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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 24.11.2004
Aktenzeichen: 10 AZR 221/04
Rechtsgebiete: Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken


Vorschriften:

Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken in der ab 1. Juni 2001 geltenden Fassung § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

10 AZR 221/04

Verkündet am 24. November 2004

hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 24. November 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt sowie den ehrenamtlichen Richter Lindemann und die ehrenamtliche Richterin Alex

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 12. Januar 2004 - 7 Sa 183/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine Sonderzahlung für das Jahr 2002.

Die Klägerin war vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2002 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.025,00 Euro beschäftigt. Es existiert ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 30./31. März 1999, der ua. folgende Regelungen enthält:

"§ 3

Entgelt

Die Eingruppierung der Mitarbeiterin erfolgt in Tarifgruppe 7/11. Berufsjahr.

Auf Basis der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden erhält die Mitarbeiterin ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 5.718,-- DM, das sich folgendermaßen zusammensetzt:

Tarifgehalt 5.418,-- DM

freiwillige Zulage 300,-- DM

Monatsbruttogehalt 5.718,-- DM

Die freiwillige Zulage ist jederzeit frei widerruflich und kann bei einer Änderung des Tarifgehaltes ganz oder teilweise auf die tarifliche Erhöhung angerechnet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Bank bei Erhöhung des Tarifgehaltes wiederholt von der Widerrufsmöglichkeit und/oder der Anrechnungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen sollte.

...

§ 12

Tarifvertrag

Für das Arbeitsverhältnis gelten neben den Vereinbarungen dieses Anstellungsvertrages die Tarifverträge für das private Bankgewerbe, die Betriebsvereinbarung über die neue Versorgungsordnung vom 26. Juli 1996 in der jeweils gültigen Fassung sonstige derzeit gültige Betriebsvereinbarungen sowie unabdingbare gesetzliche Bestimmungen."

§ 10 des Manteltarifvertrages für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) lautete seit 1. Juni 2001 wie folgt:

"§ 10

Sonderzahlungen

1. Die Arbeitnehmer ... haben Anspruch darauf, daß die im Kalenderjahr zufließenden betrieblichen Sonderzahlungen 100 % des monatlichen Tarifgehalts zuzüglich aller tariflichen Zulagen und des Wechselschichtzuschlags ... nicht unterschreiten. ...

...

3. Wenn dem Arbeitnehmer ... in dem Kalenderjahr keine Ansprüche auf Gehalt bzw. Vergütung oder Zuschüsse zum Krankengeld ... zustehen, entfällt der Anspruch auf die gemäß Ziff. 1 garantierte Sonderzahlung. Wenn nur für einen Teil des Kalenderjahres derartige Ansprüche bestehen, ermäßigt sich der Anspruch auf die Sonderzahlung für jeden Kalendermonat ohne derartige Ansprüche um 1/12."

Die Beklagte und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat haben eine Betriebsvereinbarung (BV) über die Zeit der Auszahlung und die Art der in der Bank gezahlten Arbeitsentgelte, gültig ab 1. Januar 1999, geschlossen, die ua. Folgendes bestimmt:

"§ 3

Weihnachtsgeld

(1) Arbeitnehmer, die vor dem 01.01.1999 in die Dienste der B eingetreten sind, und auf deren Arbeitsverhältnis die Tarifvereinbarung vom 20.12.1994 Anwendung fand sowie Arbeitnehmer, die nach dem 31.12.1998 in die Dienste der B eingetreten sind und deren Anstellungsvertrag einen Verweis auf die Tarifvereinbarung vom 20.12.1994 enthält, erhalten ein Weihnachtsgeld nach den Regelungen in der neuen, die Tarifvereinbarung vom 20.12.1994 ersetzende Tarifvereinbarung vom 23.09.1999.

