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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 15.06.2006
Aktenzeichen: 12 U 188/05
Rechtsgebiete: VVG, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 1 Abs. 1
VVG § 6 Abs. 3
AKB § 12 Nr. 1 II e)
AKB § 13
AKB § 7 V Abs. 4
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Im Namen des Volkes

Urteil

12 U 188/05

Verkündet am 15.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. November 2005 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az.: 2 O 319/05, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.796,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. August 2005 zu zahlen, wobei ein zweitstelliger Teilbetrag in Höhe von 5.796,78 € an die Fa. E zu zahlen ist.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von sämtlichen darüber hinausgehenden Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Reparaturkostenrechnung des Autohauses E aufgrund deren nicht pünktlichen Zahlung (Gerichtskosten, Anwaltskosten, Gerichtsvollzieherkosten und sonstige Vollstreckungskosten) freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt materiellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 06.04.2005. Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Beklagte, bei der das Fahrzeug der Klägerin kaskoversichert ist, aufgrund einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin leistungsfrei geworden ist, weil die Klägerin die in der Schadensanzeige aufgeführte Frage nach Vorschäden den Tatsachen widersprechend verneint hat, da die Klägerin gegenüber der Beklagten bereits im Januar 2005 einen Schaden an dem Fahrzeug angezeigt hatte. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hat gemeint, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte Kenntnis von dem Vorschaden gehabt habe. Für ihre Behauptung, bei der Beklagten erfolge ein üblicher und standardisierter EDV-Abgleich, habe die Klägerin keinen Beweis angetreten. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter und behauptet unter Zeugenbeweisantritt, die Beklagte überprüfe standardisiert in ihrer EDVDatenbank die Angaben der Versicherungsnehmer hinsichtlich etwaig vorhandener Vorschäden. Die Beklagte hält den unter Beweisantritt erfolgten Vortrag der Klägerin für verspätet und bestreitet ihn im Übrigen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versicherungsleistungen gem. § 1 Abs. 1 VVG, §§ 12 Nr. 1 II e), 13 AKB. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Beklagte von ihrer Leistungsverpflichtung nicht gem. §§ 7 V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG frei geworden. Grundsätzlich führt zwar die Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten, wie z. B. die unzutreffende Verneinung der Frage nach Vorschäden (vgl. § 7 I Nr. 2 S. 3 AKB) zur Leistungsfreiheit des Versicherers, so er sich darauf beruft, denn die Aufklärungsobliegenheiten sollen den Versicherer in die Lage versetzen, sachgemäße Entschlüsse zu fassen. Fehlt aber das entsprechende Aufklärungsbedürfnis des Versicherers deshalb, weil er einen maßgeblichen Umstand bereits kennt, verletzen unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers und rechtfertigen deshalb auch nicht dessen Leistungsfreiheit (BGH NJW 2005, 1185, 1186). Allerdings kann sich der Versicherungsnehmer nicht darauf berufen, der Versicherer habe den wahren Sachverhalt von dritter Seite rechtzeitig erfahren oder sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig beschaffen können (BGH a.a.O.). Entscheidend ist, ob der Versicherer eine sichere und aktuelle Kenntnis von den aufklärungsbedürftigen Tatsachen hat, wobei er grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die ihm zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten (hauseigenen EDV- oder Informationssysteme Dritter) abzurufen, um die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers z. B. zur Frage des Vorliegens von Vorschäden zu überprüfen (OLG Köln Schaden-Praxis 2005, 170, 171; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2003, 179; KG NVersZ 1999, 329; OLG Hamm VersR 1990, 195). Grundsätzlich sind dem Versicherer die Daten, die in Datenbanken gesammelt werden, nur dann als bekannt zuzurechnen, wenn Anlass bestand, diese Daten abzurufen. Dieser Ausgangslage steht der Fall gleich, in dem der Versicherer seine Schadenssachbearbeiter anweist, im Rahmen der Erstbearbeitung des Schadensfalles stets anhand der Datenbestände zu überprüfen, ob bezüglich des versicherten Fahrzeugs Vorschäden verzeichnet sind, denn dann ist ein Aufklärungsinteresse des Versicherers hinsichtlich der Vorschäden nicht ersichtlich (OLG Oldenburg VersR 2005, 782, 783; KG VersR 2002, 703). Der Anlass der Nachprüfung besteht in einem solchen Fall durch die allgemeine Anweisung des Versicherers. Besteht eine solche Anweisung oder werden Daten zu etwaigen bei demselben Versicherer abgewickelten Schadensfällen automatisch bei der Bearbeitung des Schadensvorganges angezeigt, ist die Frage in dem Schadensformular nach Vorschäden dahin zu verstehen, dass damit jedenfalls nicht diejenigen Vorschäden gemeint sind, die zuvor über denselben Versicherer abgewickelt wurden, da der Versicherer diese Kenntnis stets über seine eigenen Datenbestände erlangt (vgl. KG a.a.O.). So liegt der Fall nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme auch hier.

