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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 01.04.2009
Aktenzeichen: 12 W 51/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, StVG


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 249 Abs. 2 S. 2
BGB § 254
BGB § 278
BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 114 S. 1
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 3 S. 1
ZPO § 574 Abs. 2
StVG § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Cottbus, Az.: 3 O 102/08, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe zur Rechtsverteidigung gegen eine Klage, mit der er vom klagenden Land (im Folgenden: Kläger) auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls mit einem Polizeifunkstreifenwagen in Anspruch genommen wird.

Am 12.04.2006 beabsichtigten die Polizeibeamten POM E... und PM W. als Fahrer und Beifahrer eines Funkstreifenwagens mit dem Kennzeichen ... im Rahmen einer Tatortbereichsfahndung nach einem Raubüberfall auf einen Drogeriemarkt in C. den mit einem Fahrrad fahrenden Beklagten als Tatverdächtigen zu überprüfen. Die Beamten folgten dem Beklagten durch ein Wohngebiet und beabsichtigten einen Zugriff in Höhe des Hauses ...-Straße 33. Als der Beklagte die Polizeibeamten erblickte, flüchtete er mit seinem Fahrrad auf die vor dem Haus Nr. 33 befindliche Grünfläche. In der Absicht, den Beklagten zu Fuß verfolgen, befuhr der Polizeiobermeister E. mit dem Polizeifahrzeug zunächst die Grünfläche. In der Folgezeit kam es aus zwischen den Parteien streitigen Gründen zu einem Zusammenstoß mit dem Fahrrad, infolge dessen der Funkstreifenwagen gegen einen Baum fuhr. Dabei wurde der Funkstreifenwagen im Frontbereich beschädigt.

Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage Reparaturkosten in Höhe von 7.749,16 € brutto, Abschleppkosten in Höhe von 75,40 €, Gutachterkosten in Höhe von 494,99 €, eine unfallbedingte Wertminderung in Höhe von 450,00 €, Vorhaltekosten in Höhe von 107,03 € sowie eine Kostenpauschale von 10,00 €, insgesamt 8.885,68 € geltend. Er trägt insoweit unbestritten vor, dass es sich bei dem beschädigten Funkstreifenwagen um ein Leasingfahrzeug handelt, die Leasinggeberin ihn jedoch gemäß den Leasingbedingungen berechtigt habe, Ansprüche wegen Beschädigung des Leasinggutes gegen den Schadensverursacher geltend zu machen.

Der Kläger behauptet, der Beklagte sei plötzlich und unerwartet vom Fahrrad gesprungen und habe dies unmittelbar vor den Funkstreifenwagen geworfen. Der Polizeiobermeister E. habe einen Zusammenstoß des Funkstreifenwagens mit dem Fahrrad nicht mehr vermeiden können. Durch den Zusammenstoß sei das Fahrzeug nicht mehr lenkbar gewesen, so dass es mit dem Baum kollidiert sei. Für den Polizeibeamten sei der Unfall unvermeidbar gewesen. Er - der Kläger - sei nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Er sei berechtigt, die gutachterlich festgelegte merkantile Wertminderung geltend zu machen, da die Nachfrage an ausgemusterten Funkstreifenwagen keinesfalls eingeschränkt sei.

Der Beklagte behauptet, der Polizeiobermeister E. habe ihn auf seinem Fahrrad angefahren und sei dann, während des eingeleiteten Ausweichmanövers, um den Beklagten nicht zu überfahren, gegen den Baum gefahren. Der Unfall sei daher allein durch den Polizeiobermeister E. schuldhaft verursacht worden. Der genaue Unfallhergang lasse sich anhand des sichergestellten Fahrrades und der gefertigten Fotos des beschädigten Fahrzeuges rekonstruieren. Danach könne der vom Kläger geschilderte Unfallhergang ausgeschlossen werden. Zudem sei die Klage auch der Höhe nach unschlüssig, da die gezahlte Umsatzsteuer zumindest teilweise an den Kläger zurückfließe und bei einem als Polizeifahrzeug genutzten Pkw der Unfallschaden für einen Weiterverkauf aufgrund des eingeschränkten Kreises potentieller Käufer keine Bedeutung habe, so dass eine Wertminderung nicht gegeben sei.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es fehle zur Zeit an einer hinreichenden Erfolgsaussicht für die Rechtsverteidigung. Bereits nach dem Vorbringen des Beklagten sei eine Haftung für die Schäden an dem Fahrzeug nach §§ 823 Abs. 1, 249 BGB gegeben. Der Beklagte habe durch seine ungerechtfertigte Flucht die Verfolgungsfahrt "herausgefordert" und bereits von daher die in diesem Zusammenhang entstandenen Schäden zu ersetzen. Selbst wenn auf der Grundlage der Darlegungen des Beklagten der Fahrer u. U. fahrlässig das Fahrrad berührt haben könnte, stelle dies eine risikotypische Begleiterscheinung dar, die allein auf das gefahrenerhöhende Vorverhalten des Beklagten zurückzuführen sei. Dafür, dass das Fahrrad vorsätzlich mit hoher Geschwindigkeit berührt worden wäre, gebe es keinen Anhaltspunkt. Soweit der Fahrer nach dem Anstoß ausgewichen sei um den Beklagten nicht zu verletzen, könne ihm dies nicht mit Erfolg vorgehalten werden. Das Gericht gehe daher nicht davon aus, dass nach einer Beweisaufnahme ein Sachverhalt festzustellen sein könnte, der eine Haftung des Beklagten ganz oder teilweise entfallen lassen würde. Die Schadenshöhe sei schlüssig dargetan worden, die Angriffe des Beklagten erschienen demgegenüber nicht substanziell genug.

