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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 27.02.2001
Aktenzeichen: 11 W 15/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 276 Abs. 1
ZPO § 331 Abs. 3
ZPO § 276
ZPO § 707
ZPO § 719
ZPO § 707 Abs. 2 S. 2
ZPO § 337
ZPO § 719 Abs. 1 S. 2 2. Halbsatz
ZPO § 707 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

11 W 15/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht 8 O 33/00 Landgericht Potsdam

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die außerordentliche Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 10.01.2001 über die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil sowie auf die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 10.01.2001, durch den der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen worden ist durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Groß und den Richter am Landgericht Hüsgen

am 27. Februar 2001

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages wird zurückgewiesen.

Auf die sofortige außerordentliche Beschwerde wird die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Potsdam im schriftlichen Verfahren vom 19.10.2000 - 8 O 33/00 - ohne Sicherheitsleistung eingestellt.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Soweit sich der Beklagte gegen die Versagung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Verteidigungsanzeigefrist gem. § 276 Abs. 1 ZPO wendet, ist die Beschwerde unzulässig. Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben.

Gegen die Versagung der Wiedereinsetzung findet das Rechtsmittel statt, welches gegen die Entscheidung in der Hauptsache gegeben ist (Zöller/Greger, ZPO; 22. Aufl., § 238 Rn. 7).

Dies bedingt dann, dass, wenn die aufgrund der Versäumung der Frist ergangene Entscheidung ein Versäumnisurteil gem. §§ 331 Abs. 3, 276 ZPO ist, als Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung nur der Einspruch gegen das Versäumnisurteil in Betracht kommt. Die Möglichkeit, die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zusätzlich mit der Beschwerde anzugreifen, besteht demgegenüber nicht.

Hinzu tritt, dass bei, der Versäumung der Frist des § 276 ZPO ein Wiedereinsetzungsantrag zwar dem Grunde nach denkbar, aber nur in dem Zeitraum zwischen Übergabe des Versäumnisurteils an die Geschäftsstelle und Zustellung sinnvoll ist, da ein bereits erlassenes Versäumnisurteil gegen den Beklagten auch an einer etwa gewährten Wiedereinsetzung unberührt bliebe (OLG Celle OLGR 1994, 271; KG MDR 96, 634).

II.

Soweit sich der Beklagte darüber hinaus in seinem als "sofortige Beschwerde" bezeichnetem Rechtsmittel dagegen wendet, dass das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung die Zwangsvollstreckung aus dem erlassenen Versäumnisurteil nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt und es abgelehnt hat, eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung vorzunehmen, ist sein Rechtsmittel als außerordentliche Beschwerde statthaft.

Die angefochtene Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil ist eine Entscheidung nach §§ 707, 719 ZPO. Eine Anfechtung der Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung findet gem. §§ 707 Abs. 2 S. 2 ZPO regelmäßig nicht statt, die Beschwerde ist ausgeschlossen.

Diese Regel erfährt indes Einschränkungen bei einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit, diese kann gegebenenfalls die sofortige Beschwerde gegen die Einstellungsentscheidung eröffnen (Thüringer Oberlandesgericht OLG NL 2000, 95; OLG München OLGR 95, 197; OLG Hamburg WUM 93, 466; OLG Karlsruhe MDR 93, 798). Die Eröffnung der sofortigen Beschwerde kommt u. a. dann in Betracht, wenn die Entscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht und infolge dieser Verletzung die Grundlage der nach §§ 707, 719 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung verfälscht oder von dem entscheidenden Gericht verkannt wird (Zöller/Herget, a.a.O., § 707 Rn. 22 m.w.N.).

Dieser Fallgestaltung steht es gleich, wenn das Versäumnisurteil selbst nicht in gesetzlicher Weise unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangen ist, und das Gericht in seiner Entscheidung über den Einstellungsantrag den Rechtsfehler, der dem Versäumnisurteil anhaftet, verkennt und sich daher gem. § 719 ZPO gehindert sieht; die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung zu gewähren. Der Umstand, dass das Gericht verkannt hat, dass es jedenfalls eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte, macht die als vorgestellt gebunden getroffene Entscheidung greifbar gesetzeswidrig (OLG Celle, NJW-RR 2000, 1017; OLG Frankfurt NJW RR 1998, 1450).

Die Zulassung der außerordentlichen sofortigen Beschwerde ist in derartigen Konstellationen geboten, da der Beklagte durch das fehlerhafte Versäumnisurteil mit einem vorläufigen Vollstreckungstitel belastet wird und damit alle Nachteile hinnehmen muss, die ihm aus der Vollstreckung entstehen können, ohne dass ihm irgendeine Möglichkeit bliebe, den gegebenenfalls erheblichen Rechtsverstoß, der bereits den Erlass des Versäumnisurteils zugrunde lag und der sich in der Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung fortsetzt, in irgendeiner Weise geltend machen zu können.

Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen sind gegeben.

Das Versäumnisurteil hätte nicht ergehen dürfen. Ein Fall der Säumnis lag nicht vor. Darüber hinaus hat das Gericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, da es bei seinen Entscheidungen vom 19.10.2000 den Schriftsatz des Beklagten vom 30.09.2000, beim Landgericht Potsdam eingegangen am 04.10.2000, nicht berücksichtigt hat:

Ein Fall der Säumnis, der die Möglichkeit zum Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Verfahren gem. § 331 Abs. 3 i.V.m. § 276 Abs. 1 ZPO eröffnet, ist nicht gegeben, wenn die Erklärung des Beklagten bei Gericht eingeht, bevor das von den Richtern unterschriebene Urteil der Geschäftsstelle übergeben ist.

Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn innerhalb der Frist des § 276 Abs. 1 ZPO ein Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten bei Gericht eingeht. Zwar ist der Prozesskostenhilfeantrag keine Verteidigungsanzeige im Sinne dieser Bestimmung. Der ordnungsgemäß gestellte PKH-Antrag der Partei muss aber entsprechend § 337 ZPO Anlass zur Zurückstellung der Säumnisentscheidung geben, bis nach einer Entscheidung über das PKH-Gesuch die Versäumung der Verteidigungsanzeige nicht mehr unverschuldet ist (Zöller/Greger, a.a.O., § 276 Rn. 10 m.w.N.). Ein Fall der unverschuldeten Säumnis ist hiernach insbesondere dann gegeben, wenn bis zum Ablauf der Frist zur Verteidigungsanzeige über das Prozesskostenhilfegesuch noch nicht entschieden ist oder der Beklagte erst unmittelbar vor Ablauf der Frist von der gegebenenfalls versagenden Entscheidung des Gerichts Kenntnis erlangt (Zöller/Herget, § 337 Rn. 3 m.w.N.). Bei versagender Prozesskostenhilfeentscheidung ist der belasteten Partei grundsätzlich eine Frist von etwa drei bis vier Werktagen einzuräumen, innerhalb derer sie entscheiden kann, ob sie das Verfahren gegebenenfalls auf eigene Kosten weiterführen soll (BGH NJW 86, 257; VersR 82, 757; OLG Schleswig OLGR 1998, 74, 75). Im Falle des § 276 Abs. 1 ZPO ist weiter zu bedenken, dass der Beklagte zu der ihm einzuräumenden, Überlegungsfrist zumindest noch eine gewisse Zeitspanne benötigt,, um einen Rechtsanwalt mit der, Wahrnehmung seiner Interessen im Verfahren zu beauftragen.

Es ist daher regelmäßig ausgeschlossen, zeitgleich mit der das Prozesskostenhilfegesuch zurückweisenden Entscheidung ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren zu erlassen.

Eine abweichende Auffassung lässt sich hier auch nicht auf die Erwägung stützen, dass der Beklagte es unterlassen hat, auf die gerichtliche Verfügung im PKH-Verfahren vom 29.08.2000 zu antworten. Der Beklagte hat zu dieser Verfügung durch Schreiben vom 30.09.2000 Stellung genommen. Warum das, Vorbringen des Beklagten in diesem Schreiben im Beschluss der Kammer vom 19.10.2000 nicht berücksichtigt wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

War damit das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen, so kam gem. § 719 Abs. 1 S. 2 2. Halbsatz ZPO die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil ohne Sicherheitsleistung jedenfalls in Betracht.

Da das Landgericht dies verkannt hat, setzt sich der dem Erlass des Versäumnisurteils zugrunde liegende Verfahrensmangel in der Entscheidung über das Einstellungsgesuch fort, so dass aus diesem Grunde die außerordentliche Beschwerde eröffnet ist.

III.

Die Beschwerde hat dann auch in der Sache Erfolg.

Ist ein Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen, so wird die Zwangsvollstreckung hieraus in der Regel ohne Sicherheitsleistung einzustellen sein, da der durch das Versäumnisurteil begünstigte Kläger, der keinen Anspruch darauf hat, die ihm durch die nicht rechtmäßige Entscheidung zugewachsene Möglichkeit, aus einem vorläufigen Titel bereits die Vollstreckung gegen den Beklagten zu betreiben, zu behalten, in der Regel nicht schutzwürdig ist. Dies gilt auch dann, wenn auf Seiten des Beklagten die Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht sind (Zöller/Herget, a.a.O., § 719, Rn. 2 m.w.N.; OLG Celle NJW RR 2000,1017).

Der teilweise vertretenen gegenteiligen Auffassung, dass auch bei einem nicht in gesetzlicher Weise ergangenen Versäumnisurteil regelmäßig die Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 S. 2 gegeben sein müssen (OLG Köln OLGR 2000, 33 und die Nachweise bei Zöller/Herget a.a.O.) vermag nicht zu überzeugen. Die zur Begründung vorgetragene Behauptung, die Vorschrift des § 719 ZPO wolle die Einstellung der Zwangsvollstreckung erschweren und nicht erleichtern, findet jedenfalls bei dem in nicht gesetzlicher Weise ergangenen Versäumnisurteil im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Sie vermag insbesondere nicht zu begründen, warum der begünstigten Partei eine prozessual begründete, wirtschaftliche werthaltige Vermögensposition, der Vollstreckungstitel, zum Nachteil des Gegners verbleiben soll, obwohl sie diese Position nur unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften erlangt hat.

Der Senat kann auch in der Sache entscheiden.

Zwar ist es im Hinblick auf die nach §§ 707, 719 erforderliche Ermessensausübung, die dem Instanzgericht vorbehalten ist, unter Umständen geboten, die Sache zurückzuverweisen, damit die Ermessensausübung beim Instanzgericht verbleibt. Vorliegend sind indes keine Umstände ersichtlich und werden von den Parteien auch nicht geltend gemacht, die eine andere Entscheidung als die Einstellung ohne Sicherheitsleistung rechtfertigen könnten.

Die angefochtene Entscheidung war daher entsprechend abzuändern.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Beschwerde nicht insgesamt zurückgewiesen worden ist (Zöller/Herget, a.a.O., § 769 Rn. 11).

Ende der Entscheidung

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