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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 7 U 173/06
Rechtsgebiete: InsO, HGB


Vorschriften:

InsO § 53
InsO § 54
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 61
InsO § 93
HGB § 128
HGB § 171 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 173/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 23.05.2007

Verkündet am 23.05.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Boiczenko, den Richter am Oberlandesgericht Fischer und die Richterin am Oberlandesgericht Gieseke

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 20. September 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat der Kläger zu tragen; der Streithelfer des Klägers trägt die Kosten seiner Nebenintervention.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem am 31.01.2000 über das Vermögen der Firma N... & Co. (demnächst: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Den Eröffnungsantrag stellte der Beklagte zu 2. am 10.11.1999. Die beiden Beklagten sind Gesellschafter der in der Rechtsform einer OHG geführten Schuldnerin.

Der Kläger hat die Beklagten als Gesellschafter sowohl für die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Verbindlichkeiten als auch für die nach der Eröffnung entstandenen Massekosten und Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen.

Nach übereinstimmender Erledigung des Rechtsstreits in Höhe eines Betrages von 69.267,77 € nebst anteiliger Zinsen hat der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 34.998,47 € nebst jeweils Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.116,10 € seit dem 01.02.2000 und aus weiteren 9.482,37 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie insoweit abgewiesen, als der Kläger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Verbindlichkeiten geltend gemacht hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft hafteten nicht für sog. Neuverbindlichkeiten.

Der Kläger hat gegen das ihm am 26.09.2006 zugestellte Urteil am 20.10.2006 Berufung eingelegt und diese am 27.11.2006 (Montag) begründet.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn über das Zuerkannte (11.543,95 € nebst Zinsen) hinaus weitere 9.482,37 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger verfolgt im Berufungsrechtszug nur noch - weitere - 9.482,37 €, wobei es sich um Massekosten (10.500,00 € ./. 5.142,97 € Aktivvermögen) und um Masseschulden (4.125,34 €) handelt, die sich nach § 54 InsO einerseits und nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO andererseits richten. Damit ist dem Senat die Frage gestellt, ob die Beklagten als Gesellschafter der Schuldnerin gemäß § 93 InsO in Verbindung mit § 128 HGB für Neuverbindlichkeiten einzustehen haben.

1.

Im Schrifttum (Kübler/Prütting, InsO, § 93 InsO, Rdnrn. 27 ff.; Braun, InsO, 2.Aufl., § 93 InsO, Rdnr. 22) wird teilweise die Ansicht vertreten, der Gesellschafter hafte für Neuverbindlichkeiten.

Als Grund wird angeführt, Neuverbindlichkeiten seien unabhängig von ihrem Entstehungsgrund Gesellschaftsschulden, für die die Gesellschafter hafteten; wolle man die Haftung ausschließen, so bedürfe dies der Begründung (Kübler/Prütting, a.a.O.). Nur für insolvenzzweckwidrig begründete Neuverbindlichkeiten, für die der Insolvenzverwalter hafte (§ 60 InsO), müsse ein Haftungsausschluss der Gesellschafter bejaht werden (Braun, a.a.O.).

2.

Die herrschende Meinung im Schrifttum (Karsten Schmidt, ZHR 152, 105, 114; MünchKomm InsO, § 93 InsO, Rdnrn. 7 ff.; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 93 InsO, Rdnr. 37; Smid, InsO, 2. Aufl., § 93 InsO, Rdnr. 10; Graf-Schlicker, InsO, § 93 InsO, Rdnr. 5; Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 93 InsO, Rdnr. 12; Großkomm. HGB, 4. Aufl., § 128 HGB, Rdnr. 72; Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 128 HGB, Rdnr. 70; Röhricht/Graf von Westpfahlen, HGB, 2. Aufl., § 128 HGB, Rdnr. 15) ist der Auffassung, dass eine Haftung nicht gegeben ist.

Als Gründe für einen Haftungsausschluss, der im Wege der teleologischen Reduktion des § 128 HGB gefunden werden müsse (Karsten Schmidt, ZHR 152, 105, 115), werden die Gesichtspunkte Fremdverwaltung, Einflusslosigkeit der Gesellschafter und Verwaltung im Fremdinteresse angeführt.

3.

Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung an.

a)

Aus der Vorschrift des § 93 InsO selbst kann für die Streitfrage nichts hergeleitet werden. Mit ihr wird die Befugnis zur Geltendmachung der persönlichen Haftung eines Gesellschafters für Schulden der Gesellschaft dem Insolvenzverwalter übertragen. Insofern entspricht § 93 InsO der Regelung des § 171 Abs. 2 HGB betreffend die Geltendmachung der beschränkten Kommanditistenhaftung durch den Konkursverwalter.

Insofern stellt auch die Begründung des Regierungsentwurfs nur klar: "Im Ergebnis sollen die persönlich haftenden Gesellschafter durch die Überleitung der Ausübung der Haftungsansprüche auf den Verwalter nicht schlechter gestellt werden, als sie nach geltendem Recht stehen".