Gegen den ihn zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 01.10.2008 zugestellten Beschluss hat der Beklagte mit einem am 06.10.2008 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er die Auffassung des Landgerichts, seine beabsichtigte Rechtsverteidigung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, angreift. Er macht geltend, die Reaktion der Polizeibeamten sei unverhältnismäßig gewesen, indem sie gefahrlos den Wäscheplatz hätten umfahren können, um ihm den Weg abzuschneiden. Indem sie mit relativ hoher Geschwindigkeit auf das unbefestigte bewachsene Gelände gefahren seien, seien sie ein unnötiges und verhältnismäßig hohes Risiko eingegangen, so dass der bei der Verfolgungsfahrt eingetretene Schaden ihm nicht zuzurechnen sei.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 06.10.2008 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 114 S. 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Prozesskosten aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Im Streitfall hat die beabsichtigte Rechtsverteidigung des Beklagten gegenüber dem schlüssig dargelegten Anspruch des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig. Der Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers, dass ihn die Leasinggeberin als Eigentümerin des verunfallten Funkstreifenwagens ermächtigt hat, Schadensersatzansprüche in eigenem Namen gerichtlich geltend zu machen, nicht entgegengetreten. Der Kläger hat als Leasingnehmer auch ein eigenes Interesse an der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche im eigenen Namen, auch sind entgegenstehende, schutzwürdige Interessen des Beklagten nicht ersichtlich.

2. Der Kläger kann von dem Beklagten mit Erfolg Schadensersatz für die im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz am 12.04.2006 entstandenen Schäden aus § 823 Abs. 1 BGB verlangen.

Grundsätzlich haftet derjenige, der sich der (vorläufigen) Festnahme durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch Flucht zu entziehen versucht und diese Personen dadurch in vorwerfbarer Weise zu einer sie selbst gefährdenden Verfolgung herausgefordert hat, für die infolge der gesteigerten Gefahrenlage erlittenen Schäden (vgl. BGH NJW 1996, 1533 m.w.N.). Voraussetzung ist, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen den mit der Verfolgung verbundenen Risiken und dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden gewahrt ist und sich der Verfolger dem gesteigerten Verfolgungsrisiko nicht in gänzlich unangemessener Weise ausgesetzt hat, da in diesem Fall eine Einstandspflicht des Fliehenden nicht mehr vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB gedeckt würde (BGH a.a.O.). Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach gegeben. Der Beklagte bestreitet nicht, vor den Polizeibeamten, die ihm im Zuge der polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit einem kurz zuvor begangenen Raubüberfall überprüfen wollten, geflüchtet zu sein, weil zum damaligen Zeitpunkt gegen ihn ein Haftbefehl vorlag. Mit seiner Flucht auf dem Fahrrad hat er somit die Verfolgung durch die Polizeibeamten POM E. und PM W. herausgefordert. Entgegen der Ansicht des Beklagten war die Reaktion der Polizeibeamten nicht unverhältnismäßig oder unangemessen. Der Beklagte trägt selbst vor, mit dem Fahrrad in Richtung des auf dem Grundstück des Hauses Nr. 33 befindlichen Wäscheplatzes gefahren zu sein, weil er auf einem befestigten Weg keine Chance gehabt habe, vor dem Funkstreifenwagen erfolgreich zu flüchten. Da der Beklagte dringend tatverdächtig war, an einem kurz zuvor begangenen Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein, stellt sich die Verfolgung des flüchtenden Beklagten mittels eines Funkstreifenwagens bis auf die vor dem Wäscheplatz befindliche Grünfläche nicht als unverhältnismäßig dar, da nicht ersichtlich ist, inwieweit die Polizeibeamten anderenfalls mit Erfolg eine Flucht des Beklagten hätten verhindern können. Darüber hinaus hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, dass der auf dem Beifahrersitz befindliche PM W. bereits im Begriff war, den Türgriff zu betätigen, um auszusteigen und den Beklagten zu Fuß zu folgen, als es zu der zwischen den Parteien streitigen Kollision mit dem Fahrrad des Beklagten kam. Unter diesen Umständen sind der nachfolgende Zusammenstoß des Funkstreifenwagens mit einem Baum und die infolge dieses Zusammenstoßes an dem Fahrzeug entstandenen Schäden dem Beklagten objektiv zuzurechnen.

