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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 12 U 130/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 a. F.
BGB § 847 a. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

12 U 130/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski, den Richter am Oberlandesgericht Funder und die Richterin am Landgericht Dr. Scheiper

am 7. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das am 23. Juni 2006 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin, Az.: 3 O 98/04, wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Feststellung einer Ersatzpflicht für Folgeschäden wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers in Anspruch.

Der seinerzeit rund 2 1/2jährige Kläger wurde am 28.04.2001 von einer Zecke gebissen. Die Beklagte, die damals Hausärztin der Familie des Klägers war, verabreichte dem Kläger am 02.05.2001 das von der Streithelferin der Beklagten zu 3) hergestellte Präparat FSME-Bulin. Bei diesem Immunglobulinpräparat handelt es sich um eine Lösung, die einen hohen Antikörpergehalt gegen das FSME-Virus enthält.

Das Präparat war zunächst ca. 15 Jahre unbeschränkt auf dem Markt. Seit dem 01.02.1997 ruhte die Zulassung des FSME-Bulin für Kinder, seit Oktober 1999 war die Zulassung für Kinder unter 14 Jahren erloschen. Hintergrund des Erlöschens der Zulassung war, dass eine Erkrankung bei Kindern nach einer Infektion mit dem FSME-Virus zumeist ohne bleibende Folgen verläuft, in den 15 Jahren der Marktpräsenz von FSME-Immunglobulinen jedoch 13 Fälle bekannt geworden waren, in denen bei Kindern schwere Krankheitsverläufe von FSME auftraten, nachdem diese Kinder mit FSME-Immunglobulinen behandelt worden waren.

Der Kläger ist etwa 6 Tage nach dem Zeckenbiss erkrankt, wobei u. a. Verhaltensauffälligkeiten und eine leichte Temperaturerhöhung auftraten. Zwischenzeitlich wurden ihm eine tief greifende Entwicklungsstörung mit autistischen Verhaltensweisen, motorischen Koordinationsstörungen sowie eine Lernbehinderung attestiert.

Der Kläger behauptet, Ursache dieser Beeinträchtigung sei die Verabreichung des seinerzeit für seine Altersklasse nicht zugelassenen Passivimpfstoffs gewesen.

Das Landgericht hat die auf Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldbetrags, der jedoch mindestens 50.000,00 € betragen sollte, sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für alle auf den Impfschaden vom 02.05.2001 ursächlich zurückzuführenden Folgeschäden gerichtete Klage abgewiesen. Es hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Ursächlichkeit des in der Verabreichung des Präparats trotz fehlender Zulassung für Kinder liegenden Behandlungsfehlers für die vom Kläger dargelegte Gesundheitsbeeinträchtigung stehe nicht fest. Dem Kläger komme keine Beweiserleichterung zu Gute, da der Behandlungsfehler der Beklagten kein grober Fehler gewesen sei. Darüber hinaus sei ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und den Beeinträchtigungen des Klägers nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ausgeschlossen, denn der Kläger sei nicht an FSME erkrankt gewesen. Die Gabe der FSME-Immunglobuline könne daher den Verlauf einer FSME-Erkrankung nicht verstärkt haben. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung. Zur Begründung trägt er vor, die Pflichtverletzung der Beklagten sei als grobe Pflichtverletzung zu bewerten, denn die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sich vor Verabreichung des Medikaments über dessen Zulassung auch für Kinder zu vergewissern. Dies sei ihr unter anderem deshalb leicht möglich gewesen, weil sich aus dem Beipackzettel des Medikaments der eingeschränkte Anwendungsbereich nur für Personen ab 14 Jahre ergebe. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Verabreichung des Medikaments und Auftreten von Krankheitssymptomen spreche für einen Ursachenzusammenhang; die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen seien nicht überzeugend.

Die Beklagte und die Streithelfer der Beklagten zu 1) und 3) treten dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegen. Sie vertiefen ihre Auffassungen, die Pflichtverletzung der Beklagten stehe in keinem Zusammenhang mit den Beeinträchtigungen des Klägers. Da es an einer groben Pflichtverletzung fehle, treffe den Kläger diesbezüglich die Beweislast; selbst bei Vorliegen einer groben Pflichtverletzung verbliebe die Beweislast für den Ursachenzusammenhang beim Kläger, weil der Behandlungsfehler generell nicht geeignet sei, den Schaden herbeizuführen. Im Übrigen sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der fehlende Kausalzusammenhang bewiesen, da der Kläger keine durch das FSME-Virus hervorgerufene Enzephalitis gehabt habe.

