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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.02.2008
Aktenzeichen: 13 UF 6/07
Rechtsgebiete: BGB, SGB VII


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1602
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
SGB VII § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7
SGB VII § 30
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

13 UF 6/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 4. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Richterinnen am Oberlandesgericht Surkau und Rieger sowie den Richter am Oberlandesgericht Dr. Gerschner

am 8. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten vom 4.6.2007 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Dem Beklagten kann die begehrte Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht.

Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag nur dann Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Das vom Beklagten beabsichtigte Rechtsmittel hat jedoch nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keine hinreichende Erfolgsaussicht.

Der Beklagte beabsichtigt, nach einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe Berufung mit dem Antrag einzulegen, unter Abänderung des am 27.4.2007 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Nauen - Familiengericht - die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht jedoch zu Recht der Klage stattgegeben, weil der Beklagte dem im Sinne des § 1602 BGB bedürftigen Kläger - seinem minderjährigen Sohn - gemäß §§ 1601, 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB in der zuerkannten Höhe Unterhalt schulde. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die in vollem Umfang Bezug genommen wird. Das Amtsgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht fehlerfrei gewürdigt und in tatsächlicher Hinsicht zutreffend festgestellt. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Beklagten vermögen nicht zu überzeugen. Auch sein weiteres Vorbringen im Schriftsatz vom 4.6.2007 rechtfertigt eine anderweitige Entscheidung nicht. Dem minderjährigen bedürftigen Kläger stehen gegenüber seinem leistungsfähigen Vater - dem Beklagten - die zuerkannten Unterhaltsansprüche gemäß §§ 1601, 1602, 1603 Abs. 1 und 2 BGB zu. Der Beklagte kann sich infolge einer unterlassenen zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht auf eine mangelnde Leistungsfähigkeit berufen.

Dem Unterhaltspflichtigen trifft die Obliegenheit, im Interesse des Unterhaltsberechtigten seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, muss er sich fiktive Einkünfte anrechnen lassen, die er durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Die Einkommensfiktion knüpft in erster Linie an die Arbeitslosigkeit bzw. an eine die unterhaltsrechtlich geforderte Leistungsfähigkeit nicht voll gewährleistende Erwerbstätigkeit des Unterhaltspflichtigen an. Bei unterhaltsrechtlich unzureichenden Erwerbseinkünften ist gegebenenfalls eine Nebentätigkeit aufzunehmen. Bei Arbeitslosigkeit muss der Unterhaltspflichtige alles Zumutbare unternehmen, um durch Finden eines Arbeitsplatzes seine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Der bloße Hinweis auf den Bezug von Arbeitslosengeld II reicht ebenso wenig aus wie die Meldung beim Arbeitsamt. Vom Unterhaltsschuldner müssen die unternommenen Anstrengungen nicht nur konkretisiert werden, sondern er trägt für die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen die Darlegungs- und Beweislast. Zur Konkretisierung bedarf es der Auflistung der Bewerbungen sowie des nachprüfbaren Vortrages der im Einzelnen berufsspezifisch unternommenen Schritte. Unter Berücksichtigung eines Umgangsrechtes hat der Unterhaltsverpflichtete auch überregionale Anstrengungen zu unternehmen, um einen Arbeitsplatz zu erlangen. Insoweit kann auch ein Wohnortwechsel zumutbar sein (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1603, Rdnr. 35 ff., m.w.N.).

Gegenüber dem Kläger als minderjährigem Kind gilt zudem eine gesteigerte Unterhaltsobliegenheit. Den Beklagten als Vater trifft die Pflicht, alle verfügbaren Mittel heranzuziehen, um für den angemessenen Unterhalt seines minderjährigen Kindes aufzukommen. Seine Leistungsfähigkeit als Unterhaltsschuldner bestimmt sich nicht nach seinem tatsächlichen Einkommen, sondern nach den in zumutbarer Weise erzielbaren Einkünften. Der gesteigerte Unterhaltspflichtige muss zusätzliche Zugeständnisse bei den Arbeitsmodalitäten machen und zum Beispiel bereit sein, auch zu ungünstigen Zeiten, wie nachts, in den frühen Morgenstunden sowie an Wochenenden zu arbeiten. Die gesteigerte Arbeitspflicht verlangt eine Tätigkeit, deren Zeitaufwand den einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit entspricht. Auch die Beweislast für die Unmöglichkeit einer Nebentätigkeit trägt der Unterhaltspflichtige. Seine Arbeitslosigkeit zwingt zu besonders intensiven Bemühungen um einen Arbeitsplatz. Hierbei kann für die Anstrengungen die Zeit aufzuwenden sein, die ein Erwerbstätiger für seinen Beruf aufbringt. Der Schuldner muss gegebenenfalls einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen und notfalls auch Beschäftigungen annehmen, die seinem bisherigen Werdegang nicht entsprechen, wobei auch ein Ortswechsel zumutbar sein kann (vgl. a.a.O., § 1603, Rdnr. 60 ff., m.w.N.). Zur Sicherung des Unterhaltsbedarfes seines minderjährigen Kindes bis zur Höhe des jeweiligen Regelbedarfes ist der Beklagte daher gemäß § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet, alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt zu verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf zu nehmen. Dabei ist er gegebenenfalls auch zu einem Arbeits- oder Ortswechsel verpflichtet, um ein zumutbares Einkommen zu erzielen, das den Unterhalt in Höhe des Regelbedarfs sichert sowie zur Aufnahme einer Nebentätigkeit.

