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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: Kart W 1/06
Rechtsgebiete: EnWG, ZPO, StromN, GKG


Vorschriften:

EnWG § 22 a Abs. 5
EnWG § 23 a
EnWG § 23 a Abs. 5
EnWG § 75
EnWG § 77 Abs. 3 Ziff. 2
EnWG § 77 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
EnWG § 77 Abs. 3 Satz 4
EnWG § 78 Abs. 3
EnWG § 118 Abs. 1 b
ZPO § 3
ZPO § 93
ZPO § 917
ZPO § 918
ZPO § 935
ZPO § 940
StromN § 32 Abs. 2
GKG § 50 Abs. 1 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

Kart W 1/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht 34 FFO-1/2006 Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg

in dem Beschwerdeverfahren

auf Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang gem. § 23 a EnWG an dem beteiligt sind: S... F... GmbH,

hat der Kartellsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. König sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Eberhard und Dr. Schwonke

am 16. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 52.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat als Stromübertragungsnetzbetreiberin im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes mit Antrag vom 28. Oktober 2005 um Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang nachgesucht.

Mit Bescheid vom 29.6.2006 hat die Antragsgegnerin gemäß § 23 a EnWG der Antragstellerin die bis zum 31.12.2007 befristete Genehmigung erteilt, die Entgelte für den Netzzugang Strom gemäß einem näher bezeichneten Preisblatt am 1.7.2006 zu erheben. Die Genehmigung wurde unter Auflagen erteilt. So sollten die seit dem 1.11.2005 erzielten "Mehrerlöse" kostenmindernd verrechnet werden, wobei zwei Verrechnungsvarianten angeboten wurden. Unter Mehrerlös sind diejenigen Entgelte zu verstehen, die sich aus der Differenz zwischen den bisher erhobenen Netzentgelten und den mit besagtem Bescheid genehmigten Netzentgelten für den Zeitraum zwischen 1.11.2005 (Antragstellung) und 30.6.2006 (Genehmigungserteilung) ergeben.

Hinsichtlich der Begründung der Auflagen der Mehrerlösverrechnung führte die Antragsgegnerin aus, die nach Eingang des Antrages der Antragstellerin auf Entgeltgenehmigung beim zuständigen Ministerium bis zum Genehmigungszeitpunkt bei den Netzbetreibern zu viel vereinnahmten Erlöse sollten nicht der Antragstellerin verbleiben. Auf Grund gesetzlicher Bestimmungen (§§ 32 Abs. 2 StromNEV i. V. m. § 118 Abs. 1 b EnWG) bestehe für Netzbetreiber spätestens seit Ablauf der Antragsschrift am 31.10.2005 die Verpflichtung, Netznutzungsentgelte ausschließlich kostenorientiert nach den neuen Spekulationsregeln zu ermitteln. Zwar dürften die Netzbetreiber nach den zitierten gesetzlichen Bestimmungen ihre bisherigen Entgelte nach dem 31.10.2005 bis zur Entscheidung der Regulierungsbeschwerde weiter erheben. Dem Gesetz sei jedoch nicht zu entnehmen - und dies könne auch nicht dem Willen des Gesetzgebers unterstellt werden -, dass den Netzbetreibern letztlich die Erlöse aus überhöhten Entgelten zu belassen seien.

Gegen diesen ihr am 30.6.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27.7.2006 bei Gericht eingegangene Beschwerde der Antragstellerin.

Mit der Beschwerde begehrt sie, die in dem Bescheid vom 29.6.2006 enthaltene Auflage hinsichtlich Mehrerlösverrechnung (Auflage Ziff. 2) aufzuheben.

Zugleich begehrt sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde betreffend die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Auflage Ziff. 2.

Vor Erteilung der Genehmigung hatte die Antragstellerin auf ein Schreiben der Antragsgegnerin dieser mit Schreiben vom 19.6.2006 mitgeteilt, sie wolle derjenigen Mehrerlösverrechnungsvariante den Vorzug geben, wonach eine Rückerstattung an die Netzkunden erfolgen solle. Die Rückzahlung der Mehrerlöse erfolge unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Entscheidung betreffend die Rechtmäßigkeit der Abschöpfung der Mehrerlöse.

Mit Änderungsbescheid vom 11. August 2006 hat die Antragsgegnerin die Auflage Ziff. 2 des Bescheides vom 29. Juni 2006 aufgehoben.

Die Antragstellerin hat daraufhin im Beschwerdeverfahren und auch im Verfahren betreffend die einstweilige Anordnung die Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Antragsgegnerin hat sich dieser Erledigungserklärung angeschlossen und sich gegen eine Kostenauferlegung verwehrt.

