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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 02.10.2007
Aktenzeichen: 15 UF 71/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, FGG, KostO


Vorschriften:

BGB § 1626 a Abs. 2
BGB § 1666
BGB § 1671 Abs. 2 Ziff. 2
ZPO § 621 e Abs. 1
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
KostO § 131 Abs. 1 Satz 2
KostO § 131 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

15 UF 71/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem familiengerichtlichen Verfahren

betreffend das Sorgereccht für das minderjährige Kin R... D..., geb. am ... 1997,

hat der 3. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Richter am Oberlandesgericht Langer, den Richter am Amtsgericht Neumann und die Richterin am Oberlandesgericht Jungermann

am 02. Oktober 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 03. Mai 2007 verkündete Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Königs Wusterhausen - 30 F 260/06 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern wird das Sorgerecht für das Kind R... D..., geb. am ... 1997, auf den Vater übertragen.

Der Antrag der Mutter, ihr das Sorgerecht zu übertragen, wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die beteiligten Eltern, die von 1994 bis April 2007 miteinander verheiratet waren, streiten um das Sorgerecht für ihre am ... 1997 geborene gemeinsame Tochter R....

Nach der Trennung - Anfang Dezember 2004 - bewohnte die Mutter mit R... zunächst das Erdgeschoss und der Vater das Obergeschoss des im Alleineigentum des Vaters stehenden Familieneigenheims in E.... Der Vater hielt sich ab Januar 2005 häufig auch bei seiner neuen Lebensgefährtin in B... auf. Anfang November 2006 zog die Mutter zusammen mit R... aus dem Haus aus und wohnt jetzt in B..., allerdings weniger als 2 km von dem früheren Wohnort entfernt; R... besucht nach wie vor dieselbe Schule wie vor dem Umzug. Der Vater hat das Haus zunächst allein weiterbewohnt; seit Anfang 2007 lebt seine Lebensgefährtin mit ihren beiden Kindern bei ihm.

Seit der Geburt der gemeinsamen Tochter rivalisierten die Eltern um die Gunst des Kindes. So gab es bereits vor der Trennung sog. "Papa-Abende" und "Mama-Abende". Gemeinsame Aktivitäten waren selten. Auch nach der Trennung gab es zunächst weiterhin zwei "Papa-Abende" wöchentlich, an denen R... auch beim Vater übernachte. Außerdem brachte er seine Tochter morgens zur Schule. Die Wochenenden sollten im 14-tägigen Rhythmus aufgeteilt werden. Eine schriftliche Festlegung der Umgangsregelungen kam allerdings nicht zustande. Ab Februar 2005 kam es wegen des Umgangs mit R... vermehrt zu Streitigkeiten zwischen den Eltern bis hin zur Verweigerung des Umgangs durch die Mutter, woraufhin der Vater im April 2005 ein Umgangsrechtsverfahren einleitete - 30 F 73/05 Amtsgericht Königs Wusterhausen -. Er warf der Mutter vor, ihn bei dem Kind schlecht zu machen und den Kontakt absichtlich zu verhindern. Die Mutter schilderte den Vater als jähzornig und - ihr gegenüber - gewalttätig; er ängstige sowohl sie als auch die Tochter. Das Kind sei selbstbewusster, seit es keinen Kontakt zum Vater mehr habe.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung trafen die Eltern im Juni 2005 zunächst eine Zwischenvereinbarung zum Umgang. Bereits am ersten Umgangswochenende nach dem Termin kam es zu Schwierigkeiten bei der Übergabe des Kindes, die in einer tätlichen Auseinandersetzung endete, an der auch R...s Großvater (mütterlicherseits) beteiligt war. Auch in der nachfolgenden Zeit gab es immer wieder Probleme bei der Umsetzung des Umgangs, die auch durch eine im Jahre 2006 zeitweise eingesetzte Umgangsbegleitung nicht beseitigt werden konnten.

