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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 12 U 167/06
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, StVG, BGB, StVO


Vorschriften:

ZPO § 164 Abs. 1
ZPO § 164 Abs. 3
ZPO § 165
GVG § 169
GVG § 171 b
GVG § 172
StVG § 7
StVG § 17
StVG § 18
BGB § 253 Abs. 2 S. 2
BGB § 823 Abs. 1
StVO § 4 Abs. 1
StVO § 5 Abs. 4 a
StVO § 9 Abs. 1 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 U 167/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 11.10.2007

Verkündet am 11.10.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski sowie die Richter am Oberlandesgericht Beckmann und Funder

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. Juli 2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 2 O 136/06, teilweise abgeändert:

1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 1.928,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2005 zu zahlen.

2. Die Beklagen werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2005 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger als Gesamtschuldner den künftig eintretenden materiellen Schaden sowie künftig eintretende immaterielle Schäden unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Klägers von 60 % aus dem Verkehrsunfall vom 22. Mai 2005 auf der Bundesstraße ... in der Nähe der Ortslage A... zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

4. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 100,06 € (außergerichtliche Anwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juni 2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung sowie die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 60 % und die Beklagten 40 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg.

Soweit die Beklagten in verfahrensrechtlicher Hinsicht das Urteil deshalb für fehlerhaft erachten, weil die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht am 26.06.2006 laut Protokoll als "Nichtöffentliche Sitzung" durchgeführt worden sei, so folgt daraus nicht, dass die mündliche Verhandlung tatsächlich in nichtöffentlicher Sitzung durchgeführt wurde. Entsprechendes behaupten die Beklagten auch nicht, weshalb ihr Einwand ohnehin unverständlich erscheint. Es handelt sich bei der Angabe im Protokoll ersichtlich um ein Schreibversehen, welches grundsätzlich gem. § 164 Abs. 1 ZPO berichtigt werden kann, allerdings gem. § 164 Abs. 3 ZPO durch den das Protokoll unterschreibenden Richter. Auch ohne eine solche bisher nicht erfolgte Berichtigung kann aber davon ausgegangen werden, dass die Sitzung nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit und damit entgegen § 169 GVG durchgeführt wurde. Da es sich vorliegend nicht um eine Familiensache handelt und das Protokoll auch im Übrigen keinen ansonsten erforderlichen Beschluss über eine Ausschließung der Öffentlichkeit gem. §§ 171 b, 172 GVG enthält, ist die Protokollierung hinsichtlich der Überschrift lückenhaft, weshalb die formelle Beweiskraft des § 165 ZPO nicht greift, sondern eine Lücke besteht, die der Auslegung zugänglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht hier tatsächlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat stattfinden sollen, sind nirgends erkennbar und werden auch von den Beklagten nicht genannt.

Dem Kläger stehen in tenoriertem Umfang Schadensersatzansprüche gegenüber den Beklagten aus §§ 7, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 S. 2 BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG zu, und zwar unter Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 60 %.

Dem Unfall liegt zunächst eine Pflichtverletzung des Beklagten zu 1. zugrunde. Das Landgericht hat insoweit einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO angenommen; dem schließt sich der Senat an, wobei die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts mit der Berufung auch nicht ausdrücklich in Frage gestellt werden, sondern der Schwerpunkt der Argumentation der Beklagten liegt darin, dass der Verursachungsbeitrag des Klägers durch das Landgericht nicht in der gebotenen Form gewichtet worden sei. Dies trifft nur bedingt zu. Zu Recht hat das Landgericht dem Beklagten zu 1. vorgeworfen, den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten zu haben. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang die eigene Unfalldarstellung des Beklagten zu 1. heranzieht, ist dies nicht zu beanstanden. In der Klageerwiderung hatten die Beklagten vorgetragen, dass sich der Beklagte zu 1. kurz vor dem Unfall 30 -40 m hinter dem Kläger befunden habe. Gleich hinter der Kurve wären die beiden Fahrer dann fast auf gleicher Höhe gewesen. Im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte zu 1. erklärt, er sei seitlich versetzt links hinter dem Kläger gefahren, der weit rechts auf der Fahrbahn gefahren sei. Diese seitliche Versetzung habe etwa bis zu 40 cm betragen. Aufgrund dieser Angaben sowie zusätzlich der Bekundungen der Zeugin Rü..., die bereits im Ermittlungsverfahren angegeben hatte, der Beklagte zu 1. sei offensichtlich im Überholen begriffen gewesen und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, dass aus ihrer Sicht der Beklagte zu 1. den Eindruck vermittelte, dass er überholen wolle, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Beklagte zu 1. ersichtlich in einer Entfernung zum Klägerfahrzeug befunden hat, die ein rechtzeitiges Reagieren auf ein Bremsmanöver des vorausfahrenden Klägers nicht mehr ermöglichte. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr darauf an, ob gegen den Beklagten zu 1. als auffahrendes Fahrzeug der Beweis des ersten Anscheins eines unaufmerksamen Fahrverhaltens seinerseits spricht, da vor dem Hintergrund der vorherigen Feststellungen ein entsprechender Verkehrsverstoß als erwiesen betrachtet werden kann. Dass der Beklagte zu 1. einen entsprechenden Überholvorgang rechtzeitig i.S.v. § 5 Abs. 4 a StVO angekündigt hat, ist nicht ersichtlich.

