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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: 11 Wx 24/09
Rechtsgebiete: AsylVerfG, AufenthG


Vorschriften:

AsylVerfG § 14 Abs. 3
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Betroffenen wird für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 20. Februar 2009 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Betroffene ist nach eigenen, unwiderlegten Angaben mit dem Flugzeug ohne gültige Papiere nach Deutschland eingereist. Auf Grund des Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 06. November 2008 wurde die Betroffene in Zurückschiebungshaft genommen. Mit Schreiben vom 07. November 2008 beantragte die Betroffene politisches Asyl und führte zur Begründung an, ihr Vater wolle sie zur Eingehung einer nicht gewollten Ehe zwingen. Am 28. November 2008 wurde die Betroffene aus der Haft entlassen, nachdem das BAMF mitgeteilt hatte, dass mit einer kurzfristigen Entscheidung über den Asylantrag nicht gerechnet werden könne.

Im Beschwerdeverfahren hat die Betroffene nach Erledigung der Hauptsache die Feststellung begehrt, dass die Haftanordnung rechtswidrig gewesen sei. Diesen Antrag hat das Landgericht zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Betroffene sei auf Grund der unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Der aus der Sicherungshaft heraus gestellte Asylantrag stehe der Haft gemäß § 14 Abs. 3 AsylVerfG nicht entgegen. Die Äußerungen der Betroffenen anlässlich ihrer Erstvernehmung seien nicht als Asylbegehren zu verstehen.

Der Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG folge daraus, dass die Betroffene ohne gültige Dokumente eingereist sei. Die Äußerung der Betroffenen, sie habe für die Reise kein Geld bezahlen müssen, sei nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Schutzbehauptung. Dagegen spreche auch nicht, dass die Betroffene die Absicht bekundet habe, sich in E... zur Polizei zu begeben, um auf diese Weise ein Aufenthaltsrecht zu erlangen.

Die Drei-Monats-Frist des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG sei gewahrt. Insoweit hat das Landgericht sich auf den Inhalt der beigezogenen Ausländerakte bezogen und ergänzend ausgeführt, die Betroffene habe etwaige Verzögerungen selbst zu vertreten, weil ihr Schleuser ihr die Papiere nicht ausgehändigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses, der der Betroffenen zu Händen ihres Bevollmächtigten am 24. Februar 2009 zugestellt worden ist, wird auf die bei den Akten befindliche Ausfertigung (Bl. 68 ff.) Bezug genommen. Mit der am 10. März 2009 beim Landgericht Frankfurt/Oder eingegangenen und mit Schriftsatz vom 16. April 2009 näher begründeten sofortigen weiteren Beschwerde macht die Betroffene im Wesentlichen geltend:

Es sei nicht hinreichend erkennbar geworden, dass das Landgericht die Ausländerakten beigezogen habe. Sollte dies der Fall gewesen sein, wie die Bezugnahme des angefochtenen Beschlusses auf einen Aktenvermerk nahe lege, so sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Die persönliche Anhörung sei zu Unrecht unterblieben; dieser Verzicht sei vom Landgericht auch nicht begründet worden.

Das AsylVfG habe schon zum Zeitpunkt der Haftbeantragung eingegriffen, weshalb die Antragstellerin unzuständig gewesen sei. Das Landgericht habe die Tragweite des Begehrens, um Schutz vor einer Zwangsehe zu ersuchen, nicht erkannt.

Schließlich wendet sich die Betroffene gegen die Annahme des Haftgrundes des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufentG. Ohne - erneute - Anhörung sei das Landgericht zu einer solchen Schlussfolgerung nicht befugt gewesen. Die Möglichkeit, kamerunische Staatsangehörige ohne Papiere innerhalb von drei Monaten in ihr Heimatland abzuschieben, bestehe tatsächlich nicht.

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss leidet unter Rechtsfehlern (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ff. ZPO); zudem ist das Landgericht seiner Aufklärungspflicht nicht in hinreichendem Umfang nachgekommen (§ 12 FGG).

1. Zwar hat das Landgericht, wie es in Abschiebungshaftsachen regelmäßig erforderlich ist, die Ausländerakten beigezogen und ausweislich der Beschlussgründe auch verwertet. Den Akten ist indes nicht zu entnehmen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen hiervon in Kenntnis gesetzt worden ist. Die Verwertung von Aktenvermerken (hier: Vermerke des POK S... vom 13. November 2008 im Zusammenhang mit der Passersatzbeschaffung), ohne dass dem Vertreter der Betroffenen die vorherige Möglichkeit zur Kenntnis- und Stellungnahme eingeräumt worden ist, wird den Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gerecht. Dies gilt insbesondere bei der hier in Rede stehenden Frage der Prognose, in welchem Zeitraum mit der Beschaffung von Passersatzpapieren gerechnet werden kann. Eine solche Prognose erfordert, wenn die derzeitige Praxis der übernehmenden Staaten nicht gerichtsbekannt ist, regelmäßig die Schilderung des Ablaufs in Kooperation mit den ausländischen Stellen und die Darlegung des üblichen Verfahrens nach Erhalt der Papiere (Flugreservierung, Vorankündigung pp.). Es liegt auf der Hand, dass Personen im Abschiebegewahrsam die Möglichkeit eingeräumt bekommen müssen, zu den diesbezüglichen Tatsachen ihre Auffassung darzulegen.

