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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 4 U 154/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGBGB, BGB, StPO


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 415
ZPO § 580
ZPO § 580 Nr. 6
ZPO § 580 Nr. 7
ZPO § 580 Nr. 7 a
ZPO § 580 Nr. 7 b
ZPO § 586 Abs. 1
ZPO § 586 Abs. 2 S. 1
ZPO § 586 Abs. 2 S. 2
EGBGB Art. 233 §§ 11 ff.
EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 2
EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2
EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 3
EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1
EGBGB Art. 233 § 12
EGBGB Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 c
BGB § 826
StPO § 359 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 154/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 09.03.2005

verkündet am 09.03.2005

In dem Restitutionsklageverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 02.02.2005

durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Restitutionsklägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 26.07.2004 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Restitutionskläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Restitutionskläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Restitutionsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Der Restitutionskläger möchte die Aufhebung des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.09.1999 und die Abweisung der damaligen Klage erreichen mit der Begründung, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) vom 22.01.2004 rechtfertige eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 580 Nr. 7 b ZPO. Hilfsweise beantragt er, das Berufungsverfahren bis zur Endgültigkeit der Entscheidung des EGMR gemäß § 148 ZPO auszusetzen.

Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.09.1999 wurde der Restitutionskläger als Beklagter des damaligen Verfahrens verurteilt, mehrere Grundstücke unentgeltlich an das klagende Land aufzulassen und die Eintragung als Eigentümer zu bewilligen. Der damalige Beklagte war am 07.05.1990 als Erbe der im Jahr 1988 verstorbenen Frau E... D... als Eigentümer der Grundstücke eingetragen worden. Die Erblasserin hatte die Grundstücke als Bodenreformland zugewiesen erhalten. Die Verurteilung des Beklagten erfolgte auf der Grundlage der Regelungen des Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 Nr. 2 c EGBGB.

Im Übrigen wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 21.06.2004 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die zu treffende Entscheidung sei nicht von einer Entscheidung des EGMR abhängig. Selbst wenn sich die in der Folge des Urteils vom 22.01.2004 angerufene Große Kammer des EGMR der Vorentscheidung vom 22.01.2004 anschließe, sei es dem Gesetzgeber überlassen, die von der Entscheidung betroffenen Grundstücke entweder zurückzuübertragen oder gesetzlich eine Entschädigung festzusetzen.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 26.07.2004 hat das Landgericht die Restitutionsklage abgewiesen. Es hat die Klage als unzulässig erachtet, da der Restitutionskläger sich nicht auf das Vorliegen eines Restitutionsgrundes im Sinne des § 580 ZPO berufen könne. Einer direkten Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO stehe entgegen, dass das Urteil des EGMR vom 22.01.2004 keine neue Tatsache im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Auch eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO komme nicht in Betracht. Dies gelte insbesondere, weil das Urteil vom 22.01.2004 nicht rechtskräftig sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Restitutionskläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Klageziele weiter verfolgt. Insbesondere beantragt der Restitutionskläger auch im Berufungsverfahren die Aussetzung gemäß § 148 ZPO bis zur Endgültigkeit einer Entscheidung des EGMR.

Er macht geltend, das Landgericht habe nicht beachtet, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (im Folgenden abgekürzt: EMRK) aufgrund ihrer nationalen Umsetzung durch bundesdeutsches Zustimmungsgesetz unmittelbar geltendes bundesdeutsches Recht sei. Dementsprechend seien die Normen der EMRK auch durch die bundesdeutschen Gerichte zu beachten. Dies habe der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in einer Entscheidung vom 14.10.2004 ausdrücklich klargestellt. Aus der Gewährleistung einer wirksamen Beschwerde gemäß Art. 13 EMRK folge deshalb, dass eine Wiederaufnahmeklage gemäß § 580 Nr. 7 b ZPO auch im Hinblick auf rechtskräftige zivilrechtliche Urteile zulässig sein müsse, wenn der EGMR die Konventionswidrigkeit einer gesetzlichen Regelung und/oder eines gerichtlichen Urteils festgestellt habe. Die Rechtskraft einer Erstentscheidung sei kein Selbstzweck. Vielmehr habe der ZPO-Gesetzgeber in Fällen krasser Urteilsunrichtigkeit oder in Fällen krasser Erschütterung der Urteilsgrundlagen die Möglichkeit einer Rechtskraftdurchbrechung in Form der Restitutionsklage vorgesehen. Dem habe die Rechtsprechung im Übrigen die materiell-rechtliche Klage aus § 826 BGB als weiteres Mittel der Rechtskraftdurchbrechung zur Seite gestellt. Vor diesem Hintergrund sei sogar eine direkte Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO geboten. Jedenfalls sei eine Analogie gerechtfertigt.

