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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.07.2009
Aktenzeichen: 9 UF 61/08
Rechtsgebiete: SGB XII, ZPO, BGB


Vorschriften:

SGB XII § 35
SGB XII § 35 Abs. 2
SGB XII § 42
SGB XII § 94
SGB XII § 94 Abs. 1 Satz 1
SGB XII § 94 Abs. 2
ZPO § 9
ZPO § 128 Abs. 2
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 511
ZPO § 511 Abs. 2 Ziff. 1
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
BGB §§ 1601 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das am 30. April 2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Cottbus (53 F 51/06) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Kläger nicht verpflichtet sind, ab Januar 2006 an die Beklagte Unterhalt für ihre Tochter C... J... in Höhe von weiteren 20,00 € monatlich zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird sowohl für das Berufungsverfahren wie auch in Abänderung der amtsgerichtlichen Streitwertfestsetzung in der angegriffenen Entscheidung für das Verfahren I. Instanz auf 880,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger sind die Eltern der am 21. April 1970 geborenen C... J..., die in einer Behinderten-Wohnstätte in P... lebt. Sie arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen und erhält für diese Tätigkeit ein geringes Einkommen in Höhe von etwas über 100,00 € netto monatlich. Darüber hinaus bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von etwas über 200,00 € monatlich. Ferner werden ihr von der Beklagten als Sozialhilfeträgerin, die auch die Kosten der Heimunterbringung trägt, verschiedene Sozialleistungen gewährt.

Mit Rechtswahrungsanzeige vom 8. Dezember 2004 hat die Beklagte die Unterhaltsansprüche von C...J... gegen die Kläger nach § 94 SGB XII auf sich übergeleitet und von den Eltern nach § 94 Abs. 2 SGB XII sowohl die Pauschale in Höhe von 26,00 € monatlich für Leistungen nach dem 6. und 7. Kapitel SGB XII wie auch von 20,00 € monatlich für Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII begehrt. Die erstgenannte Pauschale entrichten die Kläger regelmäßig, die weitergehende Forderung für Leistungen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt stellen sie in Abrede. Mit Schreiben vom 9. Februar 2006 hat die Beklagte diese Forderung ab Januar 2006 bei den Klägern angemahnt.

Die Kläger haben behauptet, ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer behinderten, volljährigen Tochter in vollem Umfang zu genügen, in dem sie für die dieser gewährten Leistungen nach dem 6. und 7. Kapitel SGB XII (Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und Hilfe zur Pflege) die hierfür nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vorgesehene Pauschale von 26,00 € monatlich zahlten. Für Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) bestehe angesichts der eigenen Einkünfte kein Bedarf der Tochter. Der an diese ausgekehrte weitere notwendige Lebensunterhalt nach § 35 Abs. 2 SGB XII (insbesondere für Kleidung und Taschengeld) sei durch die ihr gewährte Grundsicherung nach § 42 SGB XII und damit nach dem 4. Kapitel SGB XII abgedeckt.

Die Kläger haben beantragt,

festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, [ weiteren - Ergänzung durch den Senat ] Unterhalt in Höhe von monatlich 20,00 € ab Januar 2006 an die Beklagte zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, der von ihr nach § 35 Abs. 2 SGB XII geleistete Barunterhalt für C... J... sei weder von der Grundsicherung im Sinne des 4. Kapitels SGB XII noch durch das eigene Einkommen der Leistungsbezieherin abgedeckt.

Mit am 30. April 2008 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht - Familiengericht - Cottbus die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, da die Beklagte C... J... den Barbetrag als weiteren notwendigen Lebensunterhalt nach § 35 Abs. 2 SGB XII für ihre den Eingliederungshilfebedarf übersteigenden persönlichen Bedürfnisse gewähre, seien die unterhaltsverpflichteten Eltern zum Ausgleich beider Pauschalen des § 94 Abs. 2 SGB XII, also zur Zahlung von insgesamt 46,00 € monatlich, verpflichtet.