Das Amtsgericht hat zu der Frage, ob und in welchem Umfang der Umgang mit dem Vater dem Kindeswohl diene, ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte Sachverständige, Dipl.-Psych. B..., gelangte in seinem Gutachten vom 19.01.2006 zu dem Ergebnis, dass der von R... geäußerte Wille, nicht mehr zum Vater gehen zu wollen, als selbstgefährdend einzustufen sei, da für einen Kontaktabbruch in der Person des Vaters keine hinreichenden Gründe vorlägen. Der lediglich mit geringer Intensität vorgetragene Wunsch spiegele die negative Haltung der Mutter zum Vater wieder, die R... übernommen habe; er ziele auf eine Reduzierung des durch den Loyalitätskonflikt ausgelösten Stresses. Obwohl auch bei der Durchführung eines regelmäßigen Umgangs gegen den Willen des Kindes kurzfristig negative Auswirkungen auf seine Persönlichkeitsentwicklung zu befürchten seien, sei dies gegenüber den möglichen negativen Auswirkungen bei einem Umgangsabbruch die am wenigsten kindeswohlschädliche Alternative. Der Sachverständige empfahl einen regelmäßigen Umgang alle 14 Tage von Freitagnachmittag bis Montagmorgen und wöchentlich am Donnerstagnachmittag bis Freitagmorgen sowie eine übliche Regelung für die Ferien und an den Feiertagen. Die Mutter solle darüber hinaus angehalten werden, familienunterstützende Maßnahmen oder eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Bei fortgesetzter Umgangsverhinderung solle der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf den Vater übertragen werden.

Das Amtsgericht traf darauf hin mit Beschluss vom 31.03.2006 eine detaillierte Umgangsregelung, die sich in etwa an den Vorschlägen des Sachverständigen orientierte, zum Teil sogar darüber hinaus ging (u. a. 14-tägiger Umgang von Donnerstagnachmittag bis Montagmorgen).

Gegen diesen Beschluss legte die Mutter befristete Beschwerde ein - 15 UF 66/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht -, mit der sie insbesondere rügte, dass das Amtsgericht sich das "fehlerhafte Gutachten" völlig unkritisch zu Eigen gemacht habe. Insbesondere habe es den autonomen Willen des Kindes nicht beachtet. Sie verwies auf Stellungnahmen des sie behandelnden Psychotherapeuten Dr. Ra..., der auch Einzelgespräche mit R... geführt habe, und meinte, dass die Ablehnung des Vaters auf eigenen, negativen Erfahrungen des Kindes mit ihm beruhe. Einen Antrag auf einstweilige Aussetzung der Umgangsregelung begründete sie damit, dass R... offenbar nicht nur eine Abneigung gegen den Vater hege, sondern auch eine nicht unbegründete Angst vor ihm habe. Sie schilderte mehrere Gewaltausbrüche des Vaters in dem Zeitraum von 1998 bis Mai 2006; der letzte Vorfall (Eintreten der verschlossenen Tür zu einem von R... genutzten Dachzimmer) habe bei dem Kind zu einem "seelischen Kollaps" geführt, als es die Bruchstücke des zersplitterten Rahmens im Zimmer gefunden habe. Der Vater beschrieb hingegen, dass sich die anfänglich ablehnende Haltung seiner Tochter ihm gegenüber immer sehr schnell gebe und während der Umgänge sodann ein guter und herzlicher Kontakt bestehe.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2006 vor dem Senat nahm die Mutter das Rechtsmittel auf Anraten des Senats zurück.