Einer Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO stehe nicht entgegen, dass das Urteil des EGMR vom 22.01.2004 noch nicht endgültig sei. Dem Kläger sei nicht anzulasten, dass er bereits mit Schriftsatz vom 23.02.2004 Restitutionsklage erhoben habe. Dies sei wegen der Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO notwendig gewesen. Jedenfalls habe das Landgericht, wenn es der fehlenden Endgültigkeit entscheidende Bedeutung beimesse, das Verfahren gemäß § 148 ZPO aussetzen müssen.

Für die Statthaftigkeit der Restitutionsklage spreche auch und gerade die Einführung des § 359 Nr. 6 StPO im Strafverfahrensrecht. Aus den Gesetzesmaterialien zur Einführung dieser Regelung ergebe sich die Notwendigkeit einer wertungsmäßigen Analogie auch für das Zivilprozessrecht. Dort sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Ziel der effektiven Durchsetzung der europäischen Menschenrechte - wenn möglich - auch über eine Auslegung der allgemeinen Wiederaufnahmegründe zu erreichen sei.

Die danach statthafte Wiederaufnahmeklage sei auch begründet, weil die innerstaatliche menschenrechtswidrige Norm des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB kein nach wie vor geltendes und anwendbares Recht sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 14.10.2004 unmissverständlich klargestellt, dass die Behauptung des dortigen OLG, ein Urteilsspruch des EGMR binde nur den bundesdeutschen Gesetzgeber als Völkerrechtssubjekt, nicht aber deutsche Gerichte, verfassungsrechtlich unhaltbar sei. Erforderlich sei vielmehr eine menschenrechtskonforme Auslegung und Anwendung der innerstaatlichen Normen durch die Gerichte. Daraus folge, dass die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB mit ihrer Verpflichtung zur unentgeltlichen Auflassung des ererbten Grundstückseigentums an den Fiskus nicht anwendbar sei. Bei einer Auslegung der Regelung unter Beachtung der Entscheidung des EGMR fehle es bereits an der tatbestandlichen Voraussetzung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB, wonach dem Anspruchsgegner das Eigentum an einem Grundstück aus der Bodenreform (erstmals) nach Art 233 § 11 Abs. 2 EGBGB übertragen worden sein müsse. Deshalb sei jedenfalls dem Aussetzungsantrag stattzugeben. Mit der Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 22.01.2004 trete zugleich die förmliche Bindungswirkung an die Entscheidung gemäß Art. 46 EMRK ein. Die Entscheidung der großen Kammer des EGMR sei deshalb vorgreiflich im Sinne des § 148 ZPO.

Der Restitutionskläger beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 26.07.2004, das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.09.1999, Az: 13 O 186/99, aufzuheben und die Klage in dem Rechtsstreit 13 O 186/99 abzuweisen, 2. das Berufungsverfahren bis zur Endgültigkeit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22.01.2004 in den Rechtssachen J... u.a. ./. Bundesrepublik Deutschland (Beschwerde-Nr. 46720/99, 72203/01 und 72552/01) auszusetzen.

Der Restitutionsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das restitutionsbeklagte Land verteidigt das Urteil des Landgerichts. Es macht insbesondere geltend, aus der Pflicht zur menschenrechtsfreundlichen Auslegung und Anwendung nationalen Rechts ergebe sich die Notwendigkeit einer analogen Anwendung des § 580 Nr. 7 ZPO nicht. Diese Pflicht betreffe jeweils das Ausgangsverfahren im Hinblick auf die Auslegung des Art. 233 § 11 ff. EGBGB, nicht dagegen die Frage der Wiederaufnahme. Einer Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO werde im Übrigen weiter widersprochen, da ein Aussetzungsgrund nicht vorliege.

II.

Die Berufung ist zulässig; sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat die Restitutionsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

1. Dies gilt - wie auch der Senat schon in seinem Urteil vom 09.06.2004, AZ: 4 U 34/04, ausgeführt hat - bereits deshalb, weil eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits überhaupt nur für einen Fall ernsthaft diskutiert werden kann, für den der EGMR in einer endgültigen Entscheidung im Sinne des Art. 44 EMRK einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt hat. Das Urteil des EGMR vom 22.01.2004 ist jedoch nicht endgültig, da die Bundesrepublik Deutschland die Große Kammer des EGMR angerufen hat.

