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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 4 U 189/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 251 Abs. 2 Satz 1
BGB § 985
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB § 251 Abs. 1 Satz 2
BGB § 906 ff.
BGB § 912
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt.
BGB § 818 Abs. 1
BGB § 912 Abs. 2
BGB § 913
BGB § 988
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 19.01.2005

in dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22.12.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richtern am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.12.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 13 O 417/01 - abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die aus dem diesem Urteil beigefügten Lageplan ersichtlichen Flächen A-B-C-D und E-F-G-H des Grundstücks der Klägerin, Gemarkung ..., Flur 10, Flurstück 48, zu räumen und geräumt an diese herauszugeben, mit Ausnahme einer sich an die nördliche Gebäudewand anschließenden Teilfläche, die sich zwischen der Grundstücksgrenze und der östlich von ihr gelegenen Mauer befindet und 4,50 Meter nördlich der Gebäudewand parallel zu dieser endet.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 993,69 € zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ab dem Jahre 2005 einen Betrag von 0,34 € jährlich wiederkehrend im voraus zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin zu 1/2 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 1/2; die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen die Klägerin zu 1/6 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 5/6.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien sind benachbarte Grundeigentümer. Die Beklagten haben das Grundstück der Klägerin teilweise aufgrund Überbaus und teilweise in unbebautem Zustand in Besitz. Wegen der Einzelheiten des örtlichen Besitzstands wird auf den aus dem Tenor ersichtlichen Lageplan Bezug genommen.

Die Klägerin hat von der Beklagten im ersten Rechtszug die Räumung und Herausgabe der unbebauten Teilflächen einschließlich einer an der nördlichen Gebäudewand befindlichen Außenkellertreppe, rückständiges Nutzungsentgelt und rückständige Überbaurente sowie laufende Überbaurente begehrt. Das Landgericht hat dem Herausgabebegehren mit Ausnahme der durch die Außenkellertreppe belegten Fläche und einer hierauf bezogenen sogenannten Funktionsfläche von 4,8 qm stattgegeben. Rückständiges Nutzungsentgelt und rückständige Überbaurente sowie laufende Überbaurente hat es nur zu einem Teil zugesprochen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Räumungs- und Herausgabeverlangen weiter. Außerdem wendet sie sich mit näheren Ausführungen gegen die Flächengrößen, die das Landgericht der Bemessung des rückständigen Nutzungsentgelts und der rückständigen Überbaurente zugrunde gelegt hat. Insoweit wird namentlich auf den Schriftsatz der Klägerin vom 25.10.2004 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten in Abänderung des angefochtenen Urteils gesamtschuldnerisch zu verurteilen, (sinngemäß) die aus dem diesem Urteil beigefügten Lageplan ersichtlichen Flächen A-B-C-D und E-F-G-H des Grundstücks der Klägerin, Gemarkung ..., Flur 10, Flurstück 48, zu räumen und geräumt an sie herauszugeben und an sie 1.068,12 € (nach Ermäßigung von 1.288,46 €) zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und die Klage in Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen, soweit sie darin zur Räumung und Herausgabe verurteilt worden sind.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass das Räumungs- und Herausgabeverlangen die Opfergrenze des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB überschreite, zumindest aber gegen Treu und Glauben verstoße. Hierzu behaupten sie unter Bezugnahme auf ein von ihnen eingeholtes Angebot, dass die Beseitigungsarbeiten Kosten von 10.785,60 € zzgl. Umsatzsteuer verursachten. Hinzu kämen noch mit 11.027,60 € zzgl. Umsatzsteuer zu beziffernde Kosten für die Wiederherstellung des bisherigen Zustands entlang der tatsächlichen Grundstücksgrenze.

II.

Von den wechselseitigen Berufungen der Parteien, deren Zulässigkeit keinen Bedenken unterliegt, hat nur die der Klägerin teilweise Erfolg.

