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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: 9 WF 371/06
Rechtsgebiete: RVO, BGB, ZPO


Vorschriften:

RVO § 2
BGB §§ 1601 ff
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1612 b Abs. 5
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 323
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 653 Abs. 1
ZPO § 654 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 371/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 6. November 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 16. Oktober 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht Schollbach als Einzelrichter

am 13. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde wird die angefochtene Entscheidung teilweise abgeändert und dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Oranienburg vom 21. Juli 2003 (33 F 140/02) insoweit begehrt, als er ab Rechtshängigkeit der Klage nur noch einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 56,90 % des Regelbedarfs der jeweiligen Altersstufe gemäß § 2 Regelbetragsverordnung, vermindert um das nach § 1612 b Abs. 5 BGB anzurechnende Kindergeld, zu zahlen hat. Ihm wird Rechtsanwalt ... in S... zu den Bedingungen eines in O... ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 6. November 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 16. Oktober 2006 ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Notfrist von einem Monat gemäß §§ 569 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegt und begründet worden.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache teilweisen Erfolg.

Gemäß § 114 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die antragstellende Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet sowie nicht mutwillig erscheint. Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht ist nur dann gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für insoweit zutreffend oder es zumindest für vertretbar hält, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringt und dieses nicht aussichtslos erscheint. Es muss aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung zum Erfolg führen kann (vgl. nur Zöller/ Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 114 Rn. 19 m.w.N.).

Gemäß § 654 Abs. 1 ZPO kann ein im Verfahren nach § 653 Abs. 1 ZPO ergangener Unterhaltstitel abgeändert werden, ohne dass es auf eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne des § 323 ZPO ankommt. Jedoch kann eine Abänderung, soweit - wie hier - die Klage nicht binnen eines Monats nach Rechtskraft der Unterhaltsfestsetzung erhoben wird, lediglich für die Zeit nach Erhebung der Klage erfolgen, sodass bereits aus diesem Grund Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Abänderung ab September 2006 nicht bewilligt werden konnte.

Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber dem minderjährigen Beklagten ergibt sich aus den §§ 1601 ff BGB. Diese Unterhaltsverpflichtung entfällt nur, soweit der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtung außer Stande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB).

Die für einen Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten wird nicht allein durch das tatsächlich vorhandene Einkommen des Unterhaltsschuldners, sondern vielmehr auch durch seine Erwerbsfähigkeit bestimmt. Reichen seine tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft ihn unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, seine Arbeitsfähigkeit in bestmöglicher Weise einzusetzen und eine mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben (BGH FamRZ 1985, 158, 159; 1994, 372, 373; 1998, 357, 359).

Gegenüber minderjährigen Kindern erfährt diese Verpflichtung aufgrund der Vorschrift des § 1603 Abs. 2 BGB eine Verschärfung dahin, dass den Unterhaltspflichtigen eine noch erheblich gesteigerte Verpflichtung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft trifft (BVerfG FamRZ 2005, 1893; BGH FamRZ 2005, 608). Dies folgt aus der die Eltern treffenden rechtlichen und sittlichen Pflicht, ihre Kinder am Leben zu erhalten; diese Pflicht findet ihre Grenze allein in der Unmöglichkeit (RG JW 1903, 29, zitiert bei OLG Dresden OLG-Report 2005, 496). Für seine den Mindestunterhalt im Sinne eines Existenzminimums betreffende Leistungsunfähigkeit ist der Verpflichtete in vollem Umfange darlegungs- und beweisbelastet (BGH FamRZ 1996, 345, 346). Legt der Unterhaltsverpflichtete nicht dar, dieser Obliegenheit vollständig gerecht geworden zu sein, so muss er sich so behandeln lassen, als ob er über ein solch hohes Einkommen verfügt, welches ihm die Zahlung des Mindestunterhaltes ermöglicht (st. Rspr. des Senats, Brandenburgisches OLG FamRZ 2006, 1297; NJW-RR 2005, 949; FuR 2004, 38, 40; NJWE-FER 2001, 70 ff.; s. auch JAmt 2004, 502; FamRB 2004, 216, 217).

