Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 12 U 233/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 517 ff.
ZPO § 533
ZPO § 412 Abs. 1
ZPO § 287
ZPO § 529
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 278
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 1922
BGB § 844 Abs. 2
BGB § 1922
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 09. Oktober 2008 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az. 11 O 26/06, teilweise abgeändert.

Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2006 zu zahlen.

Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an den Kläger 5.160,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2006 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen Anspruch auf Unterhalt zu ersetzen, der ihm aufgrund der fehlerhaften Behandlung seiner Ehefrau im Krankenhaus der Beklagten zu 1. in der Zeit vom 09.03. bis 14.03.2003 entstanden ist und noch entstehen wird, sofern der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Nach Rücknahme der Berufung gegen die Beklagten zu 2. und 3. wird der Kläger des eingelegten Rechtsmittels für verlustig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zu 92% und die Beklagte zu 1. zu 8%. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. tragen der Kläger zu 77% und die Beklagte zu 1. zu 23%. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. trägt der Kläger.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zu 77% und die Beklagte zu 1. zu 23%. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. tragen der Kläger zu 30% und die Beklagte zu 1. zu 70%. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte zu 1. dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger macht als Alleinerbe seiner zwischenzeitlich am 21.12.2006 verstorbenen Ehefrau (und früheren Klägerin) H... D... Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einer nach Ansicht des Klägers fehlerhaft erfolgten stationären Behandlung seiner Ehefrau im Krankenhaus der Beklagten zu 1. in der Zeit vom 09.03. bis zum 14.03.2003 geltend. Die Beklagten zu 2. und 3. betreiben an der Einrichtung der Beklagten zu 1. eine Praxis für Radiologie. Die Parteien streiten darüber, ob ein bei der Ehefrau des Klägers im April 2004 festgestelltes Adenokarzinom im Bereich des rechten Lungenflügels bereits auf einer von den Beklagten zu 2. und 3. am 09.03.2003 gefertigten Röntgenaufnahme erkennbar war und weiter behandelt hätte werden müssen, so dass die Heilungschancen der Ehefrau des Klägers wesentlich größer gewesen wären, weil sich das Karzinom noch in einem wesentlich früheren Stadium befunden habe. Darüber hinaus besteht Streit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes sowie des Haushaltsführungsschadens.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass der Kläger einen Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum vom 01.07.2003 bis 28.02.2006 unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit im Haushalt von 30 Stunden bis zum 31.12.2004 und von 25 Stunden seit dem 01.01.2005 geltend gemacht hat.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagten aus Vertrag oder unerlaubter Handlung. Die Beklagte zu 1. habe ihre Pflichten aus dem Behandlungsvertrag nicht verletzt. Der zuständige Anästhesist habe das Röntgenbild befundet und dabei keine der Anästhesie entgegenstehenden Befunde erkannt. Darin, dass er den später erkannten Herd auf dem Röntgenbild nicht gesehen und deswegen auch keine weiteren Befunde veranlasst habe, liege kein sorgfaltswidriger Pflichtenverstoß. Der Sachverständige Dr. P... habe bestätigt, dass auch er bei der Vorbereitung der Narkose den Herd auf dem Lungenflügel nicht bemerkt habe. Im Rahmen der arbeitsteiligen Vergabe der Aufgaben sei es ausreichend, dass eine Röntgenaufnahme in die Diagnostik und Therapie mit einbezogen werde. Dies sei hier geschehen, da die Aufnahme von dem Anästhesisten befundet worden sei und allein für diesen Zweck gefertigt worden sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen die Beklagten zu 2. und 3. Zwischen der Ehefrau und den Beklagten zu 2. und 3. habe kein Behandlungsvertrag bestanden. Die Beklagten zu 2. und 3. seien nach dem Kooperationsvertrag nur zur Liquidation gegenüber der Beklagten zu 1. berechtigt gewesen. Es bestehe auch kein Anspruch aus unerlaubter Handlung. Die Beklagten zu 2. und 3. hätten keine über den Zweck der Aufnahme hinausgehende Verpflichtung zur Befundung der Aufnahme. Die Einschätzung der Sachverständigen Dr. M..., wonach Röntgenologen in jedem Fall eine von ihnen gefertigte Aufnahme zu befunden hätten, gebe deren rechtliche Einschätzung der Lage wieder. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihm zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 14.10.2008 zugestellte Urteil (Bl. 372 GA) hat der Kläger mit einem per Telefax am 12.11.2008 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 384 f GA) und sein Rechtsmittel mit einem am Montag, den 15.12.2008, beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 395 ff GA).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche gegenüber den Beklagten mit zum Teil geänderten Anträgen weiter. Er rügt, das Landgericht habe in mehrfacher Hinsicht gegen vom Bundesgerichtshof aufgestellte Rechtssätze verstoßen. Der Anästhesist Dr. K... habe bei der Befundung des von den Beklagten zu 2. und 3. gefertigten Röntgenbildes keine der Anästhesie entgegenstehenden Befunde erkannt. Dies sei grob fehlerhaft und stelle einen Verstoß gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse und Standards dar. Die nach der Epikrise des Zentralklinikums E... vom 07.07.2004 bereits in der Röntgenaufnahme vom 09.03.2003 ersichtliche flaue Verschattung im rechten Unterfeld der Lunge sei ohne weiteres für einen Facharzt, gleich welcher Fachrichtung, erkennbar gewesen und hätte erkannt werden müssen. Die Aussagen des Sachverständigen Dr. P... seien nicht nur medizinisch, sondern auch standesrechtlich grob falsch. Der Sachverständige habe zudem die Aufnahme nur für Sekunden gegen das Tageslicht gehalten. Alle anderen Ärzte gleich welcher Fachrichtung hätten den Befund auf der Aufnahme vom 09.03.2003 von sich aus erkannt. Zudem sei es unverständlich, dass Dr. P... die Röntgenaufnahme erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2008 gesehen und befundet habe. Ein Arzt müsse präoperativ eine gefertigte Aufnahme befunden, wobei er sich auf Befundungen von anderen Ärzten nicht verlassen dürfe. So habe ein Facharzt für Anästhesie den raumfordernden Prozess, der auf der Aufnahme erkennbar gewesen sei, erkennen und ihm differenzialdiagnostisch nachgehen müssen. Der von dem Sachverständigen Dr. P... beschriebene flüchtige Blick auf die Aufnahme genüge nicht den Pflichten eines Anästhesisten zur Vorbereitung der Anästhesie. Vielmehr hätte er entsprechende Differenzialdiagnosen veranlassen und ggf. die Operation aufschieben müssen.

