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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 02.11.2004
Aktenzeichen: 6 U 153/03
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 89 Abs. 1
AktG § 89 Abs. 1 S. 1
AktG § 89 Abs. 5
AktG § 93
AktG § 93 Abs. 2
AktG § 93 Abs. 2 S. 2
AktG § 93 Abs. 3
AktG § 93 Abs. 3 Nr. 8
AktG § 116
ZPO § 301
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

6 U 153/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 02.11.2004

Verkündet am 02.11.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2004 durch

den Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzenden, die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 1. und 2. wird das am 24. September 2003 verkündete Teilurteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Neuruppin - 6 O 47/03 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollsteckbar.

Tatbestand:

Der Kläger hat vor dem Landgericht Neuruppin Klage gegen sechs Beklagte erhoben.

Die Klage gegen die Beklagten 5. und 6. hat er zurückgenommen.

Die Beklagten zu 1. - 4. nimmt er wegen Vorstands-/Aufsichtsratshaftung nach § 93 AktG in Anspruch. Mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 3. Februar 2003 (Az. 15 IN 757/02) wurde über das Vermögen der ... AG in ... das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die Beklagten zu 1. - 3. sind die früheren Vorstandsmitglieder der Schuldnerin, der Beklagte zu 4. ist deren nach wie vor amtierender Aufsichtsratsvorsitzender.

Mit Vertrag vom 8./11. Oktober 2001 verpfändete die Schuldnerin, vertreten durch die Beklagten zu 1. - 3. , der Landesbank ... ihr bei dieser Bank auf dem Konto Nr.: ... angelegtes Festgeld einschließlich Zinsen. Die Verpfändung diente als Sicherheit für ein dem Beklagten zu 3. seitens der Landesbank gewährtes Darlehen in Höhe von 100.000 €.

Das verpfändete Festgeld betrug ursprünglich 100.000 € und valutierte zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch in Höhe von 92.962,31 €.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2003 teilte die Landesbank ... dem Kläger mit, wegen Darlehensrückständen seitens des Beklagten zu 3. sei die Verwertung der gewährten Sicherheit beabsichtigt.

Der Kläger begehrt von den Beklagten zu 1. - 3. die Rückzahlung der gewährten Sicherheit und zwar nach §§ 89 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5, 93 Abs. 3 Nr. 8, 116 AktG, da der Verpfändung des Festgeldguthabens kein entsprechender Aufsichtsratsbeschluss zu Grunde gelegen habe. Den Beklagten zu 3. nimmt er darüber hinaus aus dem Gesichtspunkt einer zu erstattenden (verdeckten) Einlagenrückgewähr in Anspruch (§§ 812 BGB, 57 Abs. 1 S. 1 AktG).

Von dem Beklagten zu 4. begehrt er Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufsichtspflicht über die Beklagten zu 1. - 3. (§§ 111, 116, 93 AktG).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 92.821, 32 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. Oktober 2001 zu zahlen,

hilfsweise die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, durch Zahlung an die Landesbank ... oder durch alternative Sicherheitsleistung zu Gunsten der Landesbank ... den mit Vertrag vom 8./11. Oktober 2001 verpfändeten Guthabensbetrag auszulösen,

höchst hilfsweise die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, durch anderweitige geeignete Maßnahmen eine Freigabe des mit Vertrag vom 8./11. Oktober 2001 verpfändeten Guthabensbetrags zu bewirken.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1. und 2. haben die Ansicht vertreten, pflichtgemäß und zum Wohle der AG gehandelt zu haben. Die Verpfändung des Festgeldguthabens sei notwendig gewesen um eine Darlehensgewährung an den Beklagten zu 3. sicherzustellen. Diesen Geldbetrag habe der Beklagte zu 3. benötigt um ein seinem vormaligen Vertragspartner Dr. ... gewährtes Pfandrecht an den vom Beklagten zu 3. gehaltenen Aktien der Schuldnerin abzulösen. Wegen der von den Beklagten zu 1. - 3. im Beteiligungsvertrag vom September 2001 gegenüber der Investorengruppe der "T... " eingegangenen Verpflichtungen habe eine Freigabe der verpfändeten Aktien zwingend herbeigeführt werden müssen. Der einzige Weg zu Erreichung dieses Ziels sei die Verpfändung des Festgeldguthabens gewesen.

Der Beklagte zu 4. hat die Ansicht vertreten, ein Überwachungsverschulden seinerseits liege nicht vor. Ihm könne nicht angelastet werden, wenn einzelne Vorstandsmitglieder "an der Gesellschaft vorbei" Geschäfte getätigt hätten, die nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stünden.

Vorsorglich hat der Beklagte zu 4. die Aufrechnung mit Ansprüchen aus Anwaltstätigkeit erklärt.