In Bezug auf ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers hat das Landgericht in der Tat den von dem Beklagten behaupteten Verursachungsbeitrag nicht hinreichend gewürdigt und eine insoweit gebotene weitergehende Aufklärung durch Anordnung einer Beweisaufnahme unterlassen. Zu Recht hat das Landgericht allerdings einen Verstoß des Klägers gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO angenommen, denn nach dieser Vorschrift ist vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Dass der Kläger sich unmittelbar vor dem von ihm behaupteten Einordnen nach links hinsichtlich einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs vergewissert hat, ist bereits seiner eigenen Darstellung nicht zu entnehmen. Vielmehr hat er vor der Kurve den Beklagten zu 1. in weiter Entfernung wahrgenommen. Nachdem er sich in der Kurve befunden hat, ist seinen Angaben nicht zu entnehmen, dass er vor dem Hinbewegen nach links zum Mittelstreifen noch einmal den nachfolgenden Verkehr beachtet hat, sondern er will nach links geblinkt, sich nach links zum Mittelstreifen hin eingeordnet und weiter gebremst haben. Von einer Beachtung des nachfolgenden Verkehrs ist dabei nicht die Rede; auch der Zeuge Pü..., Sozius auf dem Motorrad des Klägers, hat nicht wahrgenommen, dass der Kläger sich durch eine Rückschau des nachfolgenden Verkehrs vergewissert hat. Soweit das Landgericht dem Kläger weiter vorgehalten hat, er habe durch das Anhalten vor dem Linksabbiegen eine unnötige besondere Gefährdung des Beklagten zu 1. herbeigeführt, so überzeugt dies nicht, da das Landgericht keine näheren Feststellungen zu der Frage trifft, inwieweit das Anhalten tatsächlich unnötig war. Unabhängig davon kann von einem Anhalten des Klägerfahrzeugs auch nicht ohne weiteres als feststehend ausgegangen werden.

Zu berücksichtigen ist aber, dass nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme der Kläger dadurch eine besondere Gefahrenlage geschaffen hat, dass er vor dem Abbiegen zunächst einen Schlenker nach rechts gefahren ist, um sodann das Abbiege- bzw. Wendemanöver einzuleiten. Damit ist allerdings nur in Teilen der von den Beklagten behauptete Tatsachenvortrag zum Unfallhergang bestätigt worden. Nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger ohne den Blinker zu setzen unvermittelt vom rechten Fahrbahnrand zur Mitte hin herübergezogen ist. Hinsichtlich des Setzens des Blinkers hat der Zeuge Pü... angegeben, er habe gesehen, dass der Blinker eingeschaltet gewesen sei, wobei er dies allerdings nur daran hat erkennen können, dass im Bereich der Armaturen die grüne Lampe aufgeleuchtet habe. Dies habe er durch einen Blick über die Schulter des Klägers wahrgenommen. Die Zeugin Rü... hat zwar ein Blinklicht nicht wahrgenommen, hat allerdings auch eingeräumt, hierauf nicht gezielt geachtet zu haben, weshalb sie nicht ausschließen konnte, dass der Blinker nicht möglicherweise doch gesetzt worden ist. Ansonsten hat sie aber, wie sie glaubhaft bekundet hat, das Geschehen im Einzelnen wahrgenommen, denn sie wurde auf die beiden Motorräder aufmerksam, weil sich diese mit einem lauten Geräusch in ihre Richtung hin näherten, während es ansonsten ruhig war. Ihr waren also die Motorräder aufgrund der Lautstärke besonders aufgefallen, weshalb sie diesen auch ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dabei hat sie wahrgenommen, dass das vorausfahrende Motorrad aus ihrer Sicht unerwartet in den Feldweg hat einfahren wollen, und zwar mit einem vorherigen Schlenker nach rechts. Sie hat angegeben, sie wäre jedenfalls nicht in einem so steilen Winkel abgebogen. Zwar hat der Zeuge Pü... diesen Vorgang so nicht bestätigt; er hat aber angegeben, dass er davon ausgegangen ist, dass der Kläger beabsichtigte, an der fraglichen Stelle umzudrehen und wieder zum Ausgangspunkt zurückzufahren, da es sich bei der Fahrt lediglich um eine Probefahrt handelte. In diese Beschreibung fügt sich nahtlos die von der Zeugin Rü... geschilderte überraschende Ausweichbewegung nach rechts ein, weshalb der Senat keine Veranlassung sieht, an der Richtigkeit der Angaben der Zeugin zu zweifeln. Da aber ansonsten nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger ohne jede vorherige Anzeige unversehens am rechten Fahrbahnrand fahrend nach links herübergezogen ist, führt das feststellbare Fehlverhalten des Klägers nicht zu seiner Alleinhaftung, allerdings zu seiner überwiegenden Haftung. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Beklagte zu 1. deutlich zu dicht aufgefahren ist, und des dem Kläger vorzuwerfenden Fehlverhaltens im Rahmen des Abbiege- bzw. Wendemanövers erscheint eine Haftung von 60 : 40 zulasten des Klägers angemessen.