Etwas anderes gilt - entgegen der Auffassung des Restitutionsklägers - auch nicht deshalb, weil aus seiner Sicht die Klageerhebung mit Schriftsatz vom 23.02.2004 im Hinblick auf die Monatsfrist des § 586 Abs. 2 S. 1 ZPO geboten gewesen sei. Die Frist des § 586 Abs. 2 S. 1 ZPO beginnt mit der Kenntnis von dem Anfechtungsgrund. Unterstellt eine endgültige Entscheidung des EGMR wäre ein geeigneter Anfechtungsgrund, könnte die Frist des § 586 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht schon mit der Kenntnis von der Entscheidung des EGMR als solcher beginnen, sondern erst mit der Kenntnis von deren Endgültigkeit. Der Restitutionskläger könnte deshalb allenfalls argumentieren, seine Klageerhebung vor Endgültigkeit der Entscheidung des EGMR sei im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO geboten gewesen.

2. Letztlich kommt es jedoch auf diese Frage nicht an, da die Entscheidung des EGMR vom 22.01.2004 auch dann, wenn sie endgültig wäre bzw. durch eine endgültige Entscheidung der Großen Kammer des EGMR bestätigt würde, die Zulässigkeit einer Restitutionsklage im Sinne des § 580 ZPO nicht begründen könnte. Aus denselben - im Folgenden zu erläuternden - Gründen liegen auch die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht vor.

Auch insoweit geben die Ausführungen des Restitutionsklägers dem Senat keine Veranlassung, seine bereits in dem Urteil vom 09.06.2004 - Az: 4 U 34/04 - geäußerte Rechtsauffassung zu revidieren.

Zwar hat der Restitutionskläger zutreffend darauf hingewiesen, dass die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes geltendes Recht der Bundesrepublik Deutschland und deshalb auch von den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland zu beachten ist; dies hat der Senat nie in Abrede gestellt. Der Senat vermag dem Restitutionskläger allerdings nicht dahin zu folgen, dass die Regelungen der EMRK im vorliegenden Fall gebieten, die Restitutionsklage als zulässig zu erachten.

a) Weder aus Art. 13 EMRK noch aus dem in Art. 25 Abs. 2 GG verankerten Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung innerstaatlicher Rechtsnormen ergibt sich die Verpflichtung eines Vertragsstaates der EMRK, die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsstreits für den Fall zu schaffen, in dem ein Urteil des EGMR feststellt, dass die Entscheidung eines deutschen Gerichts unter Verletzung der EMRK zustande gekommen ist.

Das in Art. 13 EMRK normierte Recht einer Person, die in ihren in der EMRK anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, ist vielmehr in der Bundesrepublik Deutschland bereits dadurch gewährleistet, dass jedes Gericht die EMRK bei seiner Entscheidungsfindung - also im Ausgangsverfahren - im Range eines einfachen Gesetzes berücksichtigen muss (Mayer-Ladewig, Handkommentar-EMRK, Art. 13 Rn. 8). Weder der EMRK noch dem Grundgesetz ist eine weitergehende Verpflichtung zu entnehmen, wonach einem Urteil des EGMR, in dem festgestellt wird, dass die Entscheidung eines deutschen Gerichts unter Verletzung der EMRK zustande gekommen ist, eine die Rechtskraft der Entscheidung beseitigende Wirkung beizumessen ist (so auch BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - Az.: 2 BvR 1481/04 - Abs. 52). Eine Verpflichtung der Gerichte zur Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR besteht allerdings immer - aber auch nur - dann, wenn das innerstaatliche Recht entweder die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens für diesen Fall vorsieht - wie etwa in einem Strafverfahren unter den Voraussetzungen des § 359 Nr. 6 StPO - oder wenn ein Gericht aus anderen Gründen über den Gegenstand, zu dem der EGMR einen Konventionsverstoß festgestellt hat, erneut zu entscheiden hat (BVerfG, a.a.O., Abs. 55). Ob ein Gericht im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens oder in einem anderen Verfahren erneut zur Entscheidung über den Gegenstand berufen ist, zu dem der EGMR einen Konventionsverstoß festgestellt hat, beurteilt sich nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht, wobei der Senat nicht verkennt, dass auch bei der Auslegung des Verfahrensrechts die Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die EMRK zu berücksichtigen ist.

