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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 12 U 208/06
Rechtsgebiete: StVG, StVO, ZPO


Vorschriften:

StVG § 17 Abs. 1
StVO § 9 Abs. 1 S. 1
StVO § 9 Abs. 1 S. 2
StVO § 9 Abs. 1
StVO § 4 Abs. 1 S. 1
ZPO § 156
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 U 208/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Verkündet am 14.06.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski sowie die Richter am Oberlandesgericht Beckmann und van den Bosch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. September 2006 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 13 O 167/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Klage und Widerklage sind jeweils im vom Landgericht erkannten Umfang begründet. Zu Recht ist das Landgericht dabei im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. § 17 Abs. 1 StVG zu einer Haftungsverteilung von 1/3 zulasten der Klägerin und 2/3 zulasten der Beklagten gelangt.

1.

Dem Beklagten zu 2. ist ein Verkehrsverstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 1 und 2 StVO vorzuwerfen, denn nach dem Ergebnis der beim Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte zu 2. seine Abbiegeabsicht nach links nicht rechtzeitig angezeigt hat, wodurch sich die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr erhöht hat. Dabei kann dahinstehen, ob durch das Fehlverhalten des Beklagten zu 1. die sich hinter dem Beklagtenfahrzeug befindlichen Fahrzeuge zu einer Notbremsung gezwungen wurden, denn jedenfalls ist der genannte Verkehrsverstoß zulasten des Beklagten zu berücksichtigen. Dass aufgrund des Fehlverhaltens des Beklagten zu 1. dem hinter ihm befindlichen Fahrzeug, in dem sich auch der Zeuge M... befand, ein müheloses Anhalten möglich war, kann zudem nicht festgestellt werden. Vielmehr hat der Zeuge M... in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht geschildert, dass das vorausfahrende Beklagtenfahrzeug plötzlich gebremst habe, links an den Mittelstreifen gezogen sei und den Blinker gesetzt habe, wobei das Fahrzeug erst gebremst und dann geblinkt habe. Man habe so gerade noch bremsen können. Dass das dem Beklagtenfahrzeug nachfolgende Fahrzeug nach der Schätzung des Zeugen möglicherweise noch mit einem Abstand von 1 m von dem vorausfahrenden Fahrzeug zum Stehen gekommen ist, ändert nichts daran, dass es sich aus der Sicht des Zeugen M... um die Einleitung eines unvermittelten Linksabbiegevorganges gehandelt hat, der mangels rechtzeitiger Anzeige einer solchen Absicht für den Zeugen M... völlig überraschend kam. Hat der Beklagte zu 2. aber erst unmittelbar vor der Einmündung abgebremst und nach den Angaben des Zeugen auch erst danach den Blinker gesetzt und sich zur Fahrbahnmitte hin orientiert, konnte sich der nachfolgende Verkehr auf diese Verkehrssituation nicht mehr einstellen, weshalb ein etwaiges Blinkersetzen und leichtes Heranfahren zur Mittellinie nicht mehr rechtzeitig i.S.v. § 9 Abs. 1 StVO erfolgten. Dass der Beklagte zu 2. sich entgegen dieser Feststellungen verkehrsgerecht verhalten hat, lässt sich nicht einmal seinem eigenen Vorbringen entnehmen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht lediglich angegeben, er habe schon 3 - 5 sek. in der Kreuzung gestanden, als er hinter sich ein Quietschen gehört habe. Dass er aber rechtzeitig vor der Kreuzung sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hat und den Blinker gesetzt hat, ist seinen Angaben nicht zu entnehmen. Auch schriftsätzlich wurde Entsprechendes nicht vorgetragen. Das Abbiegen i.S.v. § 9 Abs. 1 StVO beginnt auch bereits mit der Rückschaupflicht, dem Blinken und dem Einordnen und nicht erst mit Beginn des tatsächlichen Einbiegevorganges, also mit dem Bogenfahren (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 9 Rn. 16). Die anders lautende Auffassung des OLG Frankfurt (VersR 1973, 845, 846) überzeugt nicht (vgl. dazu auch die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Förste). Nicht allein von dem eigentlichen Abbiegevorgang gehen erhebliche Gefahren aus, sondern bereits eine Missachtung der diesen Abbiegevorgang vorbereitenden fahrtechnischen Maßnahmen führt zu einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs. Auch der Wortlaut von § 9 Abs. 1 StVO steht dem nicht entgegen, denn danach wird bereits auf den Willen zum Abbiegen abgestellt, und nicht auf den Beginn des eigentlichen Abbiegevorganges.