Ein gemäß § 1603 Abs. 2 BGB verschärft haftender Unterhaltspflichtiger hat sich intensiv, d.h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Mindestunterhaltes sicherstellendes Einkommen zu erzielen. Bei eigener Arbeitslosigkeit hat sich der Pflichtige durch intensive Suche um eine Erwerbsstelle zu bemühen; bei Arbeitsstellen mit geringeren Einkommen ist entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung zu suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen, etwa zusätzliche Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten (OLG Köln NJWE-FER 1999, 84, 85). Dabei kommen für die Ausübung einer Nebentätigkeit auch Zeiten, die üblicherweise dem Freizeitbereich zuzuordnen sind, in Betracht (OLG Dresden OLG-Report 2005, 496). Die beruflichen Dispositionsmöglichkeiten treten dabei weitgehend hinter der Elternverantwortung zurück (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 29, 30), weshalb sich die Bemühungen um die (Wieder-) Erlangung einer Arbeit nicht auf den Bereich des erlernten Berufes oder der zuletzt ausgeübten Tätigkeit beschränken dürfen. Vielmehr ist dem Unterhaltspflichtigen grundsätzlich anzusinnen, sich jedenfalls nach einiger Zeit um jede Art von Tätigkeit, auch eine solche unterhalb seines Ausbildungsniveaus, zu bemühen. Hierzu zählen Arbeiten für ungelernte Kräfte ebenso wie Arbeiten zu ungünstigen Zeiten oder zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen (OLG Zweibrücken, a. a. O.).

Bestehen keine die Interessen des unterhaltsbedürftigen Kindes eindeutig überwiegenden Bindungen an den bisherigen Wohnort, so muss unter Inkaufnahme eines Wohnortwechsels gegebenenfalls im gesamten Bundesgebiet eine Arbeit übernommen werden, sofern in einem anderen Teil Deutschlands bessere bzw. höher dotierte Erwerbsmöglichkeiten bestehen und die Umzugskosten mit Rücksicht auf den erzielbaren Verdienst tragbar erscheinen. Hiernach sind die Erwerbsbemühungen, sofern sie im Bereich des näheren Wohnumfeldes keinerlei Erfolg hatten, jedenfalls nach einiger Zeit auf das großräumige Umfeld, das gesamte Bundesland und schließlich auch auf Erfolg versprechende Bereiche im übrigen Bundesgebiet zu erstrecken (OLG Köln, FamRZ 1997, 1105).

Für die Suche nach Arbeit selbst ist die Zeit aufzuwenden, die erforderlich ist, alle der nach Vorgesagtem in Betracht kommenden Stellen zu erfassen, sich darauf zu bewerben und Vorstellungsgespräche wahrzunehmen. Dies wird bei Arbeitslosen in aller Regel dem Zeitaufwand eines vollschichtig Erwerbstätigen entsprechen (OLG Köln NJWE-FER 1999, 84, 85; FamRZ 1997, 1104, 1105; OLG Hamm, FamRZ 1994, 115), wohingegen bei Erwerbstätigen geringere Anforderungen zu stellen sind.

Regelmäßige Meldungen beim Arbeitsamt und die Wahrnehmung sämtlicher von dort angebotenen Vermittlungen sind in diesem Zusammenhang selbstverständlich, indes für sich allein nicht ausreichend. Vielmehr ist auch bei einfachen Arbeitsplätzen die regelmäßige und kontinuierliche Auswertung der gesamten einschlägigen örtlichen wie gegebenenfalls auch überörtlichen Tages- und Wochenpresse erforderlich. Eigene Annoncen sind ebenso zu erwarten, wie "Blind-Bewerbungen" bei allen in Betracht kommenden Arbeitgebern. Bewerbungen sind auch bei einfachen Arbeitsplätzen grundsätzlich in schriftlicher Form abzufassen und so zu gestalten, dass sie geeignet erscheinen, den Adressaten von der Ernsthaftigkeit der Bewerbung und der Eignung des Bewerbers zu überzeugen. Bloße telefonische Bewerbungen sind demgegenüber auch bei einfachen Arbeitsplätzen in aller Regel nicht ausreichend, da bei der heutigen Arbeitsmarktlage davon ausgegangen werden muss, dass ein gewerblicher Arbeitgeber nur schriftliche Arbeitsgesuche in die engere Auswahl einbezieht.

Für die ordnungsgemäße Erfüllung sämtlicher der zuvor dargestellten Voraussetzungen ist der Unterhaltsverpflichtete darlegungs- und beweisbelastet. Dies gilt auch für die Richtigkeit der Behauptung fehlender realer Beschäftigungschancen (Brandenburgisches OLG JAmt 2004, 502, 503). Zweifel daran, dass bei angemessenen Bemühungen eine Beschäftigungschance von vornherein auszuschließen ist, gehen daher zu Lasten des Unterhaltsverpflichteten.

