Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.01.2007
Aktenzeichen: 2 VAs 7/06
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 70 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 VAs 7/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Justizverwaltungssache

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Pisal, den Richter am Oberlandesgericht Grepel und den Richter am Oberlandesgericht Tscheslog

am 26. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten seines Rechtsmittels nach einem Geschäftswert von 300,00 €.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt seit dem 5. August 2003 eine Jugendstrafe von acht Jahren und neun Monaten wegen Mordes u.a..

Die Jugendstrafe wurde zunächst in der Justizvollzugsanstalt Spremberg vollzogen. Dort wurde dem Antragsteller im Jahre 2004 die Anschaffung und der Besitz einer Spielkonsole "Nintendo Game Cube" nebst dazugehöriger Spiele genehmigt. Mit Schreiben des Leiters der Justizvollzugsanstalt Spremberg vom 10. Februar 2005 wurde der Antragsteller darauf aufmerksam gemacht, dass der Besitz eines "Nintendo Game Cube" auf Grund der prinzipiellen Internetfähigkeit dieses Geräts gemäß dem Erlass des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg vom 16. Mai 2003 - 4434 E-IV.138/00 - in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg nicht zugelassen sei und er deshalb nicht erwarten könne, dass ihm dieses Gerät bei einer eventuellen Verlegung in eine andere Anstalt auch dort ausgehändigt würde.

Am 31. Januar 2006 wurde der Antragsteller in die Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen verlegt. Dort wurde ihm die Aushändigung der Spielkonsole verweigert; diese wurde zu seiner Habe auf der Anstaltskammer genommen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem in zulässiger Weise erhobenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er macht geltend, eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt durch den Besitz der Spielkonsole läge schon deshalb nicht vor, weil man spezielle Zusatzgeräte benötige, um damit in das Internet gelangen zu können. Die entsprechenden Anschlussbuchsen könnten versiegelt werden.

Die Antragsgegnerin verweist darauf, dass es sich bei ihr um eine Justizvollzugsanstalt mit einem hohen Sicherheitsstandard handele, in der sowohl Strafgefangene mit langen und lebenslangen Freiheitsstrafen wie auch als gefährlich eingestufte Gefangene untergebracht seien. Ebenso würden bei ihr verschiedene Haftarten wie Untersuchungshaft und Strafvollzug an jungen und erwachsenen Gefangenen vollzogen. Trotz vieler und effektiver Kontrollen sei es nicht gelungen, die unerlaubte Übergabe von Gegenständen zwischen den unterschiedlichen Gefangenen innerhalb der Anstalt sowie auch zwischen Gefangenen und auswärtigen Dritten zu unterbinden. Die von dem "Nintendo Game Cube" ausgehenden Gefahren lägen in der DVD-Tauglichkeit des Geräts. Hier sei insbesondere mit dem Einbringen unerwünschter Filme bzw. Datenmaterials und entsprechendem Austausch unter den Gefangenen zu rechnen. In der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen gäbe es eine nicht unerhebliche Subkultur, so dass immer wieder Handys, Handychips, Bargeld, Betäubungsmittel und andere unerlaubte Gegenstände in den Hafträumen der Gefangenen aufgefunden würden. Die Weitergabe der Spielkonsole sei auf Grund vielfältiger Kontakte zu anderen Mitgefangenen aus Gefälligkeit oder wegen bestehender Abhängigkeitsverhältnisse oder auch unter Drohungen nicht auszuschließen. Der Antragsgegnerin sei es nicht möglich, ständig die Benutzung des Geräts zu überwachen. Gegen das missbräuchliche Abspielen von DVDs seien zwar Sicherungen denkbar, diese könnten erfahrungsgemäß jedoch mit entsprechendem technischen Wissen überwunden werden. Eine ständige Kontrolle des Vorhandenseins von Versiegelungen am Gerät sei mangels ausreichender Personaldecke nicht möglich. Des Weiteren sei auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller wichtige Belange, die über den bloßen Zeitvertreib hinausgingen, geltend mache. Ihm verbleibe zudem die Möglichkeit, die als genehmigungsfähig geltende Spielkonsole "Playstation I" zu betreiben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel des Antragstellers hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat die Antragsgegnerin ihm den Besitz der Spielkonsole versagt, weil dadurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde.