1. Das Räumungs- und Herausgabebegehren rechtfertigt sich aus den §§ 985, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch nicht wegen Überschreitung der Opfergrenze nach § 251 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Zwar kann der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende allgemeine Rechtsgedanke auch die auf Eigentum fußenden Ansprüche begrenzen (BGHZ 143, 1, 6). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Erfüllung dieser Ansprüche zu einer unverhältnismäßigen Kostenbelastung der Beklagten führen würde. Wie der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2004 ausgeführt hat, kann in die Verhältnismäßigkeitsprüfung naturgemäß nur der Aufwand eingestellt werden, der über denjenigen hinausgeht, der mit der Beseitigung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung fremden Grundeigentums durch Räumung regelmäßig verbunden ist. Denn die widerstreitenden nachbarlichen Interessen werden durch die §§ 906 ff. BGB und das Landesnachbarrecht grundsätzlich einem angemessenen Ausgleich zugeführt, so dass diese Regelungen nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen durch den Rückgriff auf allgemeine Billigkeitserwägungen überspielt werden dürfen. Jedenfalls müssen die Kosten für die Wiederherstellung des bisherigen Zustands entlang der tatsächlichen Grundstücksgrenze außer Betracht bleiben, da die Beklagten nicht mehr als Räumung und Herausgabe der von ihnen innegehaltenen unbebauten Teilflächen schulden. Ob sie Grenzanlagen und -pflanzungen entsprechend ihrer bisherigen Ausgestaltung jenseits der tatsächlichen Grenze neu erstellen, ist dagegen allein ihre Sache und kann deshalb nicht bei der Güterabwägung berücksichtigt werden. Die Beseitigungskosten sind zudem noch um die Positionen zu kürzen, die sich auf die Außenkellertreppe beziehen (z. B. Pos. 01.08). Denn die mit ihr belegte Fläche müssen die Beklagten, wie noch auszuführen sein wird, nicht an die Klägerin herausgeben. Den hiernach verbleibenden Kosten sind die vergleichsweise erheblichen Teilflächen gegenüberzustellen, die die Beklagten rechtsgrundlos in Besitz haben. Sie erstrecken sich auf annähernd 50 qm und begründen schon angesichts ihrer Größe ein nachhaltiges Nutzungsinteresse der Klägerin. Bei dieser Sachlage kann auch keine Rede davon sein, dass deren Räumungs- und Herausgabeverlangen den Geboten von Treu und Glauben zuwiderläuft (§ 242 BGB). Hiervon kann umso weniger gesprochen werden, als Funktionseinbußen der Liegenschaft der Beklagten nicht zu besorgen sind, weil ihnen auch eine zur zweckentsprechenden Nutzung der Kellertreppe erforderliche Fläche verbleiben soll (dazu sogleich unten b).

b) aa) Dagegen umfasst der Räumungs- und Herausgabeanspruch der Klägerin nicht die Außenkellertreppe, die sie nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts als wesentlichen Bestandteil des Überbaus ebenfalls zu dulden hat (§§ 1004 Abs. 2, 912 Abs. 1 BGB).

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin erstreckt sich das dahingehende Besitzrecht der Beklagten auch auf die zur zweckentsprechenden Nutzung der Kellertreppe nötige Fläche. Denn § 912 BGB dient dem Erhalt des Werts eines nach dieser Vorschrift zu duldenden Überbaus. Eine am Werterhaltungszweck orientierte Auslegung der Norm zwingt daher dazu, auch diese sogenannte Funktionsfläche in die Duldungsverpflichtung einzubeziehen. Eine Außenkellertreppe, die mangels Zugang nicht genutzt werden kann, wäre nämlich funktionslos (wertlos). Demgegenüber ist unerheblich, ob die Beklagten größere Gegenstände in ihren Keller auch über eine Innentreppe transportieren können. Denn diese Treppe steht nicht in Rede und einer Außenkellertreppe kommt nach der Verkehrsanschauung in jedem Fall ein Mehrwert zu (Transport von verschmutzten Sachen wie z. B. Gartengeräten).

Ausgehend von einer Treppenbreite von 1,41 Metern, wie sie die Klägerin nunmehr unbestritten vorträgt, hält der Senat allerdings eine Fläche von gerundet (1,41 Meter x 2,50 Meter) 3,50 qm für ausreichend, um den Beklagten eine zweckentsprechende Nutzung dieser Treppe zu ermöglichen. Das summiert sich mit den Maßen der durch die Außenkellertreppe selbst belegten Fläche, die die Klägerin, wiederum unbestritten, mit (1,41 Meter x 2,00 Meter =) 2,82 qm angibt, auf insgesamt 6,32 qm, die zusammen mit der Fläche des Hausüberbaus, die ebenfalls unstreitig 12,38 qm beträgt, im Besitz der Beklagten verbleiben (= 18,70 qm). Dies ist im Räumungs- und Herausgabeausspruch in der Weise zu berücksichtigen, dass die west-östliche Breite der Außenkellertreppe und der Funktionsfläche durch Bezugnahme auf die örtlichen Gegebenheiten und deren süd-nördliche Länge durch Addition der Länge der Außenkellertreppe (2,00 Meter) und der der Funktionsfläche (2,50 Meter) bestimmt wird.