b) Dies führt gleichwohl nicht dazu, dass die Restitutionsklage im Hinblick auf einer der Entscheidung vom 22.01.2004 entsprechende endgültige Entscheidung des EGMR zulässig wäre.

aa) Einer direkten Anwendung des als Restitutionsgrund allein in Betracht kommenden § 580 Nr. 7 b ZPO steht - wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 09.06.2004, Az.: 4 U 34/04, ausgeführt hat - entgegen, dass diese Regelung sich nur auf solche Urkunden bezieht, die eine von der ergangenen rechtskräftigen Entscheidung abweichende Tatsachengrundlage schaffen. Die Erforderlichkeit des Tatsachenbezuges der Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO folgt aus der Funktion einer Urkunde im Zivilprozess und darüber hinaus aus dem systematischen Verhältnis zu den übrigen Regelungen des § 580 ZPO. Wäre nämlich jedes Urteil allein deshalb, weil es sich dabei um eine Urkunde im Sinne des § 415 ZPO handelt, als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO anzusehen, so bedürfte es der Regelungen des § 580 Nr. 6 ZPO oder des § 580 Nr. 7 a ZPO nicht. Darüber hinaus wäre auch kein Grund ersichtlich, warum nicht auch jedes Urteil eines deutschen Gerichts, insbesondere ein vor oder nach Erlass der anzufechtenden rechtskräftigen Entscheidung ergangenes höchstrichterliches Urteil oder ein Urteil des Bundesverfassungsgericht, das eine Rechtsfrage abweichend von der angefochtenen Entscheidung beantwortet, geeignet wäre, einen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO zu begründen. Eine derartige Auslegung des § 580 Nr. 7 b ZPO wäre offensichtlich mit dem Zweck der Regelungen des § 580 ZPO nicht vereinbar.

bb) Auch eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO ist jedoch in Bezug auf ein der Entscheidung des EGMR vom 22.01.2004 entsprechendes endgültiges Urteil des EGMR nicht möglich.

Dabei bedarf es keiner Entscheidung des Senats darüber, ob eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO im Falle eines Urteils des EGMR, in dem festgestellt wird, dass eine Entscheidung eines deutschen Gerichts in Zivilsachen unter Verstoß gegen die EMRK ergangen ist, generell nicht in Betracht kommt. Wie der Senat ebenfalls bereits in seiner Entscheidung vom 09.06.2004 ausgeführt hat, wird diese Frage insbesondere in der juristischen Literatur seit langem diskutiert und in diesem Zusammenhang von einigen Autoren eine entsprechende Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO befürwortet (so etwa Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., vor § 578 Rn. 58; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl., Einleitung Rn. 136; Wieczorek/Prüttig, ZPO, 3. Aufl., Einleitung Rn. 54, Fußnote 34). Andere Autoren (so etwa Meyer-Ladewig, a.a.O., Art. 46 Rn. 8) erachten das Fehlen einer Wiederaufnahmeregelung für den Fall der Feststellung der Konventionswidrigkeit eines Urteils durch den EGMR rechtspolitisch für bedenklich oder stellen lediglich die Diskussion dar, ohne ausdrücklich eine eigene Position zu beziehen (MK-ZPO-Braun, vor § 578 Rn. 37).

Entscheidend ist im vorliegenden Fall - dies wird vom Restitutionskläger nicht hinreichend berücksichtigt - dass der Verstoß gegen die EMRK, den der EGMR in seiner Entscheidung vom 22.01.2004 festgestellt hat, nicht auf der mit der Beschwerde angefochtenen Gerichtsentscheidung als solcher beruht, also etwa auf einem Verstoß gegen die Verfahrensrechte der EMRK, sondern auf dem Verstoß der durch das Gericht angewandten innerstaatlichen Gesetze, hier der Regelungen des Art. 233 § 11 ff. EGBGB.

Im Fall der Feststellung des Verstoßes eines Gesetzes gegen die EMRK durch den EGMR ist eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO nach Auffassung des Senats auch und gerade unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluss vom 24.10.2004 (a.a.O.) nicht möglich. Die Frage, in welcher Weise die innerstaatlichen Organe eines Vertragsstaates der EMRK die Bindungswirkung der EMRK und ihrer Protokolle in ihrem durch die Entscheidungen des EGMR dokumentierten Entwicklungsstand zu berücksichtigen haben, hängt von dem Zuständigkeitsbereich der staatlichen Organe und dem Spielraum ab, den vorrangiges Recht lässt (BVerfG, a.a.O., Abs. 30 und Abs. 47). Dies bedeutet, dass die Pflicht und die Möglichkeit der völkerrechtskonformen Auslegung einer innerstaatlichen Vorschrift für deutsche Gerichte immer (aber auch nur soweit) besteht, wie im Rahmen methodischer Standarts Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind (BVerfG, a.a.O., Abs. 62).

