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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 03.02.2009
Aktenzeichen: 11 Wx 71/08
Rechtsgebiete: VBVG, KostO


Vorschriften:

VBVG § 5 Abs. 2 Nr. 4
VBVG § 5 Abs. 3
KostO § 31 Abs. 1
KostO § 131 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1. werden der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 27.08.2008 aufgehoben und die Vergütungsbeschlüsse des Amtsgerichts Rathenow vom 02.03.2007 dahin abgeändert, dass über die darin anerkannten Vergütungen von 814,89 € und 402,00 € hinaus weitere 276,38 € für den Zeitraum 01.07. - 15.12.2005 und 301,50 € für den Zeitraum 16.12.2005 - 15.06.2006 zur Vergütung festgesetzt werden.

Der Geschäftswert der weiteren Beschwerde wird auf 577,88 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Für die mittellose Betroffene ist seit 1999 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen und Vermögenssorge einschließlich Wohnungsangelegenheiten sowie Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Vertretung vor Ämtern und Behörden angeordnet. Die Betreuerin ist Mitarbeiterin des beschwerdeführenden Betreuungsvereins. Die Betroffene bewohnte aufgrund eines mit dem Sportgemeinschaft M. R. e.V. geschlossenen Mietvertrages bis Februar 2007 ein Zimmer im ersten Stockwerk des Hauses ...straße 76 im M. mit anteiliger Küchen-, Korridor- und Badbenutzung. Der SG M. R. e.V. schließt mit den Mietern jeweils inhaltlich gleiche Verträge zur Aufnahme in die "Betreute Wohngemeinschaft" ab, nach dem sie neben der Vermietung folgende Leistungen anbietet: Vollverpflegung, Reinigungsarbeiten, Bereitstellung von Bettwäsche, Reinigung der Gebrauchswäsche und Bekleidung, Bereitstellen von entsprechendem Mobiliar, pädagogische Betreuung und Begleitung im Rahmen des betreuten Wohnens, Begleitung und Organisation vielfältiger Freizeitmaßnahmen sowie Organisation und Durchführung von gemeinsamen Urlaubsmaßnahmen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Darstellung unter I. des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts verwiesen.

Das Amtsgericht hat durch zwei Beschlüsse vom 02.03.2007 die der Beteiligten zu 1. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 814,89 € und 402,00 € für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 15.06.2006 festgesetzt. Es hat seiner Vergütungsberechnung zugrunde gelegt, dass die Betreute in einem Heim lebe, so dass nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 VBVG ab 01.07.2005 lediglich zwei Stunden im Monat zu vergüten seien. Die hiergegen vom Beteiligten zu 1. eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluss vom 27.08.2008 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

Gegen die nicht förmlich zugestellte Entscheidung hat der Beteiligte zu 1. durch seine Verfahrensbevollmächtigten mit einem am 15.09.2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, mit der er beanstandet, Amts- und Landgericht seien zu Unrecht von einer heimmäßigen Unterbringung der Betreuten ausgegangen. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Schriftsätze vom 15.09.2008 (Bl. 218 ff. des Vergütungshefts) und vom 09.12.2008 (Bl. 229 ff. des Vergütungshefts) verwiesen. Der Beteiligte zu 2. hat ausführlich durch Schriftsatz vom 27.11.2008, auf den Bezug genommen wird, Stellung genommen (Bl. 226 ff. des Vergütungsheftes).

II.

Die statthafte, weil vom Landgericht zugelassene, form- und fristgerecht eingelegte (§§ 56 g Abs. 5 S. 2, 69 e Abs. 1 S. 1, 29 Abs. 2, 56 g Abs. 5 S. 1, 29 Abs. 1 S. 2 FGG) und auch im Übrigen zulässige weitere Beschwerde hat Erfolg. Denn die Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1. war zulässig und begründet. Die Entscheidung hängt allein von der Frage ab, ob die Betroffene im Vergütungszeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hatte. Nur dann beschränkt sich der zu vergütende Zeitaufwand auf zwei Stunden pro Monat, anderenfalls ist er mit 3,5 Stunden pro Monat anzusetzen (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VBVG).

Das Landgericht hat zur Begründung im Wesentlichen darauf abgestellt, beim sogenannten Betreuten Wohnen sei vor dem Hintergrund des Zwecks der Vergütungsregelungen dann von einem Heim auszugehen, wenn die Einrichtung Menschen aufnehme und an die Überlassung des Wohnraums umfangreiche Betreuungs- und Verpflegungsleistungen gekoppelt seien. Mit dem Begriff "aufnehmen" sei eine gewisse Intensität der Eingliederung des Bewohners verbunden. Indiz für eine solche feste Eingliederung könne die Ausstattung der Einrichtung sein, wenn diese nämlich über Therapieräume verfüge und Angebote der sozialen Betreuung, der Tagesstrukturierung oder sonstige Angebote mache, die ein Zusammenleben der Bewohner ermögliche. Die SG M. R. e.V. als Betreiberin der Wohnanlage biete ihren Bewohnern neben der Überlassung von Wohnraum umfangreiche Betreuungsleistungen sowie die Vollverpflegung an. Soweit der Beteiligte zu 1. geltend mache, die Betroffene nehme die Serviceleistungen mehr und mehr nicht in Anspruch, sondern versorge sich weitgehend selbst, betreffe dies einen Zeitraum der nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidungen sei. Das Vorbringen sei aber auch nicht geeignet, den Heimcharakter der Unterbringung der Betroffenen entfallen zu lassen, da diese für den Fall einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes auf die vertraglich vereinbarte Leistung habe zurückgreifen können, wobei der dahingehende organisatorische Aufwand innerhalb der Einrichtung erbracht werde, ohne dass dies zu einem Mehraufwand für die Betreuerin führe.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).

