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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.12.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 19/01
Rechtsgebiete: AsylVfG, StGB


Vorschriften:

AsylVfG § 14 Abs. 2
AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 1
AsylVfG § 63
StGB § 271
StGB § 271 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ss 19/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen mittelbarer Falschbeurkundung

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ...

am 6. Dezember 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 21. Januar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten - er ist vietnamesischer Staatsangehöriger - wegen mittelbarer Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Monat und zwei Wochen und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Angeklagte am 10. Januar 2001 in E... und am 18. Januar 2001 in B... bei der jeweils "zuständigen Stelle" durch falsche Personalangaben bewirkt, dass ihm falsche Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG ausgestellt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Sachrüge, die Aufklärungsrüge und weitere Verfahrensrügen erhebt. Mit der Aufklärungsrüge beanstandet er, dass das Gericht die beiden Bescheinigungen nicht verlesen habe. Hätte es dies getan, dann hätte sich erwiesen, dass damit keine Aufenthaltsgestattung, sondern nur eine Meldung als Asylsuchender beurkundet worden sei, die nicht Gegenstand einer Falschbeurkundung im Sinne von § 271 StGB sein könne.

II.

Die Revision ist zulässig und bereits auf Grund der Aufklärungsrüge begründet.

1. Diese Rüge ist nicht, wie die Generalstaatsanwaltschaft annimmt, unzulässig, weil sie auf zwei der Revisionsbegründung beigefügte Kopien der Bescheinigungen Bezug nimmt.

Allerdings müssen die Tatsachen, auf die eine Verfahrensrüge gestützt wird, so vollständig angegeben werden, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in der Lage ist, unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit jener Tatsachen über die Rüge zu entscheiden; dies schließt den Verweis auf beigefügte Urkunden oder Aktenbestandteile aus (KK-Kuckein, 4. Aufl., Rn. 39 zu § 344, m.w.N.). Doch diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht.

Indem diese Begründung selbst den Gegenstand der Bescheinigungen kennzeichnet, die ausstellenden Behörden und die Ausstellungsdaten nennt (Bl. 88 d. A.), ist zunächst klar, über welche Urkunden das Gericht hätte Beweis erheben sollen, worin also der behauptete Verfahrensverstoß überhaupt bestehen soll. Außerdem reicht die Kennzeichnung des Inhalts der Urkunden - es handle sich um "Bescheinigungen über die Meldung als Asylsuchender"; der darin genannte Ausländer habe sich "binnen einer Woche in die Aufnahmeeinrichtung in Ch... bzw. in die Aufnahmeeinrichtung in B... zu begeben" (ebd.) - dafür aus, die Schlüssigkeit der Rüge zu beurteilen.

2. Die Aufklärungsrüge ist auch begründet.

Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich nicht, dass die - in der Revisionsbegründung gekennzeichneten - Bescheinigungen (Bl. 3 und 5 d. A.) verlesen worden sind oder dass über ihren Inhalt im Wege des Vorhalts Beweis erhoben worden ist. Somit ist bewiesen, dass das Amtsgericht keinen Beweis über den Inhalt dieser Urkunden erhoben hat (§ 274 StPO).

Durch diese Unterlassung hat das Gericht seine Aufklärungspflicht verletzt. Es ist evident, dass bei dem Vorwurf der mittelbaren Falschbeurkundung der Inhalt der relevanten Urkunden "für die Entscheidung von Bedeutung ist" (§ 244 Abs. 2 StPO). Dass es sich bei den Urkunden, die das Amtsgericht als "Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung" bezeichnet (und gewürdigt) hat, um die beiden "Bescheinigung(en) über die Meldung als Asylsuchender" (Bl. 3 und 5 d. A.) handelt, auf die sich die Revision bezieht, ergibt sich schon aus den Ausstellungsdaten. Außerdem enthält die Akte keine Urkunden, die das Gericht sonst gemeint haben könnte.

Auf dieser Gesetzesverletzung beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Hätte nämlich das Gericht den Inhalt der beiden Urkunden, das heißt ihre asylrechtliche Bedeutung, aufgeklärt, hätte sich erwiesen, dass sie keine "öffentlichen Urkunden" im Sinne von § 271 Abs. 1 StGB sind.

Eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG besitzt die Eigenschaften solch einer Urkunde, nicht aber eine schlichte Meldung als Asylsuchender, um die es sich in diesem Fall handelt; dies ergibt sich aus den Regelungen des Asylrechts, zu denen diese Urkunden jeweils gehören.

a) Einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, ist zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet (§ 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). Von dem Asylgesuch, das bei der Grenzbehörde (§ 18 Abs. 1 AsylVfG), der Ausländerbehörde oder der Polizei (§ 19 Abs. 1 AsylVfG) gestellt werden kann, ist der förmliche Asylantrag zu unterscheiden. Er kann nur beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestellt werden, ausnahmsweise bei dem Bundesamt selbst (§ 14 Abs. 2 AsylVfG), in der Regel bei derjenigen Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist (§ 14 Abs. 1 AsylVfG).

Nach der Stellung des (förmlichen) Asylantrags wird dem Asylbewerber eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung ausgestellt (§ 63 Abs. 1 AsylVfG). Dadurch wird das besondere Aufenthaltsrecht nach § 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG "deklaratorisch verlautbart" (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., Rn. 2 zu § 63 AsylVfG). Mit der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung genügt der Asylbewerber für die Dauer des Asylverfahrens seiner Ausweispflicht (§ 64 AsylVfG).

