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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.11.2001
Aktenzeichen: 13 U 221/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 288
BGB § 612
BGB § 324 Abs. 1
BGB § 249 Satz 1
BGB § 284 Abs. 1 Satz 1
BGB § 288 Abs. 1
AGBG § 11 Nr. 7
ZPO § 287
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 101 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
13 U 221/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 14.11.2001

verkündet am 14.11.2001

Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht Boiczenko, die Richterin am Oberlandesgericht Fladèe und den Richter am Landgericht Dr. Gerschner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. August 2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47.301,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Juli 2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 42 % und die Beklagte zu 58 %. Die Kosten der Nebenintervention trägt zu 42 % die Klägerin; im übrigen trägt sie der Streithelfer der Beklagten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin beläuft sich auf 34.983,00 DM, die der Beklagten und ihres Streithelfers auf 47.301,00 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Klägerin hat zwar nicht aufgrund eines Vertrages oder Vorvertrages, wohl aber unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen Anspruch auf Zahlung des ausgeurteilten Betrages von 47.301,00 DM für die beiden Spielzeiten 1998/99 und 1999/2000.

1. Ein Vergütungsanspruch aufgrund Vertrages (§§ 611, 612 BGB) oder Vorvertrages besteht allerdings nicht, weil es an einer entsprechenden Einigung der Parteien fehlt.

Die Festanstellung der Klägerin wurde unstreitig zum 31. Juli 1998 beendet. Danach sollte sie - wie sie behauptet - als Gastsolistin beschäftigt werden; ein solcher Gastspielvertrag ist aber nicht zustandegekommen. Der Dienstvertrag setzt nämlich voraus, daß die Leistung bestimmter Dienste vereinbart wird, woran es hier schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin fehlt. Gastsolisten werden, wie aus § 20 Abs. 2 des Normalvertrags Solo erhellt, nur für ganz bestimmte Rollen und eine bestimmte Anzahl von Aufführungen engagiert, was bedeutet, daß eben erst mit Festlegung derselben bestimmte Dienste vereinbart sind. § 612 BGB hilft nur über die fehlende Bestimmung der Vergütung hinweg. Ein Engagement für bestimmte Rollen gab es aber nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht. So hat auch der Zeuge A - als damaliger Intendant der Beklagten - bestätigt, daß nach dem "Nichtverlängerungsgespräch" vom 9. Oktober 1997 erst noch ein Dienstvertrag für die Gastpartien mit allen Details, namentlich dem konkreten Theaterstück bzw. der Oper, der Rolle, des Zeitraumes und der Gage, abgeschlossen werden sollte. Dazu kam es aber nicht, weswegen ein vertraglicher Vergütungsanspruch, der ggf. aus § 324 Abs. 1 BGB herzuleiten wäre, nicht besteht.

Auch ein Vorvertrag (dazu: Palandt/Heinrichs, BGB 60. Auflage, Einführung vor § 145 Rdnr. 19 f.) setzt - wenigstens - voraus, daß sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte geeinigt haben und der Inhalt des abzuschließenden Hauptvertrages zumindest bestimmbar ist. Es muß eine so weitgehende Einigung erzielt worden sein, daß sich der Inhalt des Hauptvertrages unter Anwendung des § 287 ZPO im Wege der - auch ergänzenden - Auslegung ermitteln läßt. Daß dies der Fall gewesen wäre, ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht; insoweit kann auf die eben gemachten Ausführungen verwiesen werden.

2. Die Beklagte haftet aber unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen. Dieses Rechtsinstitut ist von den Gerichten in langjähriger Übung unter Fortbildung des Bürgerlichen Rechts entwickelt und vom Gesetzgeber in § 11 Nr. 7 AGB-Gesetz anerkannt worden.

a) Schon während der Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages schuldet jeder Verhandlungspartner dem anderen - im Hinblick auf das durch die Verhandlungen begründete Vertrauensverhältnis - zumutbare Rücksichtnahme auf dessen berechtigte Belange. Dazu gehört auch, daß er die Vertragsverhandlungen nicht "grundlos", d.h. ohne triftigen Grund, aus sachfremden Erwägungen, abbricht, falls er zuvor das Vertrauen des anderen Teils geweckt hat, der Vertrag werde mit Sicherheit Zustandekommen (BGH NJW 1978, 1802/1804). Dem Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Bereitschaft, einen bestimmten Vertrag abzuschließen, ist nach Treu und Glauben der Fall gleichzustellen, daß ein Verhandlungspartner zwar zunächst eine solche, von ihm geäußerte Absicht gehabt hat, im Verlaufe der Verhandlungen aber innerlich von ihr abgerückt ist, ohne dies - rechtzeitig - zu offenbaren (BGH NJW 1996, 1884/1885).

