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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 6 U 26/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 517
ZPO § 520
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2
BGB § 123
BGB § 124
BGB § 124 Abs. 1
BGB § 853
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

6 U 26/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 12.12.2006

Verkündet am 12.12.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. König, die Richterin am Oberlandesgericht Eberhard und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schwonke

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.2.2006 verkündete Schlussurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - 2 O 319/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger war Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft, die inzwischen im Wege der formwechselnden Umwandlung GmbH geworden ist. Die Beklagte ist ein mittelständisches Fachkrankenpflegeunternehmen, das auf die Betreuung von beatmungspflichtigen Patienten spezialisiert ist. Der Kläger macht gegen die Beklagte Pensionsansprüche aus seinem Vorstandsanstellungsvertrag geltend.

Der Kläger war in dem beklagten Unternehmen seit 1992 tätig und hat sich dabei vom einfachen Krankenpfleger bis zum Vorstandsmitglied hochgearbeitet.

Der Aufsichtsrat der Beklagten bestellte den Kläger mit Beschluss vom 28.11.2000 mit Wirkung zum 1.1.2001 zum Mitglied ihres Vorstandes. Die Parteien schlossen unter dem 9.1.2001 einen Anstellungs- und Pensionsvertrag (Bl. 7-12 d. A.) sowie eine Tantiemevereinbarung (Bl. 13-15 d. A.). Nach § 6 Abs. 1 des Anstellungsvertrages hat der Kläger Anspruch auf eine Pension, wenn der Vertrag wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit endet. Hierzu heißt es in § 5 Abs. 2 des Vertrages weiter, dass dauernde Arbeitsunfähigkeit vorliege, wenn der Kläger aus gesundheitlichen Gründen voraussichtlich auf Dauer nicht in der Lage ist, die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Die dauernde Arbeitsfähigkeit sollte im Zweifelsfall durch das Gutachten eines vom Aufsichtsrat der Beklagten und dem Kläger einvernehmlich benannten Arztes festgestellt werden. Im Falle dauernder Arbeitsunfähigkeit sollte der Anstellungsvertrag drei Monate nach dem Ende des Monats enden, in dem die dauernde Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden ist.

Der Kläger leidet jedenfalls seit 1997 an rezidivierenden Depressionen. Er erlitt im April 2002 einen Zusammenbruch. Er war deshalb vom 22.4.2002 bis zum 20.10.2002 arbeitsunfähig. Vom 15.5.-17.7. und 5.8.-30.8.2002 befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Für die Zeit vom 2.9.2002 bis zum 20.10.2002 vereinbarten die Parteien unter Beteiligung der den Kläger behandelnden Ärzte Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (Bl. 17 d. A.).

Der Kläger war danach weiter als Vorstandsmitglied für die Beklagte tätig. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Vorstandes der Beklagten vom 2.7.2003 (Bl. 230-232 d. A.) war er für das Finanzwesen, das Personalmanagement und die Vertragsverhandlungen zuständig. Es war vorgesehen, dass er zum 1.4.2004 den Vorstandsvorsitz übernehmen sollte.

Im Dezember 2003 erlitt der Kläger einen Augeninfarkt im rechten Auge, das seitdem nur noch eine Sehkraft von 5 % hat. Dies führte zu einer Verschlechterung seines Zustandes im Hinblick auf die bestehende depressive Erkrankung.

Der Kläger teilte der Beklagten deshalb in der Folgezeit mit, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, wie vorgesehen, ab dem 1.4.2004 die Funktion des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten wahrzunehmen. Die Beklagte berief ihn daraufhin mit Beschluss vom 22.1.2004 als Vorstandsmitglied ab. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 1.4.2002 (Bl. 68 d. A.) an die Beklagte und schlug ihr unter Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 seines Anstellungsvertrages als Schiedsgutachter zur Feststellung seiner voraussichtlich dauernden Arbeitsunfähigkeit den Chefarzt der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses vor, in dem er im Jahre 2002 behandelt worden war. Die Beklagte ließ sich hierauf nicht ein.

Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 29.4.2004 die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages mit der Begründung, der Kläger habe sich im Jahre 2003 zu Unrecht Tantiemezahlungen in Höhe von 1.416,80 € angewiesen. Am 18.5.2004 fand im Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten ein Gespräch der Parteien statt, in dessen Verlauf der Kläger erklärte, er sei dauerhaft wegen seiner psychischen Erkrankung arbeitsunfähig.

Der Kläger hat mit der Beklagten am 6.8.2004 zugestellten Klageschrift Klage mit zwei Klageanträgen erhoben. Der Klageantrag zu 1.) ist eine Stufenklage, mit der der Kläger in der ersten Stufe begehrt hat, die Beklagte zu verurteilen, sich hinsichtlich der streitigen Frage der dauernden Arbeitsunfähigkeit einem Schiedsgutachten zu unterwerfen; die zweite Stufe besteht aus einem Zahlungsantrag, mit dem der Kläger eine Verurteilung der Beklagten zur Pensionszahlung auf Lebenszeit begehrt. Der Klageantrag zu 2.) ist eine Zahlungsklage wegen Gehaltsfortzahlung.

Die Beklagte hat den Klageantrag zu 1.) anerkannt, wobei sie jedoch in Abrede gestellt hat, dass der Kläger arbeitsunfähig sei.

Das Landgericht hat daraufhin ein entsprechendes Teil-Anerkenntnisurteil vom 13.10.2004 erlassen. Es hat weiterhin den Zahlungsantrag nach dem Klageantrag zu 2.) mit Teil-Urteil vom 27.10.2004 abgewiesen.

Aufgrund der Verurteilung in der ersten Stufe ist ein Gutachten von Prof. Dr. A... vom 28.7.2005 (Bl. 113-126 d. A.) erstellt worden, das den Parteien im August 2005 zugegangen ist. Der Gutachter diagnostizierte schwere depressive Episoden bei rezidivierender depressiver Störung, eine chronifizierte soziale Phobie und eine Glaskörperentfernung des rechten Auges. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger dauernd arbeitsunfähig ist, und zwar wegen der Befunde auf augenheilkundlichem wie auf neuropsychiatrischem Gebiet.

Die Beklagte hat nach Zugang des Gutachtens wegen der darin dargestellten Krankheitsvorgeschichte des Klägers mit Schreiben vom 7.9.2005 (Bl. 128-131 d. A.) die Anfechtung des Anstellungsvertrages mit dem Kläger wegen arglistiger Täuschung erklärt. Zur Begründung führte sie in dem Anfechtungsschreiben aus, der Kläger habe ihr das Ausmaß seiner psychischen Erkrankung bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht offen gelegt. Er habe die Führungsposition im Unternehmen der Beklagten angetreten, obgleich es von Anfang an ausgeschlossen gewesen sei, dass er den damit im Zusammenhang stehenden Anforderungen würde standhalten können.

Der Kläger hat behauptet, er sei seit dem 5.1.2004 dauernd arbeitsunfähig. Er hat gemeint, aus diesem Grunde stünden ihm die geltend gemachten Pensionsansprüche zu. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung seines Anstellungsvertrages sei unwirksam. Zum einen sei die Anfechtungsfrist verstrichen, weil die Beklagte im Jahre 2002 von einer Behandlung der Depression erfahren habe und weil sie im Jahre 2004 von der psychischen Erkrankung erfahren habe. Zum anderen liege kein Anfechtungsgrund vor. Er sei nicht verpflichtet, eine Erkrankung zu offenbaren, solange diese ihn in der ihm obliegenden Tätigkeit nicht behindert habe.

Der Kläger hat die zweite Stufe der Stufenklage aufgerufen und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn auf Lebenszeit nach Maßgabe von § 6 des zwischen den Parteien bestehenden Anstellungs- und Pensionsvertrages vom 9.1.2001 ein Ruhegeld in Höhe von gegenwärtig 26.928,48 € p. a. in monatlichen Raten von 2.244,04 €, beginnend mit dem 1.12.2005 zu zahlen.

