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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 28.10.2003
Aktenzeichen: 2 U 58/02
Rechtsgebiete: DÜG, StVO, ZPO, BGB, StVG, BbgBSchG


Vorschriften:

DÜG § 1
StVO § 2 Abs. 2
StVO § 35
StVO § 35 Abs. 8
StVO § 38
ZPO § 540 Abs. 1
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 1
BGB § 847
StVG § 7
StVG § 7 Abs. 1
BbgBSchG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 58/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 28.10.2003

Verkündet am 28.10.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2003 durch

den Vizepräsidenten am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Juli 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam (4 O 84/02) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.337,75 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 06.März 2002 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 50 % des zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 27.07.1999 auf der F...-Me...-Straße in B... mit dem Feuerwehrfahrzeug, amtliches Kennzeichen K..., zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Die Kosten des Rechtsstreites tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 %.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz aus einen Verkehrsunfall am 27.07.1999 in B... geltend. Er war Eigentümer und Halter des Mopeds SR 50 mit dem amtlichen Kennzeichen 7... die Beklagte ist Halterin des am Unfalltag vom Zeugen So... geführten Feuerwehrfahrzeugs, LKW Robur mit Anhänger, amtliches Kennzeichen K....

Der Kläger befuhr am 27.07.1999 gegen 16.20 Uhr in B... aus Richtung P...-G...-Straße kommend die im Unfallbereich ca. 3.90 m breite F... - Me...- Straße. Er fuhr etwa in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h. Aus der Gegenrichtung kam das Feuerwehrfahrzeug mit blauem Sondersignal straßenmittig mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 bis 35 km/h. Kurz vor einer - aus Sicht des Klägers - Linkskurve hörte der Kläger ein Sondersignal des Feuerwehrfahrzeuges und sah zunächst in den Rückspiegel. Als er sich wieder nach vorn orientierte, bemerkte er das Feuerwehrfahrzeug. Beide Fahrzeuge bremsten. Gleichwohl kam es zur Kollision an der linken Ecke des Feuerwehrfahrzeugs. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen.

Der Kläger ist der Auffassung, das Martinshorn sei zu spät angeschaltet worden. Deshalb habe er keine Möglichkeit gehabt, auf das entgegenkommende Feuerwehrfahrzeug zu reagieren. Die besondere Straßensituation hätte zudem das Einschalten eines Dauertons erforderlich gemacht. Der Zeuge So... habe auch gegen das Rechtsfahr- und Rücksichtnahmegebot verstoßen. Bei der Breite des Feuerwehrfahrzeuges hätte er in der unübersichtlichen Kurve mit besonderer Sorgfalt fahren müssen und nicht auf eine "freie Bahn" vertrauen dürfen. Für die Straßenverhältnisse sei die gefahrene Geschwindigkeit zu hoch; die Sicht sei durch eine Hecke versperrt gewesen. Die Beklagte hafte daher auf Ersatz des gesamten, durch den Unfall entstandenen Schadens.

Der Kläger hat beantragt, 1. an ihn 2.675,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 06.03.2002 zu zahlen;

2. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, das 50.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 06.03.2002 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, es sei ein Dauerton bereits ab Ausfahrt aus der Feuerwache eingeschalten gewesen. Der Kläger habe ihn nur nicht wahrnehmen können, da er mit einem Walkman Musik gehört habe. Zudem hätte der Kläger die Vorschriften der §§ 35, 38 StVO nicht hinreichend berücksichtigt und sei nicht normgemäß scharf rechts und mit verminderter Geschwindigkeit gefahren.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Potsdam wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage im Umfang von 535,10 € nebst 4 % Zinsen seit dem 06.03.2002 sowie auf Feststellung des Ersatzes zukünftiger materieller Schäden im Umfang von 1/5 mit der Begründung stattgegeben, eine Haftung der Beklagten komme nur aus der Betriebsgefahr und damit ohne Schmerzensgeld in Betracht. Ein der Beklagten zurechenbares Verschulden sei nicht gegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts verwiesen.