(2) Arbeitnehmer, die Tarifangestellte sind und die nach dem 31.12.1998 in die Dienste der Bank eingetreten sind, und auf deren Arbeitsverhältnis die Tarifvereinbarung vom 20.12.1994 keine Anwendung fand, haben Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes nach den folgenden Regelungen:

a) Die am 01. Dezember eines jeden Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis beschäftigten Tarifangestellten der B erhalten ein Weihnachtsgeld. Ein Weihnachtsgeld erhalten auch die Tarifangestellten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 01.12. aus betriebsbedingten Gründen oder durch Übergang in den Vorruhestand/Ruhestand endet. Tarifangestellte, die im laufenden Kalenderjahr im Anschluss an die Geburt ihres Kindes in Erziehungsurlaub gehen, erhalten nur für dieses Jahr ein Weihnachtsgeld.

b) Tarifangestellte, die mindestens seit dem 01.01. des jeweiligen Kalenderjahres bei der B beschäftigt sind, erhalten ein Weihnachtsgeld gemäß § 10 des Manteltarifvertrages für das private Bankgewerbe. Während des jeweiligen Kalenderjahres eintretende Tarifangestellte erhalten das Weihnachtsgeld anteilig (für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12). Tarifangestellte, die im Laufe des Jahres in den Vorruhestand oder Ruhestand treten, erhalten ebenfalls das Weihnachtsgeld anteilig.

c) Das Weihnachtsgeld wird jeweils am 01.12. ausgezahlt.

d) Das Weihnachtsgeld gilt als Sonderzahlung im Sinne des § 10 des Manteltarifvertrages für das private Bankgewerbe und erfüllt den dort geregelten tariflichen Anspruch.

(3) Arbeitnehmer, die außertarifliche Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben oder Gruppenleiter sind und die nach dem 31.12.1998 in die Dienste der B eingetreten sind bzw. noch eintreten, erhalten kein explizit ausgewiesenes Weihnachtsgeld. Das mit diesen Arbeitnehmern einzelvertraglich vereinbarte Bruttojahresgehalt beinhaltet das Weihnachtsgeld.

(4) Die Gewährung dieses Weihnachtsgeldes und/oder dessen anteilige monatliche Auszahlung führt nicht zu einer Erhöhung des mit dem einzelnen Mitarbeiter vereinbarten Monatsgehaltes.

§ 4

Jahresabschlußgratifikation

Für die Zahlung einer Jahresabschlußgratifikation gelten grundsätzlich folgende Regelungen:

(1) Die Arbeitnehmer der B erhalten nach der Hauptversammlung, in der der Jahresabschluß für das abgelaufene Geschäftsjahr vorgelegt wird, eine Jahresabschlußgratifikation, sofern sie im abgelaufenen Geschäftsjahr ganzjährig tätig waren, zum Zeitpunkt der Zahlung in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, ihre Leistungen dies rechtfertigen und die Ertragslage der B dies zuläßt.

Arbeitnehmer, die erst im abgelaufenen Geschäftsjahr der B eingetreten sind, erhalten die Jahresabschlußgratifikation zeitanteilig, sofern sie im abgelaufenen Geschäftsjahr mindestens 6 Monate tätig waren.

(2) Die Höhe der Jahresabschlußgratifikation wird vom Vorstand im Einvernehmen mit dem Gesamtbetriebsrat festgesetzt und soll für Arbeitnehmer, die Anspruch auf Zahlung einer Jahresabschlußgratifikation gemäß den Regelungen in § 4 der Tarifvereinbarung vom 23.09.1999 haben, ein Monatsgehalt nicht unterschreiten.

Arbeitnehmer, die keinen Anspruch auf Zahlung einer Jahresabschlußgratifikation gemäß den Regelungen in § 4 der Tarifvereinbarung vom 23.09.1999 haben, erhalten eine Jahresabschlußgratifikation gemäß § 5 (2) dieser Betriebsvereinbarung.

(3) Die für das abgelaufene Geschäftsjahr gewährte Abschlußgratifikation ist zurückzuzahlen, sofern der Arbeitnehmer vor dem 01.10. des Jahres, in dem er die Gratifikation erhalten hat, durch fristlose Kündigung ausscheidet.

§ 5 Gehaltsmodelle

(1) Für Tarifangestellte gilt unabhängig von dem Zeitpunkt ihres Eintrittes in die Dienste der B das Gehaltsmodell I.

