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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2001
Aktenzeichen: 1 ABR 25/00
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99
Eine Einstellung iSv. § 99 BetrVG kann bereits dann vorliegen, wenn die arbeitgebertypische Auswahlentscheidung getroffen wird, welcher Mitarbeiter in die Belegschaft aufgenommen werden soll. Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Entscheidung des Arbeitgebers steht nicht entgegen, daß die Zuweisung dieser Person - wie bei Zivildienstleistenden - durch Verwaltungsakt erfolgt.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

1 ABR 25/00

Verkündet am 19. Juni 2001

In dem Beschlußverfahren

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Anhörung vom 19. Juni 2001 durch den Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Prof. Dr. Wißmann, den Richter am Bundesarbeitsgericht Hauck, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt, die ehrenamtlichen Richter Blanke und Dr. Brocker beschlossen:

Tenor:

Auf die Sprungrechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Februar 2000 - 66 BV 33256/99 - teilweise aufgehoben, soweit es den Hauptantrag zu 1) abgewiesen hat.

Es wird festgestellt, daß der Arbeitgeber nach § 99 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen hat, bevor er dem Bundesamt für den Zivildienst bestimmte Zivildienstleistende zur Zuweisung vorschlägt.

Im übrigen wird die Sprungrechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten über Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatz von Zivildienstleistenden im Betrieb des Arbeitgebers sowie bei der Beantragung der Einrichtung von Zivildienstplätzen.

Der Arbeitgeber betreibt Jugendherbergen. Für sein "Jugendgästehaus Berlin" ist seit 1997 der antragstellende Betriebsrat gebildet. In dem Jugendgästehaus sind 37 Arbeitnehmer beschäftigt. Daneben werden vom Bundesamt für den Zivildienst jeweils Zivildienstleistende zugewiesen. Bereits 1991 erhielt das Jugendgästehaus vom Bundesamt für den Zivildienst die Anerkennung als Beschäftigungsstelle nach § 4 ZDG mit vier Dienstplätzen. 1993 und 1998 wurden jeweils zwei weitere Zivildienstplätze anerkannt. Die Zivildienstplätze liegen im gärtnerischen Bereich sowie der Verwaltung einschließlich der Rezeption und im Versorgungsbereich. In den Anerkennungsbescheiden sind keine konkreten Eignungsvoraussetzungen für die Dienstplätze aufgeführt. Im Anerkennungsverfahren hat die Einrichtung darzulegen und zu versichern, daß die Zivildienstleistenden arbeitsmarktneutral, dh. nur mit Tätigkeiten eingesetzt werden, die das Personal der Einrichtung unterstützen. Durch den Einsatz von Zivildienstleistenden darf danach weder ein vorhandener Arbeitsplatz ersetzt noch die Einrichtung einer Stelle verhindert werden.

Der Besetzung der Dienstplätze beim Arbeitgeber geht in der Regel ein Gespräch zwischen dem Herbergsleiter und dem anerkannten Kriegsdienstverweigerer voraus. Wird der Zivildienstleistende als geeignet angesehen, reicht der Arbeitgeber einen Vorschlag für seine Einberufung beim Bundesamt für den Zivildienst ein. Dieses folgt dem Vorschlag in der Regel und verfügt durch Verwaltungsakt gegenüber dem Zivildienstleistenden eine entsprechende Einberufung.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, der Einsatz der Zivildienstleistenden stelle eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung dar. Der Arbeitgeber treffe eine Auswahlentscheidung, indem er einen Zivildienstleistenden dem Bundesamt für den Zivildienst zur Zuweisung vorschlage. Weiterhin ist er der Ansicht, daß sein Mitbestimmungsrecht wegen der Besonderheiten bei der Zuweisung der Zivildienstleistenden zusätzlich auf die Beantragung der Einrichtung von Dienstplätzen vorverlagert werde.

