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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: 9 UF 10/04
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, BGB, RegelbetragsVO


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 850 b Abs. 1 Ziff. 2
EGZPO § 26 Nr. 9
BGB § 394
BGB § 1601
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
BGB § 1610
BGB § 1612
BGB § 1612 a
BGB § 1613 Abs. 1
RegelbetragsVO § 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

9 UF 10/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 22.7.2004

Verkündet am 22.7.2004

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2004

für Recht erkannt: Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. August 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Senftenberg (31 F 426/02) abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 1. September 2002 monatlich im Voraus bis zum 3. eines jeden Monats Unterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrages (Ost) der dritten Altersstufe zu zahlen, wobei auf den Unterhalt das jeweilige hälftige Kindergeld für ein erstes Kind anzurechnen ist, soweit dieses zusammen mit dem Unterhalt 135 % des Regelbetrages übersteigt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Von der Darstellung der gerichtlichen Feststellungen wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da gemäß § 26 Nr. 9 EGZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die vor dem 1. Januar 2007 verkündeten Berufungsurteile des Oberlandesgerichts in Familiensachen nicht zulässig ist.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin führt in vollem Umfang zum Erfolg. Ihr steht nach §§ 1601, 1603 Abs. 2, 1610, 1612, 1612 a BGB ein Anspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe des jeweiligen Regelbetrages nach § 2 der Regelbetragsverordnung zu.

An ihrer Bedürftigkeit bestehen keine Bedenken. Soweit sie mit ihrer am 25. November 2002 beim Amtsgericht Senftenberg eingegangenen Klage Unterhalt für die Vergangenheit ab September 2002 begehrt, ist dies in Folge des Schreibens des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin vom 03.09.2002 an die Beklagte nach § 1613 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

Entgegen der vom Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf mangelnde Leistungsfähigkeit berufen. Grundsätzlich besteht gegenüber Minderjährigen eine sich aus § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ergebende erhöhte Leistungsverpflichtung, die auch eine erweiterte Erwerbsobliegenheit umfasst, soweit es - wie im vorliegenden Fall - um die Sicherstellung lediglich des Regelbedarfs eines minderjährigen Kindes geht.

Demzufolge muss ein Unterhaltsverpflichteter seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und der Arbeitsmarktlage in zumutbarer Weise bestmöglich einsetzen (vgl. im einzelnen Senat NJWE-FWR 2001, 70; Kaltenhoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtssprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl., Rn. 614 ff m.w.N.). In Fällen von Arbeitslosigkeit resultiert hieraus die Verpflichtung, sich ausreichend um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, wobei neben der Meldung beim Arbeitsamt regelmäßig intensive Eigenbemühungen, etwa in Form kontinuierlicher Zeitungslektüre mit Auswertung von Stellenanzeigen, zu verlangen sind. Von dem Arbeitssuchenden kann der für eine vollschichtige Erwerbstätigkeit notwendige Zeitaufwand, das heißt 20-30 Bewerbungsschreiben pro Monat erwartet werden. Für diese Umstände und ggf. für die Richtigkeit der Behauptung fehlender realer Beschäftigungschancen ist der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet.

Diesen Anforderungen hat die Beklagte hier unzweifelhaft nicht entsprochen. Ihre auch nur für den Monat Juni 2004 dokumentierten Bemühungen genügen bereits von ihrem Umfang her in keiner Weise. Schriftliche Bewerbungen, wie von ihr zu fordern, hat die Beklagte überhaupt nicht belegt. Außerdem haben sich ihre Anstrengungen zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes ersichtlich auf ihr Wohnumfeld beschränkt, obwohl von einem der erweiterten Erwerbsobliegenheit unterliegenden Unterhaltsverpflichteten auch überregionale Bewerbungsversuche zu unternehmen sind. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf berufen hat, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bereits deshalb eingeschränkt seien, weil sie nicht über einen Pkw verfüge, kann diese abstrakte Behauptung sie nicht entlasten. Es obliegt vielmehr jedem Unterhaltsverpflichteten, im Einzelfall konkret darzulegen und nachzuweisen, dass und in welchem Umfang seine realen Beschäftigungschancen aufgrund individueller Beeinträchtigungen eingeschränkt sind. Einen allgemeinen Erfahrungsgrundsatz kennt die Rechtssprechung insoweit nicht; ohne einen solchermaßen konkreten Nachweis fehlender Erwerbschancen rechtfertigt es die vorwerfbare Nichtausnutzung der Arbeitskraft vielmehr, den Unterhaltsverpflichteten so zu behandeln, als ob er tatsächlich über die erzielbaren Einkünfte verfüge, die gegebenenfalls zu schätzen sind, nach der ständigen Rechtssprechung des Senats jedoch jedenfalls als zur Zahlung des Regelunterhaltes - wenn es sich wie vorliegend lediglich um denjenigen eines Kindes handelt - auskömmlich angenommen werden.

