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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 12.11.2009
Aktenzeichen: 12 W 33/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
ZPO § 485 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 574 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. Mai 2009, Az.: 14 OH 1/09, abgeändert:

Es soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens eines - noch zu benennenden - medizinischen Sachverständigen über folgende Fragen:

1. Ist das Arzneimittel Prednisolon (R) zur Behandlung einer Neurosarkoidose grundsätzlich zugelassen?

2. a) Entspricht es - nach dem medizinischen Standard im September des Jahres 2002 - einer ordnungsgemäßen Medikation, wenn nach der Diagnose einer Neurosarkoidose vier Wochen lang das Arzneimittel Prednisolon (R) mit einer täglichen Dosis von 100 mg verordnet wird, anschließend die Tagesdosis für drei Wochen auf 75 mg reduziert wird, danach vier Wochen lang auf 60 mg täglich, und im weiteren Verlauf im 4-Wochen-Rhythmus jeweils um weitere 20 mg bis auf 20 mg täglich reduziert wird.

b) Entspricht es - nach dem medizinischen Standard im September des Jahres 2002 - einer ordnungsgemäßen Medikation, wenn nach dem Abschluss einer Cortison-Hochdosistherapie, wie sie unter Ziffer 6 beschrieben wurde, täglich weiterhin 20 mg Prednisolon (R) verordnet werden.

3. Sofern es sich bei der Gabe des Arzneimittels Prednisolon (R) in der in Ziffer 2 genannten Dosierung für die Antragstellerin um eine Fehldosierung des Medikaments handelte, ist in diesem Fall anzunehmen, dass aufgrund dessen bei der Antragstellerin eine schubhafte Verschlechterung des Krankheitsbildes einsetzte, und dass es insbesondere zu einem vorzeitigen Mobilitätsverlust kam?

4. Unterstellt, die unter Ziffer 2 dargestellte medikamentöse Behandlung der Antragstellerin mit Prednisolon (R) sei fehlerhaft gewesen: Wie lange hätte nach ärztlicher Erfahrung der vollständige Mobilitätsverlust der Antragstellerin bei ordnungsgemäßer Therapie herausgezögert werden können?

Die Ärztekammer Berlin soll um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen ersucht werden.

Die Beauftragung des Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin binnen 2 Wochen einen Auslagenvorschuss für den Sachverständigen in Höhe von 2.000,00 € einzahlt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache weitgehend Erfolg.

Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist mit den im Tenor dargestellten Beweisfragen gem. § 485 Abs. 2 ZPO zulässig. Nach den Angaben der Antragstellerin dient das angestrebte Verfahren der Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits und die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist grundsätzlich auch in einer Arzthaftungssache zulässig (BGH NJW 2003, 1741, 1742), wovon auch das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeht. Die von der Antragstellerin aufgeworfenen Fragen sind durchaus geeignet, sie - je nach dem Ergebnis der Beantwortung - zur Abstandnahme einer Klageerhebung zu veranlassen oder aber eine außergerichtliche Regelung in Bezug auf mögliche Schadensersatzforderungen herbeizuführen. Der Umstand, dass sich die Antragsgegnerin auf Verjährung beruft, steht der Eignung der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht entgegen. Der Verjährungseinwand kann zwar im Einzelfall ein Hinweis darauf sein, dass das selbständige Beweisverfahren eine außergerichtliche Einigung selbst bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht herbeiführen kann; gleichwohl vermag der Antragsgegner nicht bereits allein durch den Einwand der Verjährung einer Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens den Boden zu entziehen. Es bleibt dem Antragsgegner grundsätzlich unbenommen, einen solchen Einwand - vorsorglich - zu erheben. Für die Voraussetzungen der Verjährung ist er jedoch darlegungs- und beweisbelastet, so dass ein Bestreiten mit Nichtwissen in Bezug auf eine etwaige Kenntnis der Antragstellerin vom Vorliegen eines möglichen Behandlungsfehlers nicht ausreichen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin nicht allein deshalb sich einer einvernehmlichen Regelung verschließen wird, weil sie den Einwand der Verjährung für Erfolg versprechend erachtet.

Die in der Beschlussformel näher bezeichneten Fragen stehen auch im Zusammenhang mit der Feststellung der Ursache eines Personenschadens i.S.v. § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Antragstellerin macht hinreichend deutlich, dass sie einen Behandlungsfehler in Form einer fehlerhaften Medikation für möglich hält und ihr dadurch insoweit ein Schaden entstanden ist, als sich der Zustand ihrer Erkrankung - vorzeitig - verschlechtert hat. Richtig ist, dass es sich bei der Wertung einer möglichen Pflichtverletzung in Bezug auf die Wahl und Dosierung der Medikation (auch) um Rechtsfragen handelt, die ein medizinischer Sachverständiger nicht allein anstelle des Gerichts beantworten kann. Gleichwohl kann eine gerichtliche Entscheidung nicht ohne entsprechende sachverständige Feststellungen getroffen werden, da sie maßgeblich vom medizinischen Standard, der einen objektiven Charakter aufweist, bestimmt wird (vgl. OLG Oldenburg, MDR 2008, 1059). Hält man auch in Fällen der Arzthaftung ein selbständiges Beweisverfahren grundsätzlich für zulässig, so steht jedenfalls im Hintergrund dieses Vorgehens in der Regel die Frage, inwieweit das Vorliegen eines Behandlungsfehlers in Betracht kommt. Stellt sich im selbständigen Beweisverfahren heraus, dass eine bestimmte Medikation Ursache für eine körperliche Beeinträchtigung war und entspricht die Medikation nicht dem medizinischen Standard, so können dahingehende von § 485 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erfasste Feststellungen maßgebliche Erkenntnisse für den Hauptsacheprozess in Bezug auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers liefern, ohne dass die Frage des Vorliegens eines Behandlungsfehlers als Rechtsfrage sowie des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden bereits abschließend festgestellt werden können. Dies hindert aber, so auch der BGH in seiner Entscheidung vom 21.01.2003, die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gerade nicht. Vielmehr können beide Parteien nach Vorlage des Gutachtens in gewissem Umfang etwaige Prozessrisiken, die auch nach Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens verbleiben, abschätzen und die gewonnenen Erkenntnisse können so Grundlage einer Einigung ohne Durchführung eines streitigen Verfahrens sein.