Schon damals hat der Senat auf Grund des Eindrucks, den er im Rahmen der Anhörung von R... gewonnen hatte, das Amtsgericht gebeten, zu prüfen, ob ein Verfahren gemäß § 1666 BGB wegen Kindeswohlgefährdung einzuleiten sei. Bevor das Amtsgericht diese Anregung aufgreifen konnte, hatte allerdings der Vater bereits das vorliegende Sorgerechtsverfahren eingeleitet, mit dem er die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich erstrebt.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2006 trafen die Eltern eine bis zum 31.01.2007 befristete Zwischenvereinbarung dahin, dass R... ihren Aufenthalt jeweils wöchentlich wechselte. Nach der Darstellung des Vaters verbrachte er mit seiner Tochter in den Herbstferien von Ende September bis Mitte Oktober eine schöne Zeit. Nachdem sie die nächste Woche bei der Mutter verbracht hatte und er sie sodann am 23.10.2006 vom Klavierunterricht abholte, hatte sich ihr Verhalten merklich verändert; sie weinte und wollte nicht mit und konnte erst nach längerem gutem Zureden beruhigt werden. Ab Mitte der Woche entspannte sich das Verhältnis wieder. Zu Beginn der nächsten Umgangswoche am 6.11.2006 zeigte sich R... bei der Abholung durch den Vater noch renitenter; sie nahm eine Protesthaltung wie bei einem Sitzstreik ein, sträubte sich und musste vom Vater zum Auto getragen werden. Diese Aktion wurde von dem Großvater mütterlicherseits beobachtet. Die Mutter erstattete Strafanzeige wegen Kindesmisshandlung, woraufhin gegen Abend zwei Kriminalbeamte beim Vater erschienen, um R... in Augenschein zu nehmen. Die Umgangswoche beim Vater wurde bereits am Dienstag beendet. Seitdem fand trotz des (rechtskräftigen) Beschlusses zum Umgangsrecht vom 31.03.2006 kein Umgang mehr statt; auch dass das Amtsgericht durch Beschluss vom 30.11.2006 zeitweise das Jugendamt als Ergänzungspfleger für die Bereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht und Umgang einsetzte, vermochte daran nichts zu ändern.

Das Amtsgericht hat zu der Frage, welche Regelung zur elterlichen Sorge dem Kindeswohl am besten entspreche, ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte Sachverständige Dr. W... gelangt in seinem Gutachten vom 26.02.2007 zu den folgenden Ergebnissen:

- Die Mutter sei lediglich eingeschränkt erziehungsfähig. Es fehle an der notwendigen Bindungstoleranz. Sie sei nicht in der Lage anzuerkennen, dass eine Bindung oder Beziehung zwischen Vater und Tochter bestehe. Die Depotenzierung des Vaters gehe so weit, dass überlegt werde, ob er tatsächlich R...s Vater sei. Sie sei nicht in der Lage einen Zusammenhang zwischen der ablehnenden Haltung des Kindes und ihrer eigenen Abwehr zu erkennen. Insofern könne sie nicht zwischen sich und R... unterscheiden und akzeptiere damit letztlich nicht, dass R... eine eigene Persönlichkeit sei. Auf Grund ihrer neurotischen Struktur sei sie nicht in der Lage, auf spezielle Situationen flexibel zu reagieren und neue Informationen in ihre Einschätzung zu integrieren.

- Der Vater weise zwar dominante Züge auf; diese seien jedoch nicht pathologisch. Ihm sei es gelungen, die Voraussetzungen für eine Bindungstoleranz zu erreichen, nämlich die frühere Beziehung mit der Kindesmutter in die eigene Persönlichkeit zu integrieren und eine Bindung der Mutter zu R... zu erkennen und diese als erhaltenswert einzuschätzen. Er habe eine ausreichende mentale Repräsentanz von R... und akzeptiere deren eigene Persönlichkeit. Seine Fähigkeit zur Ausübung der elterlichen Sorge sei daher insgesamt nur "im üblichen Ausmaß" der Normalbevölkerung eingeschränkt.

- Auch bei R... hat der Sachverständige hinsichtlich der Persönlichkeit deutliche Auffälligkeiten im Grenzbereich zu einer Störung festgestellt. Es zeige sich eine Struktur, in der Gefühle verdrängt werden, eine zu hohe Selbstbeherrschung vorliege und eine Flucht in die Interaktion mit Dritten stattfinde. R... verhalte sich in der Interaktion mit dem Vater adäquater, nämlich lebendiger und eigene Interessen durchsetzend, als in der Interaktion mit der Mutter. Eine Bindung zum Vater sei vorhanden. Ihr Wille, bei der Mutter zu leben, sei zwar stabil, jedoch weder autonom noch zielorientiert oder intensiv. Insgesamt zeigten sich Verhaltensmerkmale manipulierter Kinder, nämlich eine fast völlige Verneinung und Ausblendung positiver Erfahrungen mit dem ungeliebten Elternteil, das Fehlen einer normalen Ambivalenz, die reflexartige Parteinahme und die Abwesenheit von Schuldgefühlen.