Der Betriebsrat hat beantragt

1. festzustellen, daß der Arbeitgeber durch die Beantragung der Zuweisung der Zivildienstleistenden Ralf H,, Christian W. und Fabian S. beim Bundesamt für den Zivildienst ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG verletzt hat,

hilfsweise zu 1.

festzustellen, daß der Arbeitgeber durch die Beantragung der Zuweisung der Zivildienstleistenden Ralf H., Christian W. und Fabian S. beim Bundesamt für den Zivildienst ohne vorherige Unterrichtung des Betriebsrats das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat,

2. festzustellen, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat, indem er ohne Unterrichtung des Betriebsrats beim Bundesamt für den Zivildienst die Einrichtung der Dienstplätze beantragt hat, auf denen die Zivildienstleistenden Ralf H., Christian W. und Fabian S. beschäftigt werden sowie

hilfsweise zu 2.

festzustellen, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat, indem er ohne Unterrichtung des Betriebsrats beim Bundesamt für den Zivildienst im Jahre 1998 die Einrichtung zweier neuer Dienstplätze beantragt hatte.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Er ist der Auffassung, es bestehe weder bei der Einrichtung von Dienstplätzen noch bei der Zuweisung von Zivildienstleistenden ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Die Zivildienstleistenden seien keine Arbeitnehmer des Betriebes. Ihre Zuweisung erfolge durch Verwaltungsakt, so daß eine Entscheidung des Arbeitgebers, an der das Mitbestimmungsrecht ansetzen könne, nicht vorliege.

Das Arbeitsgericht hat dem Hilfsantrag zu 1) stattgegeben und im übrigen die Anträge abgewiesen.

Mit der vom Arbeitsgericht zugelassenen Sprungrechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter. Die Arbeitgeberin bittet, die Sprungrechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Sprungrechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet, soweit sie den Antrag zu 1) betrifft. Der Arbeitgeber hat nach § 99 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen, bevor er dem Bundesamt für den Zivildienst bestimmte Zivildienstleistende zur Zuweisung vorschlägt. Bezüglich der Anträge zu 2) ist die Sprungrechtsbeschwerde unbegründet; diese Anträge sind unzulässig.

I. Die Sprungrechtsbeschwerde ist zulässig.

1. Sie ist in zulässiger Form eingelegt worden. Die nach § 96 a Abs. 1 Satz 3 ArbGG erforderliche Zustimmung des Arbeitgebers war der Rechtsbeschwerdeschrift beigefügt. Dabei ist es als ausreichend anzusehen, daß der Sprungrechtsbeschwerdeführer per Telefax die ihm durch Telefax übermittelte, vom Gegner bzw. dessen Vertreter eigenhändig unterzeichnete Zustimmungserklärung der Rechtsmittelschrift beigelegt hat, das Rechtsmittelgericht also das "Original" des beim Rechtsmittelführer eingegangenen Telefaxes erhält (BSG 12. November 1996 - 9 RVs 4/96 - AP ArbGG 1979 § 76 Nr. 11; 19. März 1997 - 6 RKa 36/95 - SozR 3-1500 § 161 Nr. 12). Da Verfahrensvorschriften kein Selbstzweck sind, sondern der Wahrung der materiellen Rechte der Prozeßbeteiligten dienen und die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits sicherstellen sollen (GmS OGB 5. April 2000 - GmS-OGB 1/98 - AP ZPO § 129 Nr. 2 = EzA ZPO § 518 Nr. 42), genügt es, wenn die Zustimmungserklärung in dieser Form übermittelt wird, die keinen vernünftigen Zweifel läßt, daß die Erklärung wirksam abgegeben wurde.

2. Die Sprungrechtsbeschwerde hat nicht auch den Hilfsantrag zu 1) zum Gegenstand, mit dem der Betriebsrat bereits in der ersten Instanz erfolgreich war. Dieser Antrag ist, wie der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, lediglich deshalb erneut angeführt, um das Begehren des Betriebsrats vollständig darzustellen. Ein solcher Antrag wäre mangels Beschwer auch nicht zulässig.