Die Beantwortung der Beweisfragen stellt sich - mit einer Ausnahme (dazu sogleich) - auch nicht als reine Ausforschung dar, die im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich unzulässig ist. Die Antragstellerin hat unter Angabe gewisser Anhaltspunkte dargelegt, dass die von ihr dargestellte schubhafte Verschlechterung der Beweglichkeit ihrer Beine durch die Verordnung einer Überdosis eines bestimmten Medikamentes beschleunigt wurde. Damit hat sie hinreichend aufgezeigt, dass das selbständige Beweisverfahren der Klärung dieses behaupteten Behandlungsfehlers dient (vgl. dazu auch Thüringer OLG MedR 2006, 211). Anders als in der vorgenannten Entscheidung ist die Antragstellerin vorliegend nicht auf der Suche nach einem Verursacher für die Beschwerden und stellt auch nicht ihre von mehreren Ärzten durchgeführte und über Jahre hinweg erfolgte Behandlung in allen Einzelheiten in Frage, sondern es geht um eine konkret dargestellte Behandlung in Form der Verabreichung einer bestimmten Medikation in einer bestimmten Dosis, hinsichtlich derer sie davon ausgeht, dass diese nicht sachgerecht war. Eine reine Ausforschung ist damit nicht verbunden.

Schließlich ergibt sich eine Unzulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens auch nicht aus dem vom Landgericht zusätzlich angeführten Gesichtspunkt der Komplexität der Fragestellungen. Es handelt sich um einige wenige zu klärende Fragen, für deren Beantwortung möglicherweise eine Auswertung von Behandlungsunterlagen über einen längeren Zeitraum hinweg erforderlich wird. Der Senat vermag aber nicht zu erkennen, dass damit ein Aufwand verbunden ist, der sich für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens als nicht mehr tragbar erweist. Anders als in der vom Landgericht angeführten Entscheidung des OLG Köln (GesR 2004, 235) geht es vorliegend nicht um eine Klärung einer möglicherweise erfolgten jahrelangen fehlerhaften psychiatrischen Behandlung, sondern um eine in einem bestimmten Zeitraum erfolgte Medikation, mit der keine komplexen Fragestellungen verbunden sind, sondern hinsichtlich derer es lediglich erforderlich werden kann, zur Klärung des konkreten Zustandes der Antragstellerin im fraglichen Zeitpunkt bis dahin vorhandene Behandlungsunterlagen hinzuziehen. Darin sieht der Senat keinen unverhältnismäßigen Aufwand.

Allerdings hat die Antragstellung nicht in vollem Umfang Erfolg. Für die Beantwortung der mit der Antragsschrift unter Ziffer 2. gestellte Frage einerseits und der mit Schriftsatz vom 24.04.2009 gestellten Beweisfragen zu Ziffer 6. und 7. andererseits, ist - nebeneinander - kein Raum. Soweit sich die Antragstellerin das Vorbringen des Antragsgegners zur tatsächlich erfolgten Medikation zu Eigen macht, kann sich auch nur hieraus ein Behandlungsfehler ergeben und nicht aus einer möglicherweise gar nicht erfolgten Medikation, wie sie unter Ziffer 2. der Antragsschrift dargestellt ist. Die Fragen zu Ziffer 6. und 7. stellen sich letztlich als eine Präzisierung der Ziffer 2. dar, so dass sie an deren Stelle zu setzen sind.

Nicht zulässig ist die Beweisfrage zu Ziffer 3. der Antragsschrift. Diese Frage dient in der Tat der reinen Ausforschung, denn der Sachverständige soll ohne jeden konkreten Anhaltspunkt herausfinden, ob auch bei indizierter Medikation irgendwelche nicht näher dargestellten Aspekte gegen die Therapie sprachen. Konkrete Anhaltspunkte gibt die Antragstellerin hierfür nicht an.

Da die sofortige Beschwerde nur in geringem Umfang unbegründet war, hat der Senat von einer Auferlegung von Gerichtskosten zulasten der Antragstellerin abgesehen. Aus diesem Grunde ist auch eine Kostenteilung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten nicht veranlasst, zumal sich die Antragsgegnerin am Beschwerdeverfahren ohnehin nicht beteiligt hat.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1, 2 ZPO liegen nicht vor. Die grundsätzliche Frage, inwieweit in Arzthaftungssachen überhaupt die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens zulässig ist, ist höchstrichterlich geklärt. Ob die Voraussetzungen zur Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens im Übrigen vorliegen, bleibt stets einer Bewertung des Einzelfalles vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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