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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 4 U 177/07
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 2 Satz 1
StGB § 223
StGB § 226
StGB § 226 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 273
ZPO § 295
ZPO § 296a
ZPO § 411a
ZPO § 415 Abs. 1
ZPO § 432
ZPO § 534
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.10.2007 - einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen einer unerlaubten Handlung und Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für zukünftige Schäden.

In der Nacht vom 13.04. zum 14.04.2002 besuchte der Kläger in der Diskothek "K." in G. eine Tanzveranstaltung, bei der der Beklagte als Ordner tätig war. Während der Nacht kam der Kläger nach längerer Besinnungslosigkeit auf einer Parkbank vor der Diskothek wieder zu sich. Da er in der Folgezeit starke Kopfschmerzen und Übelkeit verspürte, begab er sich am 16.04.2002 zunächst zu seinem Hausarzt und am 18.04.2004 dann zu einer HNO-Ärztin in Behandlung. Diese diagnostizierte bei dem Kläger eine Schädelbasis- und eine Hinterhauptfraktur. Daraufhin begab sich der Kläger vom 18.04.2002 bis zum 29.04.2002 in stationäre Behandlung in das Klinikum U.. Als Folge der Schädelverletzung erlitt der Kläger jeweils linksseitig einen vollständigen Hörverlust und eine Beeinträchtigung seines Gleichgewichtsorgans.

Der Kläger hat dem Beklagten - gestützt auf dessen Verurteilung durch das Amtsgericht Schwedt/Oder vom 22.06.2005 im Strafverfahren zum Az. 12 Ds 200 Js 10694/02 (67/03) wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 11,00 € - erstinstanzlich vorgeworfen, ihn in der Diskothek mit der Faust auf den Kopf geschlagen zu haben, so dass er zu Fall gekommen sei und sich die Verletzungen zugezogen habe, die zu dauernden Folgeschäden, etwa posttraumatischen Epilepsien, und zu Einschränkungen bei der Berufswahl und -ausübung führen könnten.

Der Beklagte hat bestritten, den Kläger geschlagen zu haben. Insoweit hat er vorgetragen, er habe sich den ganzen Abend dem Kläger gegenüber friedlich verhalten und sei zum Zeitpunkt des Sturzes des Klägers nicht in dessen Nähe gewesen. Spuren eines Schlages seien bei dem Kläger nicht erkennbar gewesen; auch ergebe sich aus dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten nicht, dass ursächlich für die Verletzungen zwangsläufig ein Faustschlag gewesen sei. Die Verletzungen seien vielmehr Folge eines Sturzes des Klägers in einen 1,5 m tiefen Graben vor dem "K." oder einer Kollision des Klägers mit einem Pkw zu einem späteren Zeitpunkt; der Kläger sei an dem Abend aufgrund seiner Alkoholisierung stark getorkelt und mehrmals gestürzt. Der vom Kläger beschriebene Schlag und das Aufschlagen auf den Holzfußboden der Diskothek seien auch nicht geeignet, die Verletzungen hervorzurufen. Im Übrigen sei der Kläger am Abend volltrunken gewesen, habe randaliert und versucht, ihn, also den Beklagten, mit einem Stuhl zu schlagen, sowie Drohungen gegen seine Lebensgefährtin und deren Kind ausgesprochen. Vor einem möglichen eigenen Schlag sei der Kläger erneut aggressiv gewesen, so dass er - der Beklagte - aufgrund des Vorangegangenen von einem Angriff auf sich habe ausgehen können. Als Sicherheitspersonal sei es auch seine Aufgabe gewesen, die anwesenden Gäste zu schützen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 10.10.2007 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 10.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2005 zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aufgrund der Körperverletzung vom 13.04.2002 noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Kläger habe einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB, §§ 223, 226 StGB.

Der Beklagte habe gegen diese Normen verstoßen, weshalb er auch strafrechtlich belangt worden sei. Nach der urkundlichen Verwertung der in der Ermittlungsakte enthaltenen Vernehmungsprotokolle gemäß § 415 Abs. 1 ZPO, insbesondere der Aussage des Zeugen J. und G., stehe zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Beklagte dem Kläger einen Schlag versetzt hat, wodurch dieser zu Boden gefallen sei.

