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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 2 AZR 10/00
Rechtsgebiete: KSchG, SGB III


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
SGB III §§ 229 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

2 AZR 10/00

Verkündet am 17. Mai 2001

In Sachen

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Rost, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bröhl und Dr. Fischermeier, die ehrenamtliche Richterin Nipperdey und den ehrenamtlichen Richter Thelen für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. Oktober 1999 - 15 Sa 963/99 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war zunächst vom 6. April 1998 bis zum 3. Juli 1998 auf der Grundlage eines Eingliederungsvertrages gemäß § 231 SGB III für die Beklagte tätig. Ab dem 4. Juli 1998 war der Kläger bei der Beklagten im Rahmen eines bis zum 2. Juli 1999 befristeten Arbeitsvertrages als gewerblicher Arbeitnehmer gegen eine monatliche Vergütung von 3.050,00 DM brutto beschäftigt. Gemäß Ziffer 2 des Arbeitsvertrages sollten die gesetzlichen und tariflichen Kündigungsfristen gelten.

Nach Anhörung des Betriebsrats erklärte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 14. Dezember 1998, welches ihm am selben Tag zuging, die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. Januar 1999.

Mit seiner am 18. Dezember 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und die Auffassung vertreten, diese sei sozial ungerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, weil die Beschäftigungszeit im Rahmen des Eingliederungsvertrages auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen sei. Dies folge insbesondere aus § 231 Abs. 2 SGB III, wonach auf den Eingliederungsvertrag im wesentlichen die Vorschriften und Grundsätze des Arbeitsrechts anzuwenden seien.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 14. Dezember 1998, zugestellt am gleichen Tage, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Dauer des Eingliederungsverhältnisses sei bei der Berechnung der Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht zu berücksichtigen. Gerade § 231 Abs. 2 SGB III belege, daß der Eingliederungsvertrag kein Arbeitsverhältnis begründe, weil die Regelung andernfalls überflüssig wäre. Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe somit bei Ausspruch der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist unbegründet; im Zeitpunkt der streitigen Kündigung fand das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien noch keine Anwendung (§ 1 Abs. 1 KSchG).

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei Zugang der Kündigung sei die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht abgelaufen gewesen. Die Beschäftigungszeit im Rahmen des Eingliederungsvertrages könne auf die Wartezeit nicht angerechnet werden, weil dieser kein Arbeitsverhältnis begründet habe. Dies folge sowohl aus der amtlichen Begründung als auch aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung. Gegenstand des Eingliederungsvertrages sei auch nicht die Leistung fremdbestimmter, abhängiger oder unselbständiger Arbeit unter Leitung und nach Weisung des Arbeitgebers gegen Vergütung. Dem Arbeitslosen solle vielmehr Gelegenheit zur Qualifizierung und Einarbeitung gegeben werden. Erst nach erfolgreichem Abschluß der Eingliederung solle die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis erfolgen.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und überwiegend auch in der Begründung.

1. § 1 Abs. 1 KSchG verlangt für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes, daß das Arbeitsverhältnis in dem selben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Da das ab dem 4. Juli 1998 zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis bei Zugang der wegen Ziffer 2 des Arbeitsvertrages trotz der Befristung möglichen Kündigung vom 14. Dezember 1998 noch nicht sechs volle Monate bestanden hatte, wäre die Wartezeit nur erreicht, wenn die vorausgegangene Zeit der Eingliederung angerechnet würde.

2. § 1 Abs. 1 KSchG verwendet zur Kennzeichnung des Rechtsverhältnisses, dessen Bestehen nach Ablauf von sechs Monaten geschützt werden soll, den Begriff des Arbeitsverhältnisses und bezeichnet die geschützte Person als Arbeitnehmer. Grundsätzlich können deshalb Zeiten einer Tätigkeit, die nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht wurde, auf die Wartezeit keine Anrechnung finden (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 89/99 - AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Nr. 52).