Der objektive Zurechnungszusammenhang ist - das Vorbringen des Beklagten unterstellt - auch nicht dadurch unterbrochen, dass der Funkstreifenwagen das Fahrrad des Beklagten berührt hat und der Fahrer des Funkstreifenwagens infolge dieser Berührung die Gewalt über das Fahrzeug verloren hat bzw. beim Ausweichen gegen den Baum gefahren ist. Auch in diesem Fall ist die adäquate Ursache für die Beschädigung des Fahrzeuges durch das Verhalten des Beklagten gesetzt worden. Eine Unterbrechung des kausalen Zusammenhanges wäre nur dann anzunehmen, wenn es sich um ein ungewöhnlich grobes Fehlverhalten des Führers des Funkstreifenwagens handeln würde, etwa wenn dieser vorsätzlich gegen das Fahrrad des Beklagten gefahren sein sollte, um ihm an der weiteren Flucht zu hindern. Hierfür sind jedoch auch nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind nicht aufgrund eines in dem Verhalten des Fahrzeugführers POM E. liegenden Mitverschuldens gem. § 254 BGB zu kürzen. Wie bereits erwähnt, macht der Kläger im vorliegenden Fall aufgrund einer Einziehungsermächtigung die Ansprüche der Leasinggeberin als Eigentümerin geltend. Der Leasinggeber als geschädigter Eigentümer muss sich jedoch im Rahmen der hier allein in Betracht kommenden deliktischen Haftung ein Mitverschulden des Fahrzeugführers oder die Betriebsgefahr des Fahrzeuges nicht zurechnen lassen (vgl. BGH NJW 2007, 3320, 3321). Eine Anspruchsminderung wegen Mitverschuldens ist bei dem hier allein in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB nur möglich, wenn die Voraussetzungen des § 254 BGB vorliegen, der im Gegensatz zu § 9 StVG dem Geschädigten das Verschulden desjenigen nicht zurechnet, der die tatsächliche Gewalt über die beschädigte Sache ausübt. Die gegenüber § 254 BGB erfolgte Erweiterung der Mithaftung des geschädigten Eigentümers durch § 9 StVG entspricht dem unterschiedlichen Haftungssystem bei der Gefährdungshaftung und der Verschuldenshaftung, so dass für eine entsprechende Anwendung des § 9 StVG auf Fälle der Verschuldenshaftung i.S.d. § 823 BGB kein Raum ist. Auch fehlt es zwischen der Leasinggeberin, deren Ansprüche der Kläger hier geltend macht, und dem POM E. als Fahrer des Leasingfahrzeuges an einer vertraglichen oder sonstigen rechtlichen Sonderverbindung, die eine Zurechnung eines Mitverschuldens des Fahrzeugführers an dem Verkehrsunfall nach § 278 BGB als Erfüllungsgehilfen der Leasinggeberin gestatten würde (vgl. BGH a.a.O., S. 3122).

Die Einwendungen des Beklagten gegen die geltend gemachte Schadenshöhe greifen ebenfalls nicht durch. Da der Kläger das Fahrzeug hat reparieren lassen, ist gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB auch die angefallene Mehrwertsteuer zu ersetzen. Der Schadensersatzanspruch hinsichtlich der Umsatzsteuer besteht auch dann, wenn ein Anteil der Umsatzsteuer wieder an den Kläger zurückfließt (vgl. BGH NJW 2004, 3557 f). Schließlich kann der Kläger auch mit Erfolg den Ersatz des gutachterlich belegten Minderwertes in Höhe von 450,00 € ersetzt verlangen. Die geltend gemachte merkantile Wertminderung wäre nur dann nicht zu ersetzen, wenn für das betreffende Fahrzeug wegen seiner zweckbestimmten speziellen Herstellung allgemein kein Gebrauchtwagenmarktinteresse bestünde (vgl. LG Nürnberg-Fürth NJW 1982, 2079; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 12 StVG Rn. 25). Der Kläger hat insoweit vorgetragen, dass ein solcher Gebrauchtwagenmarktinteresse an ausgedienten Polizeifahrzeugen aufgrund der regelmäßigen Wartung und Pflege der Fahrzeuge besteht, weil die Streifenwagen als solche nicht mehr zu erkennen sind. Dem ist der Beklagte letztlich nicht mehr substanziiert entgegengetreten.

Die übrigen geltend gemachten Schadenspositionen sind vom Beklagten der Höhe nach nicht bestritten worden.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Pflicht des Beklagten zur Tragung der Gerichtskosten ergibt sich Nr. 1812 des KV (Anlage 1 zu § 3 GKG), so dass es einer gesonderten Kostenentscheidung nicht bedarf. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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