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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 9 UF 88/08
Rechtsgebiete: VAÜG, FGG, ZPO, VAHRG


Vorschriften:

VAÜG § 2 Abs. 1 Nr. 1
VAÜG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b
VAÜG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
VAÜG § 2 Abs. 1 Satz 2
FGG § 19
ZPO § 148
ZPO § 621e
VAHRG § 10a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 6. Juni 2008 sowie die Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 13. November 2007 (dort Ziffer II. des Tenors) werden aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Durchführung und Entscheidung über den Versorgungsausgleich an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

2. Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 ? festgesetzt.

3. Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... in B. zu den Bedingungen einer im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts niedergelassen Rechtsanwältin bewilligt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Parteien haben am 1. Dezember 1978 die Ehe geschlossen (Bl. 6 d.A.). Der Scheidungsantrag ist dem Antragsgegner unter dem 10. Oktober 2006 zugestellt worden (Bl. 10 d.A.).

In der Zeit vom 1. Dezember 1978 bis 30. September 2006 haben die Parteien Rentenanwartschaften erworben. Nach Auskunft der Beteiligten zu 2. vom 3. Januar 2007 (Bl. 56 d.A.) hat die Antragstellerin in dieser Zeit in der gesetzlichen Rentenversicherung angleichungsdynamische Anwartschaften von monatlich 933,47 ? erworben. Der Antragsgegner hat nach der Auskunft der Beteiligten zu 1. vom 11. Dezember 2006 (Bl. 29 d.A.) in dieser Zeit in der gesetzlichen Rentenversicherung monatliche nichtangleichungsdynamische Anwartschaften von 49,32 ? und monatliche angleichungsdynamische Anwartschaften von 581,63 ? erworben.

Darüber hinaus hat die am 8. April 1953 geborene Antragstellerin betriebliche Altersversorgungen in der Zeit von Dezember 1978 bis September 2006 erworben. Nach der Auskunft der Beteiligten zu 3. vom 11. Januar 2007 (Bl. 71 d.A.) betrug die Anwartschaft auf eine Betriebsrente monatlich 131,80 ?.

Der Antragsgegner bezieht auf Grund einer Krebserkrankung seit Oktober 2006 eine Rente wegen Erwerbsminderung, die befristet und seither mehrfach verlängert worden ist.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 13. November 2007 ist die Ehe der Parteien durch das Amtsgericht Oranienburg (Az. 31 F 127/06, Bl. 146 d.A.) geschieden worden. Das Amtsgericht hat zugleich den Versorgungsausgleich ausgesetzt und dies darauf gestützt, dass allein der Antragsgegner eine nichtangleichungsdynamische Anwartschaft erworben habe und daher die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VAÜG nicht vorlägen.

Mit Antrag vom 14. November 2007, eingegangen beim Amtsgericht am Folgetag (Bl. 151 d.A.), hat der Antragsgegner die Durchführung des Versorgungsausgleiches begehrt. Zur Begründung hat er auf seine Erkrankung und den Bezug der Rente hingewiesen.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2008 (Bl. 208 d.A.) hat das Amtsgericht den Antrag des Antragsgegners zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Fall der Wiederaufnahme des ausgesetzten Versorgungsausgleiches liege nicht vor; insbesondere der Rentenbezug des Antragsgegners ändere daran nichts, da dieser die Rente lediglich befristet erhalte.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 22. Juli 2008 durch den Antragsgegner eingelegte Beschwerde (Bl. 236 d.A.), mit der er weiterhin die Durchführung des Versorgungsausgleiches begehrt.

II.

1. Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig.

Sie ist statthaft und zulässig als einfache Beschwerde gemäß § 19 FGG. Insbesondere ist nicht die befristete Beschwerde gemäß § 621e ZPO das statthafte Rechtsmittel. Eine befristete Beschwerde wäre allein gegen eine zum Versorgungsausgleich getroffene Endentscheidung statthaft. Hier hat das Amtsgericht jedoch den Antrag des Antragsgegners auf Durchführung des Versorgungsausgleiches zurückgewiesen. Dabei handelt es sich nicht um eine Endentscheidung, da das Amtsgericht erkennbar von der fortbestehenden Aussetzung des Versorgungsausgleiches nach dem VAÜG (§ 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG) ausging.