Für außertarifliche Angestellte ohne Führungsaufgaben, die nach dem 31.12.1998 in die Dienste der B eingetreten sind oder noch eintreten, und für Gruppenleiter gilt unabhängig von deren Eintrittsdatum das Gehaltsmodell II.

Außertarifliche Angestellte ohne Führungsaufgaben, die vor dem 01.01.1999 in die Dienste der B eingetreten sind, können durch schriftliche Erklärung gegenüber der B wählen, welches der beiden Gehaltsmodelle für ihr Arbeitsverhältnis gelten soll.

Die Erklärung des Arbeitnehmers ist bis zum 31.10.1999 gegenüber der Personalabteilung abzugeben. Arbeitnehmer, die sich nicht oder nicht rechtzeitig erklären, werden nach dem Gehaltsmodell I vergütet.

Hat sich ein Arbeitnehmer für das Gehaltsmodell II entschieden, ist ein späterer Wechsel in das Gehaltsmodell I nicht mehr möglich.

Arbeitnehmer, die sich zunächst für das Gehaltsmodell I entschieden haben, können durch schriftliche Erklärung gegenüber der B bestimmen, daß für ihr Arbeitsverhältnis ab dem auf den Zugang der Erklärung folgenden Kalenderjahr das Gehaltsmodell II anzuwenden ist.

(2)

a) Arbeitnehmer, für die das Gehaltsmodell I gilt, erhalten:

- 12 Monatsgehälter

- Weihnachtsgeld (Sonderzahlung gem. § 10 MTV) zum 01.12. jeden Jahres

- Jahresabschlußgratifikation, die in der Regel ein Bruttomonatsgehalt nicht unterschreiten soll.

b) Arbeitnehmer, für die das Gehaltsmodell II gilt, erhalten:

- 12 Monatsgehälter

- Weihnachtsgeld (Sonderzahlung gem. § 10 MTV), das in 12 Monatsraten als anteilige Sonderzahlung geleistet wird

- Jahresabschlußgratifikation gemäß der für sie jeweils gültigen Gratifikationsbandbreite

c) Die vorstehend unter lit. a) und b) aufgeführten Vergütungsbestandteile Weihnachtsgeld und Jahresabschlußgratifikation werden gemäß den Regelungen der Tarifvereinbarung vom 23.09.1999 oder den Regelungen in den §§ 3 und 4 dieser Betriebsvereinbarung gezahlt, je nach dem, welche Regelung auf das Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers Anwendung findet.

d) Außertarifliche Mitarbeiter und Gruppenleiter erhalten auf der Basis des für sie maßgeblichen Gehaltsmodelles ein Jahresfestgehalt, das die Positionen "12 Monatsgehälter" und "Weihnachtsgeld" beinhaltet, zuzüglich einer Jahresabschlußgratifikation gemäß der jeweiligen Gratifikationsbandbreite."