Gegen diese ihnen am 5. Mai 2008 zugestellte Entscheidung haben die Kläger mit Schriftsatz vom 2. Juni 2008 - eingegangen am selben Tage - Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 2. Juli 2008, eingegangen am Folgetag, begründet.

Sie vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und rügen insbesondere, dass das Amtsgericht die unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit der Tochter nicht hinreichend geprüft habe. Ein Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger könne jedoch nur insoweit erfolgen, als ein zivilrechtlicher Bedarf zu bejahen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Aus der beklagtenseits vorgelegten Berechnung für den Monat Januar 2006 ergäbe sich, dass die Einkünfte der Tochter nur mit rd. 30,00 € in Ansatz gebracht worden seien, obwohl tatsächlich ein höherer Betrag durch sie erwirtschaftet werde, mit dem sie den weiteren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten könne.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung festzustellen, dass sie ab Januar 2006 nicht verpflichtet sind, an die Beklagte Unterhalt für ihre Tochter C... J... in Höhe von weiteren 20,00 € monatlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Gewährung von Leistungen nach § 35 Abs. 2 SGB XII, die Hilfe zum Lebensunterhalt darstelle, den Rückgriff auf die unterhaltspflichtigen Eltern rechtfertige.

Der Senat hat mit Verfügung vom 28. Januar 2009 darauf hingewiesen, dass auch im Falle einer negativen Feststellungsklage der Unterhaltsschuldner, wie vorliegend, die Darlegungs- und Beweislast bei derjenigen Partei liegt, die sich (aus übergegangenem Recht) eines Unterhaltsanspruches berühmt. Hinsichtlich des Umfanges dieser Darlegungslast wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass insoweit eine Darstellung des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs der Unterhaltsberechtigten unter Berücksichtigung ihrer die gewährten Sozialleistungen beinhaltenden eigenen Einkünfte aufgegliedert nach Zeiträumen ebenso erforderlich ist wie ein detaillierter Nachweis der einzelnen gewährten Sozialleistungen durch Vorlage der entsprechenden Bewilligungsbescheide.

Mit Zustimmung der Beklagten vom 29. April 2009 und der Kläger vom 22. Mai 2009 wurde der Rechtsstreit aufgrund des Senatsbeschlusses vom 26. Mai 2009 nach § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren fortgesetzt, wobei den Parteien eine Frist zur Einreichung von Schriftsätzen bis zum 26. Juni 2009 gewährt wurde. Hiervon hat lediglich die Klägerseite Gebrauch gemacht.

II.

Die Berufung der Kläger ist nach § 511 ZPO statthaft; insbesondere wird die Mindestbeschwer des § 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO überschritten, weil insoweit gem. § 9 ZPO der 31/2-fache Jahreswert der wiederkehrenden Leistungen maßgeblich ist. Im Übrigen ist das Rechtsmittel form- und fristgerecht im Sinne der §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden und demzufolge zulässig.

Die Berufung führt in der Sache auch zum Erfolg. Der Beklagten steht aus übergegangenem Recht ein Anspruch auf Unterhalt der behinderten, volljährige Tochter der Kläger nach §§ 1601 ff. BGB in Verbindung mit § 94 SGB XII nicht zu.

Rechtsirrig hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung das negative Feststellungsbegehren der klagenden Eltern zurückgewiesen. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat einen auf sie nach § 94 SGB XII übergegangen Unterhaltsanspruch C... J... gegenüber ihren Eltern nicht schlüssig dargetan.

Ein Feststellungsinteresse der Kläger im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO steht außer Frage; diese haben ein rechtliches Interesse daran, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Durch die jedenfalls mit Schreiben vom 9. Februar 2006 geltend gemachte Forderung der Beklagten droht dem Recht der Kläger eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit, die durch die erstrebte gerichtliche Entscheidung zu beseitigen ist.