Grundsätzlich ist der Versicherer für die Frage des Vorliegens einer Obliegenheitspflichtverletzung des Versicherungsnehmers darlegungs- und beweispflichtig. Steht aber, wie hier, eine Falschangabe im Schadensanzeigeformular fest, ist es Sache des Versicherungsnehmers, darzulegen und zu beweisen, dass es an einem Aufklärungsbedürfnis beim Versicherer fehlt. Ein dahingehender Beweisantritt durch Vernehmung zweier Mitarbeiter der Beklagten ist mit der Berufungsbegründung erfolgt. Der erstmalige Beweisantritt im Berufungsverfahren ist gem. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, da es das Landgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, die Klägerin rechtzeitig auf das Fehlen eines geeigneten Beweisantrittes hinzuweisen (§ 139 Abs. 1 ZPO). Aus dem Sitzungsprotokoll zur mündlichen Verhandlung ergibt sich vor dem Hintergrund der protokollierten Hinweise eine Tendenz des Landgerichts, eine Obliegenheitsverletzung zu verneinen, und zwar sowohl wegen fehlender Aufklärungsbedürftigkeit der Beklagten als auch wegen Fehlen eines erheblichen Verschuldens der Klägerin. Bevor das Landgericht dann letztlich doch in beiden Punkten anders entschied, hätte es die Klägerin auf den fehlenden Beweisantritt hinweisen müssen, wenn es genau diesen nicht unter Beweis gestellten Tatsachenvortrag für entscheidungserheblich hielt.

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art standardisiert mit den sich aus der zur Verfügung stehenden Datenbank ergebenden Mitteln stets überprüft wird, ob die Verneinung der Frage nach Vorschäden den Tatsachen entspricht. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass bereits der Beklagtenvortrag dazu, dass es nicht zu einer routinemäßigen Überprüfung im Hause der Beklagten komme, wenig plausibel erscheint. Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 17.10.2005 ausgeführt hat, eine Überprüfung erfolge nur, wenn ein bestimmter Verdacht bestehe, der hier aber nicht bestanden habe, und lediglich aufgrund einer Anfrage bei U.. festgestellt worden sei, dass für das klägerische Fahrzeug ein Vorschaden registriert gewesen sei, erscheint dies bereits in sich widersprüchlich, denn wenn ein bestimmter Verdacht nicht bestanden hat, ist unverständlich, weshalb hier eine Anfrage bei U..., also bei einem externen Datenerfassungssystem erfolgte. Unabhängig davon hat aber auch die Vernehmung der Zeugen I... und S... ergeben, dass eine Überprüfung der Angaben zu den Vorschäden automatisch erfolgt. So haben beide Zeugen übereinstimmend angegeben, dass bereits mit der Anlegung des Schadensfalles, der häufig - so auch hier - telefonisch gemeldet wird, eine automatische Mitteilung aus der Datenbank darüber erfolgt, dass der Kunde bereits einen Schaden gemeldet hat. Daraus soll sich zwar nach den Bekundungen der Zeugen nicht ergeben, dass sich die Schadensmeldung auch auf dasselbe Fahrzeug bezog; gleichwohl wird der Schadenssachbearbeiter aber von Anfang an darauf aufmerksam gemacht, dass der Kunde bereits einen Schaden gemeldet hat, wobei diese automatische Schadensanzeige nur dann einen Sinn macht, wenn dem seitens des Sachbearbeiters nachgegangen wird, insbesondere, wenn die Frage nach Vorschäden verneint wird. Darüber hinaus hat die Zeugin S... angegeben, dass je nach Schadenshöhe eine Anfrage bei U.... erfolgt, wobei der Schadenssachbearbeiter die Möglichkeit hat, auf die U...-Datei direkt Zugriff zu nehmen. Dahingehende Ermittlungen werden nach den glaubhaften Angaben der Zeugin S... bei einer Schadenshöhe von etwa 4.000,00 € bis 5.000,00 € angestellt. Der Zeuge I... hat ebenfalls glaubhaft bestätigt, dass bei erheblichen Schäden, die er bereits in einer Größenordnung von 2.000,00 € bis 2.500,00 € angesiedelt hat, eine Überprüfung der Angaben zu den Vorschäden erfolgt. Da der von der Klägerin bezifferte Schaden bei etwa 6.800,00 € liegt, handelte es sich um einen erheblichen Schaden, der mithin stets eine Überprüfung der Angaben zu den Vorschäden zur Folge hat, weshalb der erst kurze Zeit zuvor bei der Beklagten abgewickelte Schadensfall in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug als bekannt vorausgesetzt werden kann und es damit an einem Aufklärungsbedürfnis der Beklagten fehlte.

Dem schlüssigen Vortrag der Klägerin zur Höhe des geltend gemachten Schadens ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es handelt sich um eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles, die sich an der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert, ohne von ihr in einem gleich gelagerten Fall abzuweichen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.296,78 €



Ende der Entscheidung

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