Im April 2002 erhielt die Klägerin eine Jahresabschlussgratifikation für das Jahr 2001 iHv. 3.179,00 Euro brutto.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe gegenüber der Beklagten noch eine anteilige Sonderzahlung in Höhe eines halben Tarifgehalts zu. Die für das Jahr 2001 gezahlte Jahresabschlussgratifikation könne nicht auf die Garantiezahlung gem. § 10 MTV für das Jahr 2002 angerechnet werden. Während in § 3 BV ein Bezug auf § 10 MTV vorhanden sei, fehle dieser in § 4 BV hinsichtlich der Jahresabschlussgratifikation. Aus der Nichterwähnung des § 10 MTV in § 4 BV sei der Schluss zu ziehen, dass die leistungsabhängig ausgestaltete Jahresabschlussgratifikation trotz der weiten Formulierung in § 10 Abs. 1 MTV gerade nicht als betriebliche Sonderzahlung angesehen werden könne. Falls die Jahresabschlussgratifikation als Sonderzahlung iSd. § 10 MTV für das Jahr 2002 angesehen werden könnte, bestünde noch der Anspruch der Klägerin auf die Jahresabschlussgratifikation für das Jahr 2001.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.512,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, dass sie zur Zahlung schon deshalb nicht verpflichtet sei, weil die Klägerin vor dem in der BV vorgesehenen Stichtag aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Im Übrigen erfasse § 10 Abs. 3 MTV nicht den Fall des Ausscheidens vor dem Stichtag, sondern den Fall, dass bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis kein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bestehe. Selbst wenn § 10 MTV einen Anspruch garantiere, sei sie zu keiner Zahlung für das Jahr 2002 verpflichtet, da die der Klägerin im April 2002 ausbezahlte Jahresabschlussgratifikation für das Jahr 2001 gem. § 10 Abs. 1 MTV, der nunmehr das Zuflussprinzip statuiere, Anrechnung finde. Auch eine Jahresabschlussgratifikation stelle eine Sonderzahlung iSd. § 10 Abs. 1 MTV dar. Den Betriebsparteien sei es verwehrt zu regeln, was als Sonderzahlung anzusehen sei. Das von der Klägerin angewandte Ausschlussprinzip, die im April 2002 erfolgte Zahlung stelle entweder die tarifliche Sonderzahlung oder die Jahresabschlussgratifikation dar, verbiete sich. Vielmehr sei die Jahresabschlussgratifikation gerade die tarifliche Sonderzahlung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der durch Beschluss des Senats vom 28. April 2004 (- 10 AZN 180/04 -) zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe dem Grunde nach gem. § 10 Abs. 1 und 3 MTV ein Anspruch auf Zahlung einer halben Monatsvergütung auch für das Jahr 2002 zu. Sie könne aber keine weitere Zahlung verlangen, da die Beklagte die im April 2002 erfolgte Zahlung zulässigerweise auf den Anspruch aus § 10 MTV angerechnet habe. Durch die Einfügung des Wortes "zufließenden" in § 10 Abs. 1 MTV hätten die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass es - im Unterschied zu der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Dezember 1991 (- 6 AZR 646/89 -) zugrunde liegenden Rechtslage - nicht mehr auf den Bezugszeitraum einer Sonderzahlung ankomme, sondern vielmehr das Zuflussprinzip gelten solle. Bei der im April 2002 für das Jahr 2001 geleisteten Zahlung handele es sich um eine betriebliche Sonderzahlung iSv. § 10 Abs. 1 MTV. Der von den Tarifvertragsparteien gewählte Begriff umfasse betriebliche Sonderzahlungen aller Art und damit auch die gezahlte Jahresabschlussgratifikation. Die bei der Beklagten abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung begründe keine weitergehenden Rechte der Klägerin. Aus dem Umstand, dass § 4 BV im Gegensatz zu § 3 BV keinen ausdrücklichen Bezug zu § 10 MTV herstelle, könne nicht geschlossen werden, dass die Jahresabschlussgratifikation nicht als Sonderzahlung iSd. § 10 MTV angesehen werden könne. Gegen einen solchen Umkehrschluss spreche schon allein die Tatsache, dass die Betriebsparteien bei der Regelung des Anspruchs auf Weihnachtsgratifikation mit der Aufnahme einer Stichtagsregelung noch unter den tarifvertraglichen Mindestansprüchen gem. § 10 Abs. 1 und 3 MTV geblieben seien.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.

1. Das Landesarbeitsgericht ist stillschweigend davon ausgegangen, dass § 10 MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Die Anwendbarkeit des MTV ergibt sich aus § 12 des Arbeitsvertrages, der regelt, dass für das Arbeitsverhältnis neben den Vereinbarungen des Anstellungsvertrages die Tarifverträge für das private Bankgewerbe gelten. Damit sind sämtliche für das private Bankgewerbe geltenden Tarifverträge in Bezug genommen. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist ferner von einer dynamischen Bezugnahme auf die Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung auszugehen (BAG 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - BAGE 67, 330; ErfK/Schaub 5. Aufl. TVG § 3 Rn. 43). Zwar trägt § 3 des Arbeitsvertrages die Überschrift "Entgelt", er regelt jedoch inhaltlich nur das zu zahlende Monatsgehalt. Die Anwendung von § 10 MTV, der Sonderzahlungen zum Gegenstand hat, wird durch § 3 des Arbeitsvertrages damit nicht ausgeschlossen.