1. Eine gesetzliche Regelung, die den hier zu entscheidenden Fall der Überlassung eines möglicherweise gefährlichen Gegenstands an einen Gefangenen im Jugendstrafvollzug betrifft, existiert nicht. Die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug genügen nicht dem für Grundrechtseingriffe geltenden Vorbehalt des Gesetzes. Die Versagung des Besitzes der Spielkonsole durch die Antragsgegnerin stellt einen Eingriff in die Grundrechte des Antragstellers dar, weil damit sowohl dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG als auch die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG berührt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04 -, NStZ 2007 S. 41 f., herausgestellt, dass staatliche Eingriffe in Grundrechte einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Von diesem Erfordernis sind auch Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen nicht ausgenommen. Für den Jugendstrafvollzug existieren die insoweit notwendigen gesetzlichen Grundlagen nicht; solche finden sich nur in Einzelfällen im Jugendgerichtsgesetz und im Strafvollzugsgesetz. Dieser Mangel lässt sich auch nicht durch einen Rückgriff auf Rechtsgedanken des Strafvollzugsgesetzes beheben, weil für den Jugendstrafvollzug aus dem Erziehungsgedanken folgende Besonderheiten gelten.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit der vorgenannten Entscheidung dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2007 für die Schaffung ausreichender gesetzlicher Regelungen für den Jugendstrafvollzug eingeräumt. Bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustands durch den Gesetzgeber reduzieren sich die Befugnisse der Behörden und Gerichte zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Positionen auf das, was zur Aufrechterhaltung eines ansonsten verfassungsgemäß geordneten Vollzugs unerlässlich ist.

2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Frage, ob dem Antragsteller der Besitz der Spielkonsole zu gestatten ist, weiterhin nach dem in Nr. 61 VVJug und § 70 Abs. 2 StVollzG enthaltenen Rechtsgedanken zu beantworten, dass deren Besitz versagt werden muss, wenn dadurch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde. Es kann auch bei Fehlen einer ausreichenden gesetzlichen Regelung nicht - auch nicht nur für eine Übergangszeit - hingenommen werden, dass Gefangenen im Jugendstrafvollzug Gegenstände überlassen werden, von denen eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt ausgeht.

3. a) Das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Auslegung und Anwendung durch die Vollzugsbehörde der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die Missbrauchsgefahr muss nicht in der Person des Antragstellers liegen; die Versagung ist auch gerechtfertigt, wenn der Gegenstand nach seiner Beschaffenheit allgemein zum Missbrauch geeignet ist (vgl. OLG Hamm, ZfStrVo 1996, 119, 121 und StV 2000, 270; OLG Karlsruhe BISTVK 2/2001, 5-7; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 156 f.; KG Berlin NStZ-RR 2004, 157 f.) und diesem Missbrauch weder durch technische Maßnahmen noch durch zumutbare Kontrollen ausreichend begegnet werden kann. Diese auf die generell-abstrakte Gefährlichkeit eines Gegenstands abstellende Betrachtung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG NJW 2003, 2447; NStZ 1994, 453). Der für die Vollzugsbehörde zumutbare Kontrollaufwand ist auch an den sonstigen Gegenständen zu messen, die ein Gefangener im Besitz hat. Bei der Entscheidung des Anstaltsleiters ist zu berücksichtigen, ob das Grundrecht des Gefangenen aus Art. 5 Abs. 1 GG berührt ist und ob das Begehren nach Aushändigung eines technischen Gerätes durch gewichtige Belange des Gefangenen, etwa ein ernsthaft und nachhaltig verfolgtes Interesse an Aus- und Weiterbildung, gestützt wird. Im Bezug auf Telespiele darf andererseits in Rechnung gestellt werden, dass diese nicht zu den Gegenständen gehören, die die Fähigkeit eines Gefangenen, nach seiner Entlassung aus der Haft ein gesetzmäßiges Leben zu führen, zu fördern geeignet sind (KG Berlin, a.a.O.).

b) Ob - wie die Anstaltsgegnerin geltend macht - die Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt bereits aus der durch die Spielkonsole eröffnete Abspielmöglichkeit für DVDs folgt, kann offen bleiben. Die Antragsgegnerin folgt insoweit den Erlassen des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg vom 16. November 2001 und 16. Mai 2003 - 4434 E-IV.138/00 -, nach denen technische Geräte mit Abspielmöglichkeiten für DVDs einschließlich entsprechender Spielkonsolen in Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg nicht zugelassen werden sollen (die Internetfähigkeit von technischen Geräten wird - entgegen dem o.g. Schreiben des Leiters der Justizvollzugsanstalt Spremberg vom 10. Februar 2005 an den Antragsteller - in den vorgenannten Erlassen nicht thematisiert). Im Falle des "Nintendo Game Cube" spricht viel dafür, bereits unter diesem Gesichtspunkt eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu bejahen, weil diese Spielkonsole nicht nur über die Abspielmöglichkeit für DVD-Medien verfügt, sondern zudem noch über eine Speicherfunktion auf externen Speicherkarten. Zwar können werkseitig mit dem "Nintendo Game Cube" nur die eigens dafür hergestellten "Game-Discs" abgespielt und auf den externen Speicherkarten nur die entsprechenden Spielstände gespeichert werden, doch ist nicht auszuschließen, dass durch das Aufspielen nicht lizensierter Software diese Funktionen erweitert werden können. Nicht auszuschließen ist dann insbesondere, dass durch Weitergabe von Speicherkarten zwischen den Gefangenen Informationen ausgetauscht werden könnten, die nur durch Auslesen der Speicherkarten sichtbar würden. Ein entsprechender Kontrollaufwand wäre durch Justizvollzugsanstalten nicht zu leisten.