Soweit das Landgericht ausführe, dass die Sachverständige Dr. M... lediglich eine rechtliche Einschätzung der Lage wiedergebe, liege dies neben der Sache. Die Sachverständige habe vielmehr die Verpflichtung eines Arztes aus seinem Diagnoseauftrag wiedergegeben, wonach der Arzt verpflichtet sei, eine Röntgenaufnahme zeitnah und sachkundig zu beurteilen. Nur unter dieser Voraussetzung habe die verstorbene Ehefrau ihre Zustimmung zur Anfertigung des Röntgenbildes gegeben. Die Argumentation des Landgerichts laufe darauf hinaus, dass die Erstellung einer Röntgenaufnahme keinen präoperativen diagnostischen Sinn mache, da das Bild auch ignoriert werden könnte. Entscheidend sei, dass der auf dem Röntgenbild ersichtliche flaue Herd abklärungsbedürftig gewesen sei und der Verdacht auf einen Tumor oder eine entzündliche Reaktion ohne weiteres erkennbar gewesen sei.

Der Kläger macht nunmehr im Wege der Klageänderung mit dem geänderten Feststellungsantrag Anspruch auf ihm entgangenen Unterhalt geltend. Hierzu trägt er vor, ausgehend von dem gemeinsamen Einkommen der Eheleute ohne den Tod der Ehefrau in Höhe von rd. 3.400,00 € stehe ihm ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 1.700,00 € zu, worauf sein jetziges Einkommen in Form ein Witwenpension in Höhe von 931,88 € anzurechnen sei, so dass mit einem monatlichen Unterhaltsschaden in Höhe von 770,00 € zu rechnen sei. Da sich der Schaden noch in der Entwicklung befinde, sei ihm eine teilweise Bezifferung nicht zuzumuten. Die Klageänderung sei auch sachdienlich, weil damit ein weiterer Leistungsprozess vermieden werde.

Die gegen die Beklagten zu 2. und 3. gerichtete Berufung hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen (Bl. 475 GA).

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung der Entscheidung I. Instanz

1. die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens indessen 40.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung;

2. die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 18.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, ihm jeglichen Anspruch auf Unterhalt zu ersetzen, der ihm aufgrund der fehlerhaften Behandlung seiner Ehefrau durch die Beklagte zu 1. ab dem 01.01.2007 entstanden ist und zukünftig noch entstehen wird.

Die Beklagte zu 1. beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages und meint unter Berufung auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. P..., dass der Anästhesist die Röntgenaufnahme nur auf grobe Verschattungen oder Luftansammlungen zu überprüfen habe sowie daraufhin, ob der Lungenbefund Schwierigkeiten bei der künstlichen Beatmung bereiten könne. Der Sachverständige habe entgegen den klägerischen Angaben auch seine Angaben nicht lax oder oberflächlich getätigt. Da der Zweck des Röntgenbildes mit der Überprüfung durch den Anästhesisten erfüllt gewesen sei, sei auch keine weitere zusätzliche Befundung erforderlich gewesen. Der Klageänderung werde widersprochen, da damit über einen völlig neuen Streitstoff entschieden werden müsse, der bislang nicht Gegenstand des Rechtsstreits gewesen sei.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung des Klägers hat in dem verbliebenen Umfang überwiegend Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1. aus ererbtem Recht seiner verstorbenen Ehefrau einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € sowie auf Ersatz des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens in Höhe von 5.600,00 € aus §§ 280 Abs. 1, 278, 253 Abs. 2 BGB bzw. aus §§ 823 Abs. 1, 831, 253 Abs. 2 BGB jeweils i.V. mit § 1922 BGB (dazu unter 1.). Der Feststellungsantrag auf Ersatz des dem Kläger infolge des Todes seiner Ehefrau entstandenen Unterhaltsschadens ist ebenfalls zulässig und aus §§ 823 Abs. 1, 831, 844 Abs. 2 BGB begründet; die in zweiter Instanz erfolgte Klageänderung ist nach § 533 ZPO zulässig (dazu unter 2.).

1. Eine Pflichtverletzung des zwischen der Ehefrau des Klägers (im Folgenden: Patientin) und der Beklagten zu 1. geschlossenen Behandlungsvertrages ist gegeben. Die in der Zeit vom 09.03. bis 14.03.2003 im Hause der Beklagten zu 1. durchgeführte Behandlung der Patientin war zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fehlerhaft, indem es unterlassen wurde, den auf der am 09.03.2003 getätigten Röntgenaufnahme der Lunge der Patientin erkennbaren Lungenrundherd durch weitere differential-diagnostische Maßnahmen abzuklären.

