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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.09.2009
Aktenzeichen: 9 UF 20/09
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, FGG


Vorschriften:

BGB § 1626 a Abs. 2
BGB § 1666
BGB § 1666a
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
ZPO § 517
ZPO § 520
FGG § 33 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die befristete Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom 28. Januar 2009 - Az. 30 F 297/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kindesmutter wird aufgegeben, das Kind P... L..., geboren am .... Oktober 1996, an die Amtspflegerin, Frau K... vom Jugendamt O..., herauszugeben.

Der zuständige Gerichtsvollzieher wird ermächtigt und beauftragt, zum Zwecke der Vollstreckung der Herausgabeanordnung das Kind der Kindesmutter wegzunehmen und zur Durchsetzung dieser Anordnung auch Gewalt zu gebrauchen, um den Widerstand der Kindesmutter zu überwinden und ihre Wohnung zu durchsuchen, sowie polizeiliche Vollzugsorgane zu seiner Unterstützung hinzuzuziehen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Kindesmutter hat die den übrigen Verfahrensbeteiligten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1. war die nach § 1626 a Abs. 2 BGB allein sorgeberechtigte und alleinerziehende Mutter des am .... Oktober 1996 geborenen P... L.... Im Haushalt der Kindesmutter lebt auch der seit Anfang dieses Jahres volljährige (Halb-)Bruder von P..., N... L.... Über den Kindesvater ist Näheres nicht bekannt geworden; er hat im Verfahren nicht aktiv mitgewirkt.

Das amtswegige Sorgerechtsverfahren ist - veranlasst wiederum durch eine erneute Anzeige des Vaters eines von den "Eskapaden" des P... betroffenen anderen Kindes - durch die Staatsanwaltschaft Cottbus im Februar 2008 initiiert und im Oktober 2008 förmlich eingeleitet worden, nachdem nunmehr auch das seit 2001 immer wieder involvierte Jugendamt eine Kindeswohlgefährdung nicht mehr ausschließen konnte. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Jugendamt wurde erstmals Ende 2001 eingeschaltet und ist seitdem in mehr oder weniger großen Abständen kontinuierlich mit der Familie befasst. Seinerzeit war seitens des Kindergartens Förderbedarf angemeldet und - auf entsprechenden Antrag der Kindesmutter hin - sodann Frühförderung für P... gewährt worden. Im Vorschulalter ist bei P... ADHS diagnostiziert worden mit der Folge, dass der Junge 1 1/2 Jahre lang Ergotherapie erhalten hat; eine begleitende medikamentöse Behandlung mit Ritalin hat die Kindesmutter wegen der Nebenwirkungen abgebrochen. In den Folgejahren hat das Jugendamt auf Hinweise von Bürgern/Elternvertretern/Lehrern und der Staatsanwaltschaft Cottbus über Verhaltensauffälligkeiten (Übergriffe gegen andere, Straßenverkehrsgefährdungen, nächtliche Ausflüge, Bettelei u.ä.) wiederholt das Gespräch mit der Kindesmutter und dem Jungen gesucht. Die Kindesmutter hat hier stets mitgewirkt, eigene Probleme in der Betreuung und Erziehung des Kindes allerdings jeweils in Abrede gestellt und einen Hilfebedarf nicht zu erkennen vermocht. Das Jugendamt sah sich zu weitergehenden Maßnahmen in den Anfangsjahren nicht veranlasst, wurde allerdings im Hinblick auf nicht unerhebliche schulische Probleme des Jungen zum Schuljahresbeginn 2008/2009 erneut tätig. P... wurde zunächst in der L...er Grundschule eingeschult, im April 2008 allerdings in die C...er Grundschule umgeschult, wo er allerdings "die meiste Zeit unentschuldigt fehlte" und deshalb das Klassenziel der 5. Klasse nicht erreicht hat. Zum 6. Oktober 2008 wurde der Junge sodann in die J...schule in C... umgeschult, wo er im Wege des Einzelunterrichts beschult wurde, wenn im Gruppenverband eine Unterrichtung nicht mehr möglich war. Das schulische Verhalten des Jungen war und ist "geprägt von verbaler und körperlicher Gewalt gegen MitschülerInnen und Lehrerinnen" (Bl. 41 d.A.); in der Schule wurden auch Selbstverletzungen des Kindes beobachtet (Bl. 48 d.A.). Das Verhältnis der Kindesmutter zu den Schulen und insbesondere dem örtlich zuständigen Schulamt ist inzwischen stark belastet.