Ein auf die Beklagte übergegangener Anspruch auf Verwandtenunterhalt gegenüber den Klägern, deren Unterhaltspflicht gegenüber ihrer Tochter dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht im Streit ist, ist nicht festzustellen, denn ein solcher Übergang setzt voraus, dass durch die öffentliche Hilfe nicht nur der Bedarf im Sinne des Sozialhilferechts gedeckt wird, sondern dass überhaupt ein vom Leistungsträger zu deckender zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch besteht. Der sozialhilferechtliche Anspruch begrenzt den Anspruchsübergang dagegen lediglich in der Höhe, was darauf zurückzuführen ist, dass Sozialhilfe und bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht unterschiedliche Ausgangspunkte haben und erstere teilweise weitere Wirkung entfaltet als das Unterhaltsrecht (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl., 2006, § 94 SGB XII, Rn. 43 m.w.N.).

Im vorliegend zu beurteilenden Fall hat die Beklagte indes nicht einmal den unterhaltsrechtlichen Bedarf der Tochter der Kläger nachvollziehbar und bezogen auf den Verlauf des streitgegenständlichen Zeitraums dargelegt. Zwar richtet sich dieser Bedarf eines in einer stationären Einrichtung untergebrachten Unterhaltsberechtigten grundsätzlich nach den durch die Heimunterbringung anfallenden Kosten zzgl. eines angemessenen Barbetrages zur persönlichen Verfügung (vgl. BGH, FamRZ 1986, 48; BGH, FamRZ 2004, 1370; OLG Oldenburg, FamRZ 1996, 625), doch erscheint bereits fraglich, ob die seitens der Beklagten an den Heimträger erbrachten Leistungen, die neben einem Betreuungssatz zwei weitere Kostenpauschalen (KDU und Investitionsbetrag) umfassen, in vollem Umfang einen Unterhaltsbedarf der Betreuten darstellen.

Jedenfalls fehlt es an einer schlüssigen Darlegung des den Unterhaltsbedarf teilweise deckenden eigenen Einkommens der Leistungsberechtigten. Denn insoweit hat die Beklagte das aus ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente, dem Entgelt für ihre Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen und der ihr gewährten Eingliederungshilfe sowie den Grundsicherungsleistungen zusammengesetzte eigene Einkommen der Hilfebedürftigen lediglich nach den im Sozialhilferecht geltenden Anrechnungssätzen - und damit gerade nicht in vollem Umfang - berücksichtigt. Diese sozialhilferechtliche Berechnungsweise ist jedoch unterhaltsrechtlich nicht maßgebend (siehe BGH, FamRZ 2004, 1370). Damit hat die Beklagte aber der ihr obliegende Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs (vgl. im Einzelnen: Münder in LPK-SGB XII, 8. Aufl., 2008, § 94, Rn. 89 ff.) nicht genügt. Gleiches gilt im Hinblick auf die Durchführung der erforderlichen Vergleichsberechnung für den Umfang der von der Beklagten erbrachten Sozialhilfeleistungen, zu denen - offenbar in wechselnder Höhe gewährt - trotz des ausdrücklichen Hinweises des Senats die Vorlage der entsprechenden Bewilligungsbescheide nicht erfolgt ist.

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der für C... J... nach § 35 SGB XII erbrachte weitere notwendige Lebensunterhalt seiner Rechtsnatur nach "Hilfe zum Lebensunterhalt" im Sinne des 3. Kapitels SGB XII darstellt, worauf sich die Beklagte beruft und wofür der Wortlaut des § 35 SGB XII spricht, oder aber nach § 42 SGB XII der Grundsicherung und damit dem 4. Kapitel, auf das sich die Überleitung der Ansprüche nach § 94 SGB XII nicht bezieht, zuzurechnen ist, wie die Kläger meinen.

Da es also - wie sich aus dem vorstehenden Überlegungen ergibt - an einer schlüssigen Darlegung eines Unterhaltsanspruchs aus übergegangenem Recht fehlt, war dem Feststellungsbegehren der klagenden Eltern stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, die Streitwertfestsetzung für die Gebühren auf § 42 Abs. 1 und 5 GKG.

Ende der Entscheidung

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