c) Die Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt durch den Besitz des "Nintendo Game Cube" folgt - worauf sich die Antragsgegnerin in anderer Sache berufen hat, vgl. Senat vom 26. Januar 2007 - 2 Ws (Vollz) 103/06 - jedenfalls aus der Internetfähigkeit der Spielkonsole. Der "Nintendo Game Cube" verfügt über eine Anschlussbuchse (Serial Port 1), an die ein Modem oder Breitbandadapter angeschlossen werden kann. Über eine entsprechende Telefonverbindung ist so der Zugriff auf das Internet möglich. Bestimmte Spiele, etwa "Phantasy Star Online" ermöglichen es, unlizensierte Software auf dem Game Cube auszuführen. Die Spieler können dabei online per Chat miteinander kommunizieren. Dazu erscheint auf dem Bildschirm eine virtuelle Tastatur, die mit einem Stick bedient werden kann.

Hierbei kommt es nicht darauf an, ob derzeit tatsächlich alle technischen Mittel zur Herstellung einer Internetverbindung mit der Spielkonsole über ein Mobiltelefon verfügbar sind. Um eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt durch den Besitz der Spielkonsole annehmen zu können, reicht es aus, dass der "Nintendo Game Cube" über die grundsätzliche Internetfähigkeit mit einer Anschlussbuchse für ein Modem oder einen Breitbandadapter verfügt. Bei diesen technischen Voraussetzungen der Spielkonsole bleibt es nur eine Frage der technischen Findigkeit, insbesondere der verwendeten Software, eine Internetverbindung auch ohne einen Festnetzanschluss herzustellen. Ließe man den Besitz von grundsätzlich internetfähigen Spielkonsolen in Justizvollzugsanstalten zu, ist zu befürchten, dass alsbald technische Veränderungen gesucht und gefunden würden, die den Online-Betrieb dieser Geräte mittels Mobiltelefonen ermöglichen würden. Die geringen räumlichen Maße der Spielkonsole selbst als auch der für den Online-Betrieb erforderlichen Zusatzgeräte begründen zudem die Gefahr, dass diese zwischen den Gefangenen unbemerkt vom Vollzugspersonal ausgetauscht werden können, um alle für den Internetzugriff erforderlichen Systemkomponenten zusammen zu führen. Der unkontrollierte Zugriff von Strafgefangenen auf das Internet würde den Austausch von Nachrichten und die Beschaffung von Informationen auf eine Weise ermöglichen, die mit dem Sicherheitsbedürfnissen einer Justizvollzugsanstalt, insbesondere einer solchen mit hohem Sicherheitsstandard wie der Antragsgegnerin, nicht zu vereinbaren ist.

Dieser Gefahr kann mit einer Versiegelung der Anschlussbuchse für die Internetkomponenten nicht ausreichend begegnet werden, weil die Antragsgegnerin das für deren ständige Kontrolle nötige Personal nicht hat. Da der Antragsteller für den Besitz des "Nintendo Game Cube" keine Belange von Gewicht, wie etwa Aus- und Weiterbildung, sondern nur bloßen Zeitvertreib geltend machen kann, ist die Antragsgegnerin auch nicht gehalten, unter diesem Gesichtspunkt ihre personelle Ausstattung zu verändern.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 Abs. 1 EGGVG in Verbindung mit § 130 KostO. Bei der Festsetzung des Geschäftswertes nach § 30 Abs. 3 EGGVG in Verbindung mit § 30 KostO hat der Senat berücksichtigt, dass der Antragsteller mangels einer spezialgesetzlichen Regelung für den Jugendstrafvollzug gezwungen war, sein Begehren im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu verfolgen. Hieraus darf ihm auch kostenrechtlich kein Nachteil entstehen, so dass sich der Senat bei der Festsetzung des Geschäftswertes an entsprechenden Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz orientiert hat.

Ende der Entscheidung

Zurück