II.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 S. 1, 119 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung weder nach §§ 823, 847 BGB a. F. noch - soweit es um materielle Schäden geht - nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung zu. Zwar war die von der Beklagten vorgenommene Behandlung, wie zwischen den Parteien auch unstreitig ist, deshalb fehlerhaft, weil das verabreichte Immunglobulin für die Altersgruppe des Klägers nicht zugelassen war. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten setzt jedoch weiter voraus, dass die dem Kläger attestierten Beeinträchtigungen Folge der von der Beklagten durchgeführten Behandlung sind. Diese Voraussetzung hat das Landgericht zu Recht verneint.

Die Beweislast für die ursächliche Verknüpfung zwischen dem der Beklagten unterlaufenen Behandlungsfehler und seinen Beeinträchtigungen trägt der Kläger. Daran vermag auch die Annahme des vom Kläger gerügten groben Behandlungsfehlers - dessen Vorliegen in Betracht kommt aber letztlich dahingestellt bleiben kann - nichts zu ändern. Auch bei groben Behandlungsfehlern gilt der Grundsatz einer Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden (vgl. hierzu Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Auflage, Abschnitt B Rn. 157) nicht uneingeschränkt.

Die Beweislastumkehr findet ihre Rechtfertigung unter anderem in dem Gedanken, dass in der Regel der ärztliche Fehler ein Aufklärungserschwernis in das Behandlungsgeschehen hineinträgt, und das Spektrum der für den Misserfolg der Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers verbreitert bzw. verschoben worden ist (BGH NJW 1988, 2303 (2304); BGH NJW 1983, 333 (334)). Deshalb verbleibt die Beweislast ausnahmsweise auch bei einem groben Behandlungsfehler unter anderem dann beim Patienten, wenn der haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist oder wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (BGH NJW 2005, 427 (428); BGH NJW 1998, 1782 (1784); BGH NJW 1995, 1611 (1612); BGH VersR 1991, 821 (822); BGH VersR 1984, 444 (445); BGH NJW 1981, 2513 (2514)). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D... hätte die Verabreichung des FSME-Immunglobulins lediglich dann Auswirkungen auf das beim Kläger eingetretenen Krankheitsgeschehen haben können, wenn der Kläger an einer FSME-Enzephalitis erkrankt wäre. Dies korreliert mit der auch vom Kläger dargelegten Auffassung, die Gabe von FSME-Immunglobulinen sei bei an FSME erkrankten Kindern kontraindiziert, weil die Immunglobuline den Verlauf der Erkrankung verschlimmern könnten, und eine solche Verschlimmerung sei bei ihm eingetreten.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich indessen nicht feststellen, dass der Kläger eine FSME-Infektion erlitten hatte. Der Sachverständige Dr. D... hat sowohl das klinische Bild und den Verlauf einer Frühsommermeningoenzephalitis mit den umfassend dokumentierten, beim Kläger aufgetretenen Auffälligkeiten abgeglichen als auch die Laborwerte von Serum und Liquor des Klägers mit den bei einer FSME-Erkrankung auftretenden Laborwerten verglichen. Er ist auf dieser Grundlage zu dem Schluss gekommen, dass sowohl das klinische Bild als auch die Laborwerte die Annahme einer FSME-Erkrankung des Klägers nicht rechtfertigen könnten, und er hat diese Annahme durch Überprüfung anhand der EEG-Untersuchungsbefunde abgesichert.

Soweit der Kläger die Feststellungen des Sachverständigen mittels Bezugnahme auf das Privatgutachten Dr. H... angreift, ist dies nicht geeignet, die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Die Ausführungen des Dr. H... beschäftigen sich weder mit dem für eine FSME-Erkrankung untypischen Verlauf der Beschwerden des Klägers noch erklären sie nachvollziehbar die unauffälligen EEG-Befunde oder die in ihrer Gesamtheit nicht auf eine FSME-Erkrankung hindeutenden Laborparameter.

Für einen Ursachenzusammenhang zwischen der Behandlung der Beklagten und den bei dem Kläger aufgetretenen Beschwerden spricht auch nicht der Beweis des ersten Anscheins. Ein zeitlich plausibler Zusammenhang zwischen einer Behandlung und dem Auftreten von Beschwerden genügt für die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht (OLG Stuttgart VersR 2002, 577; OLG München VersR 1997, 314 jeweils zur Arzneimittelhaftung).

III.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst. Gründe, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren rechtfertigen könnten (vgl. BGH NJW 2003, 1126), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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