Der Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2. hat sich auch auf die nachfolgenden Fahrzeuge ausgewirkt, die sämtlichst ihrerseits zu einem plötzlichen Abbremsen veranlasst wurden. Dem steht der Umstand, dass das sich unmittelbar hinter dem Beklagtenfahrzeug befindliche Fahrzeug noch hat anhalten können, nicht entgegen. Feststeht, dass der viel zu spät angekündigte Abbiegevorgang die nachfolgenden Fahrzeuge überraschte mit der Folge, dass ihnen - jedenfalls zum Teil - ein rechtzeitiges Anhalten nicht mehr gelungen ist. Inwieweit dabei die von diesen Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist, ist eine andere Frage; jedenfalls wird der Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. und dem Auffahren der nachfolgenden Fahrzeuge nicht allein dadurch unterbrochen, dass dem unmittelbar nachfolgenden Fahrzeug so gerade noch ein rechtzeitiges Anhalten gelungen ist.

2.

Ungeachtet dessen, dass die Klägerin auf das ihr vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren ist, spricht gegen sie nicht der Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes Verhalten ihrerseits. Ein solcher Anscheinsbeweis kommt grundsätzlich auch bei einem so genannten Kettenauffahrunfall für den letzten Fahrer der Kette, hier der Klägerin, in Betracht (KG DAR 1995, 482, 483). Der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss so groß sein, dass auch dann noch hinter ihm gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. Der Kraftfahrer muss auch ein plötzlich scharfes Bremsen des Vorausfahrenden einkalkulieren (BGH NJW 1987, 1075 ff). Vor diesem Hintergrund entlastet also den Auffahrenden ein plötzliches Abbremsen des Vorausfahrenden nicht. Gleichwohl greift der Anscheinsbeweis nicht, wenn aufgrund erwiesener Tatsachen die Möglichkeit besteht, dass der Vorausfahrende unvorhersehbar ruckartig zum Stehen gekommen ist (Hentschel, § 4 Rn. 18; mittelbar auch OLG Düsseldorf NZV 1975, 486, 487 sowie KG DAR 1995, 483). So liegt der Fall auch hier. Aufgrund des Auffahrunfalls zwischen dem der Klägerin vorausfahrenden Fahrzeugs mit dem wiederum diesem Fahrzeug vorausfahrenden Fahrzeug ist es zu einer Verkürzung des Anhalteweges gekommen. Dieses Auffahren des vorausfahrenden Fahrzeuges führt grundsätzlich zu der Annahme, dass es ruckartig zum Stehen gekommen sein muss, mithin gerade der Fall vorliegt, in dem zumindest die Möglichkeit besteht, dass es sich nicht um einen typischen Auffahrunfall gehandelt hat. Die Möglichkeit reicht zur Entkräftung des Anscheinsbeweises aus. Soweit die Beklagten Spekulationen über die Geschwindigkeit des Klägerfahrzeuges anstellen vor dem Hintergrund dessen, dass aufgrund des Aufpralls der Klägerin es zu einem weiteren Zusammenprall der vorausfahrenden Fahrzeuge gekommen ist, ist dieser Gesichtspunkt nicht geeignet, den von den Beklagten nach der Entkräftung des Anscheinsbeweises zu erbringenden Vollbeweis dahin, dass die Klägerin unaufmerksam oder zu dicht aufgefahren ist, zu führen.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 14.06.2007 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Zu bewerten ist der hier maßgebliche Verkehrsunfall mit den sich daraus ergebenden Besonderheiten, die sich nicht verallgemeinern lassen. Der Senat weicht auch - soweit ersichtlich - nicht von einer in vergleichbaren Fällen anders lautenden Rechtsprechung ab, weshalb die Zulassung der Revision auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten ist.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.723,06 €

Ende der Entscheidung

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