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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 01.02.2008
Aktenzeichen: 9 WF 362/07
Rechtsgebiete: RpflG, ZPO


Vorschriften:

RpflG § 11 Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 2
ZPO § 124 Nr. 2
ZPO § 124 Nr. 2, 2. Alternative
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 172 Abs. 1
ZPO § 329 Abs. 2
ZPO §§ 569 ff
ZPO § 571 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 362/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Richterin am Oberlandesgericht Gieseke als Einzelrichterin

am 1. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 19. April 2007 - Az. 33 F 283/04 (PKH) - aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

1.

Dem Beklagten war mit Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 5. Juli 2005 ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Vaterschaftsfeststellungsklage nebst Unterhaltsklage bewilligt worden. Er wurde im Hauptsacheverfahren und im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Rechtsanwältin G... (geborene K...) aus S... vertreten, die ihm durch den vorgenannten Beschluss beigeordnet wurde.

Das Hauptsacheverfahren wurde durch Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 5. Juli 2005 beendet.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 forderte das Amtsgericht den Beklagten auf, sich über seine aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erklären und die Angaben durch geeignete Belege glaubhaft zu machen. Ein Zugangsnachweis für dieses - nach Ermittlung der neuen B... Anschrift des Beklagten unter dem 17. Januar 2007 erneut abverfügte - Schreiben fehlt; die genannte Verfügung ist auch nicht mit einem Erledigungsvermerk versehen. Mit weiterer Verfügung vom 9. März 2007 ließ die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Oranienburg dem Beklagten eine erneute Aufforderung zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Fristsetzung von zwei Wochen und verbunden mit dem Hinweis, dass bei Fristablauf die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden könne, zustellen. Ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 28 des PKH-Beiheftes ist dem Beklagten das Schreiben des Gerichts neben dem amtlichen Formular zur "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" am 16. März 2007 durch Einlegung in den Briefkasten - wirksam - zugestellt worden. Nachdem kein Eingang zu verzeichnen war, erließ die Rechtspflegerin unter dem 19. April 2007 einen Beschluss, mit dem die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für den Beklagten aufgehoben wurde, weil er trotz Erinnerung keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben habe. Dieser Beschluss wurde dem Beklagten persönlich am 18. Mai 2007 förmlich zugestellt und Frau Rechtsanwältin G... formlos zur Kenntnis gebracht.

Mit einem am 4. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz legte der Beklagte, vertreten durch Rechtsanwältin G..., sofortige Beschwerde ein, der eine mit weiteren Belegen versehene Formularerklärung zu den aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beklagten beigefügt war.

Der Beklagte hat mit weiterem Schriftsatz vom 6. November 2007 als Gründe für die Nichtbeantwortung der gerichtlichen Schreiben einen Trauerfall in der Familie und den Umstand angeführt, dass seine Haustiere die Post nebst anderen Sachen in einem Versteck gehortet hätten, das vom Beklagten zu spät aufgefunden worden sei.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. November 2007 unter Verweis auf die Rechtsprechung auch und gerade des erkennenden Senates zu den Folgen einer schuldhaften Versäumnis der Erklärungspflicht nicht abgeholfen.

Der Beklagte ist den Gründen dieses Beschlusses mit weiterem Schriftsatz vom 10. Dezember 2007 mit näherer Darlegung entgegen getreten.

2.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß § 11 Abs. 2 RpflG in Verbindung mit § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft; sie ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ff ZPO eingelegt worden und daher insgesamt zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 120 Abs. 4 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine Änderung zum Nachteil der Partei ist ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind. Gemäß § 124 Nr. 2, 2. Alternative ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat.

Im vorliegenden Fall hat das Gericht innerhalb der 4-Jahres-Frist nach Beendigung des Verfahrens durch das Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 5. Juli 2005 mit dem Schreiben vom 18. Dezember 2006 zwar eine mit Fristsetzung versehene Aufforderung an den Beklagten veranlasst. Diese Aufforderung genügt den Voraussetzungen für ein "Verlangen des Gerichts" des im Sinne von § 120 Abs. 4 ZPO nicht. Da die Aufforderung eine Fristbestimmung beinhaltet, bedarf sie gemäß § 329 Abs. 2 ZPO der förmlichen Zustellung. Das erste Aufforderungsschreiben vom 18. Dezember 2006 ist dem Beklagten nicht förmlich zugestellt worden, so dass schon dessen Zugang nicht sicher festgestellt werden kann. Das weitere Aufforderungsschreiben des Amtsgerichts ist zwar förmlich zugestellt worden, allerdings dem Beklagten persönlich. Der Beklagte rügt allerdings mit Recht diese Zustellung allein an die Partei persönlich als nicht ausreichend. Der Senat hat sich - erstmals mit Beschluss vom 9. Januar 2008, Az. 9 WF 353/07 - unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. etwa den auch im Nichtabhilfebeschluss zitierten Beschluss vom 3. März 2004, Az. 9 WF 49/04, abgedruckt in FamRZ 2005, 47) der inzwischen auch vom 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vertretenen Auffassung angeschlossen, wonach eine Zustellung an den früheren Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hat (Beschluss vom 27. März 2007, Az. 10 WF 187/07; ebenso BAG, Beschluss vom 19. Juli 2006, Az. 3 AZB 18/06, zitiert nach juris; a. A. OLG München FamRZ 1993, 580; OLG Koblenz FamRZ 2005, 531; Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 120 Rdnr. 28). Nach § 172 Abs. 1 ZPO ist die Zustellung an den "für den Rechtszug bestellten" Prozessbevollmächtigten vorzunehmen. Ob der Prozessbevollmächtigte des Hauptverfahrens zugleich auch stets für das Prozesskostenhilfeverfahren bevollmächtigt ist (was im Fall erfolgter Beiordnung regelmäßig der Fall sein dürfte), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Hat ein Rechtsanwalt - wie hier - den durch den Prozesskostenhilfebeschluss Begünstigten bereits im Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertreten, so ist er für dieses Verfahren jedenfalls bevollmächtigt. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass zu einem anhängigen Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren auch das sich gegebenenfalls erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren gehört und beide als im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO zum selben Rechtszug gehörig anzusehen sind (vgl. im Einzelnen: Beschluss des erkennenden Senates vom 9. Januar 2008, Az. 9 WF 353/07).