a) Ein anhand des Röntgenbildes gegebener Anlass für eine weitergehende Abklärung lag hier nach den Gutachten aller beteiligter Sachverständiger vor. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M... war auf der Röntgenaufnahme eine flaue ca. 2 cm große rundliche unscharfe Verdichtung im rechten Unterfeld der Lunge erkennbar, die abklärungsbedürftig weil tumorverdächtig gewesen sei. Diese Verdichtung könne durch mannigfaltige Gründe verursacht worden sein, sei aber immer als krankhafter oder zumindest kontrollbedürftiger Befund zu bewerten. Der Herd sei auch für ein ungeübtes Auge erkennbar gewesen, so dass eine weitere, auch nach der Operation noch durchführbare Abklärung hätte erfolgen müssen (Bl. 225 GA). Die Verdichtung sei nach Ansicht der Sachverständigen Dr. M... auch für einen Anästhesisten, der mit Röntgenaufnahmen der Lunge zu tun habe, erkennbar gewesen. Der Sachverständige Dr. Lü... hat ausgeführt, dass es sich um einen klassischen Lungenrundherd mit einer Größe von 21 x 26 mm gehandelt habe, hinter der sich sowohl gutartige Erkrankungen als auch eine bösartige Neubildung verbergen konnten. Daraus sei die Verdachtsdiagnose auf ein Lungenkarzinom oder einer Lungenmetastase abzuleiten. Dieser Lungenrundherd sei auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Radiologen Anlass zu weiteren diagnostischen Maßnahmen gewesen, im Regelfall zunächst zu einer Computertomographie (Bl. 296 GA). Der Rundherd sei im oberen Bereich hinsichtlich der Größendefinition gelegen und nicht als klein zu bezeichnen (Bl. 298 GA). Auch der Sachverständige Dr. P... als Facharzt für Anästhesie hat in seinem schriftlichen Gutachten die Frage danach, ob das Röntgenbild für einen Anästhesisten Anlass zu weiterer Befunderhebung gegeben hätte, bejaht und dazu ausgeführt, dass der erhobene Befund für jeden der behandelnden Ärzte einschließlich des Anästhesisten die Konsequenz hätte haben müssen, den Befund, den der Sachverständige Dr. P... als verdächtig bezeichnet hat, abklären zu lassen (Bl. 165 GA).

Soweit der Sachverständige Dr. P... in seinem Gutachten zugleich ein behandlungsfehlerhaftes Verhalten des Anästhesisten mit der Begründung verneint hat, die Röntgenaufnahme sei für die Durchführung der Narkose nicht erforderlich gewesen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Zum Einen hat der Sachverständige bestätigt, dass der auf der Röntgenaufnahme erkennbare Rundherd auch für den Anästhesisten zu sehen war. Dass der Sachverständige anlässlich der erstmalig im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vorgenommenen Begutachtung des Röntgenbildes geäußert hat, er hätte unter den üblicherweise im Vorbereitungsraum zur Narkose herrschenden Bedingungen den Herd ebenfalls nicht bemerkt, vermag schon deshalb nicht überzeugend einen Behandlungsfehler auszuschließen, weil nach den Ausführungen der weiteren Sachverständigen Dr. M... und Dr. Lü... der Lungenrundherd ohne weiteres zu erkennen war und nach den Angaben des Sachverständigen Dr. Lü... es sich auch nicht nur um einen kleinen Herd gehandelt hat. Von daher hätte das Landgericht einen Behandlungsfehler nicht allein aus dem Grunde verneinen dürfen, auch der Sachverständige Dr. P... hätte den Herd nicht bemerkt, ohne sich mit den entgegenstehenden Ausführungen der übrigen Sachverständigen auseinanderzusetzen. Zum anderen hat der Sachverständige Dr. P... die Auffassung vertreten, der Anästhesist habe die Röntgenaufnahme nur auf das Vorliegen anästhesierelevanter Auffälligkeiten zu überprüfen, die einer Anästhesie entgegenstehen könnten. Dieser Sichtweise vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. Es mag zwar sein, dass die Anfertigung der Röntgenaufnahme im Falle der Ehefrau des Klägers nicht zwingend medizinisch geboten war. Wenn jedoch eine solche Röntgenaufnahme angefordert wird - und die Beklagte zu 1. hatte offenbar Anlass zur Anfertigung einer solchen Röntgenaufnahme, offenbar wegen der bei der Patientin bestehenden Adipositas - entspricht es dem ärztlichen Standard, dass eine solche Röntgenaufnahme auch sachgerecht befundet wird. Der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei der Anfertigung der Röntgenaufnahme um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Patientin mit den aufgrund der hohen Strahlenbelastung verbundenen Risiken handelt und die Patientin ihre Einwilligung in diesen Eingriff nur unter der Voraussetzung erteilt, dass die Röntgenaufnahme sach- und fachgerecht befundet wird, und die Patientin die Einwilligung kaum erteilt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass es zur Vornahme der Operation am Knie der Anfertigung einer Röntgenaufnahme der Lunge nach dem medizinischen Standard mittlerweile nicht mehr bedurft hätte. Selbst wenn dem Anästhesisten die Aufnahme nur zu dem Zweck vorgelegen hat, die Narkosefähigkeit der Patientin zu überprüfen, entlastet ihn dies nicht von dem Vorwurf, den nach Angaben der Sachverständigen Dr. M... auch für einen Anästhesisten ohne weiteres erkennbaren verdächtigen Befund einer flauen Verdichtung im Bereich des rechten Lungenflügels übersehen zu haben, zumal unstreitig ist, dass ein gesonderter Befund seitens der Beklagten zu 2. und 3. nicht erstellt worden war. Gerade dies hätte für den Anästhesisten Veranlassung sein müssen, sich die Röntgenaufnahme genauer zu betrachten. Etwas anderes mag gelten, wenn bereits ein Befund der Beklagten zu 2. und 3. vorgelegen hätte und die Beklagten zu 2. und 3. den verdächtigen Befund darin ebenfalls übersehen hätten. In diesem Fall wäre der Anästhesist nicht verpflichtet gewesen, ohne besondere Anzeichen den von den Radiologen getroffenen Befund nochmals zu überprüfen. Hier lag jedoch eine vorherige Befundung seitens der Beklagten zu 2. und 3. gerade nicht vor.