3. Der Eingliederungsvertrag gemäß §§ 229 ff. SGB III begründet zwar ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 SGB IV, nicht aber ein Arbeitsverhältnis (so auch ErfK-Ascheid 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 67; APS-Backhaus § 620 BGB Rn. 73; Baur DB 1997, 726, 728; GK-SGB III-Feckler § 231 Rn. 7, § 232 Rn. 5; Hanau DB 1997, 1278, 1279; Henkes/Baur/Kopp/Polduwe Handbuch Arbeitsförderung SGB III S 293; Heinz in Wissing/Eicher/Bartz/Schmidt-De Caluwe SGB III § 231 Rn. 9, 29; Heinze SGb 2000, 245; Kufer AR-Blattei SD 625 Rn. 78; Niesel/Menard SGB III § 231 Rn. 3; Natzel NZA 1997, 806, 807; Niesel NZA 1997, 580, 581; Ruhm Arbeitsförderungsrecht SGB III Rn. 74; Wolf Arbeitgeber 1997, 620, 626 f.; aA Bader AuR 1997, 381, 389 f.; Gagel/Bepler SGB III § 231 Rn. 8; Gerntke/Ulber AiB 1997, 511, 512 f.).

a) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, daß der Gesetzgeber das mit dem Eingliederungsvertrag zustandegekommene Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich nicht als Arbeitsverhältnis verstanden und behandelt wissen wollte. § 229 SGB III spricht nicht etwa von Arbeitnehmern sondern von "Arbeitslosen", die "auf Grund eines Eingliederungsvertrages mit dem Ziel beschäftigt werden, sie nach erfolgreichem Abschluß der Eingliederung in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen"; damit wird deutlich, daß die Beschäftigung vor der Übernahme nicht schon im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgt (vgl. Heinz aaO Rn. 32; Natzel aaO). Auch in den nachfolgenden Vorschriften ist für die Zeit vor der Übernahme nur von Arbeitslosen bzw. Beschäftigten, nicht aber von Arbeitnehmern die Rede. Wenn der Gesetzgeber mit dem 1. SGB III-Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S 2970) den Begriff des "Arbeitslosen" in § 231 Abs. 3 SGB III durch den des "Beschäftigten" und nicht etwa durch den Begriff des "Arbeitnehmers" ersetzt hat, bekräftigt auch dies, daß er weiterhin nicht von einem Arbeitsverhältnis ausgeht (ebenso Heinz aaO Rn. 30). Ein deutlicher Hinweis auf den entsprechenden Willen des Gesetzgebers ist ferner die ansonsten überflüssige Anordnung der beschränkten Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften und Grundsätze (§ 231 Abs. 2 Satz 1 SGB III) sowie die Rechtswegzuweisung in § 232 Abs. 3 SGB III zu den Gerichten für Arbeitssachen, deren es ebenfalls nicht bedurft hätte, wenn der Eingliederungsvertrag ohnehin ein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG begründen würde (vgl. Heinz aaO Rn. 34 [gegen Bader aaO]; Heinze aaO; Natzel aaO). Im Gegensatz zum Arbeitsverhältnis bildet bei der Eingliederung auch nicht etwa die entgeltliche, weisungsgebundene Tätigkeit den Schwerpunkt; der Eingliederungsvertrag ist gemäß § 231 Abs. 3 SGB III vielmehr darauf ausgerichtet, den Geförderten zu qualifizieren und einzuarbeiten, ihn zu betreuen oder seine Betreuung durch das Arbeitsamt oder einen von diesem benannten Dritten zuzulassen und ihn gegebenenfalls für eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme freizustellen. Hinzu kommt, daß sich der Beschäftigte ihm erteilten Weisungen jederzeit dadurch entziehen kann, daß er gemäß § 232 Abs. 2 SGB III die Eingliederung ohne Angabe von Gründen für gescheitert erklärt und dadurch den Eingliederungsvertrag zur Auflösung bringt. Die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Eingliederungsvertrag unterscheiden sich damit erheblich von der für ein Arbeitsverhältnis typischen Konstellation. Dieser Unterschied läßt es entgegen der Ansicht von Bader (aaO) nicht zu, die Eingliederung gleichwohl als Arbeitsverhältnis anzusehen, vielmehr handelt es sich dabei um ein Beschäftigungsverhältnis eigener Art (Heinz aaO Rn. 29; Heinze aaO; Natzel aaO; Niesel/Menard aaO).

b) Selbst wenn aber die vom Wortlaut ausgehende Auslegung des Gesetzes nicht eindeutig ergeben würde, daß die Eingliederung nach §§ 229 ff. SGB III kein Arbeitsverhältnis darstellt, würde jedenfalls die amtliche Begründung (BT-Drucks. 13/4941 S 148, 194 f.) alle Zweifel beseitigen. Dort wird mehrfach ausdrücklich betont, der Eingliederungsvertrag begründe zwar ein Beschäftigungsverhältnis, nicht aber ein Arbeitsverhältnis.