Hinsichtlich der materiellen Schäden hat das Landgericht unbeanstandet einen Schaden in Höhe von 4.821,26 € für begründet erachtet, woraus unter Berücksichtigung der genannten Quote ein Anspruch des Klägers in Höhe von 1.928,50 € folgt. Hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten war eine Reduzierung auf 100,06 € vorzunehmen.

Soweit die Beklagten hinsichtlich des Schmerzensgeldes beanstanden, dieses sei unter Berücksichtigung der behaupteten Unfallfolgen übersetzt, so ist dem nicht zu folgen. Das Landgericht hat unter Heranziehung von aus seiner Sicht vergleichbaren Entscheidungen und unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers von 50 % einen Betrag von 3.000,00 € für angemessen erachtet. Die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts erweisen sich weitgehend als tragfähig, wobei allerdings richtig ist, dass das Landgericht die nach Durchführung eines MRT festgestellte Fibularköpfchenmehrfragmentfraktur dem Unfall zugeordnet hat, obwohl die Beklagten die Ursächlichkeit bestritten hatten. Soweit das Landgericht gemeint hat, es sei nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass der Kläger diese Verletzung schon vor dem Unfall hatte, so ist diese Feststellung in dieser Allgemeinheit zwar nicht ganz unbedenklich, jedoch im vorliegenden Fall vertretbar, denn der Bericht des Klinikums ... vom 25.05.2005 weist bereits auf eine Verletzung des Knies hin, wobei ausgeführt wird, dass keine Frakturen im Bereich des linken Knies vorhanden sind. Es wird aber eine MRT-Untersuchung des linken Knies empfohlen. Dass diese Untersuchung erst am 29.06.2005 erfolgte, begründet der Kläger unwiderlegt damit, dass das MRT-Gerät im R... P...-Krankenhaus, in das der Kläger überwiesen worden war, defekt gewesen sei. Da es in der Tat keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Kläger bereits vor dem Unfall Beschwerden am Knie gehabt hat, dies aber jedenfalls nach dem Unfall der Fall war und in durchaus noch engem zeitlichen Zusammenhang eine Untersuchung vorgenommen wurde, die die Verletzung des Kniegelenks bestätigt, ist ein Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen nicht ernsthaft zu bezweifeln. Vor diesem Hintergrund wäre es Sache der Beklagten gewesen, zumindest Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass die Verletzung nicht auf den Unfall zurückzuführen ist. Unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzungen und der Mithaftung des Klägers erscheint ein Schmerzensgeld von 2.000,00 € angemessen.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 14.09.2007 und 01.10.2007 befassen sich lediglich mit der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme und bieten keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1, 2, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es handelt sich um eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles, die deshalb ohne grundsätzliche Bedeutung ist und die auch nicht von anders lautender höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung zu bestimmten Grundsatzfragen abweicht.

Streitwert für das Berufungsverfahren: insgesamt 13.946,33 € (4.821,26 € für den Antrag zu 1., 5.000,00 € für den Antrag zu 2., 4.000,00 € für den Antrag zu 3. und 125,07 € für den Antrag zu 4.).

Ende der Entscheidung

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