Der BGH hat in dem Urteil vom 09.10.2006 (- II ZR 193/05 - ZIP 2007, 79) betont, dass § 93 InsO keine eigenständige Anspruchsgrundlage zugunsten des Insolvenzverwalters begründet, sondern ihm lediglich die prozessuale Einziehungsbefugnis zuweist. Dies betrifft allerdings nur solche Ansprüche, die sich aus § 128 HGB ergeben (BGHZ 151, 245).

b)

Auszugehen ist von der Vorschrift des § 128 HGB. Danach haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Haftung nach § 128 HGB auch für Neuverbindlichkeiten gilt. Darunter sind solche Verbindlichkeiten zu verstehen, die erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich am Status des Gesellschafters nichts. Er bleibt nach wie vor Gesellschafter der Gesellschaft. Folglich müsste er auch für die Neuverbindlichkeiten haften. Deshalb kann die Nichtanwendung des § 128 HGB nur im Wege der teleologischen Reduktion gerechtfertigt werden (Karsten Schmidt, ZHR 152, 105, 115).

Die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bildet bei der OHG die Grundlage ihres Kredits (Baumbach/Hopt; HGB, 32. Aufl., § 128 HGB, Rdnr. 1). Die Gesellschafter, die auf die Führung der Gesellschaft Einfluss nehmen können und denen die Gewinnerwartung zukommt, sollen mangels Kapitalbindung den Gläubigern gegenüber persönlich für die Gesellschaftsschulden haften. Im Rechtsverkehr treten die Gesellschafter als Verhandlungspartner für die Gesellschaft auf.

Im Falle der Insolvenz wie auch im vorausgehenden Eröffnungsverfahren fehlt den Gesellschaftern jedwede Einflussmöglichkeit, die Verwaltung wird von dem Insolvenzverwalter ausgeübt, er ist es, der nunmehr im Rechtsverkehr anstelle der Gesellschafter als Verhandlungspartner auftritt, die Verwaltung nimmt er im Interesse aller Gläubiger vor. Diese Einschränkungen rechtfertigen es, die Gesellschafter für die vom Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten bzw. veranlassten Kosten nicht mehr persönlich einstehen zu lassen.

Nicht anders ist die Rechtslage im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person zu sehen (vergleiche hierzu Karsten Schmidt zur Rechtslage bei der KO, ZHR 152, 105, 113). Der Schuldner hat für Neuverbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter begründet hat, nicht einzustehen. Insoweit müssen sich die Gläubiger an den Insolvenzverwalter gemäß § 61 InsO halten, sofern ihre Ansprüche aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden können.

4.

Die von der Berufung angeführten Erwägungen, die eine persönliche Inanspruchnahme der Beklagten als Gesellschafter für die Neuverbindlichkeiten rechtfertigen sollen, führen zu keiner anderen Beurteilung:

a)

Die Berufung ist der Ansicht, eine unzuträgliche Unternehmensfortführung mit einer Haftung der Gesellschafter sei mit Blick auf § 61 InsO nicht zu besorgen. Der Insolvenzverwalter dürfe das Unternehmen der Schuldnerin nur auf der Grundlage einer sachverständig geprüften Liquiditätsplanung fortführen.

Der Kläger verkennt, dass es sich hier gerade nicht um den Fall einer Unternehmensfortführung handelt. Außerdem betrifft die Haftungsnorm des § 61 InsO gerade den Fall der Insolvenz einer natürlichen Person. Nur ist im Streitfall die Situation der Schuldnerin nicht etwa deshalb günstiger zu beurteilen, weil deren Gesellschafter an sich der Haftung nach § 128 HGB unterliegen.

b)

Der Kläger meint ferner, die Auffassung des Landgerichts, wonach die Beklagten als Gesellschafter nicht für die Neuverbindlichkeiten haften, führe zu dazu, dass diese besser behandelt würden, als wenn sie die Gesellschaft liquidiert hätten; denn dann hätten sie die mit der Liquidation verbundenen Kosten zu tragen. Auch dies führt nicht weiter, weil im Regelfall die Gesellschafter als Liquidatoren bestellt werden, was für sie nicht zu einer zusätzlichen Inanspruchnahme führt.

Im Streitfall ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Deshalb stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht, ob die Gesellschafter dann, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet worden wäre, für die im Zusammenhang mit einem Abweisungsbeschluss (§ 26 InsO) entstehenden Kosten aufzukommen hätten.

c)

Schließlich vermag auch die Erwägung des Klägers nicht zu überzeugen, dass die festgestellten Insolvenzforderungen nicht zur gleichmäßigen Befriedigung an die Insolvenzgläubiger ausgereicht werden könnten, weil sie ausschließlich zur Berichtigung der Massekosten und Masseverbindlichkeiten verwendet werden müssten. Die von dem Kläger angeführte Bestimmung des § 53 InsO gebietet die vorweg vorzunehmende Befriedigung der Kosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten; aus dieser Vorschrift lässt sich aber nichts für die Frage herleiten, ob die Haftung nach § 128 HGB auch auf Neuverbindlichkeiten im Falle der Insolvenz der Gesellschaft zu erstrecken ist. Hierfür gibt es keinen rechtfertigenden Grund.

5.

Im Ergebnis folgt der Senat dem Landgericht und weist die Berufung als unbegründet ab.

III.

Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob die Beklagten als Gesellschafter der Schuldnerin gemäß § 93 InsO in Verbindung mit § 128 HGB für im Zusammenhang mit der Insolvenzeröffnung begründete Massekosten und Masseschulden einzustehen haben, bislang höchstrichterlich noch nicht beantwortet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und § 101 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert im Berufungsrechtszug: 9.482,37 €.

Ende der Entscheidung

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