklagten. Der Beklagte habe die Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung auch nicht wegen eines Irrtums über ihren Inhalt oder aufgrund einer dem Kläger zuzurechnenden Täuschung wirksam angefochten.

Der Beklagte sei auch entsprechend § 22 Abs. 2 BPflVO hinreichend informiert worden. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Beklagten um einen Notfallpatienten gehandelt habe und das Krankenhaus daher nicht in der Lage gewesen wäre, die voraussichtlichen Kosten der bevorstehenden Operation mit einem zumutbaren Verwaltungsaufwand zu ermitteln.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er seinen Klageabweisungsantrag in Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiterverfolgt.

Er beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil erweist sich zunächst als zutreffend, soweit die Kammer in der angefochtenen Entscheidung die Nichtigkeit der Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung aus allgemein bürgerlich-rechtlich Grundsätzen unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsunfähigkeit, des Irrtums oder der arglistigen Täuschung verneint hat.

Die Wahlleistungsvereinbarung ist indes unwirksam, da der Beklagte bei Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung nicht, wie dies § 22 Abs. 2 BPflVO fordert, über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im Einzelnen unterrichtet worden ist.

Die Bestimmung des § 22 Abs. 2 S. 1 BPflVO stellt eine Nachfolgeregelung zu § 7 Abs. 2 S. 1 BPflVO in der Fassung vom 21.08.1985 dar. Die Bestimmung in ihrer ursprünglichen Fassung lautete:

"Wahlleistungen sind vor der Erbringung schriftlich zu vereinbaren; der Patient ist vor Abschluss der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen zu unterrichten."

Die redaktionelle Neufassung der Vorschrift weicht in der jetzt gültigen Fassung insoweit ab, als nunmehr nicht nur eine Unterrichtung des Patienten, sondern eine Unterrichtung "im Einzelnen" vorgeschrieben ist. Dabei bezieht sich die Hinzufügung des Begriffes im Einzelnen auch auf die "Unterrichtung über die Entgelte" (BGH-Urteil vom 27.11.2003 - III ZR 37/03 - S. 11, 12).

Welchen Anforderungen die danach erforderliche Belehrung genügen muss, ist nach dem Schutzzweck der Bestimmung einerseits und andererseits nach dem zu bestimmen, was von dem aufnehmenden Krankenhaus als Information des Patienten unter Berücksichtigung des anfallenden Verwaltungsaufwandes zumutbarer Weise noch erwartet und geleistet werden kann (BGH a.a.O., S. 12).

Dabei ist eine Unterrichtung des Patienten, die sich darauf beschränkt, diesen über die Entgeltlichkeit als solche aufzuklären, nicht ausreichend, nachdem nach dem klaren Wortlaut der Verordnung der Patient über das Entgelt im Einzelnen aufzuklären ist (BGH NJW 1996, 781, 782).

Maßgeblich für die Anforderungen, die an die Aufklärung des Patienten zu stellen sind, ist der erkennbare Normzweck. Dem Patienten soll eine möglichst vollständige Grundlage für die sachgerechte Entscheidung der Frage erhalten, ob er, auch unter Berücksichtigung der möglicherweise erheblichen finanziellen Mehrbelastungen, die auf ihn zukommen können, den mit dem Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung gegebenenfalls verbundenen höheren medizinischen Standard der ärztlichen und sonstigen Leistungen erkaufen will. Erforderlich ist daher jedenfalls eine Aufklärung, die dem Patienten eine Vorstellung von den finanziellen Risiken vermittelt, die durch den Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung auf ihn zukommen können (Thüringisches OLG VersR 2002, 1499; OLG Zweibrücken OLGR 2002, 401; LG Dortmund VersR 2002, 1033; LG Hagen RuS 2002, 433; LG Kiel ArztR 2001, 292; LG Duisburg MedR 2001, 213).

Es genügt daher nicht, wenn der Patient allein darauf hingewiesen wird, dass sich die Entgelte für die wahlärztliche Leistung nach der GOÄ berechnen und ihm darüber hinaus die Möglichkeit gegeben wird, in diese Einsicht zu nehmen (so aber OLG Köln OLGR 1998, 212, anders BGH a.a.O.).

Erforderlich ist jedenfalls eine Aufklärung des Patienten, in der die wahlärztlichen Leistungen kurz charakterisiert werden, die Art der Preisermittlung erläutert, weiter darauf hingewiesen wird, dass sich bei der Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen die Vereinbarung zwingend auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte erstreckt und schließlich der deutliche Hinweise darauf, dass die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung zur Folge haben kann (BGH a.a.O., S. 12 - 14).

Diesen Anforderungen genügt dem Grunde nach die Belehrung, die der Beklagte vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung erhalten hat. Die von dem Beklagten unterzeichnete Wahlleistungsvereinbarung weist ausdrücklich darauf hin, dass die Wahl nicht auf einzelne liquidationsberechtigte Ärzte des Krankenhauses beschränkt werden kann. Die übrigen Hinweise sind dann in dem Informationsblatt (Bl. 61, 62 d. A.) enthalten, welches dem Beklagten vor Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung ausgehändigt worden ist.

Der Wert der sich aus diesem Formular ergebenden Informationen wird indes durch das in das Informationsblatt aufgenommene Rechenbeispiel nachhaltig entwertet.

Das Rechenbeispiel weist die Abrechnung einer einzigen Leistung auf und als den geschuldeten Preis einen Betrag von 4,66 € aus.