Die Aussage des Zeugen J., der bekundet habe, selbst gesehen zu haben, wie der Beklagte dem Kläger mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe, so dass dieser nach hinten umgefallen und regungslos liegengeblieben sei, sei glaubhaft und überzeuge durch Detailreichtum, da sich der Zeuge noch habe erinnern können, dass er versucht habe, den Kläger mit einem Glas Mineralwasser wieder zu sich zu bringen.

Die vom Zeugen St. G. getätigte Aussage, er habe von dem Beklagten einen Anruf erhalten, in dem sich dieser für den Vorfall entschuldigt habe, bestätige das vom Zeugen J. geschilderte Geschehen. Die Aussage des Zeugen G. sei auch glaubwürdig, da er Details und die Dauer des Gespräches habe wiedergeben können; die Tatsache, dass er der Bruder des Klägers sei, stehe der Glaubwürdigkeit nicht entgegen.

Auch die vom Beklagten versuchte Schadensregulierung zeige, dass das schädigende Ereignis stattgefunden habe.

Die Aussagen der übrigen Zeugen seien zu der Frage, ob der Beklagte den Kläger geschlagen habe, unergiebig. Jedoch hätten die Zeugen S. und T. bestätigen können, dass sich der Vorfall in der Diskothek ereignet haben müsse, da sie den Kläger dort am Boden hätten liegen sehen.

Der Schlag in das Gesicht sei für die Verletzungen auch kausal, da dieser dazu geführt habe, dass der Kläger nach hinten umgefallen und mit dem Kopf auf den Boden aufgeschlagen sei. Nach Verwertung des Sachverständigengutachtens aus dem Strafprozess gemäß § 411a ZPO stehe zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der infolge des Schlages erfolgte Sturz auf das Parkett geeignet sei, die Verletzungen hervorzurufen. An der Glaubwürdigkeit des Gutachters bestünden keine Zweifel. Die Verletzungen könnten auch nicht durch alkoholbedingte Stürze erklärt werden, da die Art der Verletzung auf ein einheitliches Geschehen hindeute und die Zeugen den Kläger nach dem Schlag auf dem Boden hätten liegen sehen. Für eine von einem Pkw oder später verursachte Verletzung bestünde unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen J. keine Anhaltspunkte.

Das Verhalten des Beklagten sei vorsätzlich und rechtswidrig gewesen. Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, insbesondere eines Angriffs des Klägers vor dem Schlag, habe der Beklagte nicht bewiesen; sämtliche Zeugenaussagen seien insoweit unergiebig. Ein aggressives Verhalten des Klägers vor dem Schlag rechtfertige nicht die Annahme eines Angriffs im maßgeblichen Zeitpunkt.

Das Gericht halte ein Schmerzengeld in Höhe von 10.000,00 € für angemessen. Grundlage für die Bemessung seien die erlittenen Verletzungen sowie die Tatsache, dass der Kläger aufgrund seines jungen Alters lange an deren Folgen zu leiden und mit erheblichen Beeinträchtigungen bei der Berufswahl und -ausübung zu kämpfen habe. Außerdem sei zu beachten, dass die Ursache der Verletzungen eine vorsätzliche Körperverletzung gewesen sei, für welche das Schmerzensgeld eine Genugtuung darstellen solle, die nicht bereits durch die strafrechtliche Verurteilung des Beklagten erzielt werde. Die Alkoholisierung des Klägers sei nicht ursächlich für die durch den Sturz verursachten Verletzungen und daher grundsätzlich nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

Soweit der Kläger in dem Schriftsatz vom 02.10.2007 der urkundlichen Verwertung der in dem Strafverfahren getätigten Zeugenaussagen und des dort eingeholten Sachverständigengutachtens widersprochen habe, sei der Vortrag verspätet, § 296a ZPO. Das Gericht habe die Verwertung in der mündlichen Verhandlung erläutert und einen entsprechenden Beschluss verkündet, ohne dass die Parteien der Verwertung widersprochen hätten. Außerdem hätten die Parteien mit den ihnen bekannten Ergebnissen der Beweiserhebung verhandelt, so dass ein Widerspruch nach Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen sei.

Die Feststellungsklage sei zulässig und begründet. Der Kläger habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung, da der Beklagte die Rechte des Klägers bestreite und Verjährung drohe. Zudem bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines zukünftigen Schadens, da nicht auszuschließen sei, dass es aufgrund der Kopfverletzung zu weiteren Schäden komme und der Kläger wegen seiner Schwerhörigkeit auch materielle Einbußen erleide.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter.