Im Vorfeld des hiesigen Verfahrens wurde am 7. Oktober 2008 die ergotherapeutische Behandlung von P... wieder aufgenommen.

Die richterliche Kindesanhörung am 11. November 2008 gestaltete sich schwierig, weil der Junge im Gespräch ständig und in nicht nachvollziehbarer Weise provoziert hat (vgl. Bl. 34 f. d.A.). Im Anhörungstermin am 11. November 2008 wurde die Kindesmutter beauflagt, den Jungen schulpsychologisch untersuchen zu lassen, die Ergotherapie fortzuführen, Kontakt zur Schule aufzunehmen und zu halten sowie Erziehungshilfe in Anspruch zu nehmen. Nach sechs Monaten solle geprüft werden, ob weitergehende Maßnahmen angezeigt seien (Bl. 32 f. d.A.).

Mit Bericht vom 15. Januar 2009 hat das Jugendamt informiert, dass P... "aufgrund von mehrfachen Auffälligkeiten im Schulalltag" seit dem 16. Dezember 2008 vom Unterricht suspendiert sei und die Kindesmutter mehrfachen Aufforderungen zu Terminsvereinbarungen wegen Erziehungshilfe nicht nachgekommen sei. Deshalb hat das Jugendamt nunmehr auf Entzug der elterlichen Sorge angetragen und auf Übertragung der Rechte der Aufenthaltsbestimmung und der Beantragung von Jugendhilfeleistungen. Angestrebt wurde seinerzeit eine (voll-)stationäre Unterbringung des Kindes in einer Jugendhilfeeinrichtung.

In seiner erneuten richterlichen Anhörung am 28. Januar 2009 hat P... sich relativ unbeeindruckt von der schulischen Sanktionierung und auch gegenüber einer etwaigen Heimunterbringung geäußert. Ambulante Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand hat er (höhnisch) abgelehnt (Bl. 116 f. d.A.).

Die Kindesmutter hat im Anhörungstermin erklärt, einen Antrag auf schulpsychologische Untersuchung sehr wohl gestellt zu haben, ohne dass darauf bisher reagiert worden sei. Für einen Erziehungsbeistand bestehe kein Bedarf. Die Kindesmutter hat sich in erster Linie ausgesprochen unzufrieden über das Verhalten der Schul(behörd)en im weitesten Sinne gezeigt, die sie für die bestehenden Probleme verantwortlich macht.

Das Jugendamt hat das Fehlen jeglicher Einflussnahme der Kindesmutter auf das Verhalten des Jungen, der nicht nur in der Schule, sondern auch zuhause und bei der Ergotherapeutin keinerlei Regeln einhalten könne oder wolle, vermisst. Im Anhörungstermin hat das Jugendamt die konkrete Möglichkeit einer teilstationären Unterbringung in Co... vorgestellt. P... könne in dem Lern-Psychotherapie-Projekt in einer Kleingruppe beschult werden und im Haushalt der Mutter bleiben. Voraussetzung sei aber eine entsprechende Antragstellung durch die Mutter und eine konzentrierte Elternarbeit, die engmaschig notwendig sei. Ansonsten bliebe nur die Möglichkeit einer stationären Unterbringung des Jungen. Die Verfahrenspflegerin ist dieser Auffassung beigetreten.

