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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.02.2002
Aktenzeichen: 2 U 37/01
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, BGB, GG, BbgStrG


Vorschriften:

ZPO a. F. § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO n. F. § 543
EGZPO § 26 Nr. 5
EGZPO § 26 Nr. 7
BGB § 839
GG Art. 34
BbgStrG § 9 Abs. 4 Satz 3
BbgStrG § 10 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 37/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 12.02.2002

verkündet am 12.02.2002

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2002 durch

den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Farke sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding und Kosyra

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 16. Mai 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 11 O 261/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

- ohne Tatbestand gem. § 543 Abs. 1 ZPO a. F. i.V.m. § 26 Nr. 5 EGZPO -

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zusteht.

Der Beklagten oblag die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des fraglichen Straßenbaumes, von dem der Ast herabgefallen und zu einer Schädigung des Pkw's des Klägers geführt hat, als Amtspflicht gem. §§ 9 Abs. 4 Satz 3, 10 Abs. 1 BbgStrG. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (ganz allgemeine Ansicht, vgl. nur: BGH VersR 1965, S. 475; OLG Köln, VersR 1992, S. 1370/1371; OLG Hamm, VersR 1994, S. 347; ständige Senatsrechtsprechung, insbesondere Entscheidungen vom 12. Januar 1999 zu 2 U 40/98, vom 23. November 1999 zu 2 U 125/98, vom 7. März 2000 zu 2 U 58/99 und vom 17. Juli 2001 zu 2 U 99/00). Von Straßenbäumen gehen für die Benutzer der Straße dann Gefahren aus, wenn die Bäume selbst nicht mehr hinreichend stand- bzw. bruchsicher sind und wenn die nahe liegende Möglichkeit besteht, dass Äste oder ganze Bäume unvermutet auf die Straße stürzen können. Da eine derartige Gefahr grundsätzlich von allen Bäumen ausgehen kann, obliegt es dem jeweiligen Verkehrssicherungspflichtigen, ausreichend Vorsorge dafür zu treffen, dass bei erkrankten Bäumen rechtzeitig Maßnahmen getroffen werden, die eine Gefährdung des Verkehrs im Rahmen des Zumutbaren ausschließt. Je größer die Gefährdung ist, die von dem jeweiligen Baum ausgeht (z. B.: Standort in unmittelbarer Nähe einer stark befahrenen oder begangenen Straße, hohes Alter des Baumes, besonders windanfällige Lage etc.), desto höher sind die Anforderungen, die an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht zu stellen sind. Wie der Senat in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden hat, ist es unumgänglich notwendig, dass der Verkehrssicherungspflichtige regelmäßig zwei Mal pro Jahr die Bäume kontrollieren muss, nämlich ein Mal im belaubten und ein Mal im unbelaubten Zustand. Dabei kann sich die Untersuchung normalerweise auf eine Sichtprüfung vom Boden aus beschränken (so die angeführten Senatsurteile; OLG Köln, VersR 1992, S. 371; OLG Hamm, VersR 1994, S. 357; OLG Düsseldorf, VersR 1992, S. 467). Die Untersuchung muss durch hinreichend qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dabei muss es sich zwar nicht notwendigerweise um Forstfachleute handeln, die Bediensteten des Verkehrssicherungspflichtigen müssen jedoch ausreichend dahin geschult worden sein, dass sie Krankheitszeichen an Bäumen erkennen können. Fallen bei einer visuellen Untersuchung Schäden am Baum auf, so sind entsprechende Maßnahmen je nach dem zu Tage tretenden Grad der Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu veranlassen. Als Schäden am Baum, die auf Krankheiten desselben und Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer hindeuten, kommt in aller erster Linie das Vorhandensein von Totholz, also unbelaubten Ästen, in Betracht. Sind größere Äste, die noch dazu über eine Straße oder einen Gehweg ragen, völlig unbelaubt, so ist es schon für einen Laien ohne weiteres erkennbar, dass hiervon die Gefahr eines Abbrechens unmittelbar ausgeht und Maßnahmen dringend ergriffen werden müssen.