Der Kläger hat weiter gemeint, die Beklagte habe sich mit der Einlassung auf das Schiedsgutachterverfahren über sechs Monate in Verzug befunden. Sie schulde ihm deshalb für einen sechsmonatigen Zeitraum entgangene Pensionszahlungen, insgesamt 13.464,24 €.

Der Kläger hat die Klage erweitert und beantragt,

1. festzustellen, dass das Dienstverhältnis gemäß dem Anstellungs- und Pensionsvertrag vom 9.1.2001 nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.4.2004 beendet wurde, sondern bis zum 30.11.2005 fortbestand.

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 13.464,24 € zzgl. Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie

3. die Beklagte zu verurteilen,

a.) an ihn weitere 610,91 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

b.) ihn von der Kostenrechnung des Prof. Dr. med. A... vom 28.7.2005 in Höhe von 610,91 € frei zustellen.

Hinsichtlich des Antrages 3. b.) haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte die anteiligen Gutachterkosten bezahlt hatte.

Die Beklagte hat beantragt;

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, der Kläger habe ihr seine seit dem Jugendlichenalter bestehende Depression bei Abschluss des Anstellungsvertrages offenbaren müssen. Sie sei aus seinen Äußerungen durchgängig davon ausgegangen, dass ihm ein Augenleiden eine weitere Tätigkeit für sie unmöglich mache. Sie habe außerdem geglaubt, dass der Kläger erst nach seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied an einer Depression erkrankt sei.

Das Landgericht hat der Klage, soweit noch über sie zu entscheiden war, stattgegeben.

Gegen dieses Urteil, ihr zugestellt am 22.2.2006, hat die Beklagte durch bei Gericht am 20.3.2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese durch am 22.5.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf ihren am 20.4.2006 eingegangenen Antrag bis zum 24.5.2006 verlängert worden war.

Die Beklagte beanstandet, dass das Landgericht ohne nähere Begründung angenommen habe, der Kläger habe der Beklagten bei seiner Anstellung die Vorerkrankung nicht offenbaren müssen. Nach seinem Krankheitsbild sei er von Anfang an für eine Vorstandstätigkeit nicht geeignet gewesen. Es sei auch nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger durch neue Behandlungsversuche den Anforderungen einer Vorstandstätigkeit in einem zudem stark expandierenden Unternehmen jemals gerecht werden könnte. Die Beklagte beruft sich auf eine fachärztliche Stellungnahme des Prof. P... vom 12.5.2006 (Bl. 324-330 d. A.), die sie zwischenzeitlich eingeholt hat.

Die Beklagte hat zunächst beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat sie die Berufung teilweise zurückgenommen und zuletzt noch beantragt,

das am 22.2.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam - 2 O 319/04 - teilweise abzuändern und die Stufenklage in der zweiten Stufe sowie die Klage, soweit ihr das Landgericht im Tenor zu III entsprochen hat (Zahlung von weiteren 13.464,24 € nebst Zinsen), abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das landgerichtliche Urteil für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Nachdem die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat, soweit sie sich gegen ihre Verurteilung entsprechend dem Urteilstenor zu II. und IV. richtete, ist ihr Rechtsmittel im übrigen gemäß den §§ 517, 520 ZPO zulässig, insbesondere ist es form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Mit ihrer Berufungsbegründung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung, soweit diese einen Ruhegeldanspruch des Klägers voraussetzt. Dies betrifft die Verurteilung der Beklagten entsprechend Ziffer I. und III. des landgerichtlichen Urteils, d. h. die Verurteilung zu laufenden monatlichen Ruhegeldzahlungen sowie die Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz in Form von Ruhegeldzahlungen von sechs Monaten wegen der Verzögerung des schiedsgutachterlichen Verfahrens durch die Beklagte.