Im Übrigen gibt der Senat zu bedenken, dass es der Beklagten zu 1., sofern der Befund für den Anästhesisten nicht erkennbar gewesen wäre, möglicherweise oblegen hätte, ggf. noch nach Durchführung der Operation eine fachspezifische Befundung der Röntgenaufnahme durch die Beklagten zu 2. und 3. einzuholen. Die Beklagte zu 1. schuldete aus dem mit der Ehefrau des Klägers abgeschlossenen Behandlungsvertrag eine Behandlung entsprechend dem objektiven fachärztlichen Standard. Dazu gehörte auch, dass für den Fall, dass bei den Beklagten zu 2. und 3. als für die Beklagte zu 1. tätige Radiologen eine entsprechende Röntgenaufnahme in Auftrag gegeben wird, diese auch sachgerecht - und zwar durch die Beklagten zu 2. und 3. als Radiologen, in deren Fachgebiet eine solche Befunderhebung fällt - ausgewertet wird. Da die Beklagte zu 1. selbst keine radiologische Abteilung unterhält, hatte sie durch geeignete Maßnahmen Vorsorge dafür zu treffen, dass eine entsprechende fachgerechte radiologische Betreuung rund um die Uhr und damit auch an Wochenenden oder außerhalb der Regelarbeitszeiten sichergestellt ist. Wenn diese nicht erfolgt, etwa weil die Aufnahme nicht innerhalb der üblichen Regelöffnungszeiten der Praxis der Beklagten zu 2. und 3. angefertigt worden ist, hatte die Beklagte zu 1. ggf. entsprechend sicherzustellen, dass die Aufnahme möglichst zeitnah nachbefundet wurde. Dies wird auch von der Sachverständigen Dr. M... ausdrücklich so gesehen (Bl. 225 f GA). Bei einer zeitnahen Beteiligung der Beklagten zu 2. und 3. wäre der Lungenrundherd als Anlass für weiterführende diagnostische Maßnahmen erkannt worden. Dies folgt bereits daraus, dass die Beklagten zu 2. und 3., nachdem ihnen die fragliche Röntgenaufnahme erstmals vorgelegt worden ist, in ihrer Nachbefundung vom 23.09.2005 sofort die fragliche Verschattung erkannt haben (Bl. 41 GA). Dies bedarf jedoch letztlich keiner abschließenden Beurteilung.

b) Indem durch die Beklagte zu 1. die danach gebotene Abklärung durch die Vornahme entsprechender differential-diagnostischer weiterer Befundmaßnahmen unterlassen worden ist, liegt ein Behandlungsfehler in Form eines Befunderhebungsfehlers durch Nichterhebung medizinisch gebotener Kontrollbefunde vor. Ergeben erste Befunde oder die Anamnese den Verdacht auf das Vorliegen einer Erkrankung, hat der Arzt diesen Verdacht mit den hierfür üblichen Befunderhebungen abzuklären, also entweder zu erhärten oder auszuräumen, um dann zu behandeln und/oder weiteren differential-diagnostisch in Betracht kommenden Möglichkeiten nachzugehen (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl. Rn. B 65). Hier wären nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. M... und Dr. Lü... als weitere Maßnahmen die Vornahme einer Computertomographie, einer Punktion oder auch die Entnahme einer Gewebeprobe in Betracht gekommen.

c) Das Unterlassen der gebotenen Erhebung weiterer Kontrollbefunde ist im Streitfall auch ursächlich für den weiteren Behandlungsverlauf bis hin zum Tod der Ehefrau des Klägers am 21.12.2006 geworden.

Bei einer zeitnahen Befundung der Röntgenaufnahme kurz nach dem 09.03.2003 wäre die operative Behandlung des bei der Patientin im April 2004 festgestellten Lungenkarzinoms nicht erst am 24.05.2004, sondern über ein Jahr früher erfolgt, so dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Patientin bereits darin zu sehen ist, dass die Krankheit über ein Jahr nicht behandelt wurde und sich das Karzinom in dieser Zeit ungehindert ausbreiten konnte mit der Folge, dass die Patientin schließlich am 21.12.2006 verstorben ist. Wie sich aus dem vom Kläger mit Schriftsatz vom 08.04.2009 in Kopie eingereichten Arztbrief der Lungenklinik H... vom 07.07.2004 ergibt, wurde bei der Patientin ein Adenokarzinom des rechten Lungenunterlappens mit mehreren Satellitenherden, einem Herd im Oberlappen rechts sowie mediastinalen Lymphknotenmetastasen diagnostiziert. Die Beklagte zu 1. hat ihr ursprüngliches Bestreiten mit Nichtwissen der in der Lungenklinik H... getroffenen Diagnose nach Vorlage der Unterlagen nicht weiter aufrecht erhalten. Dieses bei der Patientin im Jahre 2004 festgestellte Adenokarzinom wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei einer Vornahme der notwendigen Kontrolluntersuchungen bereits im Anschluss an die im Jahr 2003 durchgeführte Operation erkannt worden. Die Beklagte zu 1. hat in dem nachgereichten Schriftsatz vom 29.07.2009 nunmehr unstreitig gestellt, dass der auf der Röntgenaufnahme vom 09.03.2003 erkennbare Lungenrundherd identisch ist mit der auf den im Jahre 2004 gefertigten Röntgenbildern ersichtlichen tumorösen Geschwulst, aufgrund derer bei der Patientin das Lungenkarzinom festgestellt wurde. Im Übrigen greift hier zugunsten des Klägers eine Umkehr der Beweislast ein. Bei einem einfachen Befunderhebungsfehler greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Gunsten des Patienten auch unterhalb der Schwelle zum groben Behandlungsfehler eine Beweislastumkehr ein, wenn sich bei der unterlassenen medizinisch gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. BGH NJW 2004, 2011, 2013 m.w.N.; Geiß/Greiner, a.a.O., Rn. B 296). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Erhebung weiterer Befunde war aufgrund des sich aus dem Röntgenbild ergebenden Verdachts medizinisch geboten und hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein aus medizinischer Sicht reaktionspflichtiges Ergebnis ergeben. Der Sachverständige Dr. Lü... hat in seinem Gutachten bestätigt, dass bei weiteren Befunderhebungen im März 2003 ein Lungenkarzinom hätte erkannt werden können (Bl. 298 GA), was im Übrigen angesichts der Tatsache, dass bei der Patientin im Jahre 2004 ein Adenokarzinom gerade in dem Bereich des rechten Unterlappens diagnostiziert wurde, in dem auch bereits auf der im März 2003 gefertigten Röntgenaufnahme die flaue Verschattung zu sehen war, auch naheliegt. Angesichts des gravierenden Befundes eines Lungenkarzinoms wäre eine Nichtreaktion hierauf auch nicht anders als durch einen groben Behandlungsfehler zu erklären.