Von diesen Grundsätzen ist im Ansatz zutreffend auch das Landgericht ausgegangen. Es hat jedoch sodann aus der Rechtsprechung des Senats unzutreffenderweise den Schluss gezogen, im vorliegenden Fall sei die Sichtprüfung nicht in ausreichender Weise durchgeführt worden. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Juli 2001, 2 U 99/00, klargestellt hat, ist sein Urteil vom 7. März 2000 zum Aktenzeichen 2 U 58/99 (veröffentlicht in OLG-NL 2000, 102) nicht so zu verstehen, dass die Sichtprüfung regelmäßig unter Zuhilfenahme einer Hebebühne erfolgen muss. Eine Prüfung vom Boden aus, wenn sie in ordnungsgemäßer Weise erfolgt, ist in aller Regel ausreichend, um auch die Kronen höherer Bäume hinreichend in Augenschein nehmen zu können. Nur unter besonderen Umständen, die sich etwa aus einer überaus dichten Belaubung oder ungünstigen örtlichen Gegebenheiten (wenn ein Herumgehen um den Baum etwa nicht möglich sein sollte, um ihn aus verschiedenen Perspektiven zu besehen) ergeben können, kann im Einzelfall die Sichtprüfung vom Boden aus unzureichend sein. Ob dies vorliegend der Fall war, kann jedoch dahinstehen. Die Haftung der Beklagten ergibt sich nämlich nicht aus einer fehlerhaft durchgeführten Kontrolle, sondern aus der Tatsache, dass die Beklagte aus einer durchgeführten ordnungsgemäßen Kontrolle nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen hat. Im Herbst 1999 war im Schadensbereich Totholz festgestellt worden. Als Konsequenz wurde nach dem Vortrag der Beklagten ein Schnitt der Baumkronen "angeordnet". Dieser Schnitt soll im Februar 2000 durchgeführt worden sein. Es mag dahinstehen, ob angesichts der Gefährdungen, die von Totholz in Bäumen ausgehen, es zulässig gewesen wäre, mit den Schnittmaßnahmen derart lange zuzuwarten. Hierauf kommt es jedoch ebenfalls nicht an, da auch im Februar 2000 keine ausreichenden Schnittmaßnahmen durchgeführt worden sind. Wie die Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen eindeutig ergeben haben, diente der Schnitt im Februar jedenfalls vordringlich der Herstellung des Lichtraumprofils. Dass die Zeugen möglicherweise auch auf Totholz geachtet haben, ist schon deshalb nicht ausreichend, weil das mitgeführte Werkzeug nicht geeignet war, Totholz auch aus den Kronen herauszuschneiden. Es wurde lediglich ein Entaster von sechs Metern Länge mitgeführt. Dieser ist jedoch nicht geeignet, totes Holz aus Baumkronen herauszuschneiden, wie die Zeugin P anschaulich beschrieben hat, denn die Bäume waren deutlich höher. Die Zeugin schätzt den Baum, aus dem der Ast abgebrochen war, auf 15-16 Meter Höhe. Es ist deshalb nicht nachgewiesen, dass die Beklagte auf ihre eigenen Feststellungen aus dem Herbst 1999 hin angemessen reagiert hat. Eine Sichtkontrolle macht nur dann Sinn, wenn auf die Feststellung von Gefahrenzeichen - wie hier das Vorhandensein von Totholz - auch durch adäquate Maßnahmen unverzüglich reagiert wird. Das kann hier jedoch nicht festgestellt werden. Dass das Fahrzeug des Klägers durch einen morschen Ast, also Totholz, beschädigt worden ist, kann schon der Lichtbildanlage zur Unfallakte entnommen werden. Insbesondere aus dem Bild Nr. 9 wird dies vollkommen deutlich. Es handelt sich eindeutig um völlig morsche Aststücke. Aus Bild Nr. 8 wird die Abbruchstelle aus der Baumkrone deutlich. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, bei dem unfallursächlichen Ast habe es sich möglicherweise nicht um Totholz gehandelt, welches bereits 1999 festgestellt worden war. Angesichts der unstreitigen Tatsache, dass in jenem Bereich im Herbst 1999 Totholz vorhanden war und dem fehlenden Nachweis der Beklagten, daraufhin das tote Holz herausgeschnitten zu haben, spricht zu Gunsten des Klägers der Anschein dafür, dass es sich bei dem herabgebrochenen Ast um solches Totholz gehandelt hat, welches bei einem sorgfältigen Schnitt auf Grund der Kontrollen im Herbst 1999 entfernt worden wäre.

Wegen der Schadenshöhe wird auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Gegen die dort vorgenommene Schätzung hat die Beklagte in zweiter Instanz nichts vorgebracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war gem. § 543 ZPO n. F. i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Der Senat befindet sich mit seiner Rechtsprechung zu den grundsätzlichen Anforderungen an eine Baumschau und die Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf Straßenbäume im Einklang mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Beklagten: 3.684,97 Euro.

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