Unabhängig davon ist hier zudem eine einfache Beschwerde gemäß § 19 FGG gegen die im amtsgerichtlichen Urteil getroffene Entscheidung zum Versorgungsausgleich darüber, diesen auszusetzen, eingelegt worden. Gegen den Aussetzungsbeschluss ist die einfache, fristlose Beschwerde nach § 19 FGG statthaft (HK-FamR/Götsche, 2008, § 2 VAÜG, Rn. 14 m.N. in Fußnote 29). Dass sich der Antragsgegner trotz der in der Beschwerdeschrift gewählten Formulierung, den Versorgungsausgleich durchzuführen, letztendlich gegen die Aussetzungsentscheidung wendet, folgt schon aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe: So ist das amtsgerichtliche Urteil am 13. November 2007 verkündet worden, der Antrag auf Durchführung aber bereits am 15. November 2007 und damit sogar vor Zustellung des Urteils beim Amtsgericht eingegangen.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen (Aussetzungsentscheidung gemäß Ziffer II. des am 13. November 2007 verkündeten Urteils bzw. des Beschlusses vom 6. Juni 2008). Die getroffene Aussetzung des Versorgungsausgleiches stellt sich als fehlerhaft dar; in diesem Falle ist der angefochtene Beschluss über die Aussetzung durch das OLG aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen (HK-FamR/Götsche, a.a.O. m.N. in Fußnote 31).

a. Die Fehlerhaftigkeit der Aussetzung folgt aus dem Umstand, dass das Amtsgericht bei Erlass der Aussetzungsentscheidung erkennbar die bei der Beteiligten zu 3. bestehenden Anwartschaften der Antragstellerin auf eine betriebliche Altersvorsorge übersehen hat. Bei diesem Versorgungsrecht handelt es sich um eine teildynamische Anwartschaft, da diese im Anwartschaftsstadium statisch und im Leistungsstadium als dynamisch anzusehen ist (vgl. bereits BGH FamRZ 2004, 1474 ff.; Brandenburgisches OLG FamRZ 2005, 37). Demzufolge ist diese Versorgung in ein Anrecht der gesetzlichen Rentenversicherung umzuwerten; insoweit ergibt sich eine fiktive nichtangleichungsdynamische Anwartschaft von 73,77 ?, auf die zutreffenden Berechnungen der Beteiligten zu 3. in ihrem Schreiben vom 23. Februar 2008 (Bl. 179 d.A.) kann Bezug genommen werden.

Derzeit stellt sich die Ausgleichsbilanz also wie folgt dar:

 AntragstellerinAntragsgegner
1. Angleichungsdynamische Rechte  
gesetzliche Rentenversicherung/Ost933,47 ?581,63 ?
Summe933,47 ?581,63 ?
Differenz351,84 ? 
Hälfte = Ausgleichsbetrag175,92 ? 
   
2. Nichtangleichungsdynamische Anrechte  
gesetzliche Rentenversicherung/West - ?49,32 ?
Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes73,77 ? - ?
Summe73,77 ?49,32 ?
Differenz24,45 ? 
Hälfte = Ausgleichsbetrag12,23 ?

Der Versorgungsausgleich ist damit gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b VAÜG durchzuführen, ein Aussetzungsfall gem. § 2 Abs. 1 Satz ist nicht gegeben.

b. Der entsprechenden Berechnung und Umwertung steht auch nicht entgegen, dass wegen der so genannten Startgutschriftenproblematik (allg. dazu BGH, FamRZ 2008, 395 ff.) die bei der Beteiligten zu 3. bestehenden Versorgungsrechte der Antragstellerin ihrer Höhe nach derzeit nicht abschließend bestimmt werden können. Zwar führt dies im Regelfall dazu, dass der Versorgungsausgleich zunächst analog § 148 ZPO auszusetzen ist (vgl. Brandenburgisches OLG NJ 2008, 373). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass der offenbar ausgleichsberechtigte Antragsgegner bereits eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezieht.

Bezieht ein Ehegatte bereits Rente, ist der Versorgungsausgleich durchzuführen, auch wenn die Anwartschaften eines Ehegatten bei einer Zusatzversorgungskasse wegen der so genannten Startgutschriftenproblematik nicht abschließend festgestellt werden können. In diesem Falle ist für die Durchführung des Versorgungsausgleiches die nach derzeitigem Stand feststellbare Versorgungsanwartschaft bei der jeweiligen Zusatzversorgungskasse zu Grunde zu legen (OLG Nürnberg OLGR 2008, 373). Das Absehen von der Aussetzung beruht auf der Überlegung, dass anderenfalls die ausgleichsberechtigte und bereits eine Rente beziehende Partei durch die derzeitige Verfassungswidrigkeit unbillig benachteiligt würde. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass aller Voraussicht nach die gebotene Neuregelung der Satzung der Zusatzversorgungskassen zu keiner geringeren Startgutschrift als derzeit mitgeteilt führen wird. Soweit nach einer Neuregelung der Satzung eine Änderung in dem Wert der Zusatzversorgung, der für den Versorgungsausgleich zu Grunde zu legen ist, erfolgt, sind die Parteien ausreichend durch die Abänderungsmöglichkeit nach § 10a VAHRG geschützt. Dass die Abänderung möglicherweise fehlschlägt, weil die dafür geforderten Mindestwerte nicht erreicht werden, ist aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit hinzunehmen.