Die unterlassene Abklärung durch Erhebung weiterer gebotener Kontrollbefunde war auch geeignet, den eingetretenen Schaden zu verursachen. Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden dagegen nicht (vgl. BGH a.a.O.; BGH NJW 2005, 427, 428 jeweils m.w.N.; Geiß/Greiner a.a.O., Rn. B 258). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lü... wäre bei einer weiteren Befunderhebung das Lungenkarzinom in seinem Frühstadium bereits im März 2003 erkannt und behandelt worden. Eine Verzögerung der Behandlung bis zur tatsächlichen Diagnose um 13 Monate wäre in diesem Fall nicht eingetreten. Zwar kann nicht sicher festgestellt werden, ob ohne diese Verzögerung eine vollständige Heilung der Patientin eingetreten wäre. Es ist jedoch gemäß den Ausführungen des Sachverständigen auch nicht völlig unwahrscheinlich, dass eine Metastasierung zu dem früheren Zeitpunkt noch nicht in dem späteren Umfang eingetreten war und der Tumor bei einer früheren Behandlung im Jahre 2003 noch rechtzeitig vor einer Metastasierung hätte entfernt werden können.

Aufgrund der Beweislastumkehr steht es somit zur Beweislast der Beklagten zu 1., dass sich die infolge des Nichterkennens des Lungenrundherdes auf der Aufnahme vom 09.03.2003 eingetretene Behandlungsverzögerung nicht ausgewirkt hat und der Krankheitsverlauf bei der Patientin auch bei einer früheren operativen Behandlung des Karzinoms nicht anders gewesen wäre. Das gleiche gilt für die erstmals in dem nachgereichten Schriftsatz vom 29.07.2009 aufgestellte Behauptung, der Befunderhebungsfehler sei äußerst unwahrscheinlich für den Eintritt des Primärschadens gewesen. Die Ausnahme gänzlicher Unwahrscheinlichkeit hat die Behandlungsseite zu beweisen (vgl. BGH a.a.O.; Geiß/Greiner a.a.O. Rn. B 259). Dies steht jedoch nicht zur Überzeugung des Senates fest. Der Sachverständige Dr. Lü... hat dargelegt, dass bei einer kompletten chirurgischen Resektion im frühesten Tumorstadium zwar 40% der Patienten ein Tumorrezidiv innerhalb von 24 Monaten erleiden, jedoch weiterhin auch in diesem Fall noch 60% eine Überlebensrate von fünf Jahren haben, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einer früheren Behandlung des Karzinoms der Tod der Patientin erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wäre. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, dass die Erfolgsaussichten einer Behandlung umso größer sind, je früher ein Lungentumor diagnostiziert wird. Auch soweit nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lü... es ebenso wahrscheinlich ist, dass bereits in dem frühen Stadium im Jahre 2003 eine Metastasierung eingetreten war, und eine hinreichend sichere Aussage über den Heilungsverlauf bei einer im April 2003 durchgeführten Operation nicht möglich ist, gehen die danach verbleibenden Zweifel zulasten der beweisbelasteten Beklagten zu 1.

Der Senat sieht keinen Anlass, den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lü..., an dessen Fachkunde in dem hier einschlägigen medizinischen Fachgebiet als Sektionsleiter für Thorax- und Gefäßchirurgie, der sich überwiegend mit der Behandlung von Krankheitsbildern des Lungenkrebses beschäftigt, keine Bedenken bestehen und von den Parteien auch nicht geltend gemacht werden, nicht zu folgen. Die Voraussetzungen für die Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 Abs. 1 ZPO liegen nach alledem nicht vor. Der Sachverständige ist auch nicht von unzutreffenden Ausgangstatsachen ausgegangen, etwa weil ihm die Behandlungsunterlagen der Lungenklinik H... bei der Ausarbeitung des Gutachtens nicht vorlagen und er hinsichtlich der Anamnese der Patientin auf die Angaben in der Klageschrift zurückgegriffen hat, da diese Angaben durch die in der Berufungsinstanz eingereichten Unterlagen des He... Klinikums E... nachträglich belegt worden sind.

d) Von einem der Beklagten zu 1. zuzurechnenden Verschulden der Ärzte ist ebenfalls auszugehen. Die Sachverständigen haben übereinstimmend bestätigt, dass der auf der Aufnahme vom 09.03.2003 erkennbare Lungenrundherd hätte erkannt werden können, so dass die medizinisch gebotene weitere Befunderhebung fahrlässig unterlassen worden ist. Umstände, nach denen die Beklagte zu 1. die darin liegende Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), liegen nicht vor.

e) Hinsichtlich der geltend gemachten Höhe ist die Berufung nur teilweise begründet.