Gegen das am 05.08.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 29.08.2002 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 04.10.2002 begründet. Er verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus, das Landgericht habe die angebotenen Beweismittel übergangen und nicht hinreichend den Umstand gewürdigt, dass der Kläger keine Reaktionsmöglichkeit gehabt habe. Das Martinshorn sei schuldhaft zu spät eingeschaltet worden.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Mit einer am 11.11.2002 eingegangenen unselbstständigen Anschlussberufung begehrt sie die Klageabweisung insgesamt. Sie ist der Auffassung, eine durchzuführende Beweisaufnahme würde die Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Zeugen So... ergeben, jedenfalls bestehe ein überwiegendes Verschulden des Klägers.

Auf die Schriftsätze der Parteien wird ergänzend Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen gemäß Beweisbeschluss vom 20.05.2003 nebst Ergänzung vom 04.09.2003. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 04.09.2003 und 30.09.2003 Bezug genommen.

Die Bußgeldakte des PP Potsdam, ZBSt Az. 631/00/0001271/5 war beigezogen.

II.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 21.337,75 € aus §§ 847, 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG und § 7 Abs. 1 StVG.

Da sich das Feuerwehrfahrzeug in einer Einsatzfahrt unter Verwendung von Blaulicht und Martinshorn befand, sind die Grundsätze der Amtshaftung, § 839 BGB anzuwenden. Der Brandschutz wird gemäß § 4 BbgBSchG als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrgenommen. Es handelt sich damit um eine hoheitliche Aufgabe. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Freiwillige Feuerwehr oder um eine Berufsfeuerwehr gehandelt hat. Bei einer Rettungsfahrt mit einem Einsatzwagen unter Sondersignal, dessen Halter eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist, handelt es sich um Ausübung hoheitlicher Gewalt im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 58. Aufl., § 839 Rz. 144 m.w.N.).

Neben der Amtshaftung kommt auch die Halterhaftung nach § 7 StVG zur Anwendung, da die Beklagte Halter des unfallbeteiligten Feuerwehrfahrzeugs gewesen ist.