Er rügt, dass das Urteil in prozessrechtswidriger Art und Weise ergangen sei und den Sachvortrag der Parteien nicht sachgerecht und vollständig berücksichtigt habe, und trägt insoweit vor, dass entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil eine ordnungsgemäße Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte nicht erfolgt sei, da der in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2007 verkündete Beschluss des Landgerichts keinen hinreichenden Beiziehungsbeschluss darstelle. Auch hätte die Kammer die Aktenbeiziehung gemäß § 273 ZPO bereits vor dem Termin anordnen müssen; in der mündlichen Verhandlung hätten die Parteien keine Gelegenheit gehabt, die Akte einzusehen. Da das Landgericht erstmals im Termin auf die Verwertung der im Beschluss benannten Unterlagen hingewiesen habe, könne sein - des Beklagten - Vorbringen im Schriftsatz vom 02.10.2007 auch nicht verspätet sein. Eine ordnungsgemäße Beweisaufnahme im Termin habe nicht stattgefunden, weil bereits kein ordnungsgemäßer Beweisbeschluss vorgelegen habe; ein allgemeiner Verweis auf die Beziehung von Urkunden zur Entscheidung des Rechtsstreits genüge nicht. Mit Blick auf den Verfahrensgang und den Verlauf der mündlichen Verhandlung habe er darauf vertrauen dürfen, dass im Verkündungstermin ein Beweisbeschluss erlassen werde. Es sei ferner nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht seiner Entscheidungsfindung nur eine selektive Auswahl von Dokumenten zugrunde gelegt habe. So habe es etwa die protokollierte Aussage der Zeugin To. unbeachtet gelassen, die von ihm mit dem Zeugen D. für die Behauptung, der Kläger sei vor der Diskothek wiederholt zu Boden gefallen und habe sich dadurch die Verletzung zugezogen, benannt worden sei. Das Gericht hätte sich zum einen mit dem Vortrag der Parteien auseinandersetzen müssen. Zum anderen hätte es seinen Beweisangeboten nachgehen müssen. Das Landgericht stütze seine Entscheidung maßgeblich auf die protokollierten Aussagen der Zeugen J. und G., die jedoch nicht gesehen hätten, dass der Kläger mit dem Hinterkopf auf den Boden aufgeschlagen sei. Die Feststellungen des Landgerichts zur Glaubwürdigkeit des Zeugen G. und des Sachverständigen seien rechtsfehlerhaft, da eine Verwertung der protokollierten Aussagen im Wege des Urkundenbeweises keine verfahrensrechtlich zulässige Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen zulasse, sondern sich das Gericht hiervon selbst überzeugen müsse. Letztlich sei das zuerkannte Schmerzensgeld bei den angenommenen Verletzungen überhöht. Dem Kläger stehe nur ein solches im Bereich von 5.000,00 € zu. In jedem Fall müsse die Frage des Mitverschuldens geklärt werden, zu welchem er - der Beklagte - erstinstanzlich unter Beweisantritt vorgetragen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.10.2007 - 14 O 14/05 - aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

Auf die zulässige Berufung des Beklagten ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.10.2007 und des zugrunde liegenden Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückzuverweisen.

1. Dies hat jedoch nicht bereits deshalb zu geschehen, weil das Landgericht auf den entsprechenden Antrag des Klägers die Ermittlungsakte der StA Frankfurt (Oder), Zwst. Eberswalde, zum Az. 200 Js 10694/02 zu Beweiszwecken beigezogen und deren Inhalt verwertet hat.

Grundsätzlich genügt ein Antrag auf Beiziehung von Akten nach § 432 ZPO allerdings nicht den gesetzlichen Erfordernissen, wenn die Partei nicht näher bezeichnet, welche Urkunden oder Aktenteile sie für erheblich hält (vgl. BGH, Urteil vom 09.06.1994 - IX ZR 125/93, Rn. 21 m.w.N., juris; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 432 Rn. 5). Gibt das Gericht dem Antrag auf Beiziehung von Akten statt, obwohl dieser den genannten Anforderungen nicht genügt, so wird damit nicht ohne Weiteres der gesamte Akteninhalt zum Gegenstand des Rechtsstreits, da dies mit dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz nicht vereinbar wäre. Der Richter ist weder verpflichtet noch berechtigt, von sich aus die Akten daraufhin zu überprüfen, ob sie Tatsachen enthalten, die einer Partei günstig sind; andernfalls betriebe er unzulässige Beweisermittlung (vgl. BGH, a.a.O.; in diesem Sinne auch BGH, Urteil vom 12.11.2003 - XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325).