- Das Kindeswohl sei gefährdet, und zwar insofern, als dem Kind eine eigene Akzeptanz und eine eigene Ausgestaltung der Persönlichkeit nicht gelinge. Die Ursache liege darin, dass das Kind sich nicht selbst akzeptieren könne, weil es den Kindesvater ablehnen müsse und die Mutter eine Identität von sich mit R... verlange. Das schließe nicht aus, dass auch der Vater sich in einzelnen Situationen fehlerhaft verhalten habe bzw. auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Auffälligkeiten seine Tochter in konkreten Situationen enttäusche, belaste, frustriere oder ähnliches. Dies seien jedoch Situationen, die jedes Kind in unterschiedlichen Formen erlebe und die üblicherweise von einem Kind bewältigt werden könne.

Eine Maßnahme zur Abwendung dieser Gefährdung bestehe darin, dass die Mutter sich verändere, also ihre Identität mit R... aufgebe. Da eine Bereitschaft hierzu nicht zu erkennen sei, bleibe nur die Möglichkeit, dass R... beim Vater lebe und mit der Mutter einen "üblichen" Umgang habe. Der Umgang sei allerdings anfangs begleitet durchzuführen, da nicht auszuschließen sei, dass die Mutter selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten zeige. Die Entscheidung gegen den Willen des Kindes stelle zwar akut eine Belastung dar. Diese sei allerdings überschaubar, im Gegensatz zu der permanenten Belastung, die der Verlust eines Elternteils darstelle. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige betont, dass "gegenwärtig das Fenster zum Vater noch offen sei".

Die Mutter, die mit dem Gutachten nicht einverstanden ist, hat gerügt, dass der Sachverständige einzelne Äußerungen falsch und ihre Persönlichkeit verzerrt dargestellt, die Persönlichkeit des Vaters hingegen zu unkritisch gesehen habe. Seine Hypothesen seien zum Teil aus der Luft gegriffen und beruhten auf einer tendenziell persönlich ablehnenden Haltung gegenüber der Mutter. Er habe sich insbesondere über den Willen des Kindes und das Kontinuitätsprinzip hinweggesetzt.

Auch das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin haben sich explizit dagegen ausgesprochen, etwas gegen R... Willen zu unternehmen, allerdings auch darauf hingewiesen, dass R... sich nach wie vor in einem ständigen Loyalitätskonflikt zwischen den Eltern befinde und deshalb eine seelische Kindeswohlgefährdung drohe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht haben beide Eltern beantragt, ihnen jeweils die elterliche Sorge allein zu übertragen. Das Amtsgericht hat das Sorgerecht durch den angefochtenen Beschluss der Mutter allein übertragen, da dies dem Wohl des Kindes am besten entspreche. R... lebe seit der Trennung im Haushalt der Mutter und habe durchgängig und stabil ihren Willen dahingehend geäußert, dass dies so bleiben solle. Dieser Wille sei zwar nicht autonom, sondern beruhe auf einer Manipulation durch die Mutter; dennoch sei er beachtlich. Es schade dem Wohl des Kindes, sich über dessen Willen hinwegzusetzen.

Hiergegen richtet sich die befristete Beschwerde des Vaters, mit der er seinen Antrag, das alleinige Sorgerechts auf ihn zu übertragen, weiterverfolgt. Er meint, gestützt auf das Sachverständigengutachten, dass die Entscheidung des Amtsgerichts der Kindeswohlgefährdung nicht entgegenwirke, sondern zu einer Verstärkung der Gefährdung führe.

Die Mutter hält den Beschluss jedenfalls im Ergebnis für richtig. Sie ist der Auffassung, dass R... allein wegen dessen eigenen Verhaltens keinen Umgang mehr mit dem Vater haben wolle. Seit kein Umgang mehr stattfinde, gehe es dem Kind sehr viel besser; es sei glücklich, leistungsstark und selbstbewusst.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2007 sämtliche Beteiligten, das Kind R... sowie die beiden in den bisherigen Umgangs- und Sorgerechtsverfahren tätig gewesenen Sachverständigen Dr. W... und B... angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

II.