Das Landgericht Neuruppin hat mit dem am 24. September 2003 verkündeten Teilurteil die Beklagten zu 1. - 3. auf den Hilfsantrag des Klägers gesamtschuldnerisch verurteilt, gegenüber der Landesbank ... das dieser Bank verpfändete Kontoguthaben in Höhe von 92.821,32 € zu Gunsten des Klägers auszulösen. Im Übrigen hat es die Klage gegen diese drei Beklagten abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Auslösung des verpfändeten Guthabens nach §§ 89 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5, 93 Abs. 3 Nr. 8, 116 AktG zu. Danach dürften Kredite der AG an deren Vorstandsmitglieder nur auf Grund eines Aufsichtsratsbeschlusses gewährt werden. Unter Verstoß hiergegen gewährte Darlehen seien sofort zurückzugewähren, wobei Vorstand und Aufsichtsrat der AG zum Schadensersatz verpflichtet seien. Die Verpfändung des Guthabens stelle eine Kreditgewährung im Sinne von § 89 Abs. 1 S. 1 AktG dar, die nur auf der Grundlage eines Aufsichtsratsbeschlusses erfolgen durfte. An einem protokollierten Aufsichtsratsbeschluss fehle es. Der Beklagte zu 3. habe als Kreditnehmer für die Freigabe des Festgeldguthabens zu sorgen (§ 89 Abs. 5 AktG). Daneben hafteten die Beklagten zu 1. - 3. in ihrer Eigenschaft als frühere Vorstandsmitglieder der Schuldnerin auf Schadensersatz nach § 93 Abs. 3 Nr. 8 AktG. Der durch die unerlaubte Kreditgewährung entstandene Schaden bestehe in der fehlenden Zugriffsmöglichkeit der Schuldnerin auf ihr Festgeldkonto. Den Beklagten 1. - 3. sei es nicht gelungen, den ihnen nach § 93 Abs. 2 AktG obliegenden Entlastungsnachweis zu führen.

Gegen dieses ihnen am 8. Oktober 2003 zugestellte Teilurteil richtet sich die am 7. November 2003 bei Gericht eingegangene Berufung der Beklagten zu 1. und 2., welche sie rechtzeitig innerhalb verlängerter Frist mit dem am 8. Januar 2004 eingegangene Schriftsatz begründet haben.

Der Beklagte zu 3. hat kein Rechtsmittel eingelegt.

Die Beklagten zu 1. und 2. vertreten die Ansicht, das Teilurteil habe aus rechtlichen Gründen nicht ergehen dürfen. Im Hinblick auf den beim Landgericht verbliebenen Teil des Rechtsstreits gegen den Beklagten zu 4. bestehe die Gefahr divergierender Entscheidungen. Die vom Landgericht betreffend den Beklagten zu 4. mit Beschluss vom 21. Juli 2004 angeordnete Beweisaufnahme (Bl. 280 d.A.) solle dem Nachweis von Verletzungen der Aufsichtspflicht betreffend die Beklagten zu 1. - 3. dienen. Eine etwaige schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten zu 4. habe wesentlichen Einfluss auf die Haftung der Beklagten zu 1. und 2..

Im Übrigen greifen die Beklagten zu 1. und 2. das Urteil in materiell- rechtlicher Hinsicht an.

Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, bzw. das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur gemeinsamen Entscheidung betreffend das Verfahren gegen den Beklagten zu 4. an das Landgericht Neuruppin zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) muss zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führen (§ 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO). Das Verfahren des Landgerichts leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangels. Das Teilurteil ist in unzulässiger Weise ergangen.

Ein Teilurteil ist rechtlich zulässig bei Teilbarkeit des Streitgegenstandes, Entscheidungsreife eines Teils des Streitverhältnisses und Unabhängigkeit des Teilurteils von der Entscheidung des restlichen Streits, § 301 ZPO.

Zwar ist die Teilbarkeit gegeben, da die Beklagten einfache Streitgenossen in subjektiver Klagehäufung sind. Auch die Klageansprüche gegen die Beklagten zu 1. und 2. waren entscheidungsreif. Es fehlt jedoch an der erforderlichen Unabhängigkeit zwischen Teil- und Schlussurteil. Ein Teilurteil darf nur ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr einander widersprechender Erkenntnisse, auch durch das Rechtsmittelgericht, nicht besteht (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 301 Rn. 7). Der Begriff der Widersprüchlichkeit meint keinen Rechtskraftkonflikt, sondern ist im weitesten Sinne zu verstehen, umfasst insbesondere Fälle der Präjudizialität. Die Entscheidung des Rest-Streits darf nicht eine Vorfrage für den erledigten Teilstreit umfassen (BGH, NJW 1999, 1035; OLG München, NJW-RR 1994, 1278).

