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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 24.01.2001
Aktenzeichen: 7 U 118/00
Rechtsgebiete: AVB, AGBG, HGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

AVB § 9
AVB § 9 Nr. 1 Satz 2 u. Nr. 2
AVB § 3 Nr. 1
AVB § 9 Nr. 1 Satz 2
AVB § 9 Nr. 1 Satz 1
AVB § 9 Nr. 1 Satz 2 b)
AVB § 9 Nr. 1
AGBG § 9
HGB § 352 a. F.
BGB § 288 Abs. 1 n. F.
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 118/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht 14 O 543/99 Landgericht Frankfurt (Oder)

Anlage zum Protokoll vom 24.01.2001

Verkündet am 24.01.2001

Hentschel Justizobersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2000

durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bietz, den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Wittmann und den Richter am Oberlandesgericht Hein

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20.4.2000 Verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 121.684,62 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 12.6.1999 bis zum 30.4.2000 und 5 % über dem Basiszinssatz seit dem, 1.5.2000 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 137.000,00 DM abwenden wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet: die Sicherheitsleistung kann durch Bürgschaft einer Großbank oder Sparkasse erbracht werden.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 121.684.62 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend.

Die Klägerin hat mit der J KG einen Warenkreditversicherungsvertrag abgeschlossen (Bl. 9 ff. d.A.). Die Allgemeinen Bedingungen für die Warenkreditversicherung (AVB Warenkredit 1984, Bl. 20 ff. d.A.) wurden in den Vertrag einbezogen. Die Beklagte wurde ab 1.1.1995 in den Vertrag eingeschlossen (Bl. 23 d.A.). Die Klägerin leistete in zwei Teilen an die Beklagte eine vorläufige Zahlung in Höhe der Klagsumme (Bl. 27 f/29 d.A.). Die Zahlung erfolgte im Hinblick darauf, dass die Beklagte Forderungen gegen die Firma F SPA in Höhe von 262.953,12 DM nicht durchsetzen konnte, weil gegenüber dieser Firma am 12.8.1997 die Zwangsverwaltung nach italienischem Recht angeordnet wurde.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe das Versicherungsverhältnis zum 31.12.1998 beendet (Bl. 30 d.A.). Der Versicherungsfall im Sinne von § 9 der AVB sei vor Vertragsbeendigung nicht eingetreten. Die Beklagte sei daher um den Betrag der vorläufigen Zahlung ungerechtfertigt bereichert.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 121.684,62 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins der Bundesbank seit dem 12.6.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass sie nicht passivlegitimiert sei. Außerdem sei die Berufung der Klägerin auf § 9 der AVB rechtsmissbräuchlich. Überdies sei die Regelung des § 9 AVB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden.

Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) hat durch am 20.4.2000 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und nach entsprechender Fristverlängerung begründeten Berufung verfolgt die Klägerin den Klaganspruch weiter.

Die Klägerin vertieft ihren Vortrag, dass der Versicherungsfall während der Laufzeit des Versicherungsvertrages nicht eingetreten sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an die Klägerin 121.684,62 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins der Bundesbank seit dem 12.6.1999 zu zahlen,

sowie ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abwenden zu dürfen, und ihr die Befugnis einzuräumen. Sicherheitsleistung durch Bürgschaft einer Großbank oder öffentlichen Sparkasse stellen zu können.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, dass sie nicht passivlegitimiert sei. Im Übrigen trägt sie vor, dass die Zahlungsunfähigkeit ihres italienischen Kunden bereits vor Beendigung des Versicherungsvertrages vorgelegen habe. Dies ergebe sich aus der Anordnung der Zwangsverwaltung nach italienischem Recht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, da ihre vorläufigen Zahlungen an die Beklagte ohne Rechtsgrund erfolgt sind (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB).

Die Beklagte ist als Leistungsempfängerin passivlegitimiert. Die Klägerin hat auf Grund der Einbeziehung der Beklagten in den Versicherungsvertrag an die Beklagte als Versicherte geleistet.