II. Soweit die Berufung zulässig ist, hat sie jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte verurteilt. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 6 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 des von den Parteien geschlossenen Anstellungs- und Pensionsvertrages vom 9.1.2001 ein Anspruch auf laufende Zahlung von Ruhegeld sowie ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 13.464,24 € wegen Verzuges mit der Erfüllung ihrer Mitwirkungsverpflichtung bei dem vereinbarten schiedsgutachterlichen Verfahren für den Fall dauernder Arbeitsunfähigkeit zu.

1.) Der Anstellungs- und Pensionsvertrag ist zwischen den Parteien bzw. zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten wirksam abgeschlossen worden. Die vertraglichen Voraussetzungen für einen Ruhegeldanspruch des Klägers liegen vor. Dass der Kläger dauernd arbeitsunfähig ist, steht aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. H. A... fest. Das Gutachtenergebnis ist zwischen den Parteien außer Streit.

2.) Vertragliche Ansprüche des Klägers sind auch nicht deshalb entfallen, weil die Beklagte mit Schreiben vom 7.9.2005 die Anfechtung des Anstellungs- und Pensionsvertrages wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB erklärt hat. Diese Anfechtungserklärung ist aus zweierlei Gründen unwirksam. Es besteht kein Anfechtungsgrund. Unabhängig vom Bestehen eines Anfechtungsgrundes hat die Beklagte die Anfechtungsfrist des § 124 BGB nicht eingehalten.

a.) Die Beklagte macht geltend, der Kläger habe sie durch das Verschweigen seiner depressiven Erkrankung bei Abschluss des Anstellungs- und Pensionsvertrages arglistig getäuscht. Das Verschweigen von Tatsachen stellt jedoch nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Eine solche Aufklärungspflicht hinsichtlich seiner depressiven Erkrankung bestand auf Seiten des Klägers jedoch nicht.

Der Kläger musste die Beklagte nicht darauf hinweisen, dass er seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem Anstellungsvertrag von Anfang an nicht erfüllen konnte.

Zwar ist ein Arbeitnehmer bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages von sich aus verpflichtet, seinen Gesundheitszustand zu offenbaren, wenn er damit rechnen muss, infolge einer bereits vorliegenden Krankheit seiner Arbeitspflicht im Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses nicht nachkommen zu können (BAG, Urteil vom 7.2.1964, 1 AZR 251/63, zitiert nach Juris). Der Kläger musste jedoch am 9.1.2001 bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht damit rechnen, dass er die von ihm übernommenen Aufgaben von Anfang an nicht würde erfüllen können. Dem steht schon entgegen, dass der Kläger diese Tätigkeit bei Vertragsunterzeichnung bereits aufgenommen hatte. Er war seit dem 1.1.2001 als Vorstandsmitglied tätig. Im Übrigen steht aufgrund des unstreitigen Verlaufs der vertraglichen Zusammenarbeit der Parteien fest, dass der Kläger zu Beginn der vertraglichen Zusammenarbeit in der Lage war, die ihm übertragenen Aufgaben auszuführen. Der Kläger hat zunächst mehr als ein Jahr - nämlich von Beginn des Jahres 2001 bis zu seinem Zusammenbruch im April 2002 - eine Vorstandstätigkeit bei der Beklagten ausgeübt, ohne dass die Beklagte Grund hatte, mit seinen Leistungen unzufrieden zu sein.

Die Beklagte kann ernsthaft allenfalls behaupten, dass angesichts der depressiven Erkrankung des Klägers ein Risiko bestand, dass er einmal seine Dienstverpflichtungen nicht würde erfüllen können, bzw. dass er deswegen nur vermindert leistungsfähig sein würde. Ein Grund für die Anfechtung des Anstellungsvertrages kann dann darin liegen, dass der Kläger erkennen musste, dass er wegen seiner Erkrankung die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder eine deswegen beschränkte Leistungsfähigkeit für den vorgesehenen Posten von ausschlaggebender Bedeutung ist, und er hierauf bei Vertragsabschluss nicht hingewiesen hat (vgl. BAG, Urteil vom 1.8.1985, 2 AZR 101/83, NZA 1986, 635, bestätigt durch BAG, Urteil vom 28.2.1991, 2 AZR 515/90, EEK II/203, jeweils zitiert nach Juris). Dies kann jedoch nicht für jede Erkrankung und nicht für jedes gesundheitliche Risiko gelten, sondern nur für solche Risiken, bei denen eine große Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie sich in absehbarer Zeit realisieren würden. In jedem Fall wäre es erforderlich, dass der Kläger die hierfür maßgebliche Kenntnis gehabt hat. Der Kläger musste jedoch bei Abschluss des Anstellungs- und Pensionsvertrages nicht damit rechnen, dass er die ihm übertragenen Pflichten nicht oder nur eingeschränkt würde erfüllen können.

Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger mit der Möglichkeit gerechnet hat, der ihm übertragenen Verantwortung auf Dauer nicht gewachsen zu sein. Wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. A... ergibt, hat der Kläger ständig Selbstzweifel und Versagensängste gehabt.

Hierauf kann jedoch bei der Frage, ob ein Dienstverpflichteter damit rechnen musste, dass er die vertraglich vorgesehenen Pflichten erfüllen kann oder nicht, nicht abgestellt werden. Denn seine auffällig negative Selbstbewertung ist Ausdruck der depressiven Erkrankung des Klägers. Bei einem derartigen Krankheitsbild kann es deshalb nicht auf die subjektive Einschätzung des Erkrankten ankommen, sondern darauf, ob von dem Standpunkt eines objektiven und informierten Beobachters bei Vertragsabschluss erkennbar war, dass die Erkrankung den Kläger in seiner Leistungsfähigkeit bei den von ihm wahrzunehmenden Aufgaben in kürzester Zeit erheblich einschränken würde oder nicht. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. H. A... festgestellt, dass der Kläger nunmehr als Vorstandsmitglied dauerhaft arbeitsunfähig ist und dass die Gründe - neben dem Verlust der Sehkraft eines Auges - in seiner schweren depressiven Erkrankung liegen. Allerdings ist dies eine ex-post-Betrachtung. Soweit es um die Frage geht, ob ein Dienstverpflichteter krankheitsbedingte Einschränkungen offenbaren muss und bei einem Unterlassen arglistig handelt, kommt es auf eine ex-ante Betrachtung an. Dabei muss eine Prognose angestellt werden, ob der Dienstverpflichtete auf Dauer in der Lage sein würde, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen. Eine solche Prognose kann der Natur der Sache nach nur auf zurückliegende Erfahrungen gestützt werden. Der Kläger hat vor seiner Berufung in den Aufsichtsrat zehn Jahre im beklagten Unternehmen mit ständig steigenden Anforderungen erfolgreich gearbeitet. Seine während der gesamten Zeit bestehende Erkrankung hat ihn dabei nicht beeinträchtigt. Angesichts dieses erheblichen Zeitraumes muss davon ausgegangen, dass ein informierter Beobachter im Januar 2001 nicht damit hätte rechnen müssen, dass der Kläger bei seiner Vorstandstätigkeit Einschränkungen unterliegen würde. Ein weiteres Indiz dafür, dass auch für einen objektiven Beobachter im Januar 2001 eine erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht erkennbar war, ist auch der Umstand, dass der Kläger zunächst über ein Jahr seine Tätigkeit ohne Einschränkungen ausüben konnte und auch nach seinem einer Grippe folgenden Zusammenbruch im April 2002 und mehrmonatiger stationärer Behandlung unter ärztlicher Begleitung in sein früheres Betätigungsfeld wieder eingegliedert werden konnte. Dies lässt erkennen, dass auch seine Ärzte im Jahr 2002 der Auffassung waren, dass er als Vorstand - wieder - würde arbeiten können. Dies entsprach auch offensichtlich den Tatsachen. Nach seinem stationären Aufenthalt hat er seit dem 2.9.2002 seine Tätigkeit zunächst eingeschränkt, seit Ende Oktober 2002 uneingeschränkt wieder aufgenommen. Dabei erwies er sich derart leistungsfähig, dass ihn die Beklagte an noch verantwortungsvollerer Stelle einsetzen wollte. Sie wollte ihn zu ihrem Vorstandsvorsitzenden machen.