So liegt der Fall hier. Zwar werden den Beklagten zu 1. und 2. einerseits und dem Beklagten zu 4. andererseits unterschiedliche Verhaltensweisen angelastet. Die Beklagten zu 1. und 2. sollen ihre Pflichten verletzt haben, indem sie an der Verpfändung des Festgeldkontos ohne erforderlichen Aufsichtsratsbeschluss mitgewirkt haben, § 89 Abs. 1 AktG. Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzten, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet (§ 93 Abs. 2 AktG). Der Beklagte zu 4. war zwar an der Verpfändung nicht beteiligt. Dieser soll sich aber trotz Kenntnis von der bevorstehenden Verpfändung - so jedenfalls die Behauptungen des Klägers - unter Verletzung seiner Aufsichtspflichten passiv verhalten haben (§ 111 Abs. 1 AktG). Für ein derartiges Überwachungsverschulden kommt ebenfalls ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen das Aufsichtsratsmitglied nach § 93 Abs. 2 AktG in Betracht (§ 116 AktG).

Die Beklagten zu 1. und 2. haften dem Kläger, wenn sie pflichtwidrig gehandelt haben und durch ihr Verhalten der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist. Der Schadenseintritt wird im vorliegenden Falle allerdings vermutet, da den Beklagten zu 1. und 2. die Verletzung eines der Sondertatbestände des § 93 Abs. 3 AktG, nämlich Abs. 3 Nr. 8, zur Last gelegt wird. Es obliegt den Beklagten zu 1. und 2. sich vom Vorwurf der schuldhaften Pflichtverletzung und des Schadenseintrittes zu entlasten (§ 93 Abs. 2 S. 2 AktG).

Der Beklagte zu 4. haftet dem Kläger dann, wenn er es versäumt hat, die Beklagten zu 1. und 2. ordnungsgemäß zu überwachen und durch dieses Versäumnis ein Schaden entstanden ist.

Voraussetzung der Haftung der Beklagten zu 1. und 2. sowie desjenigen zu 4. ist also, dass ein pflichtwidriges, schuldhaftes und schadensbegründendes Verhalten der Beklagten zu 1. und 2. gegeben ist. Hängt demnach eine Entscheidung über den Anspruch gegen den Beklagten zu 4. zumindest teilweise von derselben Vorfrage ab wie die Teilentscheidung gegen die Beklagten zu 1. und 2., kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei getrennter Beurteilung darüber abweichend entschieden wird. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen kann darin bestehen, dass das Landgericht bei der Entscheidung über den Anspruch gegen den Beklagten zu 4. zu einer anderen Erkenntnis in dieser "Vorfrage" kommt, oder aber, dass das Rechtsmittelgericht im Berufungsverfahren der Beklagten zu 1. und 2. die Frage des Pflichtverstoßes bzw. des Entlastungsnachweises im Sinne des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG anders beurteilt. Es kommt dabei nicht darauf an, wie das Berufungsgericht im konkreten Falle die Rechtslage betreffend die Beklagten zu 1. und 2. beurteilt; ausschlaggebend ist die abstrakte Betrachtungsweise. Maßgeblich ist allein, dass es nicht zu einer unterschiedlichen Beurteilung bloßer Urteilselemente, die nicht in Rechtskraft erwachsen können, kommen darf (BGH, NJW 1999, 1035).

Einer Lösung dieses Problems kann grundsätzlich durch die Kombination eines Teilurteiles mit einem Grundurteil über den restlichen Streitgegenstand erfolgen.

Teilurteile gegen einzelne von mehreren einfachen Streitgenossen sind grundsätzlich zulässig. Beruhen die Ansprüche gegen die Streitgenossen auf einem einheitlich zu beurteilenden Lebenssachverhalt und kann einer der Ansprüche von der Beurteilung der anderen abhängen, so darf nur dann durch Teilurteil entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über diese Ansprüche ergeht (Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Das angefochtene Teilurteil enthält kein Urteil über die Haftung des Beklagten zu 4. dem Grunde nach. Auf Grund des Verfahrensstandes betreffend den Beklagten zu 4. war dem Landgericht ein solches Grundurteil auch nicht möglich.

Wegen des genannten Verfahrensfehlers ist das vom Landgericht erlassene Teilurteil aufzuheben und der Rechtsstreit in den ersten Rechtszug zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung ist dem Landgericht vorzubehalten.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Unter welchen Voraussetzungen ein Teilurteil bei subjektiver Klagehäufung bei einfachen Streitgenossen rechtlich zulässig ist, hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit bereits mehrfach entschieden.

Ende der Entscheidung

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