2. Den der Klägerin aus § 10 Abs. 1 Satz 1 MTV zustehenden Anspruch auf betriebliche Sonderzahlung im Jahr 2002 hat die Beklagte durch die Auszahlung der Jahresabschlussgratifikation für das Jahr 2001 im April 2002 vollständig erfüllt.

a) Die Auslegung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Regelungen folgt den Grundsätzen der Tarifauslegung (BAG 6. Dezember 1990 - 6 AZR 268/89 - BAGE 66, 322, 325). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11; zuletzt 23. Juni 2004 - 10 AZR 496/03 -).

b) Ein Anspruch der Klägerin aus § 10 Abs. 1 MTV für das Jahr 2002 ist allerdings entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht schon deshalb dem Grunde nach zu verneinen, weil die Klägerin mit Ablauf des 30. Juni 2002 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Das Ausscheiden der Klägerin zur Jahresmitte wirkt sich gem. § 10 Abs. 3 Satz 2 MTV nur dahingehend aus, dass der gem. § 10 Abs. 1 MTV errechnete garantierte Mindestbetrag um 6/12 zu kürzen ist. Für die von der Beklagten vertretene Ansicht, § 10 Abs. 3 MTV regele nur die Fälle, in denen bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis kein Vergütungsanspruch bestehe, lassen sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik des MTV irgendwelche Anhaltspunkte entnehmen.

c) § 10 Abs. 1 Satz 1 MTV in seiner ab 1. Juni 2001 geltenden Fassung stellt auf die "im Kalenderjahr zufließenden betrieblichen Sonderzahlungen" ab. Damit ist nicht mehr die in den vorangegangenen Fassungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 MTV (zuletzt ab 25. Januar 2000 gültige Fassung) enthaltene und auch dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. September 1991 (- 6 AZR 646/89 -) zugrunde liegende Formulierung maßgebend, wonach auf "die betrieblichen Sonderzahlungen in einem Kalenderjahr" abgestellt wurde.

aa) Mit dem Abstellen auf die im Kalenderjahr zufließenden betrieblichen Sonderzahlungen haben die Tarifvertragsparteien an Formulierungen im Steuerrecht angeknüpft. In diesem Rechtsgebiet ist das Zuflussprinzip ausdrücklich geregelt (vgl. BSG 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R - Breith. 2004, 971). So bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, dass Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen sind, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Dabei sind für die Frage des Zeitpunktes des Zuflusses sowohl die Fälligkeit als auch der Zeitraum, für den die Leistung erfolgt, unerheblich (Seiler in Kirchhof EStG 2. Aufl. § 11 Rn. 12; Schmidt/Heinicke EStG 23. Aufl. § 11 Rn. 12). Gebrauchen die Tarifvertragsparteien einen Begriff, der im Rechtsleben einen bestimmten Inhalt hat, so ist anzunehmen, dass sie ihn auch mit diesem Inhalt verwenden wollten (BAG 11. August 1988 - 2 AZR 95/88 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 70 = EzA BGB § 620 Nr. 105).

Folglich ist die im April 2002 ausgezahlte Jahresabschlussgratifikation eine in diesem Kalenderjahr zugeflossene Leistung iSd. § 10 Abs. 1 Satz 1 MTV, ohne dass es darauf ankommt, dass ihre Zweckbestimmung das vorangegangene Kalenderjahr betrifft.

bb) Die Jahresabschlussgratifikation stellt auch eine betriebliche Sonderzahlung iSd. § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 MTV dar.