Dem Antrag betreffend aufschiebende Wirkung fehle die erforderliche Eilbedürftigkeit. Dieser Antrag sei erst vier Wochen nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Antragstellerin bei Gericht eingegangen. Zudem fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auf Seiten der Antragstellerin; diese habe sich mit Schreiben vom 19. Juni 2006 mit einer Mehrerlösverrechnung einverstanden erklärt.

Weiter meint die Antragsgegnerin, allein der zwischenzeitlich veröffentlichte Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Juli 2006 (Az: VI-3 Kart 289/06 (V)), nach dessen Bekanntwerden die Antragsgegnerin den Änderungsbescheid vom 11. August 2006 erlassen habe, begründe nicht ohne weiteres ernstliche Zweifel im Sinne von § 77 Abs. 3 Ziffer 2 EnWG an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses. Zwar sei der materiellrechtliche Kern des dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung unterbreitenden Sachverhaltes mit dem hier vorliegenden vergleichbar. Die angefochtenen Bescheide in den beiden Verfahren hätten jedoch einen unterschiedlichen Inhalt.

Die Antragstellerin hat erklärt, keinen Kostenantrag betreffend ihre außergerichtlichen Kosten stellen zu wollen.

II.

Nachdem beide Parteien das Beschwerdeverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist allein über die Tragung der Gerichtskosten zu entscheiden.

Die Gerichtskosten waren der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da dies der Billigkeit entspricht (§ 90 Satz 1 EnWG). Ohne übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien wäre die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren voraussichtlich unterlegen.

Gleiches folgt aus dem in § 93 ZPO enthaltenen Rechtsgedanken. Die Antragsgegnerin hat die mit der Beschwerde angegriffene Auflage Ziff. 2 in dem Beschluss vom 29.6.2006 durch einen Änderungsbescheid in Wegfall gebracht hat, nachdem sie zuvor der Antragtragstellerin Veranlassung zur Einleitung des Beschwerdeverfahrens gegeben hatte.

1.

Das von der Antragstellerin eingeleitete Anordnungsverfahren nach § 77 Abs. 3 Satz 4 EnWG ist lediglich ein Hilfsverfahren im Rahmen eines Beschwerderechtszuges. Durch dieses Anordnungsverfahren werden keine gesonderten Gerichtskosten ausgelöst. Gerichtskosten fallen allein durch die Einlegung der Beschwerde nach § 75 EnWG an.

Eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 29. Juli 2006, der Antragstellerin zugestellt am 30. Juni 2006, hat diese form- und fristgemäß eingelegt mit dem am 27. Juli 2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 26. Juli 2006 (§ 78 EnWG).

Der Schriftsatz der Antragstellerin vom 26. Juli 2006 kann nur dahin ausgelegt werden, dass die Antragstellerin Beschwerde gegen den bezeichneten Beschluss einlegen wollte, wobei eine Begründung der Beschwerde wegen der Fristregelung des § 78 Abs. 3 EnWG noch nicht erforderlich war, ferner, dass zugleich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gestellt werden solle.

2.

Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes ist davon auszugehen, dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde der Antragstellerin angeordnet worden wäre und die Antragstellerin letztlich auch im Beschwerdeverfahren obsiegt hätte.

a.

Der Antrag nach § 77 Abs. 3 Satz 4 EnWG ist in zulässiger Weise erfolgt. Er unterliegt keinerlei Fristbestimmungen. Anforderungen an eine Einlegungsfrist können auch nicht hergeleitet werden aus der Rechtsprechung der Zivilgerichte zu Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und dem in diesen Verfahren verwendeten Begriff der Eilbedürftigkeit.

Die Verfahren nach § 77 Abs. 3 Satz 4 EnWG und §§ 917, 918, 935, 940 ZPO sind nicht vergleichbar. Während einstweilige Verfügungsverfahren nach der ZPO isoliert ohne Erhebung der Hauptsache Klage eingeleitet werden können und ein Rechtsschutzbedürfnis für derartig isolierte Verfahren nur bei Vorliegen einer Eilbedürftigkeit bejaht werden kann, sind Verfahren nach § 77 Abs. 3 Satz 4 EnWG lediglich Hilfsverfahren innerhalb eines bereits eingeleiteten Rechtsmittelverfahrens.

Der Antragstellerin stand auch ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Seite.

