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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: 12 W 28/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 2 S. 3
ZPO § 348 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 567 Abs. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

12 W 28/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski, den Richter am Oberlandesgericht Funder und den Richter am Oberlandesgericht van den Bosch

am 21. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. April 2007, Az.: 12 O 397/06, teilweise abgeändert.

Der Antragstellerin wird zur Wahrung ihrer Rechte in erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt Z... Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 2. gewährt.

Der weitergehende Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und die weitergehende sofortige Beschwerde werden zurückgewiesen.

Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Antragsgegner auf Zahlung von Schmerzensgeld - wobei Gegenstand der Klage ein erstrangiger Teilbetrag in Höhe von 5.000,00 € des von der Klägerin für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes von 25.000,00 € sein soll - sowie auf Erstattung der nicht auf die Verfahrenskosten anrechenbaren Gebühren ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von 540,44 € und der ihr für das Kopieren von Krankenunterlagen entstandenen Kosten von 81,53 €. Die Antragstellerin wirft den Antragsgegnern Behandlungsfehler sowohl bei einer Behandlung im Zeitraum vom 28.12.2003 bis zum 01.01.2004 im Zusammenhang mit der Entbindung des Sohnes der Antragstellerin durch Kaiserschnitt als auch in der Zeit vom 20. bis 05.05.2004 im Rahmen der Diagnose und Behandlung einer bei der Antragstellerin aufgetretenen Adnexitis vor, durch die es zum erneuten Auftreten der Adnexitis gekommen sei, die zur beidseitigen Entfernung der Eileiter und damit Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit der Antragstellerin geführt habe, sowie zu einer weiteren Operation, bei der die Gebärmutter und Teile des linken Eierstocks bei der Antragstellerin entfernt wurden.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, der dahingehend zu ergänzend ist, dass bei den Untersuchungen der Antragstellerin im Hause der Antragsgegnerin zu 2. am 28.04., 01.05. und 05.05.2004 weder die Antibiose fortgesetzt noch eine CPR-Kontrolle durchgeführt wurde.

Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 02.04.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die beabsichtigte Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten könnten die im Schlichtungsverfahren eingeholten Gutachten berücksichtigt werden. Danach sei ein Behandlungsfehler allenfalls in einer zu geringen Dauer der antibiotischen Behandlung und im Unterlassen der Untersuchung eines bakteriologischen Abstriches zu sehen. Es erscheine jedoch unwahrscheinlich, dass die Antragstellerin den Nachweis führen könne, dass derartige Behandlungsfehler für den weitern Krankheitsverlauf kausal geworden seien, denn der Bescheid der Schlichtungsstelle führe aus, dass nicht sicher sei, dass durch eine längere Antibiose die weiteren Folgen verhindert worden wären. Auch der von der Schlichtungsstelle beauftrage Gutachter Prof. Dr. S... führe aus, dass die bei der Antragstellerin aufgetretenen Folgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei einer ausreichenden Antibiose nicht vermieden worden wären. Wegen der Begründung im Übrigen wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.

Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 09.05.2007 zugestellten Beschluss mit einem am 21.05.2007 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, den Antragsgegnern sei ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen, der hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers zu einer Beweislastumkehr mit der Folge führe, dass die Antragsgegner nachzuweisen hätten, dass der Behandlungsfehler ohne Auswirkung geblieben sei.

Die Antragsgegner verteidigen den angefochtenen Beschluss. Sie sind der Auffassung, aus der bisherigen gutachterlichen Aufarbeitung lasse sich im Hinblick auf einen groben Behandlungsfehler nichts entnehmen.

Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 18.06.2007 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden. In der Sache hat das Rechtsmittel nur teilweise Erfolg.

Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin bietet nur insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als sie eine Inanspruchnahme der Antragsgegnerin zu 2. auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz beabsichtigt, sodass der Antragstellerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, in diesem Umfang Prozesskostenhilfe zu gewähren war, § 114 ZPO.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen die Antragsgegnerin zu 2. aus §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB schlüssig dargetan. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch nicht im Wege einer antizipierten Beweiswürdigung von einer Erfolglosigkeit einer Klage gegen die Antragsgegnerin zu 2. ausgegangen werden. Prozesskostenhilfe ist zu versagen, wenn die Gesamtwürdigung aller bereits feststehender Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als ausgeschlossen erscheinen lässt und eine vernünftige und wirtschaftlich denkende Partei wegen des absehbaren Misserfolges der Beweisaufnahme von einer entsprechenden Prozessführung absehen würde (BGH NJW 1994, S. 1160; Philippi in Zöller, ZPO, Kommentar, 26. Aufl., § 114, Rn. 26). Insoweit gilt der Grundsatz des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht uneingeschränkt. Die Erfolgsprognose umfasst nicht nur die Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit des Vorbringens, sondern auch seine Beweisbarkeit (Fischer in Musielak, ZPO, Kommentar, 5. Aufl., § 114, Rn. 21). In diesem Rahmen sind auch die eingereichten vorgerichtlichen Gutachten zu würdigen (OLG Köln VersR 1990, S. 311; OLG Oldenburg OLGR 1998, S. 167). Das danach in erster Linie zu berücksichtigende Gutachten des Prof. Dr. med. R... S... vom 14.02.2006, das im Rahmen des Schlichtungsverfahrens eingeholt worden ist, weist der Antragsgegnerin zu 2. vorzuwerfende Verstöße gegen den seinerzeit geltenden ärztlichen Standard aus. So beanstandet der Gutachter, dass nicht versucht worden ist, die der festgestellten Adnexitis der Antragstellerin zu Grunde liegenden Keime zu bestimmen, um eine gezielte Gabe von Antibiotika zu ermöglichen. Auch beanstandet der Sachverständige die durchgeführte antibiotische Therapie als zu kurz. Wenngleich der Sachverständige wie auch die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern in ihrer Einschätzung vom 11.05.2006 gerade auch im Hinblick auf eine Rezidivrate von 20 bis 25 % bei der Adnexitis eine Kausalität der Behandlungsfehler für den weiteren Krankheitsverlauf nicht mit der für einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch erforderlichen Sicherheit festzustellen vermögen, verweist die Antragstellerin jedoch zutreffend auf die vorliegend in Betracht kommende Möglichkeit einer diesbezüglichen Beweislastumkehr. Eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit eines ärztlichen Fehlers für den eingetretenen Primärschaden ist bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers anzunehmen (BGH VersR 2004, S. 909; VersR 2000, S. 1146; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., B, Rn. 251). Ein grober Behandlungsfehler in diesem Sinne ist gegeben, wenn ein Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und dadurch einen Fehler begeht, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH VersR 2004, a. a. O.; VersR 2001, S. 1030; Geiß/Greiner, a. a. O., B, Rn. 252). Dabei können mehrere für sich genommen nicht als grobe Behandlungsfehler anzusehende Einzelfehler in einer Gesamtwürdigung gleichwohl einen groben Behandlungsfehler begründen (BGH VersR 2001, a. a. O.; Geiß/Greiner, a.a.O., B, Rn. 253). Zwar ist die Annahme eines groben Behandlungsfehlers eine juristische Wertung, diese muss jedoch in vollem Umfang auf die von einem Sachverständigen mitgeteilten Fakten und hieraus gezogenen medizinischen Bewertungen des Behandlungsgeschehens gestützt werden, insbesondere ist es dem Tatrichter verwehrt, ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen einen groben Behandlungsfehler aus eigener Wertung zu bejahen (BGH VersR 2001, a. a. O.; Geiß/Greiner, a. a. O., B, Rn. 252). Im vorliegenden Fall lässt sich die Annahme eines groben Behandlungsfehlers dem Gutachten des Prof. Dr. med. R... S... zwar nicht entnehmen. Die Feststellungen des Sachverständigen wie auch die Ausführungen der Schlichtungsstelle sind jedoch auch nicht geeignet das Vorliegen einer grob fehlerhaften Behandlung der Antragstellerin zu verneinen. So finden sich im Gutachten des Prof. Dr. med. R... S... keine Ausführungen zur Nachvollziehbarkeit der der Antragstellerin zu 2. anzulastenden Behandlungsfehler. Die Schlichtungsstelle verneint zwar in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12.07.2006 das Vorliegen eines "schweren" Behandlungsfehlers, begründet dieses Ergebnis jedoch nicht weiter, sodass dahinstehen kann, ob die Ausführungen der Schlichtungsstelle überhaupt den Feststellungen eines Gutachters gleichgesetzt werden können. Der Senat meint auch nicht, aufgrund des Fehlens einer Äußerung des Sachverständigen Prof. Dr. med. R... S... zu der Erheblichkeit der Behandlungsfehler das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers verneinen zu können. Vielmehr wird im weiteren Verlauf des Verfahrens die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Bewertung der Verhaltensweisen der die Antragstellerin behandelnden Ärzte im Hinblick auf das Unterlassen einer Bestimmung der die Adnexitis auslösenden Keime sowie auf die Dauer der durchgeführten Antibiose erforderlich sein, wobei ggf. zu klären ist, ob die Antibiose lediglich während des stationären Aufenthaltes erfolgte oder ob diese durch die in den Behandlungsunterlagen dokumentierte Versorgung der Antragstellerin mit entsprechenden Antibiotika noch zwei Tage weitergeführt wurde. Bei der Beurteilung wird auch zu beachten sein, dass nach den Feststellungen des Prof. Dr. med. R... S... die Erhöhung des CRP am Tage der Entlassung der Antragstellerin aus stationärer Behandlung darauf hindeutete, dass die Entzündung durch die Antibiotikagabe noch nicht hinreichend bekämpft war, dennoch aber eine Fortsetzung der Antibiose wie auch eine CRP-Kontrolle bei den Folgeterminen im Hause der Antragsgegnerin zu 2. am 28.04., 01.05. und 05.05.2004 nicht stattfand. Nach allem ist eine Verneinung der Haftung der Antragsgegnerin zu 2. dem Grunde nach derzeit nicht veranlasst.