aaa) Zwar gehört auch die Möglichkeit einer Analogie zu den methodischen Standarts, die im deutschen Zivilrecht anerkannt sind. Eine Analogie setzt jedoch methodisch eine planwidrige, also vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke voraus, die in Bezug auf die Möglichkeit einer Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Rechtsstreitigkeiten aufgrund einer Entscheidung des EGMR über den Verstoß eines Gesetzes der Bundesrepublik Deutschland gegen die EMRK zumindest zweifelhaft ist. Auch insoweit hält der Senat an seiner bereits in der Entscheidung vom 09.06.2004 dargelegten Auffassung fest.

Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Entscheidung des EGMR die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener gerichtlicher Verfahren ermöglichen soll, ist durchaus bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene gewesen und hat dazu geführt, dass durch Gesetz vom 9.7.1998 mit § 359 Nr. 6 StPO im Strafverfahrensrecht eine Regelung eingeführt worden ist, wonach die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zulässig ist, "wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht". Angesichts dieser Regelung scheint es keineswegs fernliegend, dass der Gesetzgeber damit eine bewusste Entscheidung dahin getroffen hat, dass eine Wiederaufnahme aufgrund einer Entscheidung des EGMR über die Konventionswidrigkeit eines Urteils nur im Strafverfahrensrecht, nicht aber in den Verfahrensregelungen anderer Rechtsgebiete, und damit insbesondere auch nicht im Zivilprozessrecht, möglich sein soll.

Dieser Argumentation mag der Restitutionskläger noch mit einer gewissen Berechtigung entgegenhalten können, dass der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ausweislich der Begründung zur Beschlussempfehlung (Drucksache 13/10333) in seine Überlegungen einbezogen hat, dass in anderen Konventionsstaaten das Ziel einer Wiederaufnahme über eine Auslegung der allgemeinen Wiederaufnahmegründe erreicht wird, und damit auch die Möglichkeit einer entsprechenden Auslegung in Verfahrensordnungen des innerstaatlichen Rechts nicht zwingend ausgeschlossen haben könnte.

Jedenfalls kann der Diskussion über die Einführung des § 359 Nr. 6 StPO im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages aber entnommen werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers dahin differenziert werden muss, ob das konkrete Urteil, um dessen Beseitigung es in einem Wiederaufnahmeverfahren geht, vom EGMR - etwa aufgrund von Verfahrensverstößen - als konventionswidrig angesehen worden ist oder ob - wie in der Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 - die Entscheidung des EGMR dahingeht, dass innerstaatliche Rechtsnormen, auf denen das Urteil beruht, als konventionswidrig erachtet worden sind. Einen Antrag, den die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen zur Ergänzung der in § 359 Nr. 6 StPO getroffenen Regelung mit dem Inhalt in den Rechtsausschuss eingebracht hatte "Dies gilt auch, wenn die Konventionswidrigkeit einer bundesdeutschen Rechtsnorm oder einer deren Regelungsgehalt entsprechenden Rechtsnorm eines anderen Signarstaates der Europäischen Konvention ... festgestellt wurde" hat die Mehrheit des Rechtsausschusses nämlich ausdrücklich abgelehnt.

bbb) Schließlich hält der Senat auch an seiner - ebenfalls bereits in dem Urteil vom 09.06.2004 vertretenen - Auffassung fest, dass einer analogen Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO entgegensteht, dass dem Restitutionskläger mit einer Zulassung der Restitutionsklage nicht gedient wäre, weil der Senat bis zu einer Änderung der Regelungen des Art. 233 § 11 ff. EGBGB durch den Gesetzgeber gehindert wäre, auf die von dem Restitutionskläger angestrebte Rechtsfolge der Abweisung der Klage des Restitutionsbeklagten in dem Ausgangsverfahren zum Az: 13 O 186/99 Landgericht Frankfurt (Oder) zu erkennen.

Auch insoweit gilt, dass für deutsche Gerichte in einem Fall, in dem der EGMR eine innerstaatliche Rechtsnorm für konventionswidrig erklärt, die Möglichkeit einer völkerrechtskonformen Auslegung nur in dem Rahmen besteht, in dem nach den innerstaatliche anerkannten Methoden der Rechtsanwendung Auslegungs- und Abwägungsspielräume bestehen (BVerfG, a.a.O., Abs. 62).