Vorliegend hat der Beklagte - wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt - derart ausreichende Bewerbungen um einen Arbeitsplatz nicht dargelegt. Auch unter Zugrundelegung einer erheblichen Sehschwäche und einer behaupteten früheren neurologischen Erkrankung, die dazu führe, dass er keinerlei Kopfschutz tragen könne und nicht höhentauglich sei, ist er gleichwohl ansonsten in der Lage, am Erwerbsleben teilzunehmen. Dies ergibt sich sowohl aus seinen eigenen früheren Tätigkeiten als auch aus seiner Nebentätigkeit bei einem Bestattungsunternehmer sowie aus dem Inhalt seiner eingereichten Bewerbungsschreiben, beispielsweise aus den Schreiben vom 27.9. und 23.10.2006 für die Bewerbungen als Helfer bei der Firma Treppensanierung F... P... bzw. als Kraftfahrer und Transporthelfer bei der Firma Po...-Umzüge. Neben einer Arbeit bei Bestattungsunternehmen sind ihm nach seinen eigenen Angaben insbesondere auch Tätigkeiten im Transportbereich, im Umzugsgewerbe, in der Reinigungsbranche sowie als Baumaschinist und Anlagenfahrer zumutbar. Der 1961 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Lehre als Maschinenkeramik-Fachwerker sowie über Berufserfahrungen im Baugewerbe, bei der Gerätebedienung und bei der Entsorgung, im Metallgewerbe sowie in der Logistik und im Verkauf. Er ist in der Lage, Baumaschinen wie Radlader und Rampen zu bedienen sowie deren Servicearbeiten auszuführen. Er hat den Hebeführerschein der Klasse 1 (Stapler) und der Klasse 5 (Kran). Der Führerschein der Klasse B ist in seinem Besitz. Die von ihm eingereichten Erwerbsbemühungen entsprechen aber nicht annähernd dem von der Rechtsprechung geforderten Umfang. Hinzu kommt, dass sich seine Erwerbsbemühungen nicht nur auf die unmittelbare Wohnortregion beschränken dürfen, sondern in zumutbarer Weise darüber hinausgehen müssen, insbesondere den Großraum Berlin/Brandenburg einschließen müssen. Der Unterhaltspflichtige hat sich, wenn es um die Sicherung des Mindestbedarfs seines minderjährigen Kindes geht, auch überregional um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen. Auch unter Berücksichtigung seines Umgangsrechts mit dem Kläger ist ihm hierbei ein Wohnortswechsel zumutbar. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit selbst eine nicht besonders qualifizierte Arbeitskraft keine Chance auf dem Arbeitsmarkt habe, gibt es nicht. Bei der Ausübung der zuvor genannten zumutbaren Tätigkeiten ist durchaus ein fiktives Einkommen von ca. 1.400 € netto erzielbar. Sowohl unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes in Höhe von 820 € bis zum 31.12.2007, als auch in Höhe von 900 € ab dem 1.1.2008 verbleibt eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Beklagten und damit der letztlich zuerkannte Barunterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 100 % des jeweiligen Regelbetrages der Regelbedarfsverordnung Ost abzüglich des jeweils anrechnungsfähigen staatlichen Kindergeldes und zwar auch, nachdem der Kläger zum 29.7.2007 in die 3. Altersstufe aufgerückt ist (269 € bzw. ab 1.1.2008 365 €). Selbst dann, wenn es dem Beklagten im Einzelfall nicht gelingen sollte, eine derart bezahlte Arbeit zu finden und er beispielsweise die von ihm beschriebene Tätigkeit in der Wachschutzbranche ausüben würde, in der im Jahre 2005 Bruttolöhne in Höhe von ca. 1.400 € gezahlt worden seien, und ihm lediglich ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 948,96 € verbliebe, sodass er unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes von damals 820 € zunächst in Höhe von 128,96 € leistungsfähig sei, muss er sich im Regelfall und so auch vorliegend darauf verweisen lassen, sein Einkommen auf andere zumutbare Weise zu erhöhen, insbesondere durch die Aufnahme einer Nebentätigkeit, etwa als Zeitungs- oder Werbezettelausträger, Kellner, Bote, Reinigungskraft, Teilzeitarbeitnehmer in einem Callcenter oder bei einem Bestattungs-, Transport- oder Umzugsunternehmen und zwar auch zu ungünstigen Arbeitszeiten, beispielsweise an Wochenenden. Bei derartigen Nebentätigkeiten ist durchaus ein weiteres Nettoeinkommen von monatlich zwischen 300 und 400 € erzielbar. Diese Obliegenheit kann zwar im Einzelfall unzumutbar sein, wenn es nach Abwägung der Bedarfslage des Berechtigten mit der konkreten Lebens- und Arbeitssituation des Verpflichteten unbillig erscheint, ihn auf die Ausübung einer Nebentätigkeit zu verweisen. An die äußeren Umstände, die eine Unzumutbarkeit einer Nebentätigkeit begründen können, sind aber jedenfalls dann, wenn es wie hier um die Sicherstellung des Mindestunterhalts für ein minderjähriges Kind geht, hohe Anforderungen zu stellen. Die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür hat der Unterhaltspflichtige darzulegen und zu beweisen. Anhaltspunkte hierfür sind vorliegend weder dargetan noch in sonstiger Weise ersichtlich. Sie ergeben sich weder aus dem geschilderten Gesundheitszustand noch aus der Ausübung des Umgangsrechtes mit dem Kläger. Die Entscheidung des Amtsgerichts erweist sich auch aus einem weiteren Grund als zutreffend. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB VII sind seit dem 1.8.2006 Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten bis zu dem in einem Unterhaltstitel festgelegten Betrag vom Einkommen des Hilfsbedürftigen abzusetzen. Das bedeutet, dass ein zur Erfüllung eines titulierten Unterhaltsanspruchs erzieltes Einkommen über die in § 30 SGB II hinaus definierten Freibeträge bei der Berechnung des ALG II anrechnungsfrei verbleibt, soweit es tatsächlich geleistet wird. Um solche Ansprüche handelt es sich bei dem hier geschuldeten und vom Amtsgericht zuerkannten Unterhaltsbetrag. Der Beklagte musste sich daher rechtzeitig zur Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit im Umfang des Unterhaltsanspruchs seines minderjährigen Sohnes um eine ausreichende, wenigstens stundenweise Tätigkeit kümmern. Ausreichende Bemühungen in dieser Richtung hat er indes nicht unternommen. Er muss sich daher einen fiktiven Nebenverdienst in Höhe von mindestens 600 € netto monatlich anrechnen lassen. Neben dem geleisteten ALG II in Höhe von monatlich 666 € netto hätte er mit diesem in zumutbarer Weise, gegebenenfalls bei mehreren Unternehmen erzielbaren Nebeneinkommen den erforderlichen Unterhaltsbetrag für den Kläger gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II anrechnungsfrei sicherstellen können.