aa) Die von der Beklagten zu 1. zu vertretene Verzögerung bei der Behandlung des Lungenkarzinoms rechtfertigt ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 €. Dieser Anspruch ist gem. § 1922 BGB auf den Kläger übergegangen. Soweit der Kläger ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000,00 € begehrt, war die weitergehende Klage abzuweisen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu berücksichtigen. Dabei kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Aufl., Rn. 274 ff). Dabei muss die Entschädigung zu Art und Dauer der erlittenen Schäden in eine angemessene Beziehung gesetzt werden (vgl. BGH VersR 1976, 968; OLG Hamm MDR 2003, 1249). Schließlich hat sich die Schmerzensgeldbemessung anhand der Urteile für vergleichbare Fälle zu orientieren. Nach den überreichten Befundberichten des He... Klinikums E... musste sich die Patientin einer Unterlappenresektion rechts mit systematischer Lymphadenektomie sowie einer daran anschließenden palliativen Chemotherapie mit mehreren Zyklen unterziehen, in deren Verlauf sie sich mehrmals in stationäre Behandlung begeben musste. Sie wurde krankheitsbedingt mit Wirkung zum 01.12.2006 in den Ruhestand versetzt, was die Beklagte zu 1. letztlich nicht mehr bestritten hat, nachdem ihr der entsprechende Bescheid - der allerdings nicht zur Gerichtsakte gelangt ist - durch den Klägervertreter gemäß dem Schriftsatz vom 13.05.2008 direkt in Kopie übersandt worden ist (vgl. Bl. 315 GA), und verstarb schließlich 2 Jahre und 7 Monate nach Durchführung der Lungenresektion am 21.12.2006 im Alter von 62 Jahren. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist zu berücksichtigen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Lü... auch bei einer rechtzeitigen Erkennung des Lungenkarzinoms bereits im März 2003 die dann später im E... Klinikum im Mai 2004 vorgenommene Operation mit Teilresektion des Lungenflügels mit den damit verbundenen Schmerzen und Folgeerscheinungen notwendig geworden wäre. Die in der Klageschrift beschriebenen Folgeerscheinungen wie ausgeprägte Luftnot und Schmerzen im Operationsbereich sowie die geschilderten Einschränkungen in der Lebensqualität und der Lebensführung wären daher auch in diesem Falle eingetreten. Dagegen steht nicht fest, dass auch bereits im März 2003 bereits eine Bestrahlung und eine nachfolgende Chemotherapie erforderlich gewesen wären (vgl. Bl. 300 GA). Auch wären bei einer rechtzeitigen Behandlung die Angst vor einem erneuten Rezidiv und die damit verbundenen psychischen Belastungen bei der Patientin vorhanden gewesen. Andererseits musste die Patientin bis zu ihrem Tode mit dem Gedanken leben, dass die Ausbreitung der Krankheit möglicherweise bei einer früheren Erkennung und entsprechender Behandlung hätte verhindert werden können.

Der Senat orientiert sich bei der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes u.a. an der auch von der Beklagten zu 1. erwähnten Entscheidung des OLG München (VersR 1994, 1240 f.). Das OLG München hat im Jahr 1994 bei einer ebenfalls fehlerhaft erfolgten Behandlungsverzögerung eines Lungenkarzinoids um 11 Monate und einer infolge der Tumorerkrankung erfolgten Entfernung des linken Lungenflügels ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 DM als angemessen angesehen, was preissteigerungsbereinigt einem Betrag von 36.763,93 DM = 18.797,10 € für das Jahr 2007 entspricht. Das OLG Hamm (VersR 2002, 578 f.) hat bei einem nicht rechtzeitig erkannten Bronchialkarzinom ein Schmerzensgeld von 20.000,00 DM (preissteigerungsbereinigt 21.986,91 DM = 11.241,73 € für 2007) zuerkannt, wobei im dortigen Fall die Besonderheit bestand, dass der Verstorbene bei einer frühzeitigeren Behandlung maximal 4 Monate länger gelebt hätte, während im vorliegenden Fall nach den Angaben des Sachverständigen Dr. Lü... bei einer kompletten Resektion im frühesten Tumorstadium immerhin eine Überlebensrate von 5 Jahren bei 60 % der behandelten Patienten besteht (Bl. 299 GA). Das OLG Köln (NJW-RR 2003, 1031) hat bei der verspäteten Behandlung eines gutartigen Gehirntumors um 1 1/2 Jahre ein Schmerzensgeld von 10.000,00 € zugesprochen. Ferner ist hinzuweisen auf die Entscheidungen des LG Wiesbaden vom 20.04.2001 (zitiert nach Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 4. Aufl., Rn. E 1092), das bei einer behandlungsfehlerhaft 2 Jahre zu spät diagnostizierten Brustkrebserkrankung ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € zuerkannt hat, wobei im dortigen Fall der Klägerin weder der Eingriff als solcher noch die aus Chemotherapie, Strahlentherapie und Antihormonbehandlung bestehende Nachsorge erspart geblieben wäre, und des LG München I vom 12.05.2006 (zitiert nach Jaeger/Luckey, a.a.O., Rn. E 1108), das bei einem behandlungsfehlerhaft 3 Jahre zu spät erkannten Befund eines Mammakarzinoms ein Schmerzensgeld von 40.000,00 € zugesprochen hat. Im Vergleich dazu ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Verzögerung der Behandlung einen Zeitraum von 13 Monaten betrug. Die in der Klageschrift zitierte Entscheidung des LG Hanau vom 05.03.1998 (zitiert nach Slizyk, Schmerzensgeldtabelle, 5. Aufl., Rn. 2745) erscheint dagegen nur bedingt vergleichbar, ebenso die Entscheidung des LG Köln vom 02.03.2005 (zitiert nach Jaeger/Luckey, a.a.O. Rn. E 1117), das bei einer 14 Monate zu spät erkannten Krebserkrankung ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 € zugesprochen hat. Im dortigen Fall handelte es sich um einen noch jungen Patienten, bei dem das zunächst übersehene maligne Melanom im weiteren Krankheitsverlauf noch in weitere Organe (Lunge, Leber, Bronchus, Hirn, Bauchspeicheldrüse und Extremitäten) ausstreute. Die Entscheidung des OLG Jena (VersR 2008, 401) betraf schließlich ebenfalls eine an den Folgen eines Mammakarzinoms im Alter von nur 31 Jahren verstorbene Patientin, bei der die histologische Abklärung des Tumors unterlassen worden war. Unter Berücksichtigung dieser zur Orientierung dienenden Vergleichsfälle und nochmaliger Abwägung aller Bemessungsfaktoren erscheint dem Senat im vorliegenden Fall zur Abgeltung der mit der Behandlungsverzögerung verbundenen physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Patientin ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € als angemessen, aber auch ausreichend.