2. a) Der Anspruch auf rückständiges Nutzungsentgelt und rückständige Überbaurente folgt aus den §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt., 818 Abs. 1 BGB und den §§ 912 Abs. 2, 913 BGB, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat und wogegen die Parteien dem Grunde nach nichts erinnern. Das zwischen den Parteien bestehende Eigentümer-Besitzer-Verhältnis führt auch nicht zu einer Beschränkung des Anspruchs auf Herausgabe nur der Übermaßfrüchte (§ 993 Abs. 1 BGB). Denn die Beklagten haben den Besitz an den von ihnen innegehaltenen Teilflächen der Klägerin i. S. d. § 988 BGB im streitgegenständlichen Zeitraum unentgeltlich erlangt, weil sie lediglich das Grundstück der Gemarkung ..., Flur 10, Flurstück 47, käuflich erwarben.

b) aa) Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch auf rückständiges Nutzungsentgelt für den geltend gemachten Zeitraum 1991-2004 auf 1.935,36 DM gleich 989,53 €.

Die Größe der nicht überbauten Flächen trägt die Klägerin nunmehr hilfsweise und insoweit unbestritten mit 52,40 qm vor. Entgegen deren Auffassung haben die Beklagten diese Größe im ersten Rechtszug auch nicht etwa mit rund 65 qm unstreitig gestellt. Denn diese Angabe wurde von ihnen unter Bezugnahme auf die durchgeführte Vermessung vorgetragen. Hierbei handelte es sich offensichtlich um diejenige, die das Vermessungsbüro S... im Jahre 1999 durchgeführt hat. Jedenfalls ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine weitere Vermessung stattgefunden hat. Wie aus dem Lageplan des Vermessungsbüros ersichtlich ist, der dem Räumungs- und Herausgabetenor zugrunde liegt, bezieht sich die dortige Größeangabe von "ca. 62 qm" indes auf die gesamte, von den Beklagten in Besitz gehaltene Fläche des Grundstücks der Klägerin (einschließlich Überbau). Hiervon musste im übrigen auch die Klägerin ausgehen, die sich mit ihrem Klagevorbringen auf die nämliche, 1999 erfolgte Vermessung bezogen hat.

Von diesen 52,40 qm sind noch 2,82 qm für die Außenkellertreppe und 3,50 qm für die zugehörige Funktionsfläche abzuziehen, da diese Teilflächen dem Überbau dienen und deshalb Überbaurentenrecht unterliegen. Es verbleiben 46,08 qm; Bodenwert von 50,00 DM je qm und Liegenschaftszins von sechs vom Hundert sind unstreitig. Daraus folgt ein jährlicher Entgeltanspruch von (46,08 qm x 50,00 DM = 2.304,00 DM x 6 % =) 138,24 DM, der bei 14 Jahren i. H. v. 1.935,36 DM gleich 989,53 € rückständig ist.

bb) Der Anspruch auf rückständige Überbaurente beläuft sich für den im zweiten Rechtszug geltend gemachten Zeitraum vom Eigentumserwerb der Klägerin am 15.09.1997 bis einschließlich 2004 auf 4,16 €.

Die überbaute Fläche hat eine Größe von 18,70 qm (oben 1. b); der Bodenwert zum Zeitpunkt der Grenzüberschreitung ist mit umgerechnet 0,51 € je qm ebenso unstreitig wie der Liegenschaftszins mit sechs vom Hundert. Daraus errechnet sich ein jährlicher Rentenanspruch von (18,70 qm x 0,51 € = 9,54 € x 6 % =) 0,57 €, der bei sieben Jahren und dreieinhalb Monaten i. H. v. 4,16 € rückständig ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt., 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf (52,40 qm x 50,00 DM =) 2.620,00 DM gleich 1.339,58 € für den Räumungs- und Herausgabeantrag und zunächst 1.288,46 € für den Zahlungsantrag festgesetzt. Eine Streitwertreduzierung durch Klageermäßigung kommt nur für die Urteilsgebühren zum Tragen, weil sämtliche sonstigen Kosten und Gebühren nach dem genannten Wert entstanden sind. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beläuft sich mithin insgesamt auf 2.628,04 €, mit Ausnahme des Werts für die Urteilsgebühren, der sich um (1.288,46 € - 1.068,12 € =) 220,34 € auf 2.407,70 € ermäßigt.



Ende der Entscheidung

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