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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2002
Aktenzeichen: 9 UF 157/02
Rechtsgebiete: ZPO, FGG, BGB, VAÜG


Vorschriften:

ZPO § 538
ZPO § 538 Abs. 2
ZPO § 621 e
ZPO § 621 a Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3 Satz 2
ZPO § 623 Abs. 1 Satz 3
FGG § 12
FGG § 53b
BGB § 1587a
BGB § 1587 Abs. 2
VAÜG § 2 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 157/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 19. August 2002 gegen die zum Versorgungsausgleich getroffene Regelung in dem am 24. April 2002 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Oranienburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht den Richter am Landgericht und den Richter am Oberlandesgericht

am 8. November 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird die zum Versorgungsausgleich in Ziffer III. des Tenors des angefochtenen Urteils getroffene Regelung aufgehoben.

Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert beträgt 1.279,32 €.

Gründe:

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige befristete Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht führt. Das Verfahren zum Versorgungsausgleich leidet an einem schweren Verfahrensmangel, da das Amtsgericht den Grundsatz der Amtsermittlung nicht in hinreichender Weise beachtet hat.

1.

Der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Amtsgericht steht die mit der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform der ZPO getroffene Neuregelung in § 538 ZPO nicht entgegen, da die verschärften Voraussetzungen für die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO im Verfahren der befristeten Beschwerde (§ 621 e ZPO) keine Anwendung finden.

Die Vorschrift des § 538 ZPO ist in § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO, der für das Verfahren der befristeten Beschwerde maßgeblichen Verweisungsvorschrift, nicht genannt. Da außerhalb dieser Verweisungsvorschrift im Übrigen für die befristete Beschwerde die Vorschriften des FGG gelten, § 621 a Abs. 1 ZPO, kommt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht nach den allgemeinen Grundsätzen des FGG in Betracht. Zwar sieht das FGG eine solche Verfahrensweise nicht ausdrücklich vor, sie entspricht jedoch der allgemeinen Praxis in den Verfahren der allgemeinen Gerichtsbarkeit (vgl. nur BGH, FamRZ 1982, 152; im Übrigen Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 621 e Rn. 76 m. w. N.).

Insoweit kommt auch nicht die analoge Anwendung des § 538 Abs. 2 ZPO in Betracht (so aber Zöller/Philippi, a.a.O.). Dem steht schon der Wortlaut der Vorschrift des § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO, die die Vorschrift des § 538 ZPO gerade nicht einbezieht, entgegen. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig, es fehlt daher an einer Gesetzeslücke als der für die analoge Anwendung des § 538 ZPO wesentlichen Voraussetzung. Insoweit ist es auch nach dem In-Kraft-Treten der Zivilprozessrechtsreform dem Beschwerdegericht im Verfahren nach § 621 e ZPO möglich, ohne die strengen Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO nach freiem Ermessen über die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung des Verfahrens an die Vorinstanz zu entscheiden (ausdrücklich Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 621 e Rn. 26; im Ergebnis wohl auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, § 621 e Rn. 23 a. E.; wohl auch Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl. 2002, § 621 e Rn. 15, soweit dieser darauf hinweist, dass das Gericht an Anträge grundsätzlich nicht gebunden ist).

2.

Das Verfahren über den Versorgungsausgleich ist im Scheidungsfall von Amts wegen zu betreiben; es bedarf für die Durchführung des Versorgungsausgleiches insbesondere keines Antrages einer der Eheleute oder eines sonstigen Beteiligten, § 623 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Da sich das Verfahren über den Versorgungsausgleich nach den Vorschriften des FGG bestimmt (§ 621 Abs. 1 Ziff. 6, § 621 a Abs. 1 ZPO), gilt für die Ermittlungen von Amts wegen § 12 FGG. Hiernach hat das Gericht die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Die Ermittlungspflichten aus § 12 FGG betreffen sämtliche Umstände, die die Höhe und die Art des Versorgungsausgleiches betreffen können. Für das Verfahren über den Versorgungsausgleich hat dies zunächst zur Folge, dass das Amtsgericht sämtliche im Rahmen des Versorgungsausgleiches nach § 1587a BGB möglicherweise zu berücksichtigenden Rechte und deren Dynamik (dazu BGH FamRZ 1998, 424 f.) zu ermitteln und sodann zu überprüfen hat, ob diese Anrechte tatsächlich dem Versorgungsausgleich unterfallen, da nur so die von Amts wegen zu treffende Entscheidung über den Versorgungsausgleich ordnungsgemäß vorbereitet werden kann. Zur Erfüllung dieser Pflichten hat das Amtsgericht bei allen in Betracht kommenden Beteiligten des Versorgungsausgleichsverfahrens gem. § 53b FGG entsprechende Auskünfte einzuholen (zum Ganzen Brandenburgisches OLG FamRZ 2002, 168 f.).