Der Betrag von 4,66 € ist offensichtlich nicht geeignet, einem Patienten, der vor einer komplizierten, aufwendigen Herzoperation steht, auch nur ein in etwa zutreffendes realistisches Bild der Kosten zu vermitteln, die mit der Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung auf ihn zukommen werden. Gerade der zu entscheidende Fall zeigt dies deutlich. Wie sich aus den vom Beklagten im Rechtsstreit vorgelegten kumulierten Rechnungen der einzelnen liquidationsberechtigten Ärzte ergibt, sah er sich nach Abschluss der Operationen und der stationären Behandlung auf der Grundlage der Wahlleistungsvereinbarung Gebührenforderungen in Höhe von insgesamt rd. 10.000,00 € ausgesetzt. Dieser Betrag macht in etwa das Zweitausendfache des Betrages aus, der in dem Informationsblatt erwähnt wird. Dies beruht letztlich darauf, dass auf der Grundlage des Gebührensystems der GOÄ die Höhe des tatsächlich geschuldeten Honorars sich aus der Addition einer Vielzahl einzelner Gebührenziffern ergibt, bei denen die einzelne Gebührenziffer durchaus einen absolut niedrigen Betrag aufweisen mag. Dies verdeutlicht auch die von dem Kläger in diesem Verfahren gestellte streitgegenständliche Liquidation über einen Gesamtbetrag von 5.769,14 €, die insgesamt 229 Positionen aufweist, von denen nur eine mit 1.147,52 € über 1.000,00 € und nur sieben über 100,00 € liegen. Der Gesamtbetrag der zu erwartenden ärztlichen Liquidation ergibt sich damit nicht aus der Höhe der Rechnungsposition für die einzelne Leistung sonder aus der Kumulation einer Vielzahl einzelner Gebührenansätze. Die Höhe des einzelnen Gebührensatzes bietet daher kaum eine sachgerechte Grundlage, die Höhe der zu erwartenden Kosten abschätzen zu können.

Dies mag dem mit ärztlichen Abrechnungen und der Struktur des Gebührenssystems der GOÄ Vertrauten ohne weiteres bewusst sein. Dem Patienten, der, wie der Beklagte, sich mit der Struktur ärztlicher Gebührenrechnungen nie befasst hat und darüber hinaus mangels vorangegangener Krankenhausaufenthalte auch nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann, fehlen diese Kenntnisse. Er kann aus der Hervorhebung eines solchen Beispiels allenfalls folgern, dass die in dem Merkblatt beschriebene erhebliche finanzielle Belastung ein Mehrfaches des genannten Beispielbetrages darstellen wird. Er wird aber von dem Schluss geradezu abgehalten, dass bei der endgültigen Abrechnung der beauftragten ärztlichen Leistung die tatsächliche Mehrbelastung ein mehr als tausendfaches des in dem Beispiel genannten Betrages sein kann.

Die Verknüpfung des Hinweises auf eine mögliche erhebliche finanzielle Belastung mit einem Rechenbeispiel, das als finanzielle Belastung einen Betrag von 4.66 € darstellt, ist damit jedenfalls offensichtlich objektiv geeignet, in einem im Gebührenrecht nicht bewanderten Patienten falsche Vorstellungen über die Höhe der finanziellen Auswirkung der Unterzeichnung einer Wahlleistungsvereinbarung zu erwecken. Die Gefahr derartiger Fehlvorstellungen lag nahe und drängte sich geradezu auf. Eine solche Verknüpfung stellt mithin einen Verstoß gegen das Transparenzgebot dar, welches dem Grunde nach fordert, bei einer gebotenen Aufklärung wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen zu lassen, wie das nach den Umständen erwartet werden kann (BGH NJW 1999, 2279). Sie ist darüber hinaus geeignet, den in dem Informationsblatt enthaltenen Hinweis auf mögliche erhebliche finanzielle Belastungen zu bagatellisieren. Bagatellisierung ist ein Verhalten, welches eine mögliche Schadensfolge zwar anspricht aber durch die Verknüpfung mit dem Beispiel einer nur geringfügigen Belastung geeignet ist, bei dem Gegenüber den Eindruck zu erwecken, das geschilderte Beispiel sei tauglichern Anhaltspunkt um eine Vorstellung über die Größenordnung der zu erwartenden Belastung zu gewinnen. Bagatellisierendes Verhalten ist, jedenfalls objektiv, ein irreführendes Verhalten (OLG Koblenz VRS 104, 164; VRS 103, 163; OLG Schleswig OLGR 2002, 113).

Eine irreführende Aufklärung ist keine Aufklärung, wie sie § 22 Abs. 2 BPflVO fordert. (BGH, Urteil vom 27.11.2003, III ZR 37/03, S. 14).

Stellte damit die Aufklärung des Beklagten keine genügende Aufklärung i.S.d. § 22 Abs. 2 BPflVO dar, ist die Wahlleistungsvereinbarung nichtig. Vergütungsansprüche stehen dem Kläger dann auch nicht aus anderem Recht, insbesondere auch nicht aus dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung zu (BGH NJW 2002, 3772).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision war geboten, da die Frage, welche Anforderungen an die Aufklärungspflicht gem. § 22 Abs. 2 BPflVO zu stellen sind, eine grundsätzliche Rechtsfrage berührt.

Ende der Entscheidung

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