Mit Beschluss vom 28. Januar 2008 hat das Amtsgericht der Kindesmutter die Personensorge einschließlich des Rechtes zur Antragstellung von Hilfen zur Erziehung entzogen und dem Jugendamt übertragen, das als Pfleger bestellt worden ist. P... sei nicht gruppenfähig und nicht beschulbar, könne sich nur über einen sehr eingeschränkten Zeitraum konzentrieren und sei nicht willens oder in der Lage, sich an Regeln eines geordneten Miteinanders zu halten. Sein Verhalten sei geprägt von verbalen und körperlichen Aggressionen gegenüber allen anderen, auch gegenüber der Kindesmutter; die wieder begonnene Ergotherapie zeitige keinerlei Erfolg. Die Kindesmutter bagatellisiere die Auffälligkeiten, ziehe sich in Anschuldigungen gegen Dritte zurück und lehne jegliche Unterstützung ab. Bei dieser Sachlage sei an mildere Maßnahmen als den Entzug der Personensorge nicht zu denken, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde. Sie rügt, dass sie die ursprünglich erteilten Auflagen ganz überwiegend erfüllt habe und - zudem vor Ablauf der 6-Monats-Frist - gleichwohl das Sorgerecht entzogen worden sei. Sie, die Kindesmutter, habe vielfach eingefordert, dass P... Unterricht erhalte, hilfsweise wenigstens in Form der Übermittlung von Schulaufgaben oder auch im Wege von häuslichem Unterricht. Die Schule wie auch das Staatliche Schulamt seien dem nicht in der gebotenen Form nachgekommen. Ihr, der Kindesmutter, könne dann aber nicht vorgeworfen werden, dass sie P... das Recht auf Bildung nehme. Tatsächlich empfinde sie das Vorgehen der Schulleitung und -ämter wie auch die Entscheidung des Amtsgerichts als Diskriminierung ihrer Person.

Das Jugendamt hat am 2. April 2009 berichtet, dass P... am 19. Februar 2009 in der im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht in Aussicht genommenen Einrichtung der S...-Heime teilstationär aufgenommen worden sei. Im Hilfeplan sei die stationäre Begutachtung und Erstellung einer Diagnostik in der Asklepiosklinik in Lü... als dringend erforderlich festgelegt worden, die allerdings nicht kurzfristig zu realisieren sei. In dem Erstgespräch in der Klinik hat die Kindesmutter nicht teilgenommen.

In einem Bericht dieser Einrichtung vom 12. März 2009 (Bl. 160 ff. d.A.) wird geschildert, dass P... selbst in einer Lerngruppe von 5-6 Schülern nicht "zu händeln" sei. Er lasse in seiner Konzentration sehr schnell (nach maximal 1 Stunde) nach, wolle im Mittelpunkt stehen und werde schnell aggressiv, wenn es nicht nach seinen Bedürfnissen gehe. Nur bei einer 1:1-Betreuung ließen sich kleine Erfolge feststellen. Die Kindesmutter reagiere auf das negative Verhalten ihres Sohnes fast gar nicht, sondern verhalte sich hier eher passiv-neutral. Die Mutter setze P... weder Grenzen noch zeige sie ihm Strukturen auf.

Das Staatliche Schulamt hat mit Bericht vom 20. März 2009 (Bl. 165 d.A.) über das Ergebnis der schulpsychologischen Untersuchung mit näherer Darlegung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, dahin berichtet, dass P... altersentsprechend entwickelte kognitive Fähigkeiten zeige, nahezu den Durchschnitt im Sprachverständnis und im wahrnehmungsgebundenen logischen Denken und in der Verarbeitungsgeschwindigkeit erreiche; die Leistungen im Arbeitsgedächtnis seien noch durchschnittlich. Allerdings könne er sich nur über einen kurzen Zeitraum konzentrieren und suche sich nach maximal einer Stunde den Anstrengungen durch Arbeitsverweigerung, Weglaufen, Ablenkung zu entziehen.