Um den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zu genügen, muss der Unterhaltsschuldner in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat und diese dokumentieren. Nicht ausreichend sind allgemeine Hinweise auf die schlechte Arbeitsmarktlage oder persönliche Umstände des Unterhaltspflichtigen, da ein Erfahrungssatz, dass wegen des Vorliegens insoweit ungünstiger Bedingungen ein Arbeitsplatz nicht gefunden werden kann, nicht existiert (Brandenburgisches OLG a.a.O.). Vielmehr kann das Bestehen einer Erwerbsmöglichkeit nur anhand konkreter Erwerbsbemühungen überprüft werden. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats führt dies dazu, dass der arbeitslose Unterhaltspflichtige das Absenden von mindestens 20 - 30 ernsthaften Bewerbungen im Monat substanziiert darzulegen hätte, um seiner gesteigerten Erwerbsverpflichtung nachzukommen.

Dieser Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich seiner Leistungsunfähigkeit genügt der Kläger nicht. Er geht vielmehr selbst davon aus, dass er die ihm obliegende Erwerbsverpflichtung verletzt hat.

Demzufolge ist dem Kläger daher ein zu erzielendes Einkommen zu fingieren. In ständiger Rechtsprechung des Senats ist dieses mangels anderweitiger Anhaltspunkte - wie bereits ausgeführt - in einer Höhe, die die Zahlung des Regelunterhalts ermöglicht, anzunehmen. Der das bloße Existenzminimum des minderjährigen Unterhaltsberechtigten abdeckende Regelunterhalt ist jedenfalls dann leistbar, wenn die Anzahl der Unterhaltsberechtigten nicht von den den Leitlinien der Oberlandesgerichte zu Grunde liegenden Unterhaltsverpflichtungen gegenüber zwei Kindern abweicht.

In diesem Zusammenhang verkennt der Senat keineswegs, dass Fallkonstellationen denkbar erscheinen, die die Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung eines notwendigen Selbstbehalts unter die Grenze sinken lassen, die die Zahlung des Regelunterhalts nicht mehr zulässt. Derartige Ausnahmefälle konkret darzutun, ist jedoch Aufgabe des Unterhaltsschuldners. Hierzu genügt es nicht, sich abstrakt darauf zu berufen, welche Löhne oder Gehälter in einzelnen Tätigkeitsbereichen gezahlt werden. Es bedarf vielmehr des einzelfallbezogenen substanziierten Vorbringens, dass den betroffenen Schuldner die Erzielung eines höheren Einkommens unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände nicht möglich ist. Dies hat der Kläger, abgesehen von der pauschalen Behauptung, dass er aufgrund seines Analphabetismus und einer fehlenden Fahrerlaubnis ein ausreichendes Einkommen nicht erzielen könne, unterlassen. Damit bleibt es aber dabei, ihm ein fiktives Einkommen zuzurechnen, das jedenfalls die Zahlung des Regelunterhalts für zwei minderjährige Kinder gestattet, da der Senat davon ausgeht, dass bei ausreichenden Bemühungen um Arbeit entsprechend den obigen Ausführungen eine solch hinreichend vergütete Tätigkeiten gefunden werden könnte.

Dies hat zur Folge, dass von einem verteilbaren Einkommen in Höhe von 497 € auszugehen ist, da dem Kläger ein Einkommen, welches die Zahlung der Regelbeträge für seine ältesten Kinder (269 € + 228 €) ermöglicht, zu fingieren ist.

Da der Kläger jedoch gegenüber insgesamt vier minderjährigen Kindern unterhaltsverpflichtet ist, führt dies zu folgender Mangelfallberechnung, wobei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2003, 363) als Einsatzbeträge 135 % des jeweiligen Regelbetrages in Ansatz gebracht worden sind:

254 € x 497 € : 1.180 € = 106,98 €

Dies entspricht einer Quote von 56,90 % (106,98 € x 100 % : 188 €).

Demzufolge hat das Amtsgericht zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vollständig versagt, sodass auf die sofortige Beschwerde die angefochtene Entscheidung teilweise abzuändern war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO, KV 1811.

Ende der Entscheidung

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