Der Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges - der Zeuge So... - hat den Unfall schuldhaft verursacht. Nach dem Gutachten des Ingenieurbüros Sc... und Be... vom 15.05.2001 hat der Zeuge So... das Feuerwehrfahrzeug straßenmittig im Bereich einer aus Sicht des Klägers Linkskurve mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 bis 35 km/h geführt. Das Feuerwehrfahrzeug ist 2,40 m breit. Zum rechten Straßenrand hielt das Fahrzeug einen Abstand von ca. 75 cm. Bei einer Straßenbreite von 3.90 m blieb auf der rechten Straßenseite lediglich ein Abstand von 0,75 m. Die gedachte Mittellinie der Straße ist demnach um 1,20 m überschritten worden. Durch diese Fahrweise nahm er einen weiten Teil der Gegenfahrbahn in Anspruch, ohne dass er die Straße im notwendigen Umfang einsehen und beurteilen konnte, ob Gegenverkehr gefährdet wird. Der Zeuge So... hat damit gegen das Rechts- und Sichtfahrgebot verstoßen. Der Umstand, dass der Zeuge So... Sonderrechte in Anspruch nahm, vermag die Haftung nicht auszuschließen. Die Voraussetzungen des § 38 StVO (Wegerecht) lagen allerdings vor. Der Einsatzwagen wurde mit blauem Blicklicht und jedenfalls kurz vor dem Unfall mit Einsatzhorn geführt. Für alle übrigen Verkehrsteilnehmer war dadurch angeordnet, sofort freie Bahn zu schaffen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Einsatzfahrt tatsächlich vorgelegen haben oder nicht (vgl. nur Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 38 StVO Rz. 8 m.w.Nw.). Weder § 35 noch § 38 StVO (Sonderrechte) erlauben jedoch dem Einsatzfahrer ein Fahren ohne Rücksicht auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer. Auch bei einer Sonderrechtsfahrt sind gemäß § 35 Abs. 8 StVO die öffentliche Sicherheit und Ordnung gebührend zu berücksichtigen. Nach § 38 StVO bleibt der Führer des Einsatzfahrzeuges grundsätzlich an die StVO gebunden; durch die Sonderrechte werden lediglich den anderen Verkehrsteilnehmern Pflichten auferlegt (vgl. Kullik, NZV 1994, 58 ff). Der Sonderrechts- wie der Einsatzfahrer schuldet dem Verkehr Rücksicht und muss bei unübersichtlichen Straßenbereichen besondere Vorsicht walten lassen. Über fremden Vorrang darf sich der Wegerechtsfahrer nur hinwegsetzen, wenn er nach ausreichender Ankündigung sieht, dass der Verkehr ihm tatsächlich Vorrang einräumt. Nur unter dieser Voraussetzung darf er Geschwindigkeitsbeschränkungen überschreiten und gegen das an sich geltende Rechtsfahrgebot verstoßen. Diese Grundsätze hat der Zeuge So... nicht hinreichend beachtet. Er hat - unabhängig von der Frage, ob die Sicht durch eine Hecke behindert war - gerade nicht den gesamten Kurvenbereich einsehen können; sonst hätte er den Kläger und auch den nachfolgenden Zeugen Sch... erkannt und seine Fahrweise entsprechend eingerichtet. Für die Möglichkeit eines gefahrlosen Passierens des Kurvenbereiches gab es für ihn keinerlei Anhaltspunkte. Dabei fällt entscheidend ins Gewicht, dass das Martinshorn erst unmittelbar vor der Kurve und damit unmittelbar vor dem Unfall eingeschaltet wurde. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates fest. Der Zeuge So... hat glaubhaft bekundet, zum Zeitpunkt der Ausfahrt aus der Wache habe man zwar das Blaulicht, nicht jedoch das Martinshorn angeschaltet. Dies sei erst kurz vor und wegen der Kurve - aus seiner Sicht zwar noch rechtzeitig - allerdings nur wenige Sekunden vor dem Unfall erfolgt. Der Zeuge ist glaubwürdig. So schildert er den Unfallverlauf selbst als auch das Nebengeschehen plastisch und nachvollziehbar. Erinnerungslücken werden ohne besondere Nachfrage eingeräumt. Zudem versucht der Zeuge zwischen den konkreten Erinnerungen und evt. nachträglichen Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Das gute Erinnerungsvermögen erscheint auch deshalb nachvollziehbar, weil es sich für den Zeugen um den ersten Unfall mit einem Feuerwehrfahrzeug handelte, den er als Fahrer des Fahrzeuges miterlebte. Die Aussage stimmt zudem im wesentlichen mit den Bekundungen des Klägers wie auch des Zeugen Sch... überein. Soweit die Aussagen der weiter vernommenen Zeugen einen teilweise anderen Sachverhalt wiedergeben, ist an der Wertung der Aussage des Zeugen So... nichts zu ändern. Der Zeuge Z... hat keine Erinnerung zu der Frage, ob das Martinshorn eingeschaltet war oder nicht. Auch die Zeugen Scho... und L... äußern lediglich Vermutungen ohne konkrete Erinnerung. Allein der Zeuge K... führt näher zum Unfallgeschehen aus und ist sich zu "99%" sicher, dass das Horn eingeschalten war. Die Aussage des Zeugen spiegelt jedoch eine Ableitung des eigenen Fahrverhaltens auf die Unfallfahrt wieder. So leitet er die Beweisfrage von dem Umstand ab, dass sie immer mit Martinshorn aus der Wache heraus gefahren seien, er dies jedenfalls als Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges so mache. Vor diesem Hintergrund erhält die Aussage des Zeugen So... größeres Gewicht. Er bekundet die Tatsachen nachvollziehbar und konkret auf den Unfall bezogen. So führt er z.B. aus, das Horn sei durch den Unfall ausgegangen, da der Kläger gegen den außen am Fahrzeug befindlichen Motorausschaltknopf gekommen sei und deshalb das Martinshorn sofort verstummte. Solches Einzelwissen hat der Zeuge K... nicht.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, der Zeuge So... hätte bei Einfahrt in die unübersichtliche Kurve trotz der Inanspruchnahme des Sondersignals - schon wegen der kurzen Dauer des Signals - entweder wesentlich weiter rechts fahren oder seine Geschwindigkeit noch weiter reduzieren müssen. Da dies nicht erfolgte, liegt jedenfalls eine fahrlässige Pflichtverletzung vor.