Zwischenzeitlich, nämlich seit dem 8. Juni 2009 ist P... in der vollstationären Jugendhilfeeinrichtung des ASB Lü... e.V., Intensivpädagogisches Projekt "Neustart" in Jä... untergebracht worden, weil "die teilstationäre Hilfeart nicht mehr am Bedarf des Kindes geeignet war" (Bl. 182 d.A.).

Am 4. August 2009 hat P... einen Ausflug genutzt, um der weiteren Heimunterbringung zu entgehen; er ist in den Haushalt der Kindsmutter zurückgekehrt, die die Einrichtung am selben Tag über den Aufenthalt des Kindes informiert hat.

Die Kindesmutter ist mit der vollstationären Unterbringung ihres Sohnes nicht einverstanden. Sie konnte sich trotz nicht unerheblicher Bedenken gegen einige Erziehungsmethoden lediglich eine weitere Fortsetzung der teilstationären Hilfeart für ihren Sohn vorstellen - jedenfalls bis zum Ende des jüngst abgeschlossenen Schuljahres. Für das laufende Schuljahr hat sie sich um Aufnahme ihres Sohnes in einer Regelschule außerhalb des für ihren Wohnort zuständigen Schulamtes bemüht; hilfsweise müsse P... eben im mütterlichen Haushalt beschult werden.

Das Jugendamt sieht unter Hinweis auf eine mangelnde Mitwirkung der Kindesmutter die - grundsätzlich längstens auf die Dauer eines Jahres angelegte - vollstationäre Unterbringung des Kindes in der Einrichtung in Jä... als alternativlos an und verteidigt die angefochtene Entscheidung im Übrigen.

Die Verfahrenspflegerin hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Der Senat hat P... am 20. August 2009 angehört und die Sache im Übrigen mit den Verfahrensbeteiligten eingehend erörtert.

Mit Schreiben vom 1. September 2009 hat die Beteiligte zu 4. mit näherer Darlegung ergänzend einen Herausgabeantrag gestellt und um Erlass von Vollstreckungsanordnungen zur Durchsetzung derselben nachgesucht.

Der Kindesmutter hatte Gelegenheit, auch zu diesen Anträgen Stellung zu nehmen.

II.

Die befristete Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß § 621 e Abs. 1 und 3 ZPO in Verbindung mit §§ 517, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden. In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.

1.

Das Amtsgericht hat mit der Entziehung des elterlichen Sorgerechts, das das Recht zu Beantragung von Hilfen zur Erziehung einschließt, die Entscheidung getroffen, die im Ergebnis der eingehenden Erörterung mit allen Verfahrensbeteiligten am 20. August 2009 auch der Senat für in der Sache unumgänglich hält und auf deren überzeugende Begründung er zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst in vollem Umfang Bezug nimmt. Die Voraussetzungen für den Entzug des elterlichen Sorgerechts nach §§ 1666, 1666a BGB liegen weiterhin vor. Insbesondere mit Blick auf die im Anhörungstermin vor dem Senat eindrücklich zutage getretene Uneinsichtigkeit der Kindesmutter in die massiven Probleme ihres Sohnes und den daraus resultierenden erheblichen Hilfebedarf haben ergeben, dass eine mildere Maßnahme als die hier getroffene Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB zur Abwehr der hier vorliegenden Gefährdung des Kindeswohls nicht ins Auge gefasst werden kann.