Die gemäß § 621 e Abs. 1 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige befristete Beschwerde des Antragstellers gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, das Sorgerecht für das gemeinsame Kind R... der beteiligten Eltern auf die Mutter zu übertragen, ist begründet; sie führt zur Übertragung des Sorgerechts auf den Vater und zur Zurückweisung des gegenläufigen Antrags der Mutter.

1.

Dem Amtsgericht ist zuzustimmen, dass es angesichts des erheblichen Konfliktpotentials zwischen den Eltern insbesondere und gerade auch in den Belangen des gemeinsamen Kindes bei dem bislang bestehenden gemeinsamen Sorgerecht nicht bleiben kann.

Leben die ganz oder in Teilbereichen gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, wie hier, nicht nur vorübergehend getrennt, ist gemäß § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB auf Antrag - auch ohne die Zustimmung des anderen Elternteils - einem Elternteil die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde bereits entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (grundlegend BGH, NJW 2000, 203, 204; ebenso BVerfG, NJW-RR 2004, 577). Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist deshalb grundsätzlich - und auch der Senat hat dies wiederholt ausgesprochen - eine auch nach der Trennung fortbestehende Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern zur Kooperation in den das gemeinsame Kind betreffenden Belangen, setzt also insoweit eine tragfähige soziale Beziehung auf der Elternebene zwischen ihnen voraus (BVerfG, a.a.O.).

Daran fehlt es vorliegend. Eine solche Beziehung besteht zwischen den Eltern nicht; sie sind vielmehr aus Gründen, die an dieser Stelle nicht zu erörtern sind, offensichtlich nicht mehr in der Lage, in Belangen, die das gemeinsame Kind betreffen, sinnvoll miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Beispielhaft sei auf die allein in diesem Verfahren wechselseitig erhobenen Vorwürfe, etwa im Zusammenhang mit den Ereignissen beim letzten Umgangskontakt im November 2006, verwiesen; sie legen beredtes Zeugnis für das beträchtliche Konfliktpotential zwischen den Eltern ab. Dementsprechend wird die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge in diesem Verfahren auch von keinem der Beteiligten befürwortet.

2.

Bei dieser Sachlage kann das gemeinsame Sorgerecht keinen Bestand haben. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist es allerdings auch nicht auf die Mutter zu übertragen. Vielmehr ist der Senat auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. W... vom 26.02.2007 - das zu nahezu identischen Ergebnissen gelangt wie das in dem vorausgegangenen Umgangsrechtsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen B... -, aber auch auf Grund des Gesamteindrucks, den er während des Verfahrens von den Eltern und dem Kind gewonnen hat, davon überzeugt, dass es dem Kindeswohl am besten entspricht, das Sorgerecht auf den Vater zu übertragen.

Die Einwände, die die Mutter gegen das Gutachten vorgebracht hat, sind überwiegend formaler Natur und für den Senat nicht von entscheidender Bedeutung. Es ist zwar richtig, dass es (formale) Standards für die "Wissenschaftlichkeit" von Gutachten in Sorge- und Umgangsrechtssachen gibt, die sich etwa auf den Umgang mit der einschlägigen Literatur oder auf den Einsatz bestimmter Testverfahren beziehen und die das vorgelegte Gutachten vielleicht nicht in vollem Umfang erfüllt. Auf der anderen Seite aber gibt es, insbesondere was den Einsatz von Testverfahren betrifft, eine "Bandbreite", innerhalb derer die konkrete Ausgestaltung der Begutachtung in das Ermessen des Sachverständigen gestellt ist, zumal sich die angewandte Psychologie ständig fortentwickelt. Dieses Ermessen kann umso freier sein, je größer auf Grund der Ausbildung und der Berufserfahrung des Sachverständigen seine (nachgewiesene) Sachkunde ist. Die Sachkunde von Herrn Dr. W... ist dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren, in denen er als Sachverständiger mitgewirkt hat, hinreichend bekannt und über die geäußerten Zweifel erhaben.