Das Gutachten des Prof. Dr. P... vom 12.5.2006, das die Beklagte mit der Berufungsbegründung eingereicht hat, kann nicht berücksichtigt werden, §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO. Dieses Gutachten hätte die Beklagte bereits nach Zugang des Gutachtens des Prof. Dr. A... im August 2005, d. h. mehrere Monate vor dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens einholen können.

Im Übrigen ergibt sich aus diesem Gutachten nicht, dass den Kläger eine Aufklärungspflicht gegenüber der Beklagten traf. Zwar kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass aus medizinischer Sicht der Kläger auf längere Dauer nicht in der Lage war, die ihm obliegenden Aufgaben als Vorstand zu erfüllen, dass vielmehr sein Krankheitsbild mit der Vorstandstätigkeit von Beginn an unvereinbar war. Dass dies dem Kläger oder den ihn behandelnden Ärzten im Januar 2001 hätte bekannt sein müssen, ergibt sich daraus nicht.

Vielmehr heißt es in dem Gutachten auch, dass es "nach breiten klinischen Erfahrungen ... erklärungsbedürftig (sei), warum (der Kläger) auf dem Hintergrund der Art, der Vielzahl, der Schwere und der Chronizität seiner psychischen Probleme und Symptome so lange Zeit in seinem Beruf als Krankenpfleger dauerhaft und erfolgreich arbeitsfähig bleiben konnte." Der Gutachter sieht hierfür als Ursache verschiedene Faktoren, die den Kläger stabil gehalten haben. Der Gutachter meint allerdings, nach breiter psychiatrischer Erfahrung habe es mit der Ernennung des Klägers zum Vorstand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwangsläufig zu einer entscheidenden Wende kommen müssen, weil die beruflichen Anforderungen sprunghaft angestiegen seien. Dies erklärt jedoch nicht, warum der Kläger bei früheren Stationen seines beruflichen Aufstieges, die jeweils mit einem Mehr an Verantwortung verbunden waren, leistungsfähig war und dies nicht nur einmal, sondern mehrfach. Im Übrigen erscheint es zweifelhaft, dass dem Gutachter Prof. Dr. P... aus dem ihm vorliegenden Material genug Informationen über das tatsächliche Ausmaß des Verantwortungszuwachses des Klägers vorgelegen haben. Ihm lag ausweislich des Gutachteneingangs Aktenmaterial über den bisherigen Stand des Rechtsstreits vor. Danach war zwischen den Parteien im Einzelnen streitig, ob der Kläger durch die Vorstandstätigkeit tatsächlich ein Mehr an Verantwortung getroffen hat oder nicht. Im Übrigen gibt es einen auffälligen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verlust der Sehkraft des rechten Augen und der damit einhergehenden Verschlechterung der depressiven Erkrankung des Klägers mit einer bevorstehenden weiteren Erhöhung der beruflichen Anforderungen an den Kläger. Mit der nahe liegenden Vermutung, dass der Kläger als Vorstandsmitglied hätte arbeiten können, aber den Anforderungen der Tätigkeit eines Vorstandsvorsitzenden nicht gewachsen war und die bevorstehende Mehrbelastung zum Zusammenbruch des Klägers geführt hat, setzt sich das Gutachten nicht auseinander.

b.) Selbst wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass der Kläger ihr seine depressive Erkrankung und deren Schwere am 9.1.2001 hätte offenbaren müssen, und die fehlende Erfüllung dieser Offenbarungspflicht sie grundsätzlich zur Anfechtung des Anstellungsvertrages berechtigen würde, hat doch die Anfechtungserklärung vom 7.9.2005 das Anstellungsverhältnis nicht unwirksam werden lassen. Denn die Anfechtungserklärung ist nicht innerhalb der Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB erfolgt. Die Beklagte hat früher als ein Jahr vor Abgabe der Anfechtungserklärung von den zur Anfechtung berechtigenden Umständen erfahren.