Soweit der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz eine höhere Geschwindigkeit des Feuerwehrfahrzeuges (50 km/h) behauptet, bleibt dies unerheblich. Die Behauptung steht in erkennbaren Widerspruch zu dem von ihm selbst vorgelegten Gutachten, ohne dass sich der Kläger mit den gutachterlichen Feststellungen auseinandersetzt. Zudem sind die gutachterlichen Feststellungen auch mit Zustimmung des Klägers Grundlage der erstinstanzlichen Entscheidung geworden. Ferner ist der Vortrag erstmals in zweiter Instanz erfolgt, bestritten und die Verspätung nicht hinreichend entschuldigt.

Der Haftung der Beklagten steht ein Mitverschulden des Klägers gegenüber. Auch der Kläger hat, wie das Landgericht zutreffend ausführt, pflichtwidrig und schuldhaft den Unfall mitverursacht. Der Kläger hat gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Gemäß § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts zu fahren. Hierbei handelt es sich nicht um einen starren Rechtsbegriff. Vielmehr ist auf die örtlichen Gegebenheiten angemessen Rücksicht zu nehmen. Bei einer Straße von nur 3.90 m Breite bedeutet dies, dass wegen der Unübersichtlichkeit im Kurvenbereich und eventuellen Gegenverkehrs die eigene Fahrbahn nicht voll ausgenutzt werden darf. Es ist so weit wie möglich rechts zu fahren. Dem ist der Kläger nicht nachgekommen, wenn er mittig seiner Fahrbahn geblieben ist.

Ferner hat der Kläger dem Beklagtenfahrzeug das Wegerecht nicht gewährt. Der Kläger hat bereits in seiner schriftlichen Äußerung vom 25.10.1999 gegenüber dem Polizeipräsidium Potsdam eingeräumt, jedenfalls kurzzeitig das Martinshorn gehört zu haben. Waren die Signale aber hörbar, so hätte auch der Kläger entsprechend § 38 StVO reagieren müssen. Hört ein Verkehrsteilnehmer Einsatzsignale, so hat er sich darauf einzurichten, notfalls dem Einsatzfahrzeug den Vorrang einzuräumen. Gerade wenn er nicht ohne weiteres erkennen kann, von wo sich das Fahrzeug nähert, hat er besondere Sorgfalt walten zu lassen. Dazu gehört auch, nicht mit ca. 40 km/h in eine - nach seiner Behauptung - unübersichtliche Kurve einzufahren. Es trifft gerade nicht zu, dass ein Verkehrsteilnehmer auf Sondersignale nicht reagieren muss, solange er nicht einschätzen kann, ob und von wo sich ein Einsatzwagen nähert. Eine Rückschau zum Zeitpunkt einer unübersichtlichen Verkehrssituation ist dabei gefährlich und darf nur durchgeführt werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass im Gegenverkehr keine Gefahr droht.

Die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe wegen des Walkmans das Signalhorn nicht hören können, bleibt unbeachtlich. Die Behauptung ist vom Kläger bestritten und von der Beklagten nicht hinreichend unter Beweis gestellt. Der Beklagtenvortrag, die Hörer des Walkmans hätten um den Hals des Klägers gehangen, lässt keinen Schluss darauf zu, er habe auch Musik gehört. Vielmehr kommen verschiedene Ursachen, z.B. die Hörer seien aus der Tasche gefallen in Betracht.

Die Verschuldensbeiträge stehen sich nahezu gleichwertig gegenüber. Beide Parteien haben dem Sicht- und Rechtsfahrgebot nicht hinreichend Rechnung getragen. Wegerechte wurden ebenfalls von beiden Parteien nicht ordnungsgemäß in Anspruch genommen bzw. beachtet. Im Ergebnis haben der Kläger wie auch der Zeuge So... im gleichen Umfang den Unfall verursacht. Entsprechendes ist in der Quote zu berücksichtigen.

