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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 23.09.2008
Aktenzeichen: 11 Wx 46/08
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVerfG, FGG, ZPO


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 4
AsylVerfG § 14
AsylVerfG § 56 Abs. 1
FGG § 16 Abs. 2 S. 1
ZPO § 174
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor: Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. Mai 2008 - Az.: 5 T 42/08 - wird zurückgewiesen.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren werden dem beteiligten Landkreis auferlegt.

Gründe: I.

Nachdem der Betroffene am 18. Dezember 2007 nach Belgien zurückgeschoben worden war, ist er wieder in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 3. Januar 2008 sprach er unter seinem alias-Namen in der Ausländerbehörde vor. Auf Grund des Antrags der Ausländerbehörde ordnete das Amtsgericht Königs Wusterhausen mit Beschluss vom 4. Januar 2008 die Sicherungshaft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG für längstens drei Monate an.

Aus der Sicherungshaft heraus stellte der Betroffene am 9. Januar 2008 einen Asylantrag, der in der Folge an das Bundesamt weitergeleitet worden ist.

Gegen den Beschluss des Amtsgericht hat sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Er hat die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde gerügt und die Auffassung vertreten, die örtliche Beschränkung des § 56 Abs. 1 AsylVerfG, die im Rahmen der früheren Zurückschiebung nach Belgien gegolten habe, bestimme seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Ausführungen zu der Frage, ob die Zurückschiebung oder Abschiebung innerhalb der Frist des 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG ermöglicht werden könne, enthalte der angefochtene Beschluss nicht.

Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde am 28. Januar 2008 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Ausländerbehörde des Landkreises D. sei zuständig; hinreichende Anhaltspunkte für die Zuständigkeit einer andere Behörde bestünden nicht. Die Stellung eines Asylantrags stehe der Haft nicht entgegen; denn der Betroffen befinde sich in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG. Die Haft sei auch verhältnismäßig; die Ausländerbehörde habe ausgeführt, dass die Zurückschiebung nach Belgien erfahrungsgemäß innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden könne.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene am 5. Februar 2008 eine sofortige weitere Beschwerde eingelegt.

Am 7. Februar 2008 ist der Betroffene auf Veranlassung der Ausländerbehörde aus der Haft entlassen worden. Daraufhin hat der Betroffene den Antrag umgestellt und den Antrag gestellt

festzustellen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 4. Januar 2008 und des Landgerichts Potsdam vom 28. Januar 2008 rechtswidrig waren;

der Gebietskörperschaft des Antragstellers die dem Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten in allen Instanzen zu erstatten.

Der Senat hat den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt:

Die Tatsacheninstanzen seien verpflichtet gewesen, die Akten der Ausländerbehörde beizuziehen, bevor eine Entscheidung über die Anordnung der Haft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG erfolgt. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung könne auch nicht ausnahmsweise bereits aus dem Akteninhalt festgestellt werden. Nach § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG dürfe eine Haftanordnung nicht erfolgen, wenn feststehe, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Weder der Haftantrag noch der Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen enthielten zu dieser Frage Ausführungen; in der ersten Instanz sei vielmehr vollständig unklar geblieben, ob die Ausländerbehörde die Überführung in den Libanon oder nach Belgien beabsichtigte. Auch im Verfahren vor dem Landgericht habe die Ausländerbehörde ausweislich des Protokolls vom 28. Januar 2008 ausgeführt, es sei eine Zurückweisung nach Belgien "angedacht". Ob eine dahingehende Absicht bestand, wovon das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss offenbar ausgeht, sei nicht zu ersehen. Auch sei den Akten nicht zu entnehmen, ob die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach Belgien vorliegen und ob auf belgischer Seite die Bereitschaft zur Übernahme bestanden habe. Weiterhin sei unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots unklar geblieben, welche Schritte die Ausländerbehörde bis zum 28. Januar 2008 unternommen habe, um die Abschiebung des Betroffenen - gegebenenfalls nach Belgien - vorzubereiten.

Das Landgericht hat im weiteren Verfahren die Ausländerakten beigezogen. Der Antragsteller hat (Schriftsatz vom 21. April 2008) ergänzend ausgeführt:

Aus dem bisherigen Verlauf, insbesondere der Zurückschiebung nach Belgien am 18. Dezember 2007, sei darauf zu schließen, dass sich der Betroffene aufenthaltsbeendender Maßnahmen entziehen wolle. Weiter sei davon auszugehen, dass eine erneute Zurückschiebung innerhalb von drei Monaten erfolgen könne, zumal die belgischen Behörden die Personalien des Betroffenen schon zuvor erfasst hätten.

Neben der Zurückschiebung nach Belgien sei parallel die Abschiebung in den Libanon alternativ vorbereitet worden. Bereits am 4. Januar 2008 seien die erforderlichen Maßnahmen wie die Passersatzbeschaffung veranlasst worden. Die Entlassung aus der Haft sei erfolgt, weil das BAMF eine Entscheidung nicht innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 14 AsylVerfG habe treffen können.