Zwar ist es richtig, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 19.6.2006 erklärt hat, die in der Zeit vom 1.11.2005 bis zur Genehmigungserteilung angefallenen Mehrerlöse dadurch "abschöpfen zu lassen", dass sie diese den betreffenden Händlern erstatten werde. Zugleich hat die Antragstellerin jedoch erklärt, die Rückzahlung der Mehrerlöse erfolge unter Vorbehalt einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Schreiben der Antragstellerin vom 19.6.2006 die Antwort zum Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.6.2006 darstellt. Mit letztgenanntem Schreiben hatte die Antragsgegnerin die Antragstellerin davon in Kenntnis gesetzt, dass sich die Regulierungsbehörden am 31.5.2005 darauf verständigt hätten, die im Zeitraum vom 1.11.2005 bis zum Genehmigungszeitpunkt von den Netzbetreibern zuviel vereinnahmten Erlöse in der einen oder anderen Weise den Netznutzern wieder zuführen zu wollen. Zugleich macht die Antragsgegnerin Ausführungen zur rechtlichen Interpretation der §§ 118 Abs. 1 b, 22 a Abs. 5 EnWG, 32 Abs. 2 StromNEV. Sie gelangt zu der Ansicht, dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, er habe den Netzbetreibern die Erlöse aus überhöhten Entgelten in dem genannten Zeitraum belasten wollten. Abschließend wird die Antragstellerin um eine Stellungnahme gebeten, wie sie die Mehrerlöse kostenmindernd ansetzen werde.

Im Lichte dieser Aufforderung ist das Schreiben der Antragstellerin vom 19.6.2006 zu verstehen.

b.

Der Antrag nach § 77 Abs. 3 S. 4 EnWG hätte auch in der Sache Erfolg gehabt. An der Rechtmäßigkeit der Auflage Ziff. 2 bestehen ernstliche Zweifel im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EnWG.

Für die Abschöpfung von sogenannten Mehrerlösen dürfte es an einer Rechtsgrundlage im EnWG bzw. StromNEV fehlen.

Eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende Genehmigung der Netzentgelte ist von der Antragsgegnerin nicht erteilt worden, abgesehen davon, dass dies nach dem Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen auch nicht zulässig sein dürfte. Nach § 118 Abs. 1 b EnWG hat die erstmalige Antragstellung drei Monate nach Inkrafttreten der StromNEV (1.7.2006) zu erfolgen. § 23 a Abs. 5 EnWG wird für entsprechend anwendbar erklärt. Nach § 23 a Abs. 5 EnWG sollen bei fristgerechter Stellung des Antrages die vormals genehmigten Entgelte wirksam bleiben bis zur Erteilung der neu beantragten Genehmigung. Zwar erfasst der Wortlaut dieser gesetzlichen Bestimmung den Fall der wiederholten Stellung eines Genehmigungsantrages in den Jahren nach Inkrafttreten der StromNEV. In diesen Fällen folgt aus § 23 a Abs. 5 EnWG, dass etwaige Mehrerlöse aus der Differenz zwischen Entgelten nach der vormals erfolgten Genehmigung und Entgelten nach der nunmehr aktuell erteilten Genehmigung den Netzbetreibern verbleiben sollen.

Es ist nicht ersichtlich, inwiefern für den Zeitraum zwischen erstmaliger Antragstellung und erstmaliger Erteilung der Genehmigung nach § 23 a EnWG etwas anderes gelten soll. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Vorgehensweise hat die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid nicht nennen können.

Soweit die Regulierungsbehörden der Länder auf ihrer Sitzung am 31.5.2005 zu dem rechtlichen Ergebnis gelangt sind, zwar habe der Gesetzgeber bestimmt, dass Netzbetreiber ihre bisherigen Entgelte bis zur erstmaligen Entscheidung der Regulierungsbehörde beibehalten können, darin sei jedoch lediglich eine formelle Rechtsposition zu sehen, es sei nicht davon auszugehen, dass den Netzbetreibern nach dem Willen des Gesetzgebers die erzielten Erlöse auch materiell zustehen sollten. Es ist nicht ersichtlich, an welche Umstände bzw. Tatsachen im Gesetzgebungsverfahren die Regulierungsbehörden diese Vermutung knüpfen wollen. Bei der von den Regulierungsbehörden vorgenommenen Auslegung des Willens des Gesetzgebers hätte es nahe gelegen, dass dieser entsprechende Übergangsvorschriften im EnWG geschaffen hätte. Da diese fehlen, ist in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte davon auszugehen, dass die gesetzliche Regelung, wonach die Netzbetreiber "die bis dahin genehmigten Entgelte beibehalten werden können", auch für den Fall der erstmaligen Antragstellung nach § 23 a EnWG gelten soll. Dies gilt nach dem Wortlaut uneingeschränkt in formeller und materiellrechtlicher Hinsicht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Juli 2006, Az. VI-3 Kart 289/06).

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 50 Abs. 1 Ziffer 2 GKG, 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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