(1) Als Sonderzahlung oder Sondervergütung werden alle Leistungen bezeichnet, die der Arbeitgeber aus bestimmtem Anlass oder zu bestimmten Terminen zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Kittner/Zwanziger Arbeitsrecht 2. Aufl. § 54 Rn. 1; Kappes/Sauer/Grimmke/Thau Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken 5. Aufl. Stand: Juli 2004 § 10 MTV Anm. 1; vgl. auch die entsprechende Legaldefinition in § 4a Satz 1 EFZG). Der Sonderzahlungscharakter einer Jahresabschlussgratifikation ist zu verneinen, wenn ihr Provisionscharakter zukommt, weil sie allein nach den individuellen Leistungen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit bemessen ist (BAG 21. Februar 1974 - 5 AZR 302/73 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 81). Dieser Ausnahmefall ist nicht gegeben, denn § 4 Abs. 1 BV ermöglicht der Beklagten nur, die Arbeitnehmer mit unzureichenden Leistungen von der Gewährung einer Jahresabschlussgratifikation auszunehmen. Eine darüber hinaus an individuellen Leistungsgesichtspunkten orientierte Gratifikationsbemessung ist in der BV dagegen nicht vorgesehen.

(2) Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung kann aus der Nichterwähnung des § 10 MTV in § 4 BV nicht der Schluss gezogen werden, dass die Betriebspartner die Jahresabschlussgratifikation nicht als Sonderzahlung iSd. § 10 MTV angesehen haben.

Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich wegen deren aus § 77 Abs. 4 BetrVG folgenden Normcharakters nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (BAG 2. März 2004 - 1 AZR 272/03 - AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 13; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - BAGE 103, 312).

Zwar bestimmen § 3 Abs. 2 Buchst. d und § 5 Abs. 2 Buchst. a und b BV nur für das Weihnachtsgeld, dass dieses als Sonderzahlung den in § 10 MTV geregelten tariflichen Anspruch erfüllt. Der von der Klägerin aus der Nichterwähnung des § 10 MTV in § 4 BV gezogene Umkehrschluss, die Jahresabschlussgratifikation erfülle nicht den Anspruch aus § 10 MTV, ist jedoch rechtsmethodisch unzulässig. Denn der Regelung in § 3 Abs. 2 Buchst. d und § 5 Abs. 2 Buchst. a und b BV, wonach das Weihnachtsgeld als Sonderzahlung iSd. § 10 MTV anzusehen ist, lässt sich nicht entnehmen, dass diese Rechtsfolge nur in diesem Fall eintreten soll (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen für einen Umkehrschluss Looschelders Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung S. 102 f.). Dies gilt um so mehr, als die Betriebsvereinbarung aus der Zeit vor der Umstellung des § 10 Abs. 1 MTV auf das Zuflussprinzip stammt, für die es mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. September 1991 (- 6 AZR 646/89 -) eine Rechtsprechung gab, die die Anrechenbarkeit der für das Vorjahr gezahlten Gratifikation verneinte. Vor diesem Hintergrund lässt sich als sicher nur ein Wille der Betriebsparteien dahin erkennen, dass jedenfalls das Weihnachtsgeld als Sonderzahlung iSd. § 10 MTV anzusehen ist, nicht dagegen der Wille, dass diese Rechtsfolge für die gleichfalls in der Betriebsvereinbarung geregelte Jahresabschlussgratifikation in jedem Fall ausgeschlossen sein soll.

d) Da die der Klägerin im April 2002 zugeflossene Jahresabschlussgratifikation für das Jahr 2001 die in § 10 MTV garantierte Höhe überschritt, hat die Beklagte mit dieser Zahlung ihre Verpflichtung aus § 10 MTV in vollem Umfang erfüllt. Mit ihrer Schlussfolgerung, wenn die im April 2002 erfolgte Zahlung der Jahresabschlussgratifikation ihren tariflichen Anspruch für das Jahr 2002 abgelte, sei ihr Anspruch auf die entsprechende Gratifikation für 2001 noch nicht erfüllt, verkennt die Klägerin den Regelungsinhalt des § 10 MTV. § 10 Abs. 1 MTV stellt sicher, dass dem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr - unter den Voraussetzungen des Abs. 3 anteilig - Sonderzahlungen in Höhe eines tariflichen Monatsgehalts einschließlich Zulagen und Wechselschichtzuschlag zufließen. Ein eigenständiger Anspruch erwächst dem Arbeitnehmer aus § 10 MTV nur, wenn die betrieblichen Sonderzahlungen die garantierte Höhe nicht erreichen.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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