4. Für die Anrechnung der Eingliederungszeit auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG könnte gleichwohl sprechen, daß § 231 Abs. 2 Satz 1 SGB III für den Eingliederungsvertrag ähnlich wie § 3 Abs. 2 BBiG für den Berufsausbildungsvertrag die Anwendung der Vorschriften und Grundsätze des Arbeitsrechts anordnet, soweit sich aus den nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt. Für das Berufsausbildungsverhältnis hat der Senat (18. November 1999 - 2 AZR 89/99 - aaO) gerade aus § 3 Abs. 2 BBiG abgeleitet, daß es bei der Berechnung der Wartezeit einem Arbeitsverhältnis zumindest gleichzustellen ist. Jedoch würde eine parallele Wertung für § 231 Abs. 2 Satz 1 SGB III dem besonderen Zweck des Eingliederungsvertrages, wie er in den Vorschriften der §§ 229 ff. SGB III und der dazu gegebenen amtlichen Begründung seinen Niederschlag gefunden hat, nicht gerecht. Mit dem Eingliederungsvertrag soll der Skepsis von Arbeitgebern gegenüber der Einstellung von Langzeitarbeitslosen und anderen schwer vermittelbaren Arbeitslosen entgegengewirkt werden. Die besondere Vertragsgestaltung soll dazu beitragen, auf Arbeitgeberseite bestehende Befürchtungen vor arbeitsvertraglichen Bindungen und zusätzlichen Kosten vor allem infolge überdurchschnittlicher Fehlzeiten abzubauen. Während dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet wird, den Arbeitslosen kennenzulernen, ihn zu erproben, einzuarbeiten sowie zu qualifizieren, um damit Vorurteile und Vorbehalte auszuräumen, soll der Arbeitslose die Gelegenheit erhalten, sich zu bewähren und in das Arbeitsleben auf Dauer zurückzukehren (vgl. die amtliche Begründung aaO; Heinz aaO Rn. 7; Niesel NZA 1997, 580, 581). Dem Arbeitgeber soll eine zusätzliche Möglichkeit gegeben werden, den Beschäftigten kennenzulernen. Die nicht an Bedingungen geknüpfte jederzeitige Möglichkeit des Arbeitgebers, die Eingliederung ohne Angabe von Gründen für gescheitert zu erklären und dadurch den Eingliederungsvertrag aufzulösen (§ 232 Abs. 2 SGB III), zeigt, daß dem Arbeitgeber jedes Risiko genommen werden und jegliche Bindung vermieden werden soll (vgl. APS-Backhaus aaO; Kufer aaO).

Würde man die Zeit der Eingliederung dennoch auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG anrechnen, würde das Ziel einer Übernahme des Arbeitslosen in ein anschließendes Arbeitsverhältnis konterkariert. Es stünde zu befürchten, daß schon von der Möglichkeit der Eingliederung gemäß §§ 229 ff. SGB III nur noch in geringerem Umfang Gebrauch gemacht, jedenfalls aber die Bereitschaft des Arbeitgebers zur anschließenden Übernahme in ein Arbeitsverhältnis verringert würde (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 89/99 - aaO; APS-Backhaus aaO; Hanau DB 1997, 1278, 1280; Niesel/ Menard aaO Rn. 21). Anders als die Zeit eines Berufsausbildungsverhältnisses, für das sich dem Berufsbildungsgesetz keine gleiche Zwecksetzung entnehmen läßt und das im Gegensatz zum Eingliederungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit gemäß § 15 BBiG gegen Kündigung besonders geschützt wird, ist somit die Zeit der Eingliederung nicht auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen (ebenso ErfK-Ascheid aaO; APS-Backhaus aaO; Hanau aaO; Kufer aaO; Natzel NZA 1997, 806, 809; Wolf aaO; vgl. auch Küttner/Kania Personalbuch 2001 Eingliederungsvertrag Rn. 5 im Gegensatz zur Vorauflage; aA Bader aaO; Gagel/Bepler aaO § 232 Rn. 26; Gerntke/Ulber AiB 1997, 511, 514; Kittner in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 22a; von Seggern in Lohre/Mayer/Stevens-Bartol Arbeitsförderungsrecht 3. Aufl. § 231 SGB III Rn. 7; I. Schmidt AuR 1997, 461, 468).

Die Unwirksamkeit der Kündigung kann sich damit nicht aus § 1 KSchG ergeben. Da sonstige Unwirksamkeitsgründe nicht ersichtlich sind, bleibt es bei der Klageabweisung gemäß dem Urteil des Arbeitsgerichts.

Ende der Entscheidung

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