Überträgt man diese Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt, dann stellt sich die Beziehung der Akten zwar als wesentlicher Verfahrensmangel dar. Denn anders als in der bereits zitierten Entscheidung des BGH vom 12.11.2003 - XII ZR 109/01 -, in welcher dieser für eine Beiziehung der Strafakte eine konkludente Berufung auf konkrete Aktenbestandteile genügen ließ, hat der Kläger vorliegend schriftsätzlich nicht verdeutlicht, auf welche Aktenbestandteile er sich zum Beweis der Täterschaft des Beklagten berufen wolle. Vielmehr hat er erstinstanzlich in seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur angegeben, der Beklagte habe unstreitig eine Körperverletzung verursacht und sich zum Beweis auf die beizuziehende Strafakte berufen. Auf das entsprechende Bestreiten des Beklagten im Schriftsatz vom 11.03.2005 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.06.2005 dann auf die zwischenzeitliche Verurteilung des Beklagten durch das Amtsgericht Schwedt/Oder vom 22.06.2005 verwiesen und nochmals die Beiziehung der Strafakte beantragt; mit Schriftsatz vom 26.07.2005 hat er eine Abschrift des Urteils des Amtsgericht Schwedt/Oder zu den Akten gereicht. Das Landgericht hat nach der Beiziehung der Strafakte mithin von sich aus Beweisermittlung betrieben, was auch daraus ersichtlich wird, dass es schon im Beschluss selbst bestimmt hat, welche Vernehmungsprotokolle es für erheblich erachtet.

Allerdings ist dem Beklagten die Rüge einer gegen § 432 ZPO verstoßenden Beiziehung der Ermittlungsakte im Berufungsverfahren gemäß § 534 ZPO verwehrt, weil die Parteien nach Verkündung des Beschlusses im Termin der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2007 ausweislich Sitzungsprotokolls rügelos mit den eingangs gestellten Anträgen verhandelt haben. Hierin liegt ein Verzicht auf das Rügerecht im Sinne des § 295 ZPO; bei genügender Aufmerksamkeit hätte der Beklagte den Verstoß gegen die Vorschrift des § 432 ZPO - der eine verzichtbare Norm darstellt - jedenfalls erkennen können (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 27. Aufl., § 295 Rn. 7).

2. Das Urteil erweist sich jedoch insoweit als verfahrensfehlerhaft, als das Landgericht den ihm unterbreiteten Sachverhalt unzureichend aufgeklärt hat, indem es seine Entscheidung allein auf die urkundliche Verwertung der in der Strafakte enthaltenen Vernehmungsprotokolle und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. J. B. vom 15.06.2007 stützte.

a) In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass Protokolle über die Aussagen von Zeugen in einem anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises in den Zivilprozess eingeführt und dort gewürdigt werden dürfen, wenn dies von der beweispflichtigen Partei beantragt wird (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421; BGH, Urteil vom 12.11.2003 - XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325). Die Verwertung einer früheren Aussage im Wege des Urkundenbeweises an Stelle der Vernehmung eines Zeugen im anhängigen Verfahren ist jedoch dann unzulässig, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des Zeugen beantragt (vgl. BGH, jeweils a.a.O.).

Darüber hinaus kommt einer Urkunde über die frühere Vernehmung eines Zeugen in einem anderen Verfahren im Allgemeinen ein geringerer Beweiswert zu als dem unmittelbaren Zeugenbeweis; er kann je nach Sachlage sogar gänzlich fehlen. Der eingeschränkte Beweiswert einer solchen Urkunde beruht im Wesentlichen darauf, dass die Verfahrensbeteiligten von dem Zeugen keinen persönlichen Eindruck haben, ihm keine Fragen stellen und Vorhalte machen können und Gegenüberstellungen nicht möglich sind. Hieraus ergeben sich insbesondere dann erhebliche Probleme, wenn es auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Zeugen ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421).