bb) Der geltend gemachte Haushaltsführungsschaden ist lediglich für den Zeitraum vom 01.08. bis 31.12.2004 begründet, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat. Soweit der Kläger einen Haushaltsführungsschaden bereits vom 01.07.2003 an geltend macht, ist nicht ersichtlich, dass die Patientin bis zu der im Mai 2004 durchgeführten Operation in ihrer Haushaltsführung beeinträchtigt war. Vielmehr heißt es ausdrücklich in der Klageschrift, dass sie nach der Meniskusoperation im März 2003 zunächst beschwerdefrei war und erst ab Februar 2004 eine Kurzatmigkeit auftrat, die allerdings offenbar nicht geeignet war, die Haushaltsfähigkeit nachhaltig zu beeinträchtigen. Soweit nach der Operation vom Mai 2004 zunächst eine Beeinträchtigung in der Haushaltsführung zu 100 % vorlag, ist davon auszugehen, dass eine entsprechende Beeinträchtigung bei einer rechtzeitig im März 2003 durchgeführten Operation ebenfalls eingetreten wäre, so dass - ausgehend davon, dass bei einer rechtzeitig durchgeführten Operation im März 2003 die Patientin spätestens nach drei Monaten wieder zur Haushaltsführung in der Lage gewesen wäre - ein ersatzfähiger Schaden frühestens ab einem Zeitraum von ca. 3 Monaten nach der tatsächlich durchgeführten Operation gegeben sein kann, hier also ab dem 01.08.2004.

Für den danach zu berücksichtigenden Zeitraum schätzt der Senat den entstandenen Haushaltsführungsschaden gemäß § 287 ZPO anhand der Tabellen von Schulz-Borck/Hofmann (Schadensersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 6. Aufl. 2000) auf 5.160,00 €. Der Bundesgerichtshof hat erst in einer jüngst ergangenen Entscheidung nochmals bestätigt, dass sich der Tatrichter bei der Schätzung des Haushaltsführungsschadens nach § 287 ZPO grundsätzlich in Ermangelung abweichender konkreter Gesichtspunkte an dem Tabellenwerk von Schulz-Borck/Hofmann orientieren darf (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.2009 - VI ZR 183/08). Danach kann der wöchentliche Arbeitszeitaufwand bei einer berufstätigen Ehefrau gemäß der Tabelle 8 bei Schulz-Borck/Hofmann mit einem 3-Personen-Haushalt und einem schulpflichtigen Kind im Alter zwischen 6 und 18 Jahren auf 31,4 Stunden geschätzt werden, wobei in dieser Stundenzahl bereits ein Anteil von 5 % an der Gartenarbeit enthalten ist. Die von dem Kläger zugrunde gelegten 30 Wochenstunden sind daher unabhängig von der Frage, ob tatsächlich für die Gartenarbeit der zunächst angegebene wöchentliche Aufwand von 15 Stunden angefallen ist oder nicht, zu berücksichtigen. Entsprechend der Tabelle 3 bei Schulz-Borck/Hofmann sind die Kosten für eine fiktive Ersatzkraft nach der Vergütungsgruppe BAT VII für den Durchschnittshaushalt mit schulpflichtigen Kindern zu bemessen. Der Stundensatz für eine nach BAT VII zu bezahlende Ersatzkraft lag in dem hier fraglichen Zeitraum 2004 mit 10,05 € netto noch über dem von dem Kläger zugrunde gelegten Stundensatz von 8,00 €. Entsprechend der Schadensberechnung in der Klageschrift ergibt sich somit ein monatlicher Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1.032,00 €, so dass für den Zeitraum von 5 Monaten von August bis Dezember 2004 ein Betrag von 5 * 1.032,00 € = 5.160,00 € zugrunde zu legen ist. Den ursprünglich geltend gemachten weiteren Haushaltsführungsschaden für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 hat der Kläger mit der Berufung nicht weiter verfolgt.