Viel entscheidender sind die von dem Sachverständigen dokumentierten Verhaltensbeobachtungen und die Validität der daraus gezogenen Schlussfolgerungen, die der Senat im Einzelnen nachvollzogen hat und die er sich in ihrem wesentlichen Kern unbedenklich zu Eigen machen kann. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater R... Wohl am besten entspricht. Sie ist notwendig, um eine weitere langfristige Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Die Mutter ist - jedenfalls derzeit - nur eingeschränkt erziehungsfähig. Es gelingt ihr nicht, R... in hinreichendem Maß bei dem Aufbau einer eigenständigen Persönlichkeit zu unterstützen. Außerdem fehlt ihr die erforderliche Bindungstoleranz, nämlich die Bereitschaft und die Fähigkeit, den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil zu unterstützen und zu fördern. Hierdurch ist R...s Wohl gefährdet. Die Kindeswohlgefährdung besteht darin, dass das Mädchen sich nicht selbst akzeptieren kann, weil es den Vater ablehnen muss. Es zeigen sich in ihrer Persönlichkeit bereits deutliche Auffälligkeiten. Maßgebliche Ursache hierfür ist die fehlende Bindungstoleranz der Mutter, die bereits der Sachverständige B... in seinem Gutachten im Umgangsrechtsverfahren festgestellt hat. Sie kann oder will nicht einsehen, dass R...s Ablehnung des Vaters auf ihrer eigenen Abwehrhaltung beruht und nicht auf einem Verhalten des Vaters. Sie vermag nicht zu erkennen, dass die Tochter ihre starken negativen, zum Teil hasserfüllten Gefühle gegenüber dem Vater aufnimmt, selbst wenn sie diese ihr gegenüber nicht offen ausspricht. Daran ändert es nichts, dass sie verbal versuchen mag, das Kind zum Umgang mit dem Vater zu motivieren. Die nonverbalen Botschaften, die den größeren Anteil der Kommunikation ausmachen, signalisieren R..., dass ihre Mutter "glücklicher" ist, wenn sie den Vater ablehnt. Dass sie - die Mutter - es ist, die das Kind damit in einen Loyalitätskonflikt treibt, und dies dem Kind "Bauchschmerzen" verursacht, vermag sie ebenfalls nicht erkennen.

Soweit die Mutter darzulegen versucht, dass R...s Ängste auf eigenen Erfahrungen mit Gewaltausbrüchen des Vaters beruhen, sind die meisten der von ihr geschilderten Vorfälle schon deshalb unbeachtlich, weil das Kind entweder nicht dabei war oder sich auf Grund seines Alters daran unmöglich erinnern kann. Die verbleibenden Vorfälle sind weder ihrer Art noch ihrer Anzahl nach geeignet, eine so tiefgreifende Angst vor dem Vater zu begründen, dass sie ihn nicht mehr sehen will. Dies gilt umso mehr, als R... Dritten gegenüber nie davon gesprochen hat, vor ihrem Vater Angst zu haben. Weder die Sachverständigen noch die Mitarbeiter des Jugendamtes oder die Anfang 2006 tätige Umgangsbegleiterin noch der Senat konnten feststellen, dass R... Angst hatte, wenn sie erst einmal mit dem Vater zusammen war. Ein ängstliches Verhalten war lediglich anlässlich der Übergabesituationen im Beisein der Mutter zu beobachten. Dieser Umstand stützt aber eher die Annahme der Sachverständigen, dass R... lediglich die Angstgefühle der Mutter übernimmt.

Soweit die Therapeuten, die die Mutter konsultiert hat, deren Auffassung teilen, vermag dies die Wertungen der Sachverständigen schon deshalb nicht zu erschüttern, weil sie lediglich einseitig informiert worden sind und keiner von ihnen R... zusammen mit dem Vater erlebt hat.

Durchgreifende Bedenken, dem Vater das Sorgerecht zu übertragen, sind nicht ersichtlich. Er ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen jedenfalls in einem "normalen" Umfang geeignet, R... zu fördern und zu erziehen; insbesondere - und das ist entscheidend - ist er, anders als umgekehrt die Mutter, in der Lage, ihre Bindung zur Mutter zu erkennen und diese als erhaltenswert einzuschätzen.

Der von R... geäußerte Wille, auch künftig bei der Mutter leben zu wollen, steht der Entscheidung nicht entgegen. Ihr Wille ist zwar stabil, jedoch weder autonom noch zielorientiert und nach Einschätzung der Sachverständigen nicht intensiv. Schon aus diesem Grund ist fraglich, ob er beachtlich ist. Jedenfalls aber ist er aus den dargelegten Gründen als selbstgefährdend einzustufen.

