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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 2 U 29/03
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, BGB, GG, StHG/DDR


Vorschriften:

StPO § 111 a
ZPO § 540
BGB § 254
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 3
BGB § 847
GG Art. 34
StHG/DDR § 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 29/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 02.12.2003

verkündet am 02.12.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.02.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) (Az. 11 O 241/02) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I

Der Kläger macht Schmerzensgeld wegen zu Unrecht eingeleiteter Strafverfolgungsmaßnahmen geltend.

Der Kläger wurde beschuldigt, am 19.11.1994 zwei Trunkenheitsfahrten begangen zu haben. Der Polizeibeamte R... übersandte dem Kläger 2 Anhörungsbögen, die der Kläger nach Rückkehr aus einem USA-Urlaub vorfand. Am Tag nach Urlaubsrückkehr, dem 28.11.1994, sprach der Kläger zusammen mit der Zeugin W... bei dem Polizeibeamten R... in der Dienststelle vor und versuchte, durch Vorlage der Reiseunterlagen darzulegen, daß er die ihm vorgeworfenen Taten nicht begangen haben könne, da er zur Tatzeit in der USA weilte. Der Polizeibeamte nahm die Unterlagen nicht entgegen und schickte den Kläger mit den Bemerken: "ich eimere wohl" und "ich sei es gewesen" (Aussage des Klägers Bl. 28 EA) weg. Der Beamte nahm keinen Vermerk in die Ermittlungsakte auf. Vielmehr gab er die Akte an die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis ab, der Kläger habe sich nicht geäußert und es sei davon auszugehen, daß er von seinem Aussagerecht Gebrauch mache.

Am 09.03.1993 hat das Amtsgericht Strafbefehl erlassen, gegen den der Kläger Einspruch einlegte. In der Zeit vom 12.05.1995 bis 12.06.1995 wurde ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO entzogen. In einem am 20.06.1995 anberaumten Hauptverhandlungstermin wurde der Kläger freigesprochen.

In der Folgezeit führte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Polizeibeamten wegen Verfolgung Unschuldiger. Sowohl im anschließenden Hauptverhandlungstermin am 07.12.1998 und im Hauptverhandlungstermin im Berufungsverfahren am 15.01.2002 wurde der Polizeibeamte strafrechtlich verurteilt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, durch das amtspflichtwidrige Verhalten des Polizeibeamten sei er in seinem Persönlichkeitsrecht, durch die Blutprobenentnahme auch in seiner Gesundheit verletzt worden. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.500,00 €. Der Eingriff wiege um so schwerer, als der Kläger - unstreitig - herzkrank ist. Er habe wegen des Verfahrens Herzattacken erlitten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar sei eine Amtspflichtverletzung gegeben. Der Eingriff in die Rechte des Kläger sei jedoch nicht so schwerwiegend, daß er einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertige. Die Beteiligung des Klägers im Strafverfahren gegen den Polizeibeamten R... stelle eine Bürgerpflicht dar und rechtfertige bereits deshalb kein Schmerzensgeld.

Wegen der tatbestandlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird gemäß § 540 ZPO auf das angegriffene Urteil Bezug genommen.

Gegen das am 20.03.2003 zugestellte Urteil des Landgerichts hat der Kläger am 22.04.2003 Berufung eingelegt und mit einem am 20.06.2003 eingegangenen Schriftsatz nach Fristverlängerung begründet. Er verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter und führt aus, bereits die Dauer des gesamten Verfahrens von 7 Jahren, die wiederholten Vernehmungen und Blut- bzw. Speichelproben stellten einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Klägers dar. Ein Schmerzensgeldanspruch sei deshalb in der beantragten Höhe gegeben.

Das beklagte Land verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt im wesentlichen den erstinstanzlichen Vortrag.

II.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus §§ 839, 847 BGB i.V.m. Art. 34 GG bzw. nach § 1 des als Landesrecht fortgeltenden Staatshaftungsgesetzes/DDR.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt im Verhalten des Polizeibeamten R... im Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eine schuldhafte Amtspflichtverletzung.