Bei P... liegt eine Kindeswohlgefährdung vor. Die Kindesmutter macht es sich deutlich zu einfach, wenn sie die - insoweit immerhin dem Grunde nach ansatzweise anerkannten - Schwierigkeiten ihres Sohnes auf Schulprobleme reduziert und hierfür allein Lehrer und das Schulamt verantwortlich zu machen sucht. Aus den hier vorliegenden Unterlagen ergibt sich ganz deutlich, dass P... in einer Regelschule nicht beschult werden kann, obwohl er nach dem Ergebnis der schulpsychologischen Untersuchung von seinen intellektuellen Fähigkeiten her ohne Weiteres in der Lage wäre, dem Unterricht zu folgen. Er ist gleichwohl - dies zeigen eindrucksvoll die Erfahrungen der S...-Heime - selbst in einer Kleingruppe von 5-6 Schülern über einen Zeitraum von mehr als einer Stunde nicht in einen ordnungsgemäßen Unterricht zu integrieren. Er ist unkonzentriert, stellt sich in den Mittelpunkt und wird schnell verbal und in seinem Verhalten aggressiv, wenn sich nicht alles nach seinen Wünschen richtet. Daraus wird deutlich, dass der Junge über keinerlei klare Grenzen und Strukturen verfügt, die notwendige Voraussetzung dafür sind, ein sozial verantwortliches Leben führen zu können. Dazu gehört wechselseitiger Respekt vor dem jeweils anderen, die Rücksichtnahme auf berechtigte Interessen der anderen (Lehrer und Schüler), die Anerkennung eigener Verpflichtungen im sozialen Kontext und die Fähigkeit, mit Frustrationen angemessen umgehen zu können. All das fehlt bei P..., der damit für ein 13-jähriges Kind deutlich nicht altersgerecht entwickelt ist.

Es handelt sich bei den hier zutage getretenen Entwicklungsstörungen, Reifeverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten ersichtlich nicht um ein reines Schulproblem. Es fehlt vielmehr an grundlegenden Fähigkeiten, die im täglichen Zusammenleben in sozialer Verantwortung unabdingbar sind und deshalb erlernt werden müssen. Verantwortlich hierfür sind zuallererst die Eltern und erst in zweiter Linie und im Rahmen ihrer - vorliegend deutlich ausgeschöpften - Möglichkeiten die Schulen und Lehrer. Die Kindesmutter hat für ihre Auffassung dahin, die bisherigen Lehrer und vor allem das zuständige Schulamt hätten insoweit versagt, ebenso wenig greifbare Anhaltspunkte aufzeigen können wie für ihre Hoffnung, nach einem erneuten Schulwechsel in eine Regelschule außerhalb des bisherigen Schulbezirks würden keinerlei Probleme im (Schul-) Alltag mehr auftreten. Tatsächlich kann dergleichen nicht erwartet werden.

Nach den eindrücklichen Ausführungen der Kindesmutter im Anhörungstermin ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Kindesmutter ihrer Erziehungsverantwortung nicht nachzukommen gewillt oder in der Lage ist. Sie negiert einerseits jede eigene Verantwortung für eine kindgerechte Entwicklung ihres Sohnes zu einer verantwortungsvollen Persönlichkeit und lehnt zugleich jede Unterstützung staatlicher Stellen ab. Staatliche Stellen sind nur insoweit "akzeptabel", als notfalls eine Beschulung ihres Sohnes durch Hauslehrer realisiert werden müsse. Ihr Erziehungskonzept erschöpft sich darin, darauf zu warten, dass ihr Sohn von sich aus "die Kurve kriegt". Aus dieser Gleichgültigkeit gegenüber ihrer elterlichen Verantwortung erklärt sich auch ihre - im Anhörungstermin ausdrücklich geäußerte - Erfahrung, dass P... vielleicht für die Lehrer anstrengend sei, nicht aber für sie. Natürlich macht es sehr viel mehr Mühe, den Jungen zu einem allgemein anerkannten Regeln sozialer Interaktion konformen Verhalten nachhaltig und immer wieder neu zu motivieren und durch konsequente erzieherische Einwirkung eine Veränderung seines derzeit grundsätzlich unangemessen aggressiven und egoistischen Verhaltens zu erreichen, das ihm selbst am meisten schadet, weil es ihn zunehmend zu einem Außenseiter und damit auf lange Sicht sehr unglücklich machen wird. Es war für den langjährig in Familiensachen erfahrenen Senat schon sehr erschreckend, erkennen zu müssen, dass bei der Kindesmutter hier überhaupt kein Verständnis für die Bedürfnisse eines 13-jährigen Kindes und ihre elterliche Verantwortung insoweit vorhanden war. Dies gipfelte schließlich darin, dass sie mit ihrem Sohn - in Verkennung des Bedürfnisses nach Liebe und Unterstützung in einer natürlich sehr schwierigen Situation einer Heimunterbringung - einen Kontaktabbruch "vereinbart" hat. Sie hat mit einem solchen Abkommen ihren Sohn völlig überfordert und ihn in der für ihn schwierigsten Phase seines Lebens allein gelassen. Auch hier zieht sich die Kindesmutter allerdings darauf zurück, dem Jugendamt und den Mitarbeitern der Einrichtung "seelische Qualen, Liebesentzug" vorzuwerfen; jeden eigenen Mitwirkungsbeitrag an der Situation zieht sie nicht einmal in Erwägung.