Auch die Betreuung eines weiteren Kindes, des am 18.09.1995 geborenen nichtehelichen Sohnes B.., der inzwischen die zweite Grundschulklasse besucht, rechtfertigt vorliegend keine andere Bewertung. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, dass ihr aufgrund der Betreuung dieses Kindes keine - jedenfalls keine höhere als die jetzigen Einkünfte erbringende - Erwerbstätigkeit zumutbar sei, ist rechtsirrig. Eine Mutter darf sich im Verhältnis zu ihrem minderjährigen Kind aus vorangegangener Ehe nicht auf die Betreuung eines weiteren nichtehelichen Kindes beschränken. Die Ansicht, dass die Betreuung zumindest eines Kleinkindes vorgehe und deshalb die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht verlangt werden könne, findet im Gesetz keine Stütze (vgl. Wendl/Staudigl-Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2, Rn. 166). Da die Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder gleichrangig sind, ist es Aufgabe der Mutter, die Betreuung des Kleinkindes gegebenenfalls durch Dritte sicherzustellen, wobei die hierdurch entstehenden Kosten bei der Ermittlung ihres anrechenbaren Einkommens in Abzug zu bringen wären. Vorliegend hat die Beklagte zwar vorgetragen, dass andere Betreuungspersonen für B... nicht zur Verfügung stünden, dieser jedoch ohnehin bereits jetzt einen Hort besucht, wo er täglich vier Stunden bis 16.00 Uhr untergebracht werden kann. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Junge in den Vormittagsstunden zur Schule geht, steht demzufolge bereits unter Ausnutzung dieser Betreuungsmöglichkeit einer nahezu vollständigen Ganztagstätigkeit der Beklagten nichts im Wege. Jedenfalls hat sie nicht konkret dargelegt, warum sie morgens ab Schulbeginn, der üblicherweise gegen 8.00 Uhr anzunehmen ist, bis nachmittags 16.00 Uhr wegen des Kindes an einer Erwerbstätigkeit gehindert sein soll. Sofern insoweit zeitliche Lücken in der Betreuung entstehen sollten, wäre die Beklagte gehalten, diese beispielsweise durch eine Tagesmutter o. ä. abzudecken.

Auch die von der Beklagten behauptete, von der Klägerin bestrittene Pflegebedürftigkeit ihrer eigenen Mutter steht der Erfüllung der Erwerbsobliegenheit nicht entgegen. Selbst wenn eine Pflegebedürftigkeit erwiesen wäre, und die Pflegetätigkeit sittlich anerkennenswert und mindestens wünschenswert erscheint, so bleibt sie doch unterhaltsrechtlich außer Betracht (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rn. 646 m.w.N.). Auch dieser Umstand vermag somit die gesteigerte Erwerbsobliegenheit der Beklagten gegenüber ihrer minderjährigen Tochter weder einzuschränken noch zu beseitigen.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass ihr auch bei Aufnahme einer Ganztagstätigkeit lediglich die Erzielung eines Einkommens von allenfalls 800,00 € monatlich möglich wäre. Bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang einem Unterhaltsverpflichteten bei Verletzung der Erwerbsobliegenheit ein fiktives Einkommen erzielbar erscheint, ist - jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen der minderjährige Unterhaltsberechtigte lediglich den Regelunterhalt begehrt - davon auszugehen, dass eine Leistungsfähigkeit zur Zahlung des "Mindestunterhaltes" generell bejaht werden kann. Der noch nicht einmal das bloße Existenzminimum des minderjährigen Unterhaltsberechtigten abdeckende Regelunterhalt ist in aller Regel leistbar. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Anzahl der Unterhaltsberechtigten im konkreten Einzelfall nicht von der Typik, die den Leitlinien der Oberlandesgerichte zu Grunde liegt, abweicht, was hier angesichts einer Barunterhaltsverpflichtung der Beklagten lediglich der Klägerin gegenüber nicht der Fall ist. In diesem Zusammenhang soll keineswegs verkannt werden, dass Fallkonstellationen denkbar erscheinen, die die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung seines notwendigen Selbstbehaltes unter die Grenze sinken lassen, die die Zahlung des Regelunterhaltes nicht mehr zulässt. Derartige Ausnahmefälle konkret darzutun, ist jedoch Aufgabe des Unterhaltsschuldners. Hierzu genügt es nicht, sich abstrakt darauf zu berufen, angesichts der Arbeitsmarktsituation oder der Berufsbiographie sei man nur zur Erzielung von geringeren Einkünften in der Lage. Insoweit bedarf es wiederum des einzelfallbezogenen substantiierten Vorbringens, dass den betroffenen Schuldner die Erzielung eines höheren Einkommens unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände trotz von ihm angestrengten konkreten Bemühungen nicht möglich ist. Dies hat die Beklagte jedoch vorzutragen unterlassen, so dass es dabei zu verbleiben hat, ihr ein solches fiktives Einkommen zuzurechnen, das jedenfalls die Zahlung des klageweise geltend gemachten Regelunterhaltes für die Klägerin gestattet.

Letztlich vermag an diesem Ergebnis auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Kindesvater zu Zeiten, als die Klägerin im Haushalt der Beklagten lebte, seiner Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht oder nicht in vollem Umfang nachgekommen ist. Insoweit kommt eine Aufrechnung schon mangels Aufrechnungslage nicht in Betracht. Im Übrigen ist Unterhalt nach § 850 b Abs. 1 Ziff. 2 ZPO unpfändbar, weshalb eine Aufrechnung nach § 394 BGB ebenfalls ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.486 € festgesetzt (§ 17 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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