Der Senat ist sich dessen bewusst, dass die Entscheidung, dem Vater das Sorgerecht zu übertragen, mit einem Umzug von R... heraus aus ihrer gewohnten Umgebung in den Haushalt des Vaters verbunden ist und damit naturgemäß zu Belastungen führt. Die Kontinuität ihrer bisherigen Entwicklung erleidet also einen "Bruch". Allerdings kommt sie nicht in eine völlig neue, fremde Umgebung, sondern kehrt zurück in das Haus, in dem sie den größten Teil ihres bisherigen Lebens verbracht hat. Auch ein Schulwechsel ist mit dem Umzug nicht verbunden, da die Wohnungen der Eltern nur ca. 1,6 km auseinander liegen. In Ansehung der Chancen, die sich durch den Wechsel für R... ergeben, insbesondere der Möglichkeit, langfristig beide Elternteile zu behalten, kann und muss dieser "Bruch" hingenommen werden.

III.

Eine Regelung zum Umgangsrecht hat der Senat nicht getroffen und auch nicht treffen können, weil dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist. Der Senat hat die, wenn auch geringe Hoffnung, dass es den Eltern auch ohne eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte gelingen kann, einvernehmliche und dem Kindeswohl entsprechende Umgangsregelungen zu finden. In der Sache dürfte es geboten sein, in den ersten Wochen nach dem Wechsel zum Vater keinen Umgang mit der Mutter stattfinden zu lassen und den Umgang sodann, zunächst begleitet, allmählich aufzubauen, um dem Kind das Sich-Einleben in den Haushalt des Vaters und die Bewältigung des Loyalitätskonfliktes zu erleichtern. Hier wird die Hilfe des Jugendamtes gefordert sein.

Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wie es die Mutter nach Schluss der mündlichen Verhandlung in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 04.09.2007 angeregt hat, besteht nicht. Der Senat hat keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden, sondern die Vorschrift des § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, nach der, wenn gemeinsam sorgeberechtigte Eltern getrennt leben, auf Antrag das gemeinsame Sorgerecht aufgehoben und auf den Antragsteller übertragen werden kann, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht, auf einen Einzelfall angewendet. Insbesondere ist dem von der Mutter im Beschwerdeverfahren wiederholt insinuierten Eindruck entgegenzutreten, dem Grundgesetz lasse sich bei Sorgerechtsentscheidungen gemäß § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB ein grundsätzlicher Vorrang der Mutter vor dem Vater entnehmen. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter in seinem Schriftsatz vom 28.08.2007, dort Seite 2, zum Beleg für diese Auffassung Passagen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.01.2003 - 1 BvL 20/99 - (= FamRZ 2003, 287 ff) zitiert, verkennt er, dass sich diese Entscheidung nicht über die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, sondern über die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1626 a Abs. 2 BGB verhält. Sie betrifft also nicht Sorgerechtsentscheidungen im Verhältnis zwischen ursprünglich miteinander verheirateten und deshalb ursprünglich gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, sondern die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass das Gesetz das Sorgerecht für ein nichtehelich geborenes Kind grundsätzlich der Mutter zuweist. Das wird deutlich, wenn man das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat vervollständigt und insbesondere den (bewusst?) weggelassenen und nur durch "..." angedeuteten Obersatz, so wie ihn das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, wieder einfügt; dieser Obersatz lautet: "Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, ist es gerechtfertigt, das Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsätzlich der Mutter und nicht dem Vater oder beiden Elternteilen zuzuordnen." Mit der vorliegend gegebenen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass R... in eine bestehende Ehe hineingeboren worden ist und ihre Eltern das Sorgerecht jahrelang gemeinsam ausgeübt haben, hat diese Entscheidung nichts zu tun.

Für den Antrag schließlich, die Vollziehung dieses Beschlusses "bis zur Entscheidung über ein außerordentliches, fristgerecht eingelegtes Rechtsmittel" auszusetzen, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Der Beschluss ist mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht angreifbar.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG, § 131 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 KostO.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,00 €

Ende der Entscheidung

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