Der im vorliegenden Rechtsstreit gegenüber dem Beklagten erhobene Tatvorwurf gründet sich ganz entscheidend auf die Bekundungen des Zeugen J. sowie die Angaben des Bruders des Klägers, des Zeugen St. G.. Der Erfolg der Klage steht und fällt daher mit der Glaubwürdigkeit dieser beiden Zeugen. Somit kommt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung hier eine überragende, prozessentscheidende Bedeutung zu.

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen setzt nach den Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme voraus, dass sie auf der Wahrnehmung der an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Akten festgehalten worden sind und die Parteien Gelegenheit hatten, sich dazu zu erklären. An die Einhaltung dieses prozessrechtlichen Grundsatzes sind um so strengere Anforderungen zu stellen, je wichtiger die Aussage des betreffenden Zeugen für den Ausgang des Rechtsstreits ist (vgl. BHG, a.a.O.).

Das Landgericht hat dies zwar erkannt. Es hat jedoch geglaubt, Glaubwürdigkeitsbeurteilung auch ohne die persönliche Vernehmung der Zeugen vornehmen zu können, und ist dabei den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend gerecht geworden. Denn die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen auch ohne eigene Wahrnehmung der an der Entscheidung beteiligten Richter zulässig ist, sind bei der Verwertung einer Aussage aus einem anderen Verfahren in der Regel nicht gegeben (vgl.BGH , Urteil vom 13.06.1995 - VI ZR 233/94, NJW 1995, 2856, 2857; BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421). In den Akten festgehaltene maßgebliche Umstände können den persönlichen Eindruck von einem Zeugen nämlich nur dann ersetzen, wenn es sich um solche Umstände handelt, zu denen die Parteien nach eigener Möglichkeit der Kenntnisnahme sachlich Stellung zu beziehen vermögen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es sich um offenkundige oder den Parteien bekannte Tatsachen oder um Umstände handelt, die sich im Verfahrensgang des anhängigen Rechtsstreits ergeben; dazu können Vermerke gehören, die der Richter einer Vorinstanz, ein Einzelrichter des nunmehr durch das Kollegium erkennenden Gerichts oder ein früherer Richter vor einem Richterwechsel etc. über die parteiöffentliche Vernehmung eines Zeugen gefertigt und in - oder zusammen mit - der Vernehmungsniederschrift den Parteien zugänglich gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421). Diese Voraussetzungen sind bei einer Verwertung einer Aussage aus einem anderen Verfahren nicht gegeben, so dass diese nicht in der umfassenden Weise wie eine Aussage vor dem erkennenden Gericht gewertet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.1995 - VI ZR 233/94, NJW 1995, 2856, 2857; BGH, Urteil vom 30.11.1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421).

Hier kommt hinzu, dass sich den Ausführungen des Landgerichts auch nicht hinreichend konkret entnehmen lässt, wie es etwa zu der Annahme gelangt ist, die Aussage des Zeugen G. sei glaubwürdig. Allein der Hinweis darauf, dass der Zeuge "Details und die Dauer des Gespräches" mit dem Beklagten wiedergeben konnte, ersetzt keine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der immerhin der Bruder des Klägers ist.

Das Landgericht, welches im Urteil zudem noch nicht einmal erkennen lässt, auf welche konkreten Protokolle der sowohl polizeilich als gerichtlich vernommenen Zeugen es seine Entscheidung stützt, hätte sich daher nicht mit einer urkundlichen Verwertung der Aussagen der Zeugen J. und G. begnügen dürfen.

Vielmehr hätte die Kammer den darlegungs- und beweisbelasteten Kläger darauf hinweisen müssen, dass sich der von ihm unter Verweis auf die Verurteilung des Beklagten behauptete Tathergang nicht durch die urkundlichen Verwertung von Zeugenaussagen im Strafverfahren belegen lässt, sondern hierfür über die - an sich ohnehin nicht ausreichende (vgl. oben unter II. 1.) - Beantragung der Beiziehung der Ermittlungsakte hinaus weitere Beweismittel, hier insbesondere Zeugen, zu benennen sind.