Dem ist das Amtsgericht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.

So sind für die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften beider Parteien zumindest hinsichtlich des Antragsgegners noch Ermittlungen anzustellen. Soweit die Beteiligte zu 2. für den Antragsgegner unter dem 13. Juli 2001 (Bl. 69 d. A.) eine Auskunft erstellt hat, liegt dem jedenfalls ein falsches Anfangsdatum für die Ehezeit zugrunde. Da die Parteien am 15. Mai 1982 die Ehe geschlossen haben (vgl. Bl. 5 d. A.), wie auch aus der Ziffer I. des Tenors des insoweit unangefochten gebliebenen Urteils zutreffend hervorgeht, beginnt die dem Versorgungsausgleich zu Grunde zu legende Ehezeit gemäß § 1587 Abs. 2 BGB am 1. Mai 1982. Insoweit ist die erteilte Auskunft der Beteiligten zu 2. noch zu korrigieren.

Darüber hinaus ist aber auch fraglich, ob das Amtsgericht das Ehezeitende zutreffend bestimmt hat. Das in erster Instanz zugrunde gelegte Ehezeitende vom 31. Oktober 1999 beruht, soweit erkennbar (das angefochtene Urteil entbehrt insoweit einer Begründung), auf der unter dem 23. November 1999 erfolgten Zustellung an den Antragsgegner (vgl. Bl. 15 d. A.). Ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 15 d. A.) kann aber nicht festgestellt werden, dass unter diesem Datum der Scheidungsantrag vom 4. August 1999 (Bl. 1. d. A.) dem Antragsgegner zugestellt worden ist, da die Postzustellungsurkunde lediglich eine Zustellung zeitlich später datierender Schriftstücke ausweist. Da die zuvor erfolge Übersendung der einfachen Abschrift des Scheidungsantrages im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht genügt (BGH NJW 1982, 2379) und da eine anderweitige Zustellung der Scheidungsantragsschrift auch nicht festgestellt werden kann, dürfte erst auf Grund des rügelosen Einlassens des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2001 vor dem Amtsgericht (Bl. 83 d. A.) eine Heilung dieses Verfahrensmangels eingetreten und insoweit der Zeitpunkt des Ehezeitendes gemäß § 1587 Abs. 2 BGB zu bestimmen sein (Brandenburgisches OLG FamRZ 1998, 1439). Auch insoweit wären Ermittlungen bei den beteiligten Versorgungsträgern vorzunehmen.

Zudem wird darauf hingewiesen, dass ausweislich der Auskunft der Viktoria Lebensversicherungs-AG vom 2. August 2000 (Bl. 35 d. A.) die Antragstellerin eine private Rentenversicherung unterhält, welche ebenfalls bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs zu berücksichtigen ist. Dies hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung übersehen. Auch insoweit würden hinsichtlich eines abweichenden Endes der Ehezeit voraussichtlich weitere Ermittlungen ausstehen.

Wegen der in mehrfacher Hinsicht vorzunehmenden Ermittlungen, die - je nach ihrem Ausgang - weitere Ermittlungen nach sich ziehen können, hat der Senat eine eigene Entscheidung nicht als sachdienlich angesehen. Von dem Ausgang der noch einzuholenden Auskünfte hängt es zudem ab, ob derzeit tatsächlich über den Versorgungsausgleich zu entscheiden ist. Soweit die bei den beteiligten Versorgungsträgern noch einzuholenden Auskünfte ebenso wie die auf der fehlerhaften Ehezeit beruhenden, der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegenden Auskünfte höhere angleichungsdynamische Anwartschaften des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung ausweisen würden, wäre - so der Antragsgegner nicht zugleich nichtangleichungsdynamische Anwartschaften erworben hätte - der Versorgungsausgleich wegen der auf Seiten der Antragstellerin zu berücksichtigende privaten Rentenversicherung auszusetzen, § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG.

Der Senat weist das Amtsgericht erneut darauf hin, dass es aus Klarstellungsgründen ratsam erscheint, die am Verfahren über den Versorgungsausgleich formell beteiligten Versorgungsträger in das Rubrum des Urteils aufzunehmen (vgl. nur Brandenburgisches OLG FamRZ 2002, 168, 169; Oelkers in: Becksches Richterhandbuch, 2. Aufl. 1999 S. 774), wie dies auch der allgemeinen familiengerichtlichen Praxis entspricht. Formell beteiligt sind hier nach § 53 b FGG die benannten Beteiligten zu 1. bis 2., nicht dagegen die Viktoria Lebensversicherungs-AG, da diese als privatrechtliche Organisation von der Entscheidung im (öffentlichrechtlichen) Versorgungsausgleich nicht betroffen wird (vgl. auch Maier/Michaelis, Der Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung, 6. Aufl. S. 748).

Ende der Entscheidung

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