Da eine förmliche Zustellung der Erklärungsaufforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO an die Prozessbevollmächtigte des Beklagten fehlt und der Zustellungsmangel erst durch Übersendung des Beschlusses vom 3. September 2007 geheilt worden ist, war die innerhalb der Beschwerdefrist eingegangene neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die auch mit geeigneten und insgesamt hinreichend aussagekräftigen Belegen versehen war, rechtzeitig. Danach ist erkennbar, dass sich die Verhältnisse des Beklagten zwar zwischenzeitlich geändert haben, weil er seit September 2006 einer 3 1/2-jährigen Berufsausbildung nachgeht. Er ist gleichwohl nach wie vor nicht in der Lage, die entstandenen Prozesskosten auch nur teilweise bzw. in Raten zu tragen. Im Hinblick auf die als rechtzeitig anzusehende Abgabe der Erklärung nach § 120 Abs. 4 ZPO war eine Aufhebung des Bewilligungsbeschlusses nicht zulässig.

Die Aufhebung wäre aber auch dann unzulässig gewesen, wenn die Aufforderung mit Fristsetzung dem Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten vor Erlass des Aufhebungsbeschlusses ordnungsgemäß zugestellt worden wäre. Denn die im Beschwerdeverfahren nachgereichte Erklärung, aus der sich ergibt, dass keine die Prozesskostenhilfebewilligung berührenden Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten sind, hätte auch dann Berücksichtigung finden müssen, wenn für die verspätete Abgabe der Erklärung keine nachvollziehbare Entschuldigung vorgebracht wird.

Mit Recht hat zwar das Amtsgericht darauf verwiesen, dass § 124 Nr. 2 ZPO Sanktionscharakter hat. Nach allgemeinen Grundsätzen des Beschwerdeverfahrens ist es der Partei jedoch nicht verwehrt, in zweiter Instanz Tatsachen vorzubringen, auf die sie sich zuvor nicht berufen hatte. Weder handelt es sich bei der gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzten Frist um eine Ausschlussfrist noch werden die allgemeinen Grundsätze des Beschwerdeverfahrens, insbesondere § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO, dadurch eingeschränkt, dass es sich um ein Justizverwaltungsverfahren handelt, welches die Sanktionierung nachlässigen Verhaltens durch Aufhebung einer früheren Bewilligung ermöglicht. Die Beschwerde kann nach allgemeinen Grundsätzen auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. "Neu" sind Tatsachen nicht nur, wenn sie erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entstanden sind, sondern wenn sie erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, a.a.O., § 531 Rdnr. 22; Baumbach, ZPO, 66. Aufl., § 531 Rdnr. 12; BGH NJW 1989, 718; NJW 1998, 2977). Es entspricht deshalb der inzwischen überwiegenden Ansicht, dass die Nachholung der zunächst versäumten Erklärung in zweiter Instanz auch dann zu berücksichtigen ist, wenn für deren vorläufiges Ausbleiben keine Entschuldigung vorgebracht wird (Baumbach, a.a.O., § 120 Rdnr. 29 anders aber wohl: § 124 Rdnr. 39; Zöller, a.a.O, § 124 Rdnr. 10 a; MüKo-Motzer, ZPO, 3. Auflage, § 124 Rdnr. 12; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 2. Auflage, § 124 Rdnr. 16; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Senat für Familiensachen, FamRZ 1996, 806; OLG-NL 2005, 208).

Der Senat, der früher teilweise eine abweichende Auffassung vertreten hat (etwa: FamRZ 2005, 47), hält nicht mehr daran fest, dass der Sanktionscharakter des § 124 Nr. 2 ZPO es gebietet, nachgereichte Erklärungen nur bei hinreichender Entschuldigung zu berücksichtigen. Denn der unzweifelhaft vorhandene Sanktionscharakter der Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf die Nichtabgabe einer Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO und nicht auf die Nichteinhaltung einer gesetzten Erklärungsfrist. Für eine vom allgemeinen Beschwerderecht abweichende Sanktionierung schon der nicht hinreichend entschuldigten Versäumung der Erklärungsfrist wäre aber eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Die Aufhebung der Bewilligung wäre im vorliegenden Fall ausschließlich auf die Nichteinhaltung einer Erklärungsfrist gestützt. Da die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung eine kostenrechtliche Maßnahme und keine Strafe darstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Fristversäumung zur Aufhebung führen soll.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war ungeachtet etwa vorliegender Gründe nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht veranlasst, weil die im Ergebnis der hier getroffenen Entscheidung allein beschwerte Staatskasse nicht beschwerdebefugt ist (vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 127 Rdnr. 27; OLG Oldenburg FamRZ 2004, 170).

Ende der Entscheidung

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