Die Leistung der Klägerin ist ohne Rechtsgrund erfolgt, da der Versicherungsfall der Zahlungsunfähigkeit des Kunden des Beklagten nicht eingetreten ist.

Die Regelung des § 9 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 der AVB Warenkredit 1984 ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht unwirksam. Denn diese Regelung bezieht sich ihrem Inhalt nach nur auf die Zahlungsunfähigkeit inländischer Kunden. Dies folgt daraus, dass die für die Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Fälle ausschließlich mit Begriffen des - im Jahr 1984 geltenden - deutschen Rechts erfasst werden. Auch im Übrigen sind die AVB, wie § 3 Nr. 1 zeigt, auf die Durchsetzbarkeit von Forderungen gegenüber deutschen Kunden zugeschnitten. Die Frage, wann Zahlungsunfähigkeit eines ausländischen Kunden vorliegt, regelt § 9 AVB daher nicht. Andererseits ist nach dem Versicherungsvertrag klar, dass Italien zu den versicherten Ländern gehört (s. Versicherungsschein vom 22.12.1994, Bl. 10 d.A.: Deutschland und Westeuropa). Da die AVB die Frage der Zahlungsunfähigkeit eines westeuropäischen, insbesondere ausländischen Kunden nicht regeln, weisen sie insofern eine Lücke auf. Eine gar nicht vorhandene Regelung kann nicht nach § 9 AGBG unwirksam sein.

Die Frage, wann Zahlungsunfähigkeit eines italienischen Kunden vorliegt, kann auch nicht durch Auslegung von § 9 Nr. 1 Satz 2 der AVB festgestellt werden. Denn eine nicht vorhandene Regelung ist auch nicht auslegungsfähig. Einer Auslegung zugänglich ist im Fall eines italienischen Kunden lediglich § 9 Nr. 1 Satz 1 der AVB, wonach der Versicherungsfall mit der Zahlungsunfähigkeit des Kunden eintritt.

Wann ein italienischer Kunde als zahlungsunfähig anzusehen ist, ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu ermitteln, da die Parteien des Versicherungsvertrags, in den die Beklagte einbezogen wurde, diese Frage nicht geregelt haben. Da davon auszugehen ist, dass die Parteien, wenn sie das italienische Insolvenzrecht berücksichtigt hätten, die Frage des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit in Anlehnung an das deutsche Recht geregelt hätten, ist die Regelungslücke im Versicherungsvertrag, im Wege der Analogie zu § 9 Nr. 1 Satz 2 der AVB zu schließen. Es ist also zu fragen, in welchen Fällen nach italienischem Recht die Zahlungsunfähigkeit mit ähnlicher Sicherheit nach außen dokumentiert ist wie nach deutschem Recht in den Fällen von § 9 Nr. 1 Satz 2 der AVB. Zahlungsunfähigkeit eines italienischen Kunden liegt also dann vor, wenn sie - ähnlich wie in den Fällen von § 9 Nr. 1 Satz 2 AVB - nach außen mit hinreichender Sicherheit dokumentiert ist. Das kann, wie die - freilich im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren - zum US-amerikanischen Recht ergangene Entscheidung BGH ZIP 1990, 246f. zeigt, auch bei Einleitung eines Sanierungsverfahrens der Fall sein. Das gilt erst recht seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung in Deutschland, die den Gedanken der Sanierung des Insolvenzschuldners in den Vordergrund gestellt hat.