Aber selbst vom Standpunkt des Landgerichts hätte es der Vernehmung von Zeugen bedurft. Denn der Beklagte hat im Schriftsatz vom 07.10.2005 zum Sachverhalt vorgetragen und bestritten, den Kläger geschlagen zu haben. Er hat insoweit u.a. die Vernehmung des Zeugen J. beantragt, auf dessen Aussage im Strafverfahren das Landgericht seine Entscheidung maßgeblich gestützt hat. Selbst wenn der Urkundenbeweis - wie von der Kammer angenommen - an sich zu einer verfahrensrechtlich einwandfreien Überzeugungsbildung hätte ausreichen können, hätte der Zeuge J. - der Sache nach gegenbeweislich - zur möglichen Entwertung des Urkundenbeweises vernommen werden müssen.

Darüber hinaus hätte das Landgericht auch das weitere Vorbringen des Beklagten berücksichtigen müssen.

So hat dieser etwa D. Ju. als Zeugin für seine Behauptung benannt, sich in der Zeit, als der Kläger zu Boden gefallen sei, nicht in dessen Nähe befunden zu haben. Diese Zeugin hätte mithin (vom Standpunkt des Landgerichts aus) ebenfalls gegenbeweislich gehört werden müssen.

Zudem hat der Beklagte P. K. als Zeugen für seinen Vortrag benannt, der Kläger sei vor dem angeblichen Schlag mit einem Stuhl auf ihn zugelaufen und habe sich angeschickt, ihn, also den Beklagten, mit diesem zu schlagen; der Zeuge J. soll bekunden können, dass der Kläger kurz vor dem Schlag aggressiv auf ihn zugelaufen sei. Auch wenn sich das Vorbringen nicht mit der Behauptung des Beklagten, sich bei dem Fall des Klägers gar nicht in dessen Nähe befunden zu haben, in Einklang bringen lässt, hätte sich das Landgericht doch mit diesem auseinandersetzen müssen.

b) Auch die landgerichtlichen Ausführungen zu der Behauptung des Beklagten, ein möglicher Schlag könne die Verletzungen nicht hervorgerufen haben, da diese auf dem der in der Diskothek befindlichen nachfedernden Holzfußboden nicht hätten eintreten können, werden den Anforderungen an eine umfassende und erschöpfende Tatsachenfeststellung nicht gerecht.

Die Kammer hat insoweit in ihrem Urteil dargelegt, nach der Verwertung des Gutachtens aus dem Strafprozess gemäß § 411a ZPO stehe zur Überzeugung der Gerichtes fest, dass der infolge eines Schlages erfolgte Sturz auf das Parkett geeignet sei, die Verletzungen beim Kläger hervorzurufen. Daher wird nicht ausdrücklich angegeben, auf welches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. J. B. das Gericht seine Feststellungen stützt; in dem in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2007 verkündeten Beschluss hatte die Kammer angeordnet, dass (nur) das mündliche Gutachten des Sachverständigen vom 15.06.2007 gemäß § 411a ZPO verwertet werden soll.

Ob die Verwertung eines mündlich erstatteten Gutachtens im Wege des § 411a ZPO überhaupt von der Norm gedeckt ist, erscheint bereits zweifelhaft. Denn nach seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck spricht einiges dafür, dass eine im Zivilverfahren an sich erforderliche schriftliche Begutachtung (vgl. § 411a ZPO: "Die schriftliche Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens ersetzt werden.") nur durch ein bereits eingeholtes schriftliches Sachverständigengutachten ersetzt werden kann. Teilt man diese Bedenken, wäre die auf § 411a ZPO gestützte Verwertung eines nur mündlich erstatteten Gutachtens unzulässig, ein solches hätte in den Zivilrechtsstreit nur im Wege des Urkundenbeweises eingeführt werden können.