Soweit für den Streitfall interessierend, läßt sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Regel ableiten, daß danach auch derjenige haftbar sein kann, der zunächst ohne Verschulden bei der Verhandlungsführung Vertrauen auf das sichere Zustandekommen des Vertrages erweckt, dann aber gleichwohl den Vertragsschluß verweigert, ohne hierfür einen triftigen Grund zu haben. Im Hinblick auf die Entschließungsfreiheit der Verhandlungspartner kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn ein qualifizierter Vertrauenstatbestand gegeben ist. Ein solcher liegt regelmäßig vor, wenn derjenige, welcher anschließend den Vertragsschluß verweigert, selbigen zuvor als sicher hingestellt oder den anderen Teil zu (nicht unerheblichen) Vorleistungen veranlaßt hat (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 276 Rdnr. 74 mit weiteren Nachweisen).

b) So liegt es hier. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat eindeutig die Behauptung der Klägerin bestätigt, daß ihr im Zuge des "Nichtverlängerungsgespräches" am 9. Oktober 1997 von den damaligen Vertretern der Beklagten, nämlich dem seinerzeitigen Geschäftsführer T und dem seinerzeitigen Intendanten A , bei einvernehmlicher vorzeitiger Beendigung der Festanstellung - unstreitig vereinbart - verbindlich zugesagt wurde, sie anschließend im Rahmen von Gastspielverträgen für zwei Spielzeiten in zwei Fachpartien bei Neuinszenierungen zu beschäftigen. Diese Zusage hat die Beklagte später - nach Wechsel sowohl des Geschäftsführers als auch des Intendanten - nicht eingehalten. Einen qualifizierten Vertrauenstatbestand hat die Beklagte während des "Nichtverlängerungsgespräches" in zweierlei Hinsicht geschaffen: Erstens wurde der Klägerin der Abschluß der zugesagten Gastspielverträge als sicher in Aussicht gestellt und zweitens wurde sie eben hierdurch zu einer beachtlichen Vorleistung veranlaßt, nämlich zur einvernehmlichen vorzeitigen Beendigung ihrer langjährigen Festanstellung.

Selbiges ergibt sich aus den detaillierten und übereinstimmenden Angaben der Zeugen T und A , denen der Senat folgt. Beide haben mit Bestimmtheit und plausibel bekundet, daß der Abschluß von Gastspielverträgen nicht etwa unverbindlich in Aussicht gestellt, sondern ganz im Gegenteil verbindlich zugesagt wurde. Anderenfalls hätte die Klägerin auch keine Veranlassung gehabt, auf die Vorteile ihrer Festanstellung zu verzichten.

Daß es für die spätere Weigerung der Beklagten, ihre ursprüngliche Zusage einzuhalten, einen triftigen Grund gegeben hätte, ist von ihr nicht schlüssig dargetan worden. Namentlich reicht der pauschale Vortrag (Bl. 123) nicht aus, die Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, etwa die von ihr genannten Partien in "G " und "L " zu singen. Erstens ist nicht erläutert, in welchen konkreten Punkten die damalige Qualifikation der Klägerin nicht ausgereicht haben soll. Zweitens ist nicht dargetan, daß andere Rollen als die von der Klägerin favorisierten ("V " und "L ") ebenfalls mangels entsprechender Qualifikation ausschieden. Drittens schließlich sind beide Zeugen bei dem "Nichtverlängerungsgespräch" - für die Klägerin erkennbar - davon ausgegangen, daß der Spielplan ihren Einsatz ermöglichen sollte und würde, so daß auch dies Teil der Zusage an die Klägerin war.

c) Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung kann die Klägerin gemäß § 249 Satz 1 BGB verlangen, so gestellt zu werden, wie sie ohne das schädigende Verhalten der Beklagten gestanden hätte (sog. negatives Interesse), was allerdings auch bedeuten kann, daß das Interesse an der Erfüllung des nicht zustandegekommenen Vertrages zu ersetzen ist - so etwa, wenn zuverlässig festgestellt werden kann, daß ohne die Pflichtverletzung ein anderer, für den Geschädigten günstigerer Vertrag geschlossen worden wäre (BGH NJW 1998, 2900/2901). Welcher Schaden erstattungsfähig ist, richtet sich angesichts der Vielgestaltigkeit, in der ein Verschulden bei den Vertragsverhandlungen in Betracht kommen kann, nach der Ursächlichkeit des schadensstiftenden Verhaltens für den eingetretenen Schaden im Einzelfall (BGH NJW 1988, 2234/2236).