2. Der mit der Berufung erstmals gestellte Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

a) Indem der Kläger hinsichtlich des Feststellungsbegehrens nicht mehr wie bisher aus ererbtem Recht vorgeht, sondern eigene, in seiner Person entstandene Ansprüche aus § 844 Abs. 2 BGB geltend macht, handelt es sich um eine nach § 533 ZPO zulässige Klageänderung. Die Klageänderung ist als sachdienlich anzusehen und kann zudem auf Tatsachen gestützt werden, die ohnehin nach § 529 ZPO bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind. Zwar begehrt der Kläger lediglich die Feststellung der Ersatzpflicht für den Unterhaltsschaden, so dass ein weiterer nachfolgender Leistungsprozess in jedem Fall erforderlich werden wird, sofern nicht der hinter der Beklagten zu 1. stehende Haftpflichtversicherer bereits auf den bloßen Feststellungsausspruch Zahlungen leisten wird, wovon mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht ausgegangen werden kann. Auf der anderen Seite greift das Argument der Beklagten zu 1., dass die Klageänderung deshalb nicht sachdienlich sei, weil über einen völlig neuen Streitstoff entschieden werden müsste, nicht durch. Denn die Ersatzpflicht dem Grunde nach ergibt sich bereits aus dem vom Berufungsgericht nach § 529 ZPO zu berücksichtigenden Prozessstoff erster Instanz, ohne dass zur Begründung neuer Tatsachenvortrag in die Berufungsinstanz eingeführt wird. Soweit die Beklagte zu 1. die Höhe des geltend gemachten Unterhaltsschaden erstmals in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 19.05.2009 und damit außerhalb des ihr eingeräumten Nachlasses, auf den Schriftsatz des Klägers vom 08.04.2009 Stellung zu nehmen, bestritten hat, führt dies ebenfalls nicht dazu, dass ein umfangreicher neuer Prozessstoff in den Rechtsstreit eingeführt oder eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich wird. Denn da der Kläger lediglich die Feststellung der Ersatzpflicht dem Grunde nach begehrt, kommt es auf die Ermittlung der Höhe des vom Kläger geltend gemachten Unterhaltsschadens in diesem Rechtsstreit nicht an, vielmehr kann dies dem nachfolgenden Leistungsprozess vorbehalten bleiben. Unter diesen Umständen erachtet es der Senat als sachdienlich, wenn über die Ersatzpflicht der Beklagten zu 1. für diese Schadensposition bereits dem Grunde nach in dem vorliegenden Rechtsstreit entschieden wird, um insoweit bei den Parteien ebenfalls eine rechtliche Gewissheit herbeizuführen. Dass den Parteien dadurch in dieser Frage eine Instanz genommen wird, erscheint demgegenüber weniger schwerwiegend.

b) Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da sich der Unterhaltsschaden nach dem insoweit maßgeblichen Vortrag des Klägers insgesamt noch in der Entwicklung befindet und noch nicht abgeschlossen ist, so dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden kann, dass der bis zum Termin der mündlichen Verhandlung entstandene Unterhaltsschaden bereits bezifferbar ist (vgl. BGH VersR 1991, 788).

c) Der Antrag ist auch gem. §§ 823 Abs. 1, 831, 844 Abs. 2 BGB begründet. Eine vertragliche Haftung der Beklagten zu 1. besteht nicht, da der Kläger, der mit dem Unterhaltsschaden einen eigenen ihm entstandenen Schaden geltend macht, nicht Vertragspartner der Beklagten gewesen ist. Zu ersetzen aus einer Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 BGB sind nur die dem Vertragspartner entstandenen Schäden, so dass § 844 Abs. 2 BGB im Bereich vertraglicher Haftung nicht anwendbar ist, soweit nicht die Ausnahmetatbestände der §§ 618 Abs. 3 BGB, 62 Abs. 3 HGB eingreifen (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1995, 986, 987; OLG Köln VersR 1991, 101, 102; Staudinger/Röthel, BGB, 13. Bearbeitung, § 844 Rn. 20; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 844 Rn. 2).

Eine Ersatzpflicht der Beklagten zu 1. aus § 844 Abs. 2 BGB ist gegeben, da der am 21.12.2006 eingetretene Tod der Patientin auf die behandlungsfehlerhaft unterbliebene frühzeitige Erkennung und Behandlung des Lungenkarzinoms zurückzuführen ist. Die dem Kläger hier zugute kommende Umkehr der Beweislast bei der unterbliebenen Erhebung von medizinisch gebotenen Kontrollbefunden gilt auch für den eingetretenen Tod der Patientin. Zwar erstreckt sich die Reichweite der Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler grundsätzlich nur auf den Beweis der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O. Rn. B 262). Der haftungsbegründende Primärschaden ist hier jedoch (auch) in dem Tod der Patientin zu sehen. Entscheidend für die Beurteilung des Primärschadens ist, dass die Heilungschance für die Patientin nicht gewahrt worden ist. Dies geht beweisrechtlich zulasten der fehlerhaft handelnden Ärzte (vgl. OLG Hamm VersR 2003, 1259). Den ihr obliegenden Gegenbeweis, dass der Tod der Patientin auch bei einer frühzeitigen Erkennung des Lungenkarzinoms zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre und die Behandlungsverzögerung auf den Eintritt des Todes keinen Einfluss gehabt hat, hat die Beklagte zu 1. nicht erbracht.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 709 S. 2 ZPO.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze der Parteien geben dem Senat keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO. Insbesondere ist eine Wiedereröffnung nicht deshalb geboten, weil die Beklagte zu 1. mit Schriftsatz vom 29.07.2009 unstreitig gestellt hat, dass die auf der Röntgenaufnahme vom 09.03.2003 sichtbare Verschattung identisch mit dem auf den später gefertigten Röntgenbildern erkennbaren Tumor ist, weil der Rechtsstreit auch ohne dieses nachträgliche Zugeständnis entscheidungsreif war.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die hier zu entscheidende Frage, inwieweit der Anästhesist die Verpflichtung hat, zur Vorbereitung der Narkose getätigte Röntgenaufnahmen auch auf das Vorliegen etwaiger "Zufallsfunde" zu befunden, auch wenn diese für die Durchführung der Narkose ohne Bedeutung sind und die Anfertigung der Röntgenaufnahme medizinisch nicht erforderlich war, ist für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle von Bedeutung; höchstrichterliche Rechtsprechung liegt hierzu - soweit ersichtlich - noch nicht vor.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 3 ZPO i.V. mit §§ 42 Abs. 2, 47 Abs. 1 S. 1 GKG auf 94.960,00 € festgesetzt. Davon entfallen auf den Feststellungsantrag zu 3. 36.960,00 € (770,00 € x 60 gem. § 42 Abs. 2 GKG abzgl. eines 20 %igen Abschlages wegen der Feststellungsklage).



Ende der Entscheidung

Zurück