Der von der Antragstellerin geforderte erstrangige Teilbetrag eines Schmerzensgeldes von 5.000,00 € erscheint keinesfalls übersetzt. Auch kann die Antragstellerin - ggf. - Erstattung der ihr im Rahmen der Verfolgung ihrer Rechte entstandenen Kosten für das Anfertigen von Kopien wie auch der nicht auf die Prozesskosten anzurechnenden Gebühren ihres Prozessbevollmächtigten verlangen. Dabei begegnet es aus Sicht des Senates im Hinblick auf die Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 01.12.1994 (Az. 8 U 137/93, veröffentlicht in VersR 1995, S. 1316) und des OLG Frankfurt vom 21.02.1996 (Az. 13 U 4/95, aufgeführt bei Slizyk, BeckŽsche Schmerzensgeldtabelle, 5. Aufl., S. 393) keinen Bedenken, den Gegenstandswert für die außergerichtliche Tätigkeit mit 25.000,00 € zu bemessen.

Einen Anspruch gegen den Antragsgegner zu 1. hat die Antragstellerin hingegen nicht schlüssig dargetan. Der Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner zu 1. habe die Beendigung der intravenösen Antibiose und die Umstellung auf Tabletten veranlasst, rechtfertigt einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB nicht. Nach den dargelegten Grundsätzen ist nicht anzunehmen, dass die Antragstellerin einen hierin liegenden Behandlungsfehler wird beweisen können, nachdem Prof. Dr. med. R... S... in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass ein Übergang auf eine orale Antibiose nach einem (hier eingehaltenen) Zeitraum von ein bis zwei Tagen nicht zu beanstanden ist.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass grundsätzlich wegen der in Arzthaftungssachen regelmäßig bestehenden Schwierigkeiten sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht die Beweiserhebung und Entscheidung nicht durch den Einzelrichter, sondern durch das vollbesetzte Kollegium zu erfolgen hat (vgl. Beschluss des Senats vom 17.04.2007, Az. 1 W 1/07, veröffentlicht in juris; BGH NJW 1994, 801, 802; Brandenburgisches OLG OLG-NR 2001, 5, 6 jeweils m. w. N.; OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 205, 206), mithin eine Vorlage durch den Einzelrichter nach § 348 Abs. 3 Nr. 1 ZPO geboten ist (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.; Geiß/Greiner, a. a. O., Rn. E 35). Im Rahmen der Entscheidung über Prozesskostenhilfegesuche für eine beabsichtigte Arzthaftungsklage gilt nichts anderes, zumal wenn - wie vorliegend - im Rahmen der im Prozesskostenhilfeverfahren eingeschränkt zulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung bereits Gutachten zu würdigen sind (vgl. Beschluss vom 17.04.2007, a. a. O.).

Die Entscheidung über die Ermäßigung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus Nr. 1812 der Anlage 1 zum GKG. Im Übrigen ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, weil das erstinstanzliche Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden, §§ 118 Abs. 1 S. 4, 127 Abs. 4 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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