Dabei kommt es nicht auf die zwischen den Parteien streitige Frage an, ob der Kläger die Beklagte bereits 1994 oder im April 2002 auf seine bestehende depressive Erkrankung hingewiesen hat oder nicht.

Die Beklagte hat von der Schwere der depressiven Erkrankung des Klägers bereits durch dessen Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 22.4.2002 bis zum 20.10.2002 erfahren. Damit wusste die Beklagte, dass der Kläger unter einer psychischen Erkrankung litt, die nicht einfach durch regelmäßige Therapiesitzungen zu behandeln waren, sondern nur durch völlige Dienstbefreiung und stationäre Behandlung über mehrere Monate. Der zwischen den Parteien vereinbarte Wiedereingliederungsplan ist von einer Ärztin der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses unterzeichnet, in dem der Kläger behandelt wurde. Dass er psychisch krank und deshalb arbeitsunfähig ist, hat der Kläger der Beklagten außerdem in dem von der Beklagten selbst geschilderten Gespräch am 18.5.2004 mitgeteilt. Dass die Beklagte dadurch wusste, dass der Kläger bereits bei Abschluss seines Anstellungsvertrages an wiederkehrenden Depressionen litt, ist damit zwar noch nicht festgestellt. Jedenfalls auf Seite 3 der Klageschrift vom 25.6.2004 trägt der Kläger jedoch explizit vor, seit 1997 an rezidivierenden Depressionen zu leiden. Er hat in der Klageschrift weiter dargelegt, dass der Verlust der Sehkraft eines Auges zu einer Verschlimmerung seiner depressiven Erkrankung und insgesamt zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Mit der Zustellung der Klageschrift am 6.8.2004 erhielt die Beklagte die erforderliche Kenntnis davon, dass die depressive Erkrankung des Klägers bei Abschluss des Anstellungsvertrages im Januar 2001 bereits vorlag. Damit begann die Anfechtungsfrist zu laufen. Nicht erforderlich für den Fristbeginn ist es, dass der Anfechtungsberechtigte alle Einzelheiten der Täuschung kennt. Der Kläger hat der Beklagten spätestens in der Klageschrift den für eine Arglistanfechtung maßgeblichen Umstand, nämlich eine bei Vertragsabschluss bestehende Erkrankung, mitgeteilt. Die Beklagte hätte deshalb ab dem 6.8.2004 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung hätte erklären können. Die Anfechtung im Schreiben vom 7.9.2005 liegt außerhalb der Jahresfrist.

3.) Es ist weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger bei Abschluss des Anstellungsvertrages eine unerlaubte Handlung begangen hat, so dass die Beklagte auch im Falle des Bestehens eines Anfechtungsgrundes nicht zur Verweigerung der Rentenzahlungen entsprechend § 853 BGB berechtigt wäre.

4.) Gegen die Berechnung des Ruhegehalts durch den Kläger hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben. Der Kläger erhielt unstreitig ein Jahresgehalt von zuletzt 53.856,96 €. Das Ruhegeld beträgt nach § 6 Abs. 3 der Regelung des Anstellungsvertrages 2% des Jahresgehalts für jedes volle Dienstjahr bis zum Eintritt des Pensionsfalls, höchstens jedoch 50 % des zuletzt geltenden Jahresgehalts. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit ist das Ruhegehalt so zu berechnen, als hätte der Kläger bereits eine Dienstzeit bis zur Vollendung seines 60. Lebensjahres verbracht, § 6 Abs. 4 Satz 1. Der Kläger ist am ... 1969, geboren. Er war zu Beginn des Dienstverhä1tnisses 31 Jahre alt. Bis zu seinem 60. Lebensjahr hätte er mehr als 25 Jahre gearbeitet. Hier greift die vertragliche Obergrenze von 50 %. Der Kläger hat deshalb Anspruch auf den im Klageantrag genannten Betrag.

5.) Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger Schadensersatz zugesprochen, weil die Beklagte sich auf das Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers erst nach Klageerhebung eingelassen hat. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, § 543 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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