c. Zuletzt steht diesen Überlegungen auch nicht die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. März 2007 (9 UF 85/06) entgegen. Soweit insoweit insbesondere die Antragstellerin auf diese Entscheidung verwiesen und diese dafür herangezogen hat, dass ein so genannter Leistungsfall gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VAÜG nicht vorliege, ist dem nicht zu folgen.

aa. Dies folgt schon daraus, dass es hier gar nicht um den so genannten Leistungsfall nach dem VAÜG geht. Einschlägig ist hier § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b VAÜG, da sowohl bei den angleichungsdynamischen als auch bei den nichtangleichungsdynamischen Anrechten die Antragsstellerin über die höheren Anrechte verfügt (vgl. die dargestellte Ausgleichsbilanz). Eine Aussetzung nach dem § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ist nicht gerechtfertigt, vielmehr würde sie hier auf § 148 ZPO - der aber nicht einschlägig ist, vgl. zuvor - beruhen. Damit aber stellt sich die Frage eines so genannten Leistungsfalls nicht.

bb. Unabhängig davon ist die Entscheidung des Brandenburgischen OLG auch aus allgemeinen Erwägungen für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Soweit der Senat darin ausgeführt hat, dass mit einer Entziehung der Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei und dementsprechend die Anwartschaften aus der Rente nicht zu Grunde zu legen sind, betrifft dies bereits die Wertermittlung der Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung (und nicht den so genannten Leistungsfall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG).

Dafür ist zu berücksichtigen, dass für die Bemessung des Ehezeitanteils von Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich auf die fiktive Vollrente wegen Alters abzustellen ist. Bezieht ein Ehegatte am Ende der Ehezeit bereits eine Rente wegen Erwerbsminderung, stellt sich dann die Frage, ob für die Berechnung des Ehezeitanteils von diesem tatsächlichen Rentenbezug oder von der fiktiv zu ermittelnden Altersrente auszugehen ist. Hierfür kommt es darauf an, ob nach aktuellem Stand mit einem Entzug der Rente wegen Erwerbsminderung noch zu rechnen ist. Ist ausnahmsweise mit einem Entzug nicht mehr zu rechnen, so ist ein Vergleich zwischen den auf die Rente wegen Erwerbsminderung und auf die fiktive Altersrente erworbenen Anwartschaften erforderlich (zur Vorgehensweise vgl. Brandenburgisches OLG FPR 2002, 311). Ist dies dagegen nicht der Fall (wovon regelmäßig auszugehen ist, vgl. AnwK-Hauß, 2005, § 1587a BGB Rn. 112), kann also nicht von einem dauerhaften Bezug der Rente wegen Erwerbsminderung ausgegangen werden, so ist allein auf die fiktive Altersrente abzustellen. Nur diese Frage betraf die zitierte Entscheidung des Senats; mit der Problematik der Dauerhaftigkeit eines Leistungsbezugs gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG - auf die es im hiesigen Fall auch gar nicht ankommt, vgl. zuvor - hat sich der Senat nicht befasst.

Vorsorglich sei aber in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Senat nochmals hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des Rentenbezugs bei der Beteiligten zu 1. nachgefragt hat. Mit Schreiben vom 10. September 2008 (Bl. 249 d.A.) hat die Beteiligte zu 2. daraufhin erklärt, dass ein Wegfall der gezahlten Rente weiterhin nicht unwahrscheinlich erscheint. Demgemäß ist nach den vorangestellten Ausführungen von der fiktiven Vollrente wegen Alters und dem entsprechenden Ehezeitanteil auszugehen. Die Berechnungen der Beteiligten zu 1. vom 11. Dezember 2006 (Bl. 29 d.A.) beruhen aber gerade auf der fiktiven Vollrente wegen Alters und sind daher auch weiterhin der Berechnung des Versorgungsausgleichs zu Grunde zu legen.

Ende der Entscheidung

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