Die Personalangaben, die in dieser Bescheinigung beurkundet werden, haben eine erhöhte Beweiswirkung; im Privatrechtsverkehr wie in staatlichen Verfahren ("Beweiskraft für und gegen jedermann") kann mit der Bescheinigung bewiesen werden, dass die Personalangaben richtig sind; in diesem Sinne erstreckt sich auf diese Angaben der "öffentliche Glaube".

Auf Grund dieser erhöhten Beweiswirkung unterstehen die Personalangaben dem strafrechtlichen Schutz nach § 271 StGB; wer deren Falschheit bewirkt, macht sich unter Umständen nach dieser Vorschrift strafbar (BGH NJW 1996, 2170 = BGHSt. 42, 131).

b) All dies gilt nicht für eine Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber.

Jeder Asylbewerber - es sei denn, er gehört ausnahmsweise zu der in § 14 Abs. 2 AsylVfG genannten Personengruppe - hat sich in einer Aufnahmeeinrichtung persönlich zu melden; diese nimmt ihn auf oder leitet ihn an die für seine Aufnahme zuständige Aufnahmeeinrichtung weiter (§ 22 Abs. 1 AsylVfG).

Eine Aufnahmeeinrichtung, bei der sich ein Asylbewerber gemeldet hat, kann bei einer vom Bundesminister des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle erfahren, welche Einrichtung für den Asylbewerber zuständig ist. Maßgebend für die Verteilung sind Aufnahmequoten der Länder (vgl. § 45 AsylVfG), die im Rahmen dieser Quoten freien Unterbringungsplätze und eventuell die Bearbeitungsmöglichkeiten der der Einrichtung zugeordneten Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (§ 46 Abs. 2 AsylVfG).

Eine Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber wird somit ausgestellt, wenn ein Asylbewerber von der Aufnahmeeinrichtung, bei der er sich gemeldet hat, an die zuständige Aufnahmeeinrichtung verwiesen wird.

Die in einer solchen Bescheinigung enthaltenen Personalangaben genießen keinen öffentlichen Glauben; sie unterfallen damit nicht dem strafrechtlichen Schutz nach § 271 StGB (so schon OLG Karlsruhe NStZ 1994, 135), und zwar aus folgenden Gründen:

Die in § 271 StGB vorausgesetzte erhöhte Beweiskraft kann eine Angabe in einer Urkunde nur dann zukommen, wenn die ausstellende Behörde die Möglichkeit besitzt, den Wahrheitsgehalt dieser Angaben vorab zu überprüfen, und diese Möglichkeit auch regelmäßig wahrnimmt (vgl. BGH NStZ 1996, 231, zu § 20 Abs. 4 AsylVfG a.F.). Nun trifft zwar die Pflicht, die Identität eines Asylbewerbers durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern (§ 16 Abs. 1 AsylVfG), schon Polizei und Ausländerbehörde, wenn er bei ihnen um Asyl nachsucht (§ 19 Abs. 2 AsylVfG). Doch dürften die Aufnahmeeinrichtungen kaum die Ergebnisse dieser Maßnahmen abwarten, bevor sie den Bewerber in die zuständige Einrichtung schicken. Denn anders als bei einem Asylantrag (hier schon im Hinblick auf die Ausweisfunktion nach § 64 AsylVfG) ist es für die Frage, in welcher Einrichtung der Bewerber eine Unterkunft erhält, kaum von Belang, ob die Personalangaben auf der Bescheinigung der Wahrheit entsprechen oder nicht.

Vor allem spricht gegen eine erhöhte Beweiskraft im Sinne von § 271 StGB, dass es für diese Bescheinigung - im Unterschied zur Bescheinigung nach § 63 AsylVfG - keine gesetzliche Regelung gibt. Da aber die Verletzung der Wahrheitspflicht, soweit sie sich auf den Inhalt öffentlicher Urkunden auswirkt, durch § 271 StGB mit Strafe bedroht ist, kann sich nach Artikel 103 Abs. 2 GG der öffentliche Glaube nur auf solche Angaben erstrecken, die gesetzlich vorgeschrieben sind (NK-Puppe, Rn. 10 und 11 zu § 271).

3. Das Urteil hätte auch schon auf die Sachrüge aufgehoben werden können. Denn es fehlen darin Feststellungen über die Eigenschaften der Urkunde, die ihr den Charakter einer öffentlichen Urkunde im Sinne von § 271 StGB verleihen. Dabei geht es nicht allein um die Wiedergabe der in der Urkunde genannten Angaben, sondern um deren rechtliche Bedeutung, die sich aus dem Zusammenhang der asylverfahrensrechtlichen Regeln ergibt, zu dem die Urkunde gehört. Denn auf diese Bedeutung bezieht sich die strafrechtliche Beurteilung, und deshalb muss das Tatgericht darüber auch Feststellungen treffen, wie über andere Teile des Sachverhalts auch.

Das Amtsgericht hat sich statt dessen mit einer - zudem falschen - Bezeichnung der Urkunde begnügt. Diese Unvollständigkeit ist eine Verletzung materiellen Rechts (vgl. KK-Kuckein, 4. Aufl., Rn. 28 zu § 337).

Ende der Entscheidung

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