2. Soweit die Frist des § 62 Abs. 2 S. 4 betroffen ist, beruht die Wertung des Landgerichts weiterhin auf der Einschätzung, die Betroffene habe es zu vertreten, dass sie nicht über Personalpapiere verfüge. Zur Begründung nimmt das Landgericht Bezug auf die - zutreffende - obergerichtliche Rechtsprechung, dass die Weggabe von Personalpapieren an einen Schleuser als Verschulden angesehen werden kann. Eine dahingehende Feststellung kann dem Akteninhalt aber nicht entnommen werden. Die Betroffene hat angegeben, die Papiere - ob echte oder unechte, ist nicht bekannt - seien ihr zu keinem Zeitpunkt von der Begleitperson ausgehändigt worden. Sollte das Landgericht dieser Darstellung keinen Glauben schenken wollen, so wäre eine dahingehende Überzeugungsbildung jedenfalls ohne erneute Anhörung durch die Kammer nicht möglich; denn die äußerst knappe Anhörung vor dem Amtsgericht hat sich auf diesen Punkt nicht bezogen.

3. Die Rechtsbeschwerde rügt weiterhin zutreffend, dass die Anhörung der Betroffenen durch die Kammer auch aus anderen Gründen geboten war.

Im Zusammenhang mit den Tatsachen, die den begründeten Verdacht der Entziehung der Abschiebung belegen sollen, lag dem Landgericht in Form der amtsgerichtlichen Anhörung und der Haftanordnung vom 06. November 2008 nur eine vollkommen unzureichende Grundlage vor. Fragen nach den Absichten oder Plänen der Betroffenen sind ausweislich des Anhörungsprotokolls vom 06. November 2008 nicht gestellt worden. Der amtsgerichtliche Beschluss enthält nur auf seiner ersten Seite - im Rubrum - einzelfallbezogene Angaben und beschränkt sich im Übrigen auf eine offensichtlich formularmäßige, geschlechtsneutral formulierte Wiedergabe der allgemeinen Haftvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 1 Nrn 1 und 5 AufenthG. Da in der Begründung des Amtsgerichts jede auf den Fall der Betroffenen bezogenen Ausführungen fehlen und auch zur der Abschiebungsentziehungsabsicht - einem stark subjektiv eingefärbten Tatbestandsmerkmal - keine verwertbaren Feststellungen vorlagen, musste sich dem Landgericht die Notwendigkeit der erneuten Anhörung förmlich aufdrängen. Die Tatsache allein, dass sich der Haftantrag durch Entlassung der Betroffenen erledigt hatte, rechtfertigt kein anderes Ergebnis; denn der Rechtsschutz im Rahmen der Feststellung der Rechtswidrigkeit darf im Vergleich zu aktuell laufenden Haftsachen nicht weniger effektiv sein.

Soweit das Landgericht darüber hinaus davon ausgegangen ist, die Betroffene habe die Einschleusung bezahlen müssen, widerspricht dies den Angaben der Betroffenen, wie sie aus der Ausländerakte zu ersehen sind. Die Begründung des Landgerichts lautet, nach der Lebenserfahrung sei es eine Schutzbehauptung, die Betroffene sei unentgeltlich geschleust worden. Nach Auffassung des Senats wäre eine dahin gehende, auf die Glaubwürdigkeit der Betroffenen bezogene Überzeugungsbildung verfahrensfehlerfrei ebenfalls nur nach Durchführung einer Anhörung zu erlangen.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Zu Unrecht macht die Rechtsbeschwerde geltend, es sei bereits bei der polizeilichen Erstvernehmung erkennbar geworden, die Betroffene berufe sich auf politische Verfolgung. Eine staatliche Beteiligung oder Duldung der von der Betroffenen geschilderten familiären Fluchtgründe ist bislang nicht aktenkundig und war aus der Sicht der deutschen Stellen zum Zeitpunkt der Haftbeantragung jedenfalls nicht zu ersehen.

Die Einreise ohne gültige Papiere ist für sich allein - ohne konkret festzustellende zusätzliche Umstände - nicht ausreichend, die Absicht zu begründen, die Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen. Die Tatsache, dass sich die Betroffene, soweit bislang erkennbar ohne besonderen Verzug, bei der Polizei melden wollte, ist eher zu belegen geeignet, dass sie die Rechtsordnung in Deutschland respektieren will.

Im Hinblick auf die - nunmehr retrospektiv anzustellende - Drei-Monats-Prognose wird das Landgericht, wenn ein Verschulden der Betroffenen an der Verzögerung nicht festgestellt werden kann, zu berücksichtigen haben, dass als frühestmöglicher Anhörungstermin vor der kamerunischen Botschaft Ende Januar 2009 anzunehmen sein dürfte. Darüber hinaus wäre zu ermitteln, mit welchem Zeitablauf zwischen der Anhörungsrunde und der Ausstellung von Passersatzpapieren durch Kamerun zu rechnen gewesen wäre und wie lange die Organisation des Fluges gedauert hätte. Eine - auf den 06. November 2008 bezogene - Prognose, die Abschiebung könne bis zum 06. Februar 2008 durchgeführt werden (oder gar innerhalb von 35 Tagen, wie von der Antragstellerin in der Antragsschrift aufgeführt ist), erfordert vor diesem Hintergrund eine nähere Begründung.

Ende der Entscheidung

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