Die Betreute hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht in einem Heim. Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 VBVG "Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden". Die Regelung beruht auf dem 2. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts. Ziel dieses Gesetzes ist es unter anderem, mit der Einführung von pauschalierenden Stundenansätzen die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Dieses Ziel würde nicht oder nur unzulänglich erreicht, wenn der Begriff des Aufenthalts in einem "Heim" auch solche Wohnformen umfasste, deren Subsumtion unter den Heimbegriff unter Umständen umfängliche Recherchen erfordern würde. Praktisch sinnvoll erscheint danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs (BGH, Beschluss vom 23.01.2008, XII ZB 176/07). Dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zu Hause oder in einem Heim lebt. Der Aufenthalt in einem "Heim" dürfte allerdings die in anderen Wohnformen anfallenden Betreuungsaufgaben nur deshalb deutlich verringern, weil ein Heim herkömmlicherweise professionell - d. h. von einer geschulten Heimleitung und unter Heranziehung von ausgebildetem Pflegepersonal - geführt wird. Der mit einem solchen professionell geführten Heim einhergehende Organisationsapparat lässt jedenfalls mit zunehmender Dauer der Heimbetreuung eigene organisatorische Vorkehrungen des Betreuers mehr und mehr entbehrlich werden. Auch die Überwachung der täglichen Pflege kann der Betreuer unbeschadet gelegentlicher Kontrollen zumeist dem für diese Aufgabe verantwortlich zuständigen Leitungspersonal des Heims überlassen. Daraus lässt sich umgekehrt herleiten, dass Wohnformen für Betreute, die eine solche professionelle Führung durch ausgebildetes Leitungs- und geschultes Pflegepersonal nicht kennen, dem vergütungsrechtlichen Heimbegriff auch dann nicht unterfallen, wenn sie sich formal unter die in ihrem Wortlaut zu weit greifende Definition des § 5 Abs. 3 VBVG subsumieren lassen (BGH a.a.O.).

Bei einem an diesen Maßgaben orientierten Gesetzesverständnis kann die hier zu beurteilende Unterbringung der Betroffenen vergütungsrechtlich nicht als Aufenthalt in einem Heim eingestuft werden. Dazu fehlt es nach den vorliegenden vertraglichen Unterlagen an einer Organisationsstruktur, die eine heimmäßige Versorgung in dem vorstehend genannten Maße sicherstellt. Nach den vertraglichen Grundlagen bietet die SG M. R. e.V. neben der Vermietung von Wohnraum den Bewohnern eine Reihe von Betreuungsleistungen an, die von den Bewohnern der Betreuten Wohngemeinschaft in unterschiedlichem Ausmaße in Anspruch genommen werden. In welchem Umfange dies geschieht, ist den Bewohnern frei überlassen. Eine vertragliche Verpflichtung zur Annahme von Betreuungsleistungen besteht nicht. Nicht angeboten werden in dem Vertrag zur Aufnahme in die Betreute Wohngemeinschaft Pflegeleistungen. Bei einer solchen vertraglichen Gestaltung erscheint eine umfassende, von der aktuellen Situation des Betroffenen grundsätzlich unabhängige und dadurch den Betreuer dauerhaft entlastende Versorgungsgarantie schon im Ansatz nicht gewährleistet, so dass es auf die weitere - unterschiedlich beantwortete - Frage wie weit die Versorgungsgarantie im Falle der Verschlechterung des Gesundheitszustandes gehen muss, nicht ankommt (vgl. dazu OLG Dresden, Beschluss vom 21.04.2006 - 3 W 0446/06 - einerseits und OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.02.2007 - 8 W 519/06 - andererseits).

Daraus folgt, dass die Betroffene sich im Vergütungszeitraum nicht in einem Heim aufgehalten hat. Die Beteiligte zu 1. beansprucht daher zu Recht einen Stundenansatz von monatlich 3,5 Stunden, so dass für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 15.12.2005 weitere 276,38 € (5 1/2 Monate x 1,5 Stunden Mehransatz x 33,50 €) sowie für den Zeitraum vom 16.12.2005 bis 15.06.2006 weitere 301,50 € (6 Monate x 1,5 Stunden x 33,50 €) zu Lasten der Staatskasse festzusetzen sind.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf §§ 131 Abs. 2, 31 Abs. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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