Eine Auslegung der Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB dahingehend, dass dem Restitutionsbeklagten als Berechtigtem im Sinne des Art. 233 § 12 EGBGB kein Anspruch auf Auflassung eines Grundstücks aus der Bodenreform gegen einen Erben desjenigen zusteht, dem das Grundstück im Rahmen der Bodenreform zugewiesen worden war, ist jedoch - entgegen der Auffassung des Restitutionsklägers - nicht möglich. Darüber hinaus wäre diese Auslegung - und dies ist letztlich entscheidend - auch unter Beachtung der dem Restitutionskläger durch die EMRK und ihre Protokolle gewährten Rechte, verstanden im Sinne der Entscheidung des EGMR vom 22.01.2004, nicht geboten.

Entgegen der Auffassung des Restitutionsklägers kann die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB nicht dahin ausgelegt werden, dass bereits seine tatbestandliche Voraussetzung, nämlich die (erstmalige) Übertragung des Eigentums an dem Bodenreformgrundstücks durch die gesetzliche Regelung in Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB, fehlt. Dies hätte zur Folge, dass die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB ihres Anwendungsbereiches gänzlich beraubt wäre. Eine derartige Auslegung ist jedoch nur in äußersten Ausnahmefällen und nur dann methodisch zu rechtfertigen, wenn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine andere Auslegung in Betracht kommt. Dies ist jedoch, wie der BGH in seinen Entscheidungen vom 17.12.1998 (BGHZ 140, 223 ff.) und 22.03.2002 (VIZ 2002, 483 f.) ausführlich begründet hat, nicht der Fall. Auch wenn man berücksichtigt, dass der Gesetzgeber der Art. 233 §§ 11 Abs. 2 und Abs. 3 EGBGB sich in einem Irrtum in Bezug auf die Vererblichkeit von Grundstücken aus der Bodenreform befand, gibt es gleichwohl gute Gründe, den Erben eines Bodenreformgrundstücks, der bis zur Aufhebung der Besitzwechselverordnung das geerbte Grundstück dem Bodenfonds hätte zuführen müssen, anders zu behandeln, als den Erben eines Bodenreformgrundstücks, der selbst in der Landwirtschaft tätig war. Auch wenn man - wie der Restitutionskläger - diese Rechtsprechung des BGH zur öffentlich-rechtlichen Überlagerung des durch Erbschaft erlangten Eigentums an Bodenreformgrundstücken kritisiert, so zeigt sie doch, dass es immerhin möglich ist, die Regelung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB in einer Weise auszulegen, die ihr weiterhin einen Anwendungsbereich belässt. Dieser Auslegung auf der Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen steht die Entscheidung des EGMR vom 22.01.2004 auch nicht entgegen, da der EGMR lediglich die Entschädigungslosigkeit der Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums und damit die vom Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB angeordnete Rechtsfolge der Verpflichtung zur unentgeltlichen Auflassung als konventionswidrig erachtet hat.

Auf der Ebene der Rechtsfolge ist eine der Entscheidung des EGMR entsprechende Auslegung des Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB - dies wird auch vom Restitutionskläger nicht bezweifelt - dagegen schon deshalb nicht möglich, weil insoweit der eindeutige Wortlaut der Regelung die Auslegungsmöglichkeiten begrenzt.

Die im Falle einer dem Urteil vom 22.01.2004 entsprechenden endgültigen Entscheidung des EGMR erforderliche Änderung der Regelungen des Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB kann deshalb im vorliegenden Fall nur durch den Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland getroffen werden, zumal dem Gesetzgeber - nicht aber den Gerichten - verschiedene Möglichkeiten offen stehen, der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland aus Artt. 1, 46 EMRK zur Verhinderung zukünftiger oder bereits eingetretener Verstöße gegen die EMRK in Parallelfällen zu den der Entscheidung des EGMR zugrundeliegenden Fällen Rechnung zu tragen. Wie bereits ausgeführt, könnte nämlich einer dem Urteil des EGMR vom 22.01.2004 entsprechenden endgültigen Entscheidung des EGMR gleichermaßen durch eine Entschädigung wie durch eine Rückgabe der Grundstücke entsprochen werden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO insbesondere deshalb nicht vorliegen, weil es sich bei der Entscheidung des EGMR vom 22.01.2004 nicht um eine endgültige Entscheidung des EGMR handelt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000,- € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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