II. Die Sprungrechtsbeschwerde ist hinsichtlich des Antrags zu 1) begründet.

1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.

a) Allerdings bedarf der Antrag der Auslegung. Nach seinem Wortlaut richtet er sich auf die Feststellung, daß der Arbeitgeber durch die Beantragung der Zuweisung der Zivildienstleistenden Ralf H., Christian W. und Fabian S. beim Bundesamt für den Zivildienst ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG verletzt hat. Er bezieht sich also auf die konkret benannten Zivildienstleistenden, die in der Vergangenheit zugewiesen worden sind. Für eine solche nur in die Vergangenheit gerichtete Feststellung bestünde kein Rechtsschutzinteresse (BAG 18. April 2000 - 1 ABR 2/99 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 27).

Der Antrag ist indessen, wie sich aus dem gesamten Vorbringen des Betriebsrats ergibt und wie dieser in der Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, so zu verstehen, daß der Betriebsrat bei zukünftigen Anträgen auf Zuweisung von Zivildienstleistenden das Mitbestimmungsrecht beansprucht und es daher festgestellt haben möchte. Der konkrete Streitfall ist insoweit Ausdruck einer allgemeinen Rechtsfrage, die über den konkreten Anlaßfall hinaus zu entscheiden ist (BAG 20. April 1999 - 1 ABR 13/98 - BAGE 91, 235).

b) Insoweit ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen. Da bei dem Arbeitgeber "feste" Zivildienstplätze eingerichtet sind, wird die entsprechende Konstellation immer wieder auftreten. Weitere Zuweisungen von Zivildienstleistenden werden auf Grund der Einrichtung der Zivildienstplätze und der zeitlichen Begrenzung des Zivildienstes zwangsläufig eintreten.

c) Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, daß der Betriebsrat sein Ziel mit einem Leistungsantrag erreichen könnte. Ein Antrag nach § 101 BetrVG könnte sich nur auf bereits erfolgte "Einstellungen" von Zivildienstleistenden beziehen und wäre somit nicht geeignet, ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG für die zukünftige Zuweisung von Zivildienstleistenden zu klären. Sollte ein allgemeiner Unterlassungsanspruch bei einer solchen personellen Einzelmaßnahme als Anspruchsgrundlage in Betracht zu ziehen sein, wäre ein Antrag auf eine zukünftige Leistung gemeint, der einem Feststellungsantrag nicht entgegenstünde (BAG 7. November 1995 - 3 AZR 952/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bühnen Nr. 1).

2. Der Hauptantrag zu 1) ist auch begründet.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war insoweit aufzuheben und festzustellen, daß dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zusteht, wenn der Arbeitgeber beim Bundesamt für den Zivildienst die Zuweisung bestimmter Zivildienstleistender beantragt.

Nach der ständigen Senatsrechtsprechung kommt es für den Begriff der Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG nicht entscheidend auf das Rechtsverhältnis an, in dem die im Betrieb tätigen Personen zum Arbeitgeber stehen. Vielmehr löst die Eingliederung dieser Personen in den Betrieb das Mitbestimmungsrecht aus. Der Arbeitgeber muß (zumindest) die für ein Arbeitsverhältnis typischen Weisungen über den Arbeitseinsatz treffen. Das Arbeitsverhältnis der Personen kann auch zu einem Dritten bestehen (vgl. Senat 18. Oktober 1994 - 1 ABR 9/94 - BAGE 78, 142, 148). Die Anwendung des § 99 BetrVG kommt auch in Betracht, wenn die fraglichen Personen überhaupt nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen (für Selbständige BAG 15. April 1986 - 1 ABR 44/84 - BAGE 51, 337; für Personen, die im Betrieb eine Ausbildung erhalten BAG 3. Oktober 1989 - 1 ABR 68/88 - AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 79).

