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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.08.2005
Aktenzeichen: Verg W 13/04
Rechtsgebiete: BRAGO, GWB, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 35
BRAGO § 65 a
BRAGO § 118
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 1
BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2
GWB § 112 Abs. 1 Satz 1
GWB §§ 116 ff.
ZPO § 128 Abs. 1
ZPO § 495 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

Verg W 13/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

betreffend das Nachprüfungsverfahren der Ausschreibung "Betriebsführung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für einen kommunalen Zweckverband im Lande Brandenburg"

hat der Vergabesenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. König, den Richter am Oberlandesgericht Kuhlig und die Richterin am Oberlandesgericht Eberhard

am 8. August 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 10. November 2004 - VK 75/03 - aufgehoben.

Im Wege der Nachfestsetzung werden die der Antragstellerin durch die anwaltliche Vertretung entstandenen, von dem Auftraggeber zu erstattenden Aufwendungen im Nachprüfungsverfahren auf weitere 31.315,56 € festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 31.315 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Auftraggeber schrieb im August 2003 europaweit die vollständige kaufmännische und technische Betriebsführung seines Verbandes unter Übernahme des beim Verband vorhandenen Personals im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Als Auftragsdauer war die Zeit vom 1.7.2004 bis zum 30.6.2024 vorgesehen. Der Gesamtauftragswert liegt nach Schätzung des Auftraggebers bei rund 170.000.000 Mio. € für 20 Jahre. Den Teilnahmeantrag der Antragstellerin, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, hat der Auftraggeber zurückgewiesen. In dem von der Antragstellerin daraufhin eingeleiteten Nachprüfungsverfahren hat die Vergabekammer nach Zustimmung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren mit bestandskräftigem Beschluss vom 8.12.2003 entschieden. Nach der Kostenentscheidung des Beschlusses hat der Auftraggeber die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin notwendigen Aufwendungen zu tragen.

Die Antragstellerin hat zunächst bei der Vergabekammer zur Festsetzung gegen den Auftraggeber Kosten in Höhe von 31.338,56 € (10/10 Geschäftsgebühr nach §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) angemeldet.

Nachdem die Antragstellerin gegen den auf einen geringeren Erstattungsbetrag lautenden Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt hatte, sind die ihr zu erstattenden notwendigen Kosten mit Beschluss des Vergabesenates vom 30.8.2004 ( Verg W 2/04) auf den angemeldeten Betrag festgesetzt worden.

Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin die Nachfestsetzung einer 10/10 Besprechungsgebühr (§§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 35 BRAGO entsprechend) in Höhe von 31.315,36 € brutto beantragt.

Die Vergabekammer des Landes Brandenburg hat mit Beschluss vom 10. November 2004 den Antrag auf Nachfestsetzung zurückgewiesen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin stehe lediglich eine Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO zu. Die Besprechungsgebühr nach Nr. 2 sei nicht ausgelöst worden, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Festsetzung einer Besprechungsgebühr in entsprechender Anwendung von § 35 BRAGO sei nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe in § 65 a BRAGO eine solche Festsetzung nur für die entsprechenden Verfahren vor dem Oberlandesgericht angeordnet. Eine planwidrige, durch entsprechende Anwendung von § 35 BRAGO zu schließende Gesetzeslücke liege nicht vor.

Gegen diesen ihr am 12. November 2004 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26. November 2004 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Diese meint, der Rechtsgedanke des § 35 BRAGO müsse auch für Verfahren vor der Vergabekammer gelten. Grundsätzlich finde eine mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer statt (§ 112 GWB), außer die Parteien verzichteten einvernehmlich darauf. Eine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung der Verfahren erster und zweiter Instanz im Vergabenachprüfungsverfahren sei nicht ersichtlich. Zudem sei die Situation im Vergabenachprüfungsverfahren, in welchem die mündliche Verhandlung nicht in das Ermessen der Vergabekammer gestellt sei, mit derjenigen im Zivilprozess vergleichbar.

Der Antragsgegner hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Gegen den im Kostenfestsetzungsverfahren ergangenen Beschluss der Vergabekammer als selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt ist abweichend vom allgemeinen Verwaltungsrechtsweg (§ 40 ff. VwGO) die sofortige Beschwerde nach § 116 ff. GWB zulässig. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Eine Besprechungsgebühr nach den hier noch anzuwendenden Vorschriften der BRAGO, (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO ) ist entstanden und nebst Umsatzsteuer der Antragstellerin von dem Auftraggeber zu erstatten.

Zwar hat im vorliegenden Verfahren keine mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer stattgefunden, da die Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben. Die gebührenrechtlichen Folgen eines solchen Verzichtes sind in § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO nicht geregelt. Eine Regelung folgt jedoch aus der entsprechenden Anwendung des § 35 BRAGO. Danach erhält der Rechtsanwalt in einem Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung, in welchem im Einverständnis der Parteien ohne eine solche entschieden worden ist, die gleichen Gebühren wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung.

Eine unmittelbare Anwendung von § 35 BRAGO im Verfahren vor der Vergabekammer scheitert an § 65 a BRAGO, wonach nur im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbeschwerdeverfahren die Vorschriften des 3. Abschnittes der BRAGO - damit auch § 35 BRAGO - sinngemäß gelten sollen. Zwar gewähren die Vergabekammern Rechtsschutz in einem gerichtsähnlichen Verfahren. Eine Gleichsetzung mit einem gerichtlichen Verfahren kommt aber nicht in Betracht, da die Vergabekammern Einrichtungen innerhalb der Verwaltung darstellen (BGH NZBau 2004, 285). Die Gebühren richten sich daher nur nach § 118 BRAGO.