Hätte sich die Beklagte an die Zusagen ihrer damaligen Vertreter, der Zeugen T und A , gehalten, dann wären entsprechende Gastspielverträge geschlossen und die Klägerin insoweit vergütet worden. Der der Klägerin entgangene Verdienst kann nur gemäß § 287 ZPO geschätzt werden. Hierbei hat sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten lassen:

Anzusetzen ist die Vergütung für zwei Rollen über zwei Spielzeiten (1998/99 und 1999/2000) hinweg. Abzuziehen sind die Fahrtkosten, die die Klägerin gehabt hätte, und ferner die von ihr für die Mitwirkung in "H " bezogene Gage. Letzteres deshalb, weil der Senat nicht davon ausgehen kann, daß sie in "H " auch dann aufgetreten wäre, wenn die Beklagte ihr die zugesagten Gastrollen in zwei Neuinszenierungen gegeben hätte.

Die zu schätzende Vergütung besteht aus zwei Komponenten, nämlich der Probenpauschale und der Gage für die Fachpartien (Aufführungen), wie die Zeugen erläutert haben. Danach liegt der von der Klägerin in Ansatz gebrachte Betrag von 4.000,00 DM für die Probenpauschale sogar noch unter der damals bei der Beklagten üblichen Marge (von 5.000,00 bis 8.000,00 DM) und ist folglich nicht überhöht - aber auch nicht zu niedrig, weil die Klägerin wegen der ihr bekannten Sparmaßnahmen der Beklagten mit Einschränkungen rechnen mußte. Was die Gage für die Fachpartien angeht, kann der Senat angesichts der Unwägbarkeiten, mit denen bei Vergütungsverhandlungen zu rechnen ist, nur einen Mindestschaden abschätzen. Dieser liegt bei dem von den Zeugen genannten Satz von 1.000,00 DM. Für eines der beiden Stücke in der Spielzeit 1998/99 sind allerdings nur 800,00 DM anzusetzen, wie dies die Klägerin selber - bei "G " - getan hat. Hinsichtlich der Anzahl der Fachpartien ist für die (erste) Spielzeit 1998/99 von den (tatsächlichen) Daten für "L " und "G " auszugehen, für die (zweite) Spielzeit 1999/2000 von damals üblichen acht Aufführungen (so der Zeuge A ).

Die abzusetzenden Fahrtkosten ( Jahreskarte) sind für die erste Spielzeit durch eine Auskunft der D nachgewiesen (Bl. 229). Für die zweite Spielzeit kann sie der Senat selber feststellen, weil eines seiner Mitglieder seit 1999 entsprechende Jahreskarten erwirbt; im Sommer 1999 kostete sie 1.948,00 DM (drei Tarifwaben von B bis Br ).

Das ergibt folgendes Rechenwerk:

1998/99

1. Probenpauschale 4.000,00 DM 16 x 1.000,00 DM 16.000,00 DM 2. Probenpauschale 4.000,00 DM 17 x 800,00 DM 13.600,00 DM 37.600,00 DM abzgl. Fahrtkosten ./. 1.274,00 DM abzgl. Gage "H " ./. 11.077.00 DM Schaden 25.249,00 DM

1999/2000

2 x Probenpauschale 8.000,00 DM 2 x (8 x 1.000,00 DM) 16.000,00 DM 24.000,00 DM abzgl. Fahrtkosten ./. 1.948,00 DM Schaden 22.052,00 DM

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 284 Abs. 1 Satz 1, 288 BGB alter Fassung, weil die Neufassung des § 288 Abs. 1 BGB für "Altverträge" nicht gilt (Art. 229 § 1 Abs. 1 EGBGB).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Da kein Anlaß besteht, die Revision zuzulassen (§ 546 Abs. 1 ZPO), ergibt sich die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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