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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.04.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 12/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 265 Abs. 1
StGB § 142 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 142 Abs. 1
StGB § 142 Abs. 2 Nr. 2
StGB § 142 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ss 12/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort,

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Röper, die Richterin am Oberlandesgericht Pisal und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Kühl

am 9. April 2002

gemäß § 349 Abs. 4 StPO

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 18. Oktober 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Liebenwerda zurückverwiesen.

Gründe:

I. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 DM verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und der Verwaltungsbehörde untersagt, ihm vor Ablauf von vier Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge erhoben werden

II. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO Erfolg, so dass es auf die übrigen Verfahrensbeanstandungen nicht mehr ankommt.

Mit der Anklageschrift vom 6. August 2001 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, mit einem Mobilbagger die Bundesstraße befahren, mit seinem Fahrzeug die über der Straßenmitte befindliche Ampelanlage beschädigt und sich, "obwohl er den Unfall bemerkt hatte" entfernt zu haben. Die Anklageschrift geht mithin davon aus, dass sich der Angeklagte eines Vergehens nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat; folgerichtigerweise wird in ihr die Vorschrift des § 142 Abs. 1 StGB auch genannt.

Dagegen hat das Amtsgericht die Verurteilung des Angeklagten auf § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt. Dies ergibt sich allerdings nicht wörtlich aus dem Urteil, das insoweit unklar gefasst ist. Der erkennende Teil des Urteils nennt als angewandte Strafvorschrift § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB. In den Gründen heißt es, der Angeklagte habe sich eines Vergehens nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht. Allerdings ergeben die übrigen Ausführungen in der rechtlichen Würdigung des Urteils, daß das Amtsgericht in Wirklichkeit § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gemeint hat. Es konnte nämlich "nicht feststellen ..., ob der Angeklagte diesen Unfall an der Lichtsignalanlage sofort bemerkt hat" (UA S. 5). An anderer Stelle (UA S. 6) heißt es, wenn auch in undeutlicher, auslegungsbedürftiger Form, daß der Angeklagte, nachdem er später durch ein Gespräch mit dem Zeugen S von dem Unfall Kenntnis erhalten habe, sich als Unfallbeteiligter hätte zu erkennen geben müssen.

Diese Abweichung des Verurteilungsgrundes von dem rechtlichen Gesichtspunkt, auf den die Anklage gestützt ist, hätte eine entsprechende Belehrung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vorausgesetzt. Nach § 265 Abs. 1 StPO darf der Angeklagte nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist die Belehrung des Angeklagten auch dann erforderlich, wenn eine Verurteilung auf § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt werden soll, nachdem die Anklageschrift dem Angeklagten eine Straftat nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgeworfen hatte (vgl. OLG Celle VRS 54, 38; BayObLG VRS 61, 31; OLG Frankfurt NZV 1989, 40; OLG Frankfurt StV 1992, 60). Diese Belehrung ist, wie das Schweigen des Protokolls beweist (§ 274 S. 1 StPO), nicht erfolgt. Darin liegt ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht.

Auf dieser Verletzung kann das Urteil beruhen (§ 337 S. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich anders verteidigt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß das Amtsgericht seine Verurteilung abweichend von der Anklage auf den dem Urteil schließlich zu Grunde gelegten rechtlichen Gesichtspunkt stützen wollte.

III. Das führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Der Auffassung des Beschwerdeführers, die vorliegenden Feststellungen rechtfertigten bereits seine Freisprechung, schließt sich der Senat nicht an. Allerdings begründet § 142 Abs. 2 Nr. 2 eine strafbewährte Rückkehrpflicht ausdrücklich nur für die Gestaltung, daß sich ein Unfallbeteiligter "berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat". Die Anwendung dieser Vorschrift auf den Fall, daß der Täter den Unfall nicht bemerkt und sich deshalb überhaupt nicht vorsätzlich entfernt hat, verstößt jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) und ist auch im übrigen angebracht; insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 28, 130) Bezug.

Ende der Entscheidung

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