Danach schließt allein der Umstand, daß Zivildienstleistende in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, das Mitbestimmungsrecht nicht aus. Zivildienstleistende sind keine Arbeitnehmer im Sinne der Definition der §§ 5, 6 BetrVG (Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 5 Rn. 100; Kraft/GK-BetrVG 6. Aufl. § 5 Rn. 49; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 5 Rn. 110; die Wahlberechtigung von Zivildienstleistenden ablehnend DKK-Schneider BetrVG 7. Aufl. § 7 Rn. 12; zu Beamten BAG 25. Februar 1998 - 7 ABR 11/97 - AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 62, zu II 1 der Gründe, und zuletzt BAG 28. März 2001 - 7 ABR 21/00 - zVv.).

Nach diesen Grundsätzen hat hier der Betriebsrat mitzubestimmen. Die Zivildienstleistenden sind, was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert. Sie erhalten von diesem die zur Ausführung ihrer Arbeit erforderlichen Weisungen. Dabei spielt es - entgegen der Auffassung des Arbeitgebers - keine Rolle, ob sie Tätigkeiten erledigen, die über den normalen Arbeitsbedarf des Jugendgästehauses hinausgehen. Die Zivildienstleistenden werden mit Aufgaben in der Verwaltung sowie der Rezeption, im Versorgungsbereich und in der Gartenpflege beschäftigt und dienen damit dem Betriebszweck.

Allerdings beruht die Eingliederung in den Betrieb auf einem Verwaltungsakt, der Zuweisung durch das Bundesamt für den Zivildienst. Insoweit kommt eine Mitbestimmung des Betriebsrats nicht in Betracht, da nicht der Arbeitgeber handelt, sondern eine Behörde. Das behördliche Handeln folgt indessen einer tatsächlichen Auswahlentscheidung des Arbeitgebers. Danach stellt sich der Zivildienstleistende zunächst bei dem Herbergsleiter vor. Falls dieser ihn als geeignet ansieht, reicht der Arbeitgeber einen Antrag auf Einberufung gerade dieses Zivildienstleistenden bei dem Bundesamt für den Zivildienst ein. Das Bundesamt weist den Zivildienstleistenden sodann ohne eigene Auswahlentscheidung zu. Auf Grund dieser ständig geübten Praxis bei der Besetzung der Zivildienstarbeitsplätze wird die eigentliche Arbeitgeberentscheidung im Hinblick auf die vorzunehmende Anstellung als Eingliederung in die Belegschaft bereits vor der Zuweisung, und zwar von dem späteren Arbeitgeber selbst, getroffen. Diese vom Arbeitgeber vorgenommene Personalauswahl betrifft die Interessen der im Betrieb vorhandenen Arbeitnehmer, deren Schutz das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG dient, wie sich aus § 99 Abs. 2 Nr. 3 und 6 BetrVG ergibt. Mit dem Antrag auf Zuweisung eines bestimmten Zivildienstleistenden nimmt der Arbeitgeber den für die Einstellung maßgeblichen Entscheidungsspielraum in Anspruch, der für die Einstellungsentscheidung typisch ist und dessen Ausübung der Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG überwachen soll.

III. Hinsichtlich der Anträge zu 2) ist die Sprungrechtsbeschwerde unbegründet. Diese Anträge sind unzulässig. Sie beziehen sich auf die Einrichtung von Zivildienstplätzen, der Hauptantrag auf die Plätze der drei konkret benannten Zivildienstleistenden und der Hilfsantrag auf die Einrichtung von Zivildienstplätzen 1998. Insoweit sind für eine Wiederholung, also eine erneute Beantragung der Einrichtung von Zivildienstplätzen keine Anhaltspunkte gegeben. Ein Zukunftsbezug ist nicht ersichtlich, so daß das für eine entsprechende Feststellung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Ende der Entscheidung

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