Die entsprechende Anwendung von § 35 BRAGO ist im vorliegenden Falle geboten (§ 2 BRAGO).

Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung, nämlich sowohl die Vergleichbarkeit der Verfahrensgestaltung als auch der Interessenlage, sind erfüllt (so in Wohnungseigentumsverfahren ohne mündliche Verhandlung, BGH, NJW-RR 2003, 3133).

1.

Es liegt ein Verfahren vor, für welches die "mündliche Verhandlung" vorgeschrieben ist. § 112 Abs. 1 Satz 1 GWB sieht für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vor. Nur in den Fällen der Zustimmung der Beteiligten oder bei von der Vergabekammer als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtetem Nachprüfungsantrag kann schriftlich nach Lage der Akten entschieden werden. Nur in diesen drei Fällen steht es im Ermessen der Vergabekammer statt auf Grund mündlicher Verhandlung im schriftlichen Verfahren zu entscheiden (Kammergericht, Beschluss vom 14.12.2003, Az: Kart Verg 6/02).

Danach gilt für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer in diesem Punkte im Ergebnis nichts anderes als für das Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses. Nach § 128 Abs. 1 ZPO ist die mündliche Verhandlung vorgeschrieben, von der mit Zustimmung der Parteien und in dem Verfahren nach § 495 a ZPO auch ohne deren Zustimmung abgesehen und das Verfahren schriftlich geführt und entschieden werden kann.

§ 35 BRAGO stellt auf die Situation ab, dass eine mündliche Verhandlung grundsätzlich notwendig ist, nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden kann und eine Verhandlungsgebühr im Ausnahmefall der fehlenden mündlichen Verhandlung dennoch zugebilligt wird.

2.

Die Interessenlage bei fehlender mündlicher Verhandlung im Zivilprozess und Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist vergleichbar.

Dem Rechtsanwalt soll durch § 35 BRAGO eine zusätzliche Vergütung für die besonders gründliche und umfassende schriftliche Vorarbeit zugebilligt werden, die regelmäßig erwartet werden darf, wenn auf Grund einer Ausnahmevorschrift im Einzelfall ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (BGH, a. a. O.). Die mündliche Verhandlung dient der Sachaufklärung. Nur wenn der Sachverhalt durch anwaltlichen Schriftsatz soweit aufgeklärt ist, dass weitere Erkenntnisse im Verhandlungstermin nicht zu erwarten sind bzw. nicht erforderlich erscheinen, kann das Gericht von der mündlichen Verhandlung absehen. § 35 BRAGO billigt dem Anwalt daher eine Vergütung für die größere Mühe zu, die mit der entscheidungsreifen Darstellung des Sachverhaltes verbunden ist.

Nach diesem Gesetzeszweck ist es gerechtfertigt, dem Anwalt auch im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer diese Vergütung zuzubilligen.

3.

Die Besprechungsgebühr ist in gleicher Höhe entstanden (10/10 Gebühr) wie die von der Vergabekammer bereits festgesetzte Geschäftsgebühr.

Für die im Nachprüfungsverfahren entfaltete anwaltliche Tätigkeit kann der Rechtsanwalt die ihm zustehenden Kosten unter voller Ausnutzung des Rahmens der Gebühren des § 118 BRAGO bestimmen (§ 12 BRAGO). Hierfür sind die Besonderheiten des Rechtsgebietes und der Verfahrensumfang, insbesondere der zeitliche Aufwand des Anwaltes maßgeblich. Den Vergleichsmaßstab bildet insoweit das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren. Das Vergabenachprüfungsverfahren ist regelmäßig umfangreich, der Anwalt steht unter erheblichem Zeitdruck. Hinzukommen die Erschwernisse, die sich aus einer meist nur beschränkt gewährten Akteneinsicht ergeben. Maßgeblich ist dabei nicht, ob die Sache für einen Vergaberechtsspezialisten schwierig war oder nicht (OLG Dresden, VergabeR 2002, 418). Dies alles hat zur Folge, dass die Ausschöpfung des Gebührenrahmens im Regelfalle sachgerecht, zumindest nicht unbillig erscheint.

So liegt der Fall auch hier. Hinzu kommt, dass die im Streit gewesene Vergabe für die Parteien von höchstem wirtschaftlichen Interesse ist. Die vom Auftraggeber geplante Übertragung der kaufmännischen und technischen Betriebsführung des Verbandes betrifft einen Zeitraum von immerhin 20 Jahren mit einem Gesamtauftragswert von 170.000.000 Mio. €.

Bei entsprechender Anwendung des § 35 BRAGO ist die trotz schriftlichem Verfahren ausgelöste Besprechungsgebühr bei unverändertem Streitgegenstand in gleicher Höhe zu bemessen wie die Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO. Anhaltspunkte, die eine unterschiedliche Festsetzung der Höhe nach rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens berechnet sich im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 3 ZPO. Maßgeblich ist das Kosteninteresse der Antragstellerin.

Ende der Entscheidung

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