Bei der Abwägung kann die Behauptung des Klägers, der Zeuge So... habe durch die Hecke und seine Fahrerposition eine bessere Sichtmöglichkeit besessen, nicht einfließen. Der Kläger führt in der Klagebegründung aus, "Die (sichtbehindernde) Hecke wurde nach dem Unfall entfernt und durch rot-weiße Begrenzungspfähle ersetzt." Auf den Unfallfotos in der beigezogenen polizeilichen Akte ist jedoch erkennbar, dass bereits rot-weiße Begrenzungspfähle zum Zeitpunkt des Unfalls vorhanden waren. Auch die Aussagen der Zeugen vermochten zu dieser Beweisfrage keine hinreichende Auskunft zu geben. Der Zeuge Sch... kann sich ebenso wie die Beklagtenzeugen nicht an die Hecke erinnern. Auch die Zeugin Gr... spricht lediglich von einem Fliederbusch und kleineren Bäumen. Wie diese im Kurvenbereich standen, vermochte sie nicht darzulegen.

Durch den Unfall entstand dem Kläger ein materieller Schaden, der im Umfang von 50 % ersatzfähig ist. Streitgegenstand ist lediglich der Verdienstausfallschaden bis zum 31.12.2001 den der Kläger durch die Gegenüberstellung der tatsächlichen Einnahmen in Höhe von 5.528,15 € und der möglichen Bruttoeinnahmen beziffert. Die Beklagte bestreitet lediglich pauschal und damit prozessual unerheblich die Berechnung des Netto-Verdienstausfalls ohne darzulegen, was an der Berechnung falsch sein sollte. Es ist daher von einem Vermögensschaden von 2.675,51 € bis zum 31.12.2001 auszugehen.

Da ein weiterer Schaden zu befürchten ist, ist auch der Feststellungsantrag begründet.

Aufgrund der festgestellten schuldhaften Pflichtverletzung besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB. Das Schmerzensgeld soll dem Betroffenen einen angemessenen Ausgleich in Geld für die erlittenen Schmerzen und Einschränkungen in der Lebensführung aber auch Genugtuung für das Schadensereignis selbst bieten. Die Höhe des Ausgleichs richtet sich dabei nach dem Maß der Einschränkungen, insbesondere nach der Art und Dauer der Verletzungen und Beeinträchtigungen. Ein Mitverschuldensanteil ist dabei nicht in der Quote, sondern bei der Bemessung des einheitlichen Schmerzensgeldes angemessen zu berücksichtigen.

Der Kläger hat durch den Unfall u.a. folgende Verletzungen erlitten:

- Schädelhirntrauma 1. Grades mit retrograder Amnesie

- stumpfes Thoraxtrauma

- Lungen-, Leber-, Nieren- und Blasenkontusion

- Claviculafraktur rechts

- instabile Beckenringfraktur mit Sprengung der linken Ileosacralfuge

- schräge Darmbeinfraktur links

- Fraktur des rechten Schambeins

- geschlossene Oberschenkelfraktur links

- Unterschenkelfraktur links

- distale Radiusfraktur links

Er befand sich im Zeitraum von ca. 1 Jahr mehrfach für insgesamt fast 4 Monate in stationärer Behandlung und insgesamt ca. 2 Jahre arbeitsunfähig. Es verbleibt ein Dauerschaden von 35 %, der sich insbesondere beim Heben von Lasten über 10 kg im rechten Arm zeigen. Hinzu kommen Schmerzen bei Laufbelastung, eine Beinverkürzung von 1 cm sowie erhebliche Narben. Der Katalog der Dauerschäden findet sich im Einzelnen auf Bl. 211/212 d. GA, auf die Bezug genommen wird. Die Beeinträchtigungen können sich in Zukunft noch verstärken. Gerade für den noch jungen Kläger stellen diese Schäden eine erhebliche Beeinträchtigung in der Lebensführung dar. Dem gegenüber fällt das Genugtuungsinteresse kaum ins Gewicht. Der Grad des Verschuldens der Beklagten ist lediglich als gering einzustufen. Es handelt sich um einen Unfall im Straßenverkehr, für die Beklagte in Ausübung hoheitlicher Pflichten.

Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers ist ein Schmerzensgeld von 20.000,00 € angemessen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284 Abs. 1, 288, 291 BGB.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erforderlich ist. Die Entscheidung beruht auf den festgestellten Umständen des Einzelfalls.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 55.423,05 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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