Gegenüber dem Kunden der Beklagten, der F SPA, wurde zwar am 12.8.1997 die Zwangsverwaltung nach italienischem Recht (amministrazione controllata) angeordnet. Diese Anordnung setzt aber - wie im Senatstermin am 22.11.2000 erörtert worden ist - nach Art. 187 des italienischen Konkursgesetzes vom 16.3.1942 nicht die Zahlungsunfähigkeit des betroffenen Unternehmers, sondern lediglich die "zeitweilige Schwierigkeit" voraus, die eigenen Verbindlichkeiten zu erfüllen: die Zwangsverwaltung braucht nicht in einen Konkurs oder in einen Vergleich zur Abwendung des Konkurses (concordato preventivo) zu münden (Art. 192 Abs. 3), es kann sich vielmehr auch herausstellen, dass die Zwangsverwaltung aufzuheben ist, weil der Unternehmer seine Verbindlichkeiten erfüllen kann (Art. 193). Aus dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben des Zwangsverwalters (Bl. 208 d.A.) ergibt sich zwar, dass die F SPA in C s.p.a. umbenannt wurde, sich in Liquidation befindet und nach Ablauf der für die Zwangsverwaltung geltenden Zweijahresfrist (Art. 187 Abs. 1) den Antrag auf ein Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses gestellt hat. Das zuständige Gericht in B hat auch mit Beschluss vom 4.10.1999 das beantragte Vergleichsverfahren eingeleitet, das noch anhängig ist. Erst der Beschluss vom 4.10.1999 würde jedoch dem in § 9 Nr. 1 Satz 2 b) der AVB geregelten Fall der Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses entsprechen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch das Versicherungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten bereits beendet.

Zwar ist der Rechtsgedanke des § 9 AGBG auch im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung maßgebend. Denn der hypothetische Wille der Parteien geht nicht dahin eine Regelung zu vereinbaren; die eine Vertragspartei unangemessen benachteiligen würde. Es stellt aber keine unangemessene Benachteiligung dar, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und damit des Versicherungsfalls bei einer italienischen Firma ebenso wie bei einer deutschen Firma nach manifesten Kriterien beurteilt wird.

Im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung kommt es - entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht - nicht auf die "materielle Zahlungsunfähigkeit" des italienischen Kunden der Beklagten an. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Parteien des Versicherungsvertrages wie für das deutsche so auch für das italienische Recht manifeste Kriterien für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vereinbart hätten. § 9 Nr. 1 der AVB enthält in Satz 2 a) - d) für das deutsche Recht einen abschließenden Katalog solcher manifester Kriterien und ist nicht lediglich dahin formuliert, dass Zahlungsunfähigkeit insbesondere dann vorliegt, wenn die Voraussetzungen von a) oder b) oder c) oder d) erfüllt sind. Erst die Einleitung des Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses würde aber § 9 Nr. 1 Satz 2 b) gleichstehen. Die Anordnung der Zwangsverwaltung (amministrazione controllata) ist noch kein manifestes Kriterium für die Zahlungsunfähigkeit und steht deshalb keinen der in § 9 Nr. 1 Satz 2 angeführten Fälle gleich.

Selbst wenn man unabhängig vom Katalog des § 9 Nr. 1 Satz 2 der AVB auf die materielle Zahlungsunfähigkeit" abstellen würde, könnte man nicht davon ausgehen, dass der Versicherungsfall eingetreten ist. Zwar trifft die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass während der Versicherungszeit keine Zahlungsunfähigkeit des Kunden der Beklagten vorlag. Sie hat aber dem genügt, indem sie dargetan hat, dass die Anordnung der amministrazione controllata keine Zahlungsunfähigkeit voraussetzt. Es wäre nunmehr Sache der Beklagten gewesen, substantiiert darzulegen, dass vor Beendigung des Versicherungsverhältnisses Zahlungsunfähigkeit des Kunden eingetreten ist. An einem substantiierten Vortrag hierzu fehlt es. Aus dem Schreiben des Zwangsverwalters vom 8.11.2000 ergibt sich vielmehr, dass das Vergleichsverfahren möglicherweise zur Befriedigung der nicht bevorrechtigten Gläubiger in Höhe von mindestens 84,9 % führen könnte (Bl. 208 d.A.).

Der Zinsanspruch beruht auf § 352 a. F. HGB, § 288 Abs. 1 n. F. BGB. Wegen des weitergehende Zinsbegehrens der Klägerin ist deshalb die Klage abzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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