Nachdem die Kindesmutter sich in Bezug auf einen aktiven erzieherischen Einsatz nicht in der Verantwortung sieht, keinen Bedarf für eine Unterstützung oder auch nur Beratung in Erziehungsfragen zu erkennen vermag und jede Hilfestellung schlechtweg ablehnt, besteht auch für den erkennenden Senat keine andere Möglichkeit als die Entziehung des elterlichen Sorgerechts und die Übertragung desselben auf das Jugendamt als Pfleger.

Der Senat hat durchaus verstanden, dass für P... die Heimunterbringung schrecklich war/ist und er die Aufnahmeprozedur als "schlimmer als Knast" empfunden und dort wirklich gelitten hat. Das ist menschlich ohne weiteres nachvollziehbar und wird selbst von der Amtspflegerin nicht bestritten, lag aber - selbst nach eigenen Angaben des Kindes - gar nicht so sehr an objektiv als "unmenschlich" zu bezeichnenden tatsächlichen Umständen als daran, dass der Junge offensichtlich erstmals mit Konsequenz dazu angehalten worden ist, bestimmte Aufgaben zu erledigen, bevor ihm Erleichterungen wie ein "besseres" Zimmer, das Zusammensein mit anderen Kindern, gemeinsame Mahlzeiten, Ausflüge und Freizeitbeschäftigung zugute kommen. Die bei dem Träger in Jä... gepflegte Aufnahmeprozedur weist damit zweifelsohne Härten auf, die für jedes plötzlich aus der vertrauten Umgebung seiner Familie herausgerissene Kind nur schwer zu ertragen sind. Umso schwerer wird dies von jemandem empfunden, dem bisher keine Grenzen gesetzt worden sind, der ohne echte Konsequenzen fürchten oder gar erleben zu müssen, machen konnte, was er wollte, und kommen und gehen konnte, wann und wohin er wollte und der sich von niemandem etwas sagen ließ. Dieses Erlebnis ist - das verkennt der Senat nicht - sicher ein Schockerlebnis für das Kind, das allerdings zusätzlich an Schärfe dadurch gewinnt, dass er sich einerseits im Ergebnis einer - unverantwortlichen - Vereinbarung mit seiner Mutter zunächst gänzlich allein gelassen fühlen musste und nach der - lange sechs Wochen nach Beginn des Aufenthalts und auf dringende Bitte des Jugendamtes, dem Kind wenigstens im Wege eines Briefes Mut zu machen - Wiederaufnahme eines brieflichen Kontaktes zur Mutter umgehend in der Auffassung, man tue ihm dort per se Unrecht, bestärkt wurde. Es wirft doch ein sehr viel differenzierteres Bild auf die Einrichtung und den dort verfolgten pädagogischen Ansatz, dass P... trotz auch zuvor reichlich vorhandener Möglichkeiten zum Ausreißen erst aufgrund entsprechender brieflicher Motivation durch die Kindesmutter zur "Flucht" animiert worden ist. Weniger verwunderlich ist, dass der Junge sich - bestärkt durch die vorgelebte Einstellung der Kindesmutter und ein Geschenk seiner Mutter als Folge seiner "Flucht" - mit dem Gedanken an die Rückkehr in eine Heimunterbringung ausgesprochen schwer tut.