Letztlich kann diese Frage jedoch ebenso offen bleiben wie diejenige nach einem möglichen Verlust des Rechts, die Ersetzung einer schriftlichen Begutachtung durch ein mündlich in einem anderen Verfahren erstattetes Gutachten zu rügen, weil der Beklagte nach Verkündung des Beschlusses vom 19.09.2007 rügelos zur Sache verhandelt hat. Denn selbst wenn man die auf § 411a ZPO gestützte Verwertung des mündlich erstatteten Gutachtens des Herrn Dr. med. J. B. grundsätzlich für zulässig erachtete, wären die mit Blick auf dieses Gutachten getroffenen Feststellungen des Landgerichts unzureichend. Denn der Beklagte hat ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob ein Sturz auf den Boden der Diskothek geeignet ist, die Verletzungen des Klägers hervorzurufen, beantragt, ohne dass das Landgericht sich näher dazu verhalten hat, warum es die Einholung eines solchen nicht für geboten erachtet. Eine Auseinandersetzung mit dem Antrag des Beklagten wäre hier umso mehr angezeigt gewesen, als die Kammer ihre Feststellungen nur auf das (fragmentarische) Protokoll der Anhörung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vom 15.06.2005 stützen konnte und der Beklagte unter Beweisantritt zu Stürzen des Klägers vor der Diskothek vorgetragen hat (vgl. zum Erfordernis der Auseinandersetzung mit dem Antrag einer Partei auf Einholung eines [weiteren] Gutachtens: Zöller-Greger, a.a.O., § 411a Rn. 3).

c) Verfahrensfehlerhaft ist ferner die fehlende dezidierte Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Beklagten, der Kläger habe sich die Verletzungen nicht bei dem möglichen Schlag in der Diskothek, sondern bei einem alkoholbedingten Sturz in den vor dem Gebäude befindlichen, ca. 1,5 m tiefen, mit Pflastersteinen ausgelegten Graben zugezogen. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil insoweit nur ausgeführt, dass die Verletzungen nicht durch alkoholbedingte Stürze erklärt werden könnten, weil die Art der Verletzungen auf ein einheitliches Geschehen hindeuten würde, zumal die Zeugen den Kläger nach dem Schlag auf dem Boden haben liegen sehen. Woher das Landgericht diese Erkenntnis gewonnen hat, erschließt sich aus dem Urteil nicht.

d) Die Ausführungen des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes leiden ebenfalls daran, dass der Sachverhalt unzureichend aufgeklärt worden ist. Denn selbst wenn sich das Geschehen so, wie vom Landgericht in Übereinstimmung mit den Feststellungen in strafrechtlichen Urteil angenommen, ereignet haben sollte, könnte sich die vom Beklagten behauptete Provokation seitens des Klägers, welche auch im Urteil des Amtsgerichts Schwedt/Oder vom 22.06.2005 unter IV. ihren Niederschlag gefunden hat, auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken. Erst nachdem geklärt ist, ob dem möglichen Schlag eine Provokation des Beklagten vorausgegangen ist, kann eine Bemessung des Schmerzensgeldes vorgenommen werden.

3. Wegen der Mängel bei der Feststellung des Sachverhalts ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig, da das Landgericht die Frage des Tathergangs - und möglicherweise auch die Frage einer Rechtfertigung des Handelns des Beklagten - klären muss. Ferner muss sich die Kammer unter Umständen mit der Frage auseinandersetzen, ob ein möglicher Schlag des Beklagten überhaupt geeignet war, die behaupteten Verletzungen hervorzurufen, und zwar möglicherweise durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Der Senat macht daher auf den Antrag des Beklagten von der Möglichkeit des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO Gebrauch, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.10.2007 und des zugrunde liegenden Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Zurückverweisung erscheint vorliegend auch sachdienlich, da das Interesse an einer schnelleren Erledigung gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht überwiegt (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2000 - VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2025).

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Tatbestand des vom Landgericht ebenfalls für einschlägig erachteten § 226 StGB weder nach dem Vorbringen des Klägers noch nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und dem sonstigen Akteninhalt, insbesondere den medizinischen Gutachten, verwirklicht worden ist. Denn die hier allein in Betracht kommende Erfolgsqualifikation des Verlustes des Gehörs (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB) bedeutet den Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen. Der nach den landgerichtlichen Feststellungen eingetretene Verlust des Gehörs allein auf dem linken Ohr genügt insoweit nicht; ein einseitiger Gehörverlust würde den Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur dann erfüllen, wenn der Verletzte auf dem anderen Ohr bereits taub war (vgl. Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 226 Rn. 1b).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz bleibt dem Landgericht vorbehalten (vgl. Zöller-Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 58). Der Senat kann über die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz nicht befinden, da in Fällen der Zurückverweisung bei Erlass des Berufungsurteils noch offen ist, wie der Prozess ausgehen wird.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, § 708 Nr. 10 ZPO (vgl. zum Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit: Zöller-Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 59).

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO).

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 15.000,00 festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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