Die Ersatzpflicht ist aber bereits deshalb ausgeschlossen, weil es der Kläger fahrlässig versäumt hat, den Schaden durch den "Gebrauch eines Rechtsmittels" abzuwenden. Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB sind nicht nur die Rechtsmittel im technischen Sinne. Der Begriff der Rechtsmittel ist vielmehr weit zu fassen. Darunter sind alle Rechtsbehelfe zu verstehen, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder ihr Unterlassen richten und die ihre Beseitigung bezwecken und ermöglichen. Demgemäß ist auch schon die einfache Nachfrage bei der zuständigen Behörde oder bei Unterlassungen - ein Antrag auf Tätigwerden der Behörde - bzw. eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein "Rechtsmittel" im Sinne der erläuterten Vorschrift (vgl. BGH NJW 1998, 1924, 1925; OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.12.1993, Az. 18 U 92/93 = JurisDok.Nr: KORE721869400; OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.10.1991, Az. 18 U 124/91 = JurisDok. Nr: KORE519039200). Es bedarf daher nicht einer rechtsmittelfähigen Entscheidung einer Behörde. Ein "Rechtsmittel" i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB kann bereits während eines laufenden Verfahrens erhoben werden.

Der Kläger hat im vorliegenden Fall nichts gegen das Verhalten des Polizeibeamten unternommen. Er hat weder eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt, noch - was nahe gelegen hätte - die Beweise für seine Urlaubsabwesenheit schriftlich eingereicht. Das Unterlassen ist als fahrlässig zu beurteilen. Das Verhalten des Polizeibeamten in dem nur 2 Minuten dauernden Gespräch war auch für den Kläger eindeutig. Der Polizeibeamte hat die Annahme der Unterlagen mit dem Bemerken der Kläger sei es gewesen, zurückgewiesen und den Kläger mit dem Hinweis er "eimere wohl" aufgefordert, den Raum zu verlassen. Dem Kläger mußte es sich geradezu aufdrängen, daß sein Vorbringen keine Berücksichtigung finden würde. In dem Abwarten des weiteren Verfahrens und Unterlassen jedweder weiterer Äußerung ist ein Verhalten zu sehen, das die Sorgfalt außer acht läßt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Es liegt damit ein Verschulden gegen sich selbst i.S.d. § 254 BGB vor (Palandt/Heinrichs, BGB, 60.Aufl. § 254 Rdnr. 1).

An dieser Beurteilung ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, auf Nachfrage habe der Polizeibeamte R... gesagt, es gäbe keinen Dienstvorgesetzten. Auch diese Aussage ist so offensichtlich falsch, daß sich dem Kläger bereits bei einfachstem Nachdenken die Fehlerhaftigkeit und damit die Handlungsbedürftigkeit aufdrängen mußte. Die Nachfrage zeigt zudem, daß auch der Kläger die besondere Situation erkannt hat. Gleichwohl ist er mit den Folgen des § 839 Abs. 3 BGB, § 2 StHG/DDR untätig geblieben.

Der geltend gemachte Schaden beruht auf diesem Unterlassen. Der Kläger selbst führt aus, daß bei Berücksichtigung seiner Unterlagen - und bei Einreichung der Unterlagen zur Akte bzw. der Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde wären die Unterlagen zur Akte gelangt - die zuständige Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt, jedenfalls keinen Strafbefehl beantragt hätte. Die Beeinträchtigungen des Klägers wären damit nicht eingetreten.

Vor diesem Hintergrund braucht die nahe liegende Frage der Verjährung der Schadensersatzansprüche nicht mehr entschieden werden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war gem. § 543 ZPO n. F. i. V. m. § 26 Nr. 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist. Die Entscheidung beruht allein auf den festgestellten Umständen des Einzelfalles.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.500,00 €

Ende der Entscheidung

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