Der Senat ist allerdings der Überzeugung, dass es auf lange Sicht dem Kindeswohl dienlicher ist, die nach einer nicht allzu lange währenden Eingewöhnungsphase ohne Weiteres zu überwindenden Anfangsschwierigkeiten durchzustehen und die anderweitig nicht erkennbare Chance auf ein an klaren Regeln und Strukturen ausgerichtetes Alltagsleben wahrzunehmen, das ihm die Möglichkeit eröffnet, in absehbarer Zeit ohne nennenswerte Schwierigkeiten eine Regelschule zu besuchen und die Chance bietet, aus der Außenseiterrolle zu entfliehen, in die er ansonsten unweigerlich zunehmend gedrängt würde. P... wird mit zunehmendem Alter immer wieder an Grenzen stoßen und erleben müssen, dass er nicht stets im Mittelpunkt stehen kann, sich nicht alles und jeder nach seinen momentanen Wünschen und Bedürfnissen richtet. Es wird ihm zugute kommen, wenn er unter intensiver Betreuung durch pädagogisch geschulte Fachkräfte Strategien zu entwickeln lernt, mit Frustrationen anders als mit Aggression umzugehen.

2.

Die Kindesmutter war ferner zur Herausgabe ihres Kindes an das zum Pfleger bestellte Jugendamt zu verpflichten. Das Jugendamt ist bereits mit der amtsgerichtlichen Entscheidung vom 28. Januar 2009 zum Inhaber des Personensorgerechts geworden und damit berechtigt und verpflichtet, das Aufenthaltsbestimmungsrecht - auch gegen den Willen der leiblichen Mutter - auszuüben. Der erkennende Senat hält diese Entscheidung aus den vorstehend im Einzelnen erörterten Gründen für weiterhin sachgerecht und erforderlich. Dem Jugendamt steht als Alleininhaber der elterlichen Sorge für P... ein Anspruch auf Herausgabe des Kindes gegen jeden zu, der ihm das Kind widerrechtlich vorenthält. Das schließt bei der gegebenen Sach- und Rechtslage einen Herausgabeanspruch gegen die leibliche Mutter des Jungen ein.

In Anbetracht des bisherigen Verhaltens der Kindesmutter, die sich während des Verfahrens kompromisslos und ohne Rücksicht auf die Situation des Kindes der bestehenden Sorgerechtsregelung widersetzt hat, und nachdem insbesondere wiederholte Bemühungen des Pflegers, die freiwillige Herausgabe des Kindes durch die Kindesmutter zu erreichen, unstreitig erfolglos geblieben sind, besteht Grund zu der Besorgnis, dass sie auch die hier vorsorglich ausdrücklich angeordnete Herausgabeentscheidung nicht freiwillig und ohne Widerstand befolgen wird. Aus diesem Grund rechtfertigen sich die gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 FGG für den Fall einer nicht freiwillig befolgten Verpflichtung zur Herausgabe eines Kindes getroffenen Vollstreckungsanordnungen. Dies gilt umso mehr, als das neue Schuljahr bereits begonnen hat und es nunmehr gilt, weitere unnötige Versäumnisse des derzeit nicht am Schulunterricht teilnehmenden Kindes zu vermeiden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 30 Abs. 2 und 3 KostO.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 621 e Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht veranlasst, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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