Durch Beschluss vom 29. Mai 2008 hat das Landgericht festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen rechtswidrig sei; zudem hat das Landgericht die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Landkreis auferlegt. Zur Begründung hat das Landgericht gemeint:

Eine Haftanordnung dürfe nicht ergehen, wenn feststehe, dass die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden könne. Es reiche jedoch nicht aus, wenn die ,Ausländerbehörde die Z. in E. ersucht habe, die erforderlichen Maßnahmen zur Passbeschaffung einzuleiten. Verzögerungen beim Tätigwerden weiterer Behörden dürften jedoch nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Eine hinreichende Beschleunigung des Verfahrens sei nicht zu erkennen. Aus der Stellungnahme des BAMF vom 05. Februar 2008 ergebe sich, dass eine Entscheidung vor Ablauf weiterer 14 Tage nicht zu erwarten sei. Zudem ergebe sich aus dem Schreiben des Antragstellers vom 5. Februar 2008, dass eine - nicht erklärte - Anbietung an Frankreich (DÜ-Fall) vorgesehen sei. Schließlich fehle es an hinreichenden Erläuterungen des Antragstellers, aus welchen tatsächlichen Gründen die Prognose gestellt werden könne, der Betroffene könne innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die den Beteiligten bekannten Beschlussgründe verwiesen. Der Beschluss ist dem Antragsteller ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 16. Juni 2008 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz, beim Landgericht Potsdam eingegangen am 30. Juni 2008, hat der Antragsteller eine sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Er beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. Mai 2008 aufzuheben;

das Verfahren wegen Erledigung einzustellen;

die Kosten des Verfahrens dem Betroffenen aufzuerlegen.

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor:

Nach der Entlassung aus der Abschiebehaft sei der Betroffene am 17. April 2008 dem Landkreis M. zugewiesen worden. Nach einem Aufenthalt im Wohnheim R. sei der Betroffene unbekannt verzogen. Eine prognostische Einschätzung hätte ergeben, dass der Betroffen innerhalb von drei Monaten hätte abgeschoben werden können. Der Antragsteller verweist insoweit auf ein Verfahren, betreffend einen marokkanischen Staatsangehörigen, der nach Stellung des Asylantrags (10. Januar 2008) am 7. Februar 2008 zur Übernahme angeboten worden sei; die Republik Italien habe die Übernahme am 6. Mai 2008 bestätigt. In vorliegendem Fall habe das belgische Ministerium die Rücknahme des Betroffenen unter dem 15. April 2008 bestätigt. Die Zurückschiebung habe sich durch die Identitätstäuschung des Betroffenen verzögert.

Der Betroffene hält die Rechtsbeschwerde für verfristet und verweist darauf, dass ihm der Beschluss bereits am 4. Juni 2008 zugegangen ist. Im Übrigen verteidigt er die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe der Schriftsätze vom 18. und 19. September 2008.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere in der Zwei-Wochen-Frist (§§ 29 Abs. 4, 22 Abs. 1 S. 1 FGG) beim Landgericht Potsdam eingegangen. Eine wirksame Zustellung der angefochtenen Entscheidung ist nicht vor dem 16. Juni 2008 erfolgt.

Auf die Zustellung von Beschlüssen, die einen Fristbeginn bewirken, sind gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 FGG die Vorschriften der ZPO anzuwenden. Nach § 174 ZPO kann die Zustellung an eine Behörde im Wege des Empfangsbekenntnisses bewirkt werden. Die Zustellungswirkungen treten - auch wenn das Schriftstück zu einem früheren Zeitpunkt bei der Behörde eingegangen sein sollte - erst dann ein, wenn ein zur Entgegennahme des Schriftstücks Zuständiger dasselbe mit Zustellungswillen entgegennimmt. Insoweit erbringt das Empfangsbekenntnis den Beweis für die Entgegennahme des Schriftstücks und das Zustellungsdatum (vgl. Zöller/ Stöber, ZPO, § 174 RN 20 mit weiteren Nachweisen). Da es auf den Eingangsstempel der Poststelle des Antragstellers nicht ankommt, ist dem Antrag des Betroffenen, die an den Antragsteller gesandte Ausfertigung vorlegen zu lassen, nicht nachzukommen.

2. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Voraussetzungen der Abschiebehaft gemäß § 62 Abs. 2 AufenthG nicht gegeben sind.

a. Im Gegensatz zu der Rechtauffassung des Landgerichts ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebots allerdings nicht festzustellen. Das Landgericht bezieht sich insoweit zu Unrecht darauf, dass das BAMF noch am 5. Februar 2008 eine Entscheidung über den Asylantrag nicht gefasst, sondern mit einer Bearbeitungszeit von noch mindestens 14 Tagen gerechnet habe. Sollte hierin - nähere Feststellungen sind nicht getroffen - eine verzögerte Bearbeitung des Asylantrags liegen, so beträfe dies nicht die Frage, ob die Abschiebung des Betroffenen hinreichend von den zuständigen Behörden gefördert worden ist.