Hinzu kommt vorliegend, dass auch die Kindesmutter neben dem Kindergeld lediglich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II bezieht.

Die durch Ausübung des Umgangsrechts üblicherweise entstehenden Kosten für Fahrten, Übernachtung, Verpflegung usw. kann der umgangsberechtigte Beklagte als Einkommensminderung grundsätzlich beim Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes nicht geltend machen. Billigkeitserwägungen greifen erst ein, wenn die Kostenbelastung für den Umgangsberechtigten schlechthin unzumutbar ist und die Ausübung des Umgangs praktisch unmöglich wird. Anhaltspunkte hierfür sind weder dargetan noch in sonstiger Weise ersichtlich. Auf höhere Wohnkosten oder Kreditbelastungen kann sich der Beklagte gegenüber dem zuerkannten Unterhaltsanspruch nicht berufen. In dem Selbstbehalt ist ein angemessener Mietanteil bereits enthalten, der nunmehr für die Warmmiete 360 € beträgt. Ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 21.2.2007 werden dem Beklagten neben den Regelleistungen für erwerbsfähige Hilfsbedürftige in Höhe von monatlich 345 €, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 321 € gewährt, wobei letztere unmittelbar auf das Konto seiner Eltern überwiesen werden, denen der Beklagte zuvor sein Zweifamilienwohngrundstück übertragen hat und die nach dem Inhalt des Finanzierungsübernahmevertrages vom 2.9.2004 mit der Eigentumsumschreibung des Grundbesitzes die restliche Rückzahlung der Kredite übernommen haben (vgl. § 2 Nr. 2 dieses Vertrages).

Nach alledem war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 118 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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