b. Auch ist der vom Landgericht angeführte Umstand, dass der Antragsteller im Schreiben vom 5. Februar 2008 eine Andienung nach Frankreich als "vorgesehen" bezeichnet hat, kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Behörde, wie das Landgericht offenbar annehmen will, ihre Meinung geändert und dadurch gegebenenfalls den Beschleunigungsgrundsatz verletzt hätte. Nach dem Inhalt der Akten kam eine Rückführung des Betroffenen nach Frankreich unter keinen Umständen näher in Betracht, weil der Fall keine Verbindungen in dieses Land aufweist. Jedenfalls war es dem Landgericht ohne nähere amtswegige Ermittlungen verwehrt, eine solche Annahme als feststehend zu behandeln. Eine bei dieser Sachlage nahe liegende Nachfrage beim Antragsteller ist verfahrensfehlerhaft (vgl. § 12 FGG) unterblieben.

c. Der Beschluss erweist sich jedoch als rechtmäßig, weil die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 4 AufenthG vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass die Abschiebung (oder Zurückschiebung) nicht innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, ohne dass dies auf einem Vertretenmüssen des Ausländers beruht.

Wie der Senat bereits im Beschluss vom 3. April 2008 ausgeführt hat, haben bis dahin weder das Amtsgericht noch das Landgericht hinreichende Feststellungen getroffen. Zur Feststellung, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich ist, sind konkrete Angaben dazu erforderlich, auf welche Weise das Verfahren betrieben werden soll, welche Zwischenschritte (Beschaffung von Passersatzpapieren, Übernahmeersuchen an Drittstaaten und deren Beantwortung) erforderlich sind und in welchem Zeitraum diese Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können. Der Tatrichter darf sich insoweit nicht mit der Mitteilung der schlichten Einschätzung der Ausländerbehörde begnügen, die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde hierzu nicht von sich aus geeignete Tatsachen mitteilt, obliegt es dem Tatrichter im Wege der Amtsermittlung (§ 12 FGG) nachzufragen.

Eine dahingehende Amtsermittlung lässt das landgerichtliche Verfahren auch nach der Aufhebungsentscheidung des Senats vermissen. Die - an § 91a ZPO angelehnte und sachwidrige - Anfrage vom 21. April 2008, ob sich der Antragsteller der Erledigungserklärung anschließe und die Aufforderung an den Antragsteller, zum Schriftsatz der Gegenseite vom 14. Februar 2008 Stellung zu nehmen, genügen der Pflicht des Landgerichts zur Sachverhaltserforschung nicht.

Der Senat sieht gleichwohl von einer erneuten Aufhebung und Zurückverweisung ab, weil auf Grund des im Rechtsbeschwerdeverfahren mitgeteilten Sachstands davon auszugehen ist, dass von vornherein nicht mit einer Abschiebung innerhalb von drei Monaten zu rechnen war und nach dem Vorbringen des Antragstellers weitere Feststellungen nicht mehr zu erwarten sind.

Der Antragsteller verweist insoweit lediglich auf die weitere Entwicklung in Bezug auf den Betroffenen und ein Abschiebungsverfahren betreffend einen marokkanischen Staatsangehörigen. In letztgenanntem Fall lag zwischen dem Aufgreifen des Ausländers am 18. Dezember 2007 und der Bestätigung der Rücknahme durch die zuständige italienische Behörde ein Zeitraum von 4 1/2 Monaten. Im Falle des Betroffenen ist zwischen der Inhaftierung des Betroffenen und der Bestätigung der Rücknahme durch das zuständige belgische Ministerium ein Zeitraum von etwas mehr als vier Monaten vergangen. Andere Beispiele, in denen eine Rückführung nach dem Dubliner Übereinkommen maximal drei Monate gedauert hätte, werden von dem Antragsteller auch nicht benannt.

Es ist auch nicht festzustellen, dass das Ausweisungsverfahren sich deshalb verzögert hätte, weil der Betroffene die Behörden über seine Identität getäuscht hat. Die Verwendung des alias-Namens und die wahre Identität des Betroffenen war dem Antragsteller ausweislich des Auszugs aus dem Ausländerzentralregister spätestens am 7. Januar 2008 bekannt und konnte sich deshalb nicht mehr verzögernd auswirken.

Es erscheint daher zwingend, dass das Amtsgericht - und nachfolgend das Landgericht - bei Kenntnis dieses Vorbringens die Prognose getroffen hätten, der Betroffene würde nicht binnen drei Monaten abgeschoben werden können.

Erweist sich der Haftbeschluss mithin als von vornherein unbegründet, ist auf den zulässigen Antrag des Betroffenen die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen (BVerfGE 104, 220).

3. Im Ergebnis zu Recht - eine Begründung enthält die angefochtene Entscheidung nicht - hat das Landgericht die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Körperschaft auferlegt, der der Antragsteller angehört (§ 16 FGG); denn der Haftantrag erweist sich nach dem Ausgeführten als nicht begründet.

III.

Auch die Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren fallen gem